Wichtig ist nicht, wie gut man Schwierigkeiten aus dem Weg gehen kann, sondern wie man mit ihnen fertig wird, wenn sie einen ereilen.
(Paul Auster – Das Buch der Illusionen)
Für einen Arbeitsplatz, den sie hassen, für eine Ausbildung, die sie gar nicht wollen, oder sogar nur für ein Praktikum, das wohl die niederste Form der Ausbeutung darstellt, tun sie alles.
Sie leugnen ihre eigene Meinung. Sie leugnen ihre Träume. Sie leugnen ihre Ideale. Sie leugnen ihre Vergangenheit. Sie leugnen, was sie sind. Sie zensieren ihre Internet-Auftritte. Sie wollen nicht zu dem stehen, was sie sagen und denken. Sie kontrollieren, was man bei Google über sie herausfinden kann, und wenn ihnen etwas nicht gefällt, dann wollen sie das ändern. Sie nehmen Bilder aus dem Netz, die sie vielleicht in einem schlechten Licht darstellen könnten. Sie wollen glänzen.
Sie haben ständig die Schere im Kopf. Sie wollen nicht auffallen. Zumindest nicht negativ. Doch weil es einfacher ist, überhaupt nicht aufzufallen, gehen sie diesen Weg. Sie buckeln nach oben und sie treten nach unten. Sie kuschen und gehorchen.
Sie brauchen Menschen, die ihnen sagen, was sie tun sollen. Sie wollen nicht alleine laufen, nicht ohne Führung, nicht ohne Geländer. Trotzdem sind sie einsam, auch wenn sie nicht allein sein mögen. Sie wissen nicht, wer sie sind, aber das interessiert sie auch gar nicht. Denn sie sind, was andere von ihnen verlangen. Macht das glücklich?
Wie Wiglaf Droste so treffend schrieb:
Sie wollen nicht frei sein, also sollen alle anderen auch nicht dürfen. (…) Wenn man ihnen ihre Leitplanken schon nicht wegnehmen kann, darf man immerhin drüberweg hüpfen. Innerhalb der Leitplankenkultur gibt es nichts zu finden, das sich zu suchen lohnte.
(Wiglaf Droste bei taz.de)
Sie hatte jetzt Arbeit, sie hatte eine Wohnung, sie hatte, in gewisser Weise, ein Leben. Sie hatte sich ein Leben für sich entworfen. Zwar war es nicht so, wie sie es sich einmal vorgestellt hatte. Als sie auf ihren Abschluss hinarbeitete an der tollen Universität, die jede als zukünftige Weltherrscherin verlassen wollte, hätte sie sich nie träumen lassen, dass sie einmal so enden würde (…). Aber vermutlich entwickelt sich das Leben nie so, wie man es geplant hat; vermutlich sieht man deshalb auf den Straßen von Großstädten so viele Leute mit diesem verwirrten und verärgerten Gesichtsausdruck, als wollten sie sagen: Wer hätte gedacht, dass mir das passieren würde? All die Ballett-Tänzerinnen, die in der Verwaltung landeten, die Feuerwehrmänner, die Personalchefs wurden, die Entdecker, die in Call-Centern saßen, die Modeschöpferinnen und Opernsängerinnen, Gitarristen, Bühnen-Lieblinge und Szene-Diven, die am Ende von der großen Tretmühle zermalmt wurden. All das spricht aus diesen Blicken: Wie bin ich bloß hier gelandet?
(Tania Kindersley – Und morgen geht das Leben weiter)
Gut ist es, an andern sich zu halten. Denn keiner trägt das Leben allein.
(Friedrich Hölderlin)
Kommunikation mit den Mitmenschen ist keine Einbahnstraße. Das gilt vor allem, aber nicht exklusiv, für die Kommunikation mit Freunden. Kommunikation mit den Mitmenschen ist auch kein Selbstbedienungsbasar. Sie sagen dir ihre Meinung – ungefragt. Sie sagen dir, worin du so richtig schlecht bist – ungefragt. Sie sagen dir, dass einige deiner Entscheidungen ziemlich blöd waren – ungefragt.
Das alles findet man vielleicht in jenen Momenten, in denen man es zu hören bekommt, ziemlich nervig und vielleicht sogar scheiße, aber es hilft – und es ist verdammt viel wert. Weil eben niemand perfekt ist. Weil niemand alles auf Anhieb super macht. Weil niemand je auslernt. Weil niemand alleine ist. Weil es gut ist, das eigene Handeln des Öfteren aus anderen Perspektiven und dabei nicht immer nur von den gleichen Personen beurteilt zu sehen, Ratschläge zu erhalten und Kritik zu ernten, da das eigene Selbstbild stets von der Verzerrung geprägt ist, wie man sich sehen möchte. Und weil man lernt, dass man nicht über jede nicht selbst gemachte Erfahrung erhaben ist.
Solche Ratschläge, Meinungen oder Kritiken anderer Menschen in Erwägung zu ziehen oder gar anzunehmen, mag vielleicht anfangs ein wenig das eigene Ego verletzen. Oder man ist außer sich, weil andere Menschen die Dreistigkeit besitzen, sich in das eigene Leben einzumischen. Aber letzten Endes stärkt es die eigene Persönlichkeit, und das ist viel wertvoller als ein angekratztes Ego. Es lohnt sich, dafür eventuelle Mauern einzureißen, die man gegenüber anderen Menschen und seiner Umwelt gebaut hat.
Sie anzunehmen hat nie etwas mit Schwäche oder Unfähigkeit zu tun. Im Gegenteil. Schwach – aber vor allem dumm – ist, wer denkt, alles alleine am besten zu wissen und zu können. Wer das glaubt, braucht sich nicht zu wundern, wenn er schließlich tatsächlich das Leben ganz alleine tragen muss. Wer sich abschottet, verliert viel Wärme.
Eine jener Charakteristiken, die Freunde ausmachen, ist eben dieses Einmischen. Sie sagen dir von sich aus Dinge, die du vielleicht nicht hören willst, und das ist gut so. Sie sagen dir solche Dinge, ohne darauf angesprochen zu werden, denn auf Aufforderung könnte das jeder. Und sie versuchen dir zu helfen, auch und gerade wenn du sie nicht darum bittest oder wenn du wieder einmal so tust, als bräuchtest du keine Hilfe, denn auf Aufforderung könnte auch das jeder Beliebige. Ein Beliebiger nimmt allerdings nicht Anteil. Freunde schon. Das macht sie unbezahlbar. Auch wenn es hin und wieder nervt.
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