Nie­mand soll­te jemals arbeiten.
Arbeit ist die Ursa­che nahe­zu allen Elends in der Welt. Fast jedes erdenk­li­che Übel geht aufs Arbei­ten oder auf eine fürs Arbei­ten ein­ge­rich­te­te Welt zurück. Um das Lei­den zu been­den, müs­sen wir auf­hö­ren zu arbeiten.
Das bedeu­tet nicht, daß wir auf­hö­ren soll­ten, Din­ge zu tun. Viel­mehr soll­ten wir eine neue Lebens­wei­se schaf­fen, der das Spie­len zugrun­de­liegt; sozu­sa­gen eine spie­le­ri­sche Revolution.
Spie­le­ri­sches Leben ist völ­lig inkom­pa­ti­bel zur bestehen­den Wirk­lich­keit. Das sagt alles über die „Wirk­lich­keit“, das Schwer­kraft­loch, das dem Weni­gen im Leben, das es noch vom blo­ßen Über­le­ben unter­schei­det, die Lebens­kraft absaugt. Selt­sa­mer­wei­se – oder viel­leicht auch nicht – sind alle alten Ideo­lo­gien kon­ser­va­tiv, weil sie an die Arbeit glauben.
Die Libe­ra­len for­dern ein Ende der Dis­kri­mi­nie­rung auf dem Arbeits­markt. Ich for­de­re ein Ende des Arbeits­mark­tes. Die Kon­ser­va­ti­ven unter­stüt­zen das Recht auf Arbeit. Mit Karl Marx‘ eigen­sin­ni­gem Schwie­ger­sohn Paul Lafar­gue unter­stüt­ze ich das „Recht auf Faul­heit“. So wie die Sur­rea­lis­ten – abge­se­hen davon, daß ich es ernst mei­ne – for­de­re ich vol­le Arbeits­lo­sig­keit. Die Trotz­kis­ten agi­tie­ren für die per­ma­nen­te Revo­lu­ti­on. Ich agi­tie­re für per­ma­nen­tes Fei­ern. Aber wenn alle Ideo­lo­gen die Arbeit ver­tei­di­gen, was sie ja tun, und das nicht nur, weil sie ande­re dazu brin­gen wol­len, ihren Teil mit­zu­ma­chen, geben sie es doch ungern zu. Sie füh­ren end­lo­se Debat­ten über Löh­ne, Arbeits­stun­den, Arbeits­be­din­gun­gen, Aus­beu­tung, Pro­duk­ti­vi­tät und Gewinn­chan­cen. Sie reden gern über alles – außer über die Arbeit selbst. Die­se Exper­ten, die sich anbie­ten, uns das Den­ken abzu­neh­men, tei­len sel­ten ihre Erkennt­nis­se über die Arbeit mit uns, trotz der Bedeu­tung für unser aller Leben. Unter­ein­an­der strei­ten sie sich ein biß­chen über die Ein­zel­hei­ten. (…) All die­se Ideo­lo­gen haben erns­te Dif­fe­ren­zen über die Ver­tei­lung der Macht. Genau­so klar ist, daß sie der Macht als sol­cher nicht wider­spre­chen und daß sie uns alle am Arbei­ten hal­ten wollen.
Die Ent­wür­di­gung, die die meis­ten Arbei­ten­den bei ihren Jobs erle­ben, ent­springt der Sum­me der ver­schie­dens­ten Demü­ti­gun­gen, die unter dem Begriff „Dis­zi­plin“ zusam­men­ge­faßt wer­den kön­nen. Fou­cault hat die­ses Phä­no­men kom­ple­xer dar­ge­stellt, aber es ist eigent­lich ganz ein­fach. Dis­zi­plin besteht aus der Abso­lut­heit der tota­li­tä­ren Kon­trol­le am Arbeits­platz – Über­wa­chung, Fließ­band, vor­ge­ge­be­nes Arbeits­tem­po, Pro­duk­ti­ons­zif­fern, Stech­uhr usw. Dis­zi­plin ist das, was Fabrik, Büro und Geschäft mit dem Gefäng­nis, der Schu­le und dem Irren­haus gemein haben. Es ist etwas his­to­risch Ein­zig­ar­ti­ges und Furcht­ba­res. Es über­stieg die Fähig­kei­ten solch teuf­li­scher Dik­ta­to­ren wie wei­land Nero oder Dschin­gis Khan oder Iwan des Schreck­li­chen. So schlecht ihre Absich­ten auch gewe­sen sein mögen, ihnen fehl­te die Maschi­ne­rie, um ihre Unter­ta­nen so gründ­lich zu kon­trol­lie­ren, wie es moder­ne Des­po­ten ver­mö­gen. Dis­zi­plin ist die cha­rak­te­ris­tisch moder­ne Funk­ti­ons­wei­se der gesell­schaft­li­chen Kon­trol­le, es ist ein inno­va­ti­ves Ein­trich­tern, gegen das bei der ers­ten sich bie­ten­den Gele­gen­heit ein­ge­schrit­ten wer­den muß.
So steht es mit der Arbeit. Spie­len ist das gera­de Gegen­teil. Spie­len ist immer frei­wil­lig. Was ansons­ten Spiel wäre, wird zur Arbeit, sobald es erzwun­gen wird.
Wir haben jetzt die Mög­lich­keit, die Arbeit abzu­schaf­fen und den not­wen­di­gen Anteil Arbeit durch eine Viel­falt an neu­en frei­en Akti­vi­tä­ten zu erset­zen. Die Abschaf­fung der Arbeit erfor­dert eine Annä­he­rung von zwei Sei­ten, einer quan­ti­ta­ti­ven und einer qua­li­ta­ti­ven. Auf der einen, der quan­ti­ta­ti­ven Sei­te, müs­sen wir die Men­ge geleis­te­ter Arbeit mas­siv redu­zie­ren. Gegen­wär­tig ist die meis­te Arbeit ein­fach nutz­los und wir soll­ten sie los­wer­den. Auf der ande­ren Sei­te – und ich den­ke, die­se qua­li­ta­ti­ve Annä­he­rung ist der Knack­punkt und der wirk­lich revo­lu­tio­nä­re Auf­bruch – müs­sen wir die weni­ge nutz­brin­gen­de Arbeit in ver­schie­dens­te spie­le­ri­sche und hand­werk­li­che Freu­den ver­wan­deln, nicht unter­scheid­bar von ande­ren freud­vol­len Tätig­kei­ten, außer dadurch, daß sie neben­bei nütz­li­che End­pro­duk­te her­vor­brin­gen. Das soll­te sie aber kei­nes­falls weni­ger ver­lo­ckend machen. In der Fol­ge könn­ten alle künst­li­chen Schran­ken von Macht und Besitz fal­len. Schöp­fung wäre nicht mehr Erschöp­fung. Und wir könn­ten alle auf­hö­ren, vor­ein­an­der Angst zu haben.
Ich unter­stel­le nicht, daß die­se Ver­wand­lung bei jeder Art von Arbeit mög­lich ist. Aber dann ist die meis­te Arbeit auch nicht wert, erhal­ten zu wer­den. Nur ein klei­ner und sich noch ver­klei­nern­der Aus­schnitt der Arbeits­welt dient letzt­lich einem Zweck, den nicht erst die Ver­tei­di­gung und Repro­duk­ti­on des Arbeits­sys­tems und sei­ner poli­ti­schen und recht­li­chen Anhäng­sel nötig machen (…): die meis­te Arbeit dient direkt oder indi­rekt der wirt­schaft­li­chen oder sozia­len Kon­trol­le. Es wäre also ein­fach so mög­lich, Mil­lio­nen von Ver­käu­fern, Sol­da­ten, Mana­gern, Poli­zis­ten, Bör­sia­nern, Pries­tern, Ban­kiers, Anwäl­ten, Leh­rern, Ver­mie­tern, Wachen und Wer­be­leu­ten von der Arbeit zu befrei­en, nebst allen, die für sie arbeiten.
(Bob Black – Die Abschaf­fung der Arbeit; im Ori­gi­nal: The Aboli­ti­on of Work)

In einem sei­ner Fil­me, The Fatal Glass of Beer, zeigt ein Alt­meis­ter der ame­ri­ka­ni­schen Film­ko­mik, W. C. Fields, den erschröck­li­chen, unauf­halt­sa­men Nie­der­gang eines jun­gen Man­nes, der der Ver­su­chung nicht wider­ste­hen kann, sein ers­tes Glas Bier zu trin­ken. Der war­nend erho­be­ne (wenn auch vor unter­drück­tem Lachen leicht zit­tern­de) Zei­ge­fin­ger ist nicht zu über­se­hen: Die Tat ist kurz, die Reue lang. Und wie lang! (Man den­ke nur an eine ande­re bibli­sche Urmut­ter: Eva, und das biß­chen Apfel…)
Die­se Fata­li­tät hat ihre unleug­ba­ren Vor­tei­le, die bis­her scham­haft ver­schwie­gen wur­den, in unse­rem auf­ge­klär­ten Zeit­al­ter aber nicht län­ger ver­heim­licht wer­den dür­fen: Reue hin, Reue her – für unser The­ma ist es viel wich­ti­ger, daß die nie wie­der gut­zu­ma­chen­den Fol­gen des ers­ten Gla­ses Bier alle wei­te­ren Glä­ser wenn schon nicht ent­schul­di­gen, so doch zwin­gend begrün­den. Anders aus­ge­drückt: schön – man steht schuld­be­la­den da, man hät­te es damals bes­ser wis­sen sol­len, aber jetzt ist es zu spät. Damals sün­dig­te man, jetzt ist man das Opfer des eige­nen Fehl­tritts. Ide­al ist die­se Form der Unglück­lich­keits­kon­struk­ti­on frei­lich nicht, nur passabel.
Suchen wir daher nach Ver­fei­ne­run­gen. Was, wenn wir am ursprüng­li­chen Ereig­nis unbe­tei­ligt sind? Wenn uns nie­mand der Mit­hil­fe beschul­di­gen kann? Kein Zwei­fel, dann sind wir rei­ne Opfer, und es soll nur jemand ver­su­chen, an unse­rem Opfer-Sta­tus zu rüt­teln oder gar zu erwar­ten, daß wir etwas dage­gen unter­neh­men. Was uns Gott, Welt, Schick­sal, Natur, Chro­mo­so­me und Hor­mo­ne, Gesell­schaft, Eltern, Ver­wand­te, Poli­zei, Leh­rer, Ärz­te, Chefs oder beson­ders Freun­de anta­ten, wiegt so schwer, daß die blo­ße Insi­nua­ti­on, viel­leicht etwas dage­gen tun zu kön­nen, schon eine Belei­di­gung ist. Außer­dem ist sie unwissenschaftlich.
(Paul Watz­la­wick – Anlei­tung zum Unglücklichsein)