Here was a man who, if he wan­ted, could spend every waking moment in self-pity, fee­ling his body for decay, coun­ting his breaths. So many peo­p­le with far smal­ler pro­blems are so self-absor­bed, their eyes gla­ze over if you speak for more than thir­ty seconds. They alre­a­dy have some­thing else in mind – a fri­end to call, a fax to send, a lover they’­re day­d­re­a­ming about. They only snap back to full atten­ti­on when you finish tal­king, at which point they say „Uh-huh“ or „Yeah, real­ly“ and fake their way back to the moment. (…) We are gre­at at small talk: „What do you do?“ „Whe­re do you live?“ But real­ly lis­tening to someone – wit­hout try­ing to sell them some­thing, pick them up, recruit them, or get some kind of sta­tus in return – how often do we get this any­mo­re? I belie­ve many visi­tors in the last few months of Morrie’s life were drawn not becau­se of the atten­ti­on they wan­ted to pay to him but becau­se of the atten­ti­on he paid to them. Despi­te his per­so­nal pain and decay, this litt­le old man lis­ten­ed the way they always wan­ted someone to listen.
(Mitch Albom – Tues­days with Morrie)

Sel­ten unter­neh­me ich etwas mit mehr als drei Men­schen auf ein­mal. Viel­leicht mag das unso­zi­al erschei­nen, doch für mich ist es genau das Gegen­teil. Ich mei­de Mas­sen­ver­an­stal­tun­gen und blei­be Tref­fen fern, wenn abseh­bar ist, dass am Ende mehr Men­schen anwe­send sein wer­den als ich für ange­nehm befin­de. Das liegt vor allem dar­an, dass jedes Tref­fen von mehr als vier Per­so­nen für mich schon eine Grup­pe dar­stellt und ich Grup­pen nicht beson­ders lei­den kann – beson­ders dann nicht, wenn dar­un­ter Men­schen sind, die ich mag.

Je mehr von ihnen ich mag oder je mehr ich ein­zel­ne dar­un­ter mag, des­to weni­ger möch­te ich sie zeit­gleich mit ande­ren in eine Grup­pe ste­cken. Es ist nicht unbe­dingt so, dass ich mich in einer Grup­pe unwohl füh­le, denn oft ver­spricht eine Grup­pe und ihre spe­zi­el­le Dyna­mik gro­ßen Spaß, doch ist es der Man­gel an Nähe und Exklu­si­vi­tät, der mich Grup­pen in der Regel eher mei­den lässt. Es geht mir hier­bei nicht um Nähe und Exklu­si­vi­tät, die ich von ande­ren erwar­ten, ein­for­dern oder gar ver­lan­gen wür­de, son­dern um Nähe und Exklu­si­vi­tät, die ich selbst ger­ne den­je­ni­gen Men­schen zukom­men las­sen möch­te, die ich mag. Ich möch­te mei­ne Auf­merk­sam­keit gegen­über die­sen Men­schen nicht hin und her sprin­gen las­sen müs­sen, will mein Inter­es­se nicht spal­ten und mei­ne Gedan­ken nicht het­zen, son­dern will mich auf ein Gegen­über kon­zen­trie­ren und für die­se eine Per­son in die­sem Augen­blick voll und ganz da sein, ein­zig und allein, abso­lut und ungeteilt.

Ein­mal saß ich mit fünf­zehn wei­te­ren Per­so­nen zum Abend­essen an einem lan­gen Tisch und fei­er­te den Geburts­tag einer Freun­din – nur eine von vie­len Situa­tio­nen, die aber exem­pla­risch ist für das, was ich zum Aus­druck brin­gen möch­te. Links von mir konn­te ich Gesprä­che ver­fol­gen, rechts von mir konn­te ich Gesprä­che ver­fol­gen, und ich selbst unter­hielt mich mit mei­nen Nach­barn über die­ses und über jenes.

Es war, wie es immer ist, wenn eine grö­ße­re Anzahl von Men­schen auf­ein­an­der­trifft: Man steigt aus Gesprä­chen aus und in ande­re ein, man wech­selt den Gesprächs­part­ner, wenn es lang­wei­lig zu wer­den droht, man teilt die Auf­merk­sam­keit. Man rast hin und her, zumin­dest in Gedan­ken, man ver­liert Fokus und Kon­zen­tra­ti­on, man frag­men­tiert die Anteil­nah­me. Alle Unter­hal­tun­gen sind gleich, indem sie unper­sön­lich blei­ben: Man begnügt sich mit Smalltalk.

Je mehr Men­schen sich zusam­men­fin­den, umso grö­ßer die Wahr­schein­lich­keit unglei­cher Freund­schafts­be­zie­hun­gen. Wenn wie in die­sem Bei­spiel sechs­zehn Per­so­nen an einem Tisch sit­zen, ist es recht unwahr­schein­lich, dass alle die­se Per­so­nen das glei­che Freund­schafts- und Ver­trau­ens­ver­hält­nis tei­len oder alle­samt unter­ein­an­der bes­te Freun­de sind. Viel­leicht sind eini­ge sich völ­lig fremd und noch nicht ein­mal sym­pa­thisch. In der­lei Kon­stel­la­tio­nen unter­hält man sich not­ge­drun­gen nicht über all­zu Per­sön­li­ches, weil Ohren anwe­send sind, die es ver­mut­lich nichts angeht. Was man dem bes­ten Freund oder der Freun­din erzählt, das teilt man hier nicht allen mit. Der Aus­weg ist das ober­fläch­li­che Gespräch oder das seich­te Amü­se­ment. Bei­des gibt mir nichts, mit bei­dem kann ich nichts anfan­gen, bei­des ist für mich sozi­al ungenügend.

Das seich­te Amü­se­ment in der Grup­pe, der ober­fläch­li­che Spaß, das unbe­schwer­te Lachen für Zwi­schen­durch, wenn tie­fe Gesprä­che nicht zur Debat­te ste­hen und gro­ße Nähe nicht in Fra­ge kommt, ist in jenen Momen­ten, in denen es statt­fin­det, für mich so schön wie für jeden ande­ren Betei­lig­ten auch, doch neh­me ich dar­aus nichts mit. Ich habe mit Leu­ten eine schö­ne Zeit, ja, mit Freun­den gar, doch wenn ich dann nach Hau­se kom­me, bleibt in mir ein unbe­frie­di­gen­des Gefühl zurück, der Wunsch nach mehr – nicht an Quan­ti­tät, son­dern an Qualität.

Es kommt mir wie Ver­schwen­dung vor, wenn da jemand ist, mit dem ich ger­ne in die Tie­fe abtau­chen wür­de, aber es nicht kann, weil wir in einer Grup­pe gefan­gen sind, die auf der Ober­flä­che des größ­ten gemein­sa­men Tei­lers treibt. Es erscheint mir wie Ver­geu­dung von Freund­schaft, bloß Spaß mit ihnen zu haben. Ent­schei­dend ist das »bloß«. Nicht: Spaß mit ihnen zu haben, son­dern: bloß Spaß mit ihnen zu haben. Die Reduk­ti­on auf eine Dimen­si­on, wo doch so vie­le sind, wo doch so vie­le sein soll­ten. Auf die Spit­ze getrie­ben: Für Spaß allein, da rei­chen schon Bekann­te, ja sicher­lich schon Unbe­kann­te, denn es steckt Unver­bind­lich­keit und Aus­tausch­bar­keit dar­in. Die ober­fläch­li­che „gute Zeit“, der spa­ßi­ge Abend, die kurz­wei­li­ge Unter­hal­tung ver­hält sich zur wirk­li­chen guten Zeit wie die Pro­sti­tu­ier­te zur gro­ßen Lie­be, da die­se „gute Zeit“ so ein­fach, so belie­big, so auf­wands­los zu haben ist, wäh­rend die ech­te gute Zeit, die nicht in Anfüh­rungs­zei­chen steht, für mich ganz ande­re Qua­li­tä­ten hat, die Nähe, Offen­heit und Exklu­si­vi­tät vereint.

Auf der ande­ren Sei­te bleibt als Mög­lich­keit nur das ober­fläch­li­che Gespräch, das sich am Level des Freund­schafts­ver­hält­nis­ses ori­en­tiert, den die gesam­te Grup­pe gemein hat und der folg­lich meist recht klein ist. Es mün­det letzt­lich in Small­talk. Was jemand macht, was er am Tag geges­sen hat, wel­che Möbel er erwarb, wie viel Geld er ver­dient oder wel­ches Auto er fährt, das alles inter­es­siert mich nicht. Ich stel­le die­se Fra­gen nicht, weil mich die Ant­wor­ten nicht küm­mern. Gesprä­che die­ser Art beläs­ti­gen mich nicht, doch hal­te ich mich dann zurück und gebe den Beob­ach­ter, neh­me alles in mich auf und zie­he mei­ne Schlüs­se, möch­te aber nicht mitreden.

Was mich wirk­lich inter­es­siert, das ist die Per­son, wer jemand ist, und wie es dem­je­ni­gen gera­de geht. Über­haupt: Die Fra­ge, wie es jeman­dem geht – wer beant­wor­tet sie denn schon ehr­lich? Die meis­ten erzäh­len dar­auf­hin, wie sie mit ihrer Arbeit zurecht­kom­men, was das Finanz­amt von ihnen ver­langt oder dass sie sich schon wie­der einen neu­en Fern­se­her gekauft haben. Ant­wor­ten auf Fra­gen, die gar nicht gestellt wur­den, wäh­rend die gestell­ten völ­lig unbe­ant­wor­tet blei­ben. Auf die­se Fra­gen bekommt man sel­ten eine wah­re Ant­wort, noch sel­te­ner so unter Vie­len, und wenn, dann nur unter vier Augen.

Das ist die Art von Gespräch, die ich füh­ren möch­te, denn nichts ist so befrie­di­gend, erkennt­nis­reich, offen, ein­fühl­sam und ver­bin­dend wie die­se. Jedes Mal ist es für mich daher sehr ent­täu­schend, wenn jemand, mit dem ich mich ver­ab­re­det habe, plötz­lich unge­fragt noch irgend­wel­che Drit­te hin­zu­holt. Nicht bloß ist es unhöf­lich, es war auch nicht abge­macht, und hät­te ich es im Vor­aus gewusst, ich hät­te ver­mut­lich abge­sagt, nicht weil ich die Freun­de mei­ner Freun­de nicht mag, son­dern weil es die Grund­la­gen des Tref­fens maß­geb­lich ver­än­dert, denn es gewinnt dadurch an Belie­big­keit und ver­liert an poten­ti­el­ler Tie­fe, büßt Nähe ein zuguns­ten einer grö­ße­ren Teil­neh­mer­zahl und zer­stört die Zwei­sam­keit, die vor allem, aber eben nicht allein nur fürs Roman­ti­sche so wich­tig ist.

Wenn ich mich mit jeman­dem tref­fen oder gene­rell unter­hal­ten möch­te, dann tue ich das in der Regel, um den Men­schen, die ich mag, im dop­pel­ten Wort­sinn nah zu sein. Das geht nicht, wenn man unter Vie­len ist.

Als ich klein war und mir das für Kin­der nach­er­zähl­te Alte Tes­ta­ment anschau­te, das mit Radie­run­gen von Gust­ave Doré illus­triert war, sah ich den lie­ben Gott auf einer Wol­ke sit­zen. Er war ein alter Mann, hat­te Augen, eine Nase und einen lan­gen Bart, und ich sag­te mir, wenn er einen Mund hat, muß er auch essen. Und wenn er ißt, muß er auch Där­me haben. Die­ser Gedan­ke jedoch hat mich erschreckt, denn ich fühl­te, obwohl ich aus einer eher ungläu­bi­gen Fami­lie stamm­te, daß die Vor­stel­lung von gött­li­chen Där­men Blas­phe­mie ist.
Ohne jeg­li­che theo­lo­gi­sche Vor­bil­dung habe ich schon als Kind ganz spon­tan die Unver­ein­bar­keit von Schei­ße und Gott begrif­fen und folg­lich auch die Frag­wür­dig­keit der Grund­the­se christ­li­cher Anthro­po­lo­gie, nach der der Mensch als Eben­bild Got­tes geschaf­fen wur­de. Ent­we­der oder: ent­we­der wur­de der Mensch als Eben­bild Got­tes geschaf­fen und dann hat Gott Där­me, oder aber Gott hat kei­ne Där­me und der Mensch gleicht ihm nicht.
Die alten Gnos­ti­ker haben das genau­so klar gese­hen wie ich mit mei­nen fünf Jah­ren: um die­ses ver­zwick­te Pro­blem end­gül­tig zu lösen, hat Valen­tin, ein gro­ßer Meis­ter der Gno­sis im zwei­ten Jahr­hun­dert, behaup­tet: »Jesus hat geges­sen und getrun­ken, nicht aber defäkiert.«
Die Schei­ße ist ein schwie­ri­ge­res theo­lo­gi­sches Pro­blem als das Böse. Gott hat dem Men­schen die Frei­heit gege­ben, und so kann man anneh­men, daß er nicht für die Ver­bre­chen der Mensch­heit ver­ant­wort­lich ist. Doch die Ver­ant­wor­tung für die Schei­ße trägt ein­zig und allein der­je­ni­ge, der den Men­schen geschaf­fen hat.
(Milan Kun­de­ra – Die uner­träg­li­che Leich­tig­keit des Seins)

Im Bewusst­sein der Zeit­lich­keit setzt sich der Knacks durch. Auch wo er nicht iden­ti­fi­ziert wird, bricht er sich Bahn in den zuwi­der­lau­fen­den Kräf­ten, etwa im Ver­such, sei­ner Arbeit mit einer Beschleu­ni­gung des Lebens­ge­fühls zu begeg­nen. Mach schnell, und du wirst ihn mit blo­ßem Auge, mit blo­ßem inne­ren Auge, nicht mehr wahr­neh­men. Die Geschwin­dig­keit wird den Knacks dahinraffen.
Hat die Spra­che die­se Beschleu­ni­gung mit voll­zo­gen? Und ob: In den Sieb­zi­gern beant­wor­te­te man die Fra­ge »How are you« mit »good«, in den Acht­zi­gern ant­wor­te­te man auf die glei­che Fra­ge mit »busy«.
Was war gesche­hen? Die Beschleu­ni­gung ver­riet sich in Kom­pa­ra­ti­ven. Der Schnell­zug ver­schwand, er war nicht schnell genug; der Eil­brief ver­schwand, denn schon das Eilen selbst klingt gemäch­lich: Alt­mo­di­sche Voka­beln, sie erin­nern an die lang­sa­me Art, schnell zu sein.
Statt­des­sen wur­den die Indi­zi­en der Beschleu­ni­gung mora­lisch: was schnell war, war gut. Es war gut, »auf der Über­hol­spur« zu leben, es war »in«, Fast Food zu mögen, aber Fast Food ist eigent­lich Fast Eat, und es erreich­te rasch das eige­ne Heim. Mit der 5‑Mi­nu­ten-Ter­ri­ne erreicht die Küche ohne Koch und ohne Ritu­al die Haus­hal­te. Alles beschleu­nigt: Schnell­ra­sur, Schnell­im­biss, Schnell­lif­ting, Schnell­tank­stel­le, Schnell­re­stau­rant, Schnell­rei­ni­gung wie juris­ti­sche Schnell­ver­fah­ren. Es geht schnel­ler: Die ein­zi­ge Musik­sen­dung auf der Höhe der Zeit hieß »Fast For­ward«, die Dro­ge der urba­nen Jugend »Speed«. Dies alles arbei­tet an der Fik­ti­on des gewon­ne­nen Lebens, es sagt, wenn du schnel­ler bist, schnel­ler reist, Zeit sparst, wirst du am Ende mehr davon haben.
(…)
Wir haben kei­ne Zeit. Wir haben alle kei­ne Zeit. Wir haben sie schon des­halb nicht, damit wir uns nicht zu gut füh­len. Bruch, Knacks, Ermü­dung, Schei­tern, Kol­laps: Unse­re rui­nö­sen Ich-Res­te sol­len nicht erschei­nen, nicht auf­bre­chen, nicht mitsprechen.
(Roger Wil­lem­sen – Der Knacks)

He awo­ke each mor­ning with the desi­re to do right, to be a good and meaningful per­son, to be, as simp­le as it sound­ed and as impos­si­ble as it actual­ly was, hap­py. And during the cour­se of each day his heart would des­cend from his chest into his sto­mach. By ear­ly after­noon he was over­co­me by the fee­ling that not­hing was right, or not­hing was right for him, and by the desi­re to be alo­ne. By evening he was ful­fil­led: alo­ne in the magni­tu­de of his grief, alo­ne in his aim­less guilt, alo­ne even in his loneli­ne­ss. ›I am not sad‹, he would repeat to hims­elf over and over, ›I am not sad‹. As if he might one day con­vin­ce hims­elf. Or fool hims­elf. Or con­vin­ce others – the only thing worse than being sad is for others to know that you are sad. ›I am not sad‹. ›I am not sad‹. Becau­se his life had unli­mi­t­ed poten­ti­al for hap­pi­ness, inso­far as it was an emp­ty white room. He would fall asleep with his heart at the foot of his bed, like some dome­sti­ca­ted ani­mal that was no part of him at all. And each mor­ning he would wake with it again in the cup­board of his rib cage, having beco­me a litt­le hea­vier, a litt­le wea­k­er, but still pum­ping. And by mid­af­ter­noon he was again over­co­me with the desi­re to be some­whe­re else, someone else, someone else some­whe­re else. ›I am not sad‹.
(Jona­than Safran Foer – Ever­y­thing is Illuminated)

Ich glau­be dar­an, dass das größ­te Geschenk, das ich von jeman­dem emp­fan­gen kann, ist, gese­hen, gehört, ver­stan­den und berührt zu wer­den. Das größ­te Geschenk, das ich geben kann, ist, den ande­ren zu sehen, zu hören, zu ver­ste­hen und zu berüh­ren. Wenn dies geschieht, ent­steht Beziehung.
(Vir­gi­nia Satir)

Musik. Für Franz ist sie die Kunst, die der dio­ny­si­schen Schön­heit, die als Rausch ver­stan­den wird, am nächs­ten kommt. Man kann sich schlecht von einem Roman oder einem Bild berau­schen las­sen, wohl aber von Beet­ho­vens Neun­ter, Bar­tóks Sona­te für zwei Kla­vie­re und Schlag­in­stru­men­te oder den Songs der Beat­les. Franz unter­schei­det nicht zwi­schen erns­ter Musik und Unter­hal­tungs­mu­sik. Die­se Unter­schei­dung kommt ihm alt­mo­disch und ver­lo­gen vor. Er mag Rock­mu­sik genau­so wie Mozart.
Für ihn ist Musik Befrei­ung, sie befreit ihn von der Ein­sam­keit, der Abge­schie­den­heit und dem Bücher­staub, sie öff­net in sei­nem Kör­per Türen, durch die sei­ne See­le in die Welt hin­aus­ge­hen kann, um sich zu ver­brü­dern. Er tanzt gern und bedau­ert, daß Sabi­na die­se Lei­den­schaft nicht mit ihm teilt.
Sie sit­zen in einem Restau­rant, und zum Essen ertönt aus dem Laut­spre­cher lau­te, rhyth­mi­sche Musik.
Sabi­na sagt: »Das ist ein Teu­fels­kreis. Die Leu­te wer­den schwer­hö­rig, weil sie immer lau­te­re Musik hören. Und weil sie schwer­hö­rig sind, bleibt ihnen nichts ande­res übrig als noch lau­ter aufzudrehen.«
»Du magst kei­ne Musik?« fragt Franz.
»Nein«, sagt Sabi­na. Und dann fügt sie hin­zu: »Viel­leicht, wenn ich in einer ande­ren Zeit gelebt hät­te…«, und sie denkt an die Epo­che von Johann Sebas­ti­an Bach, als die Musik einer Rose glich, die blüh­te im unend­li­chen Schnee­feld der Stille.
Der als Musik getarn­te Lärm ver­folgt sie seit frü­hes­ter Jugend. Wie alle Stu­den­ten muß­te sie die Feri­en in einer soge­nann­ten Jugend-Bau­bri­ga­de ver­brin­gen. Man wohn­te in Gemein­schafts­un­ter­künf­ten und bau­te Hüt­ten­wer­ke. Von fünf Uhr früh bis neun Uhr abends dröhn­te Musik aus den Laut­spre­chern. Ihr war zum Wei­nen zumu­te, aber die Musik klang fröh­lich, und es gab kei­ne Mög­lich­keit, ihr zu ent­rin­nen, weder auf der Toi­let­te noch unter der Bett­de­cke, über­all waren Laut­spre­cher. Die Musik war wie eine Meu­te von Jagd­hun­den, die man auf sie los­ge­hetzt hatte.
Damals hat­te sie geglaubt, die­se Bar­ba­rei der Musik herr­sche nur in der kom­mu­nis­ti­schen Welt. Im Aus­land stell­te sie dann fest, daß die Ver­wand­lung von Musik in Lärm ein welt­wei­ter Pro­zeß war, der die Mensch­heit in die his­to­ri­sche Pha­se der tota­len Häß­lich­keit ein­tre­ten ließ. Die Tota­li­tät der Häß­lich­keit äußer­te sich zunächst als all­ge­gen­wär­ti­ge akus­ti­sche Häß­lich­keit: Autos, Motor­rä­der, elek­tri­sche Gitar­ren, Preß­luft­boh­rer, Laut­spre­cher, Sire­nen. Die All­ge­gen­wart der visu­el­len Häß­lich­keit wür­de bald folgen.
Sie aßen, gin­gen auf ihr Zim­mer und lieb­ten sich. Franz‘ Gedan­ken ver­schwam­men an der Schwel­le zum Schlaf. Er erin­ner­te sich an die lau­te Musik wäh­rend des Abend­essens und sag­te sich: der Lärm hat einen Vor­teil. Man kann kei­ne Wör­ter mehr hören. Es wur­de ihm klar, daß er seit sei­ner Jugend nichts ande­res tat als Reden, Schrei­ben, und Vor­le­sun­gen hal­ten, Sät­ze bil­den, nach For­mu­lie­run­gen suchen und sie ver­bes­sern, so daß ihm zum Schluß kein Wort mehr prä­zis vor­kam und der Sinn ver­schwamm; die Wör­ter ver­lo­ren ihren Inhalt und wur­den zu Krü­meln, Spreu und Staub, zu Sand, der durch sein Gehirn stob, ihm Kopf­schmer­zen und Schlaf­lo­sig­keit ver­ur­sach­te, sei­ne Krank­heit war. Da sehn­te er sich unwi­der­steh­lich, wenn auch unbe­stimmt, nach einer gewal­ti­gen Musik, nach einem rie­si­gen Lärm, einem schö­nen und fröh­li­chen Krach, der alles umarm­te, über­flu­te­te und betäub­te, in dem der Schmerz, die Eitel­keit und die Nich­tig­keit der Wör­ter für immer unter­gin­gen. Musik war die Nega­ti­on der Sät­ze, Musik war das Anti-Wort! Er sehn­te sich danach, unend­lich lan­ge mit Sabi­na umarmt dazu­lie­gen, zu schwei­gen, nie wie­der einen ein­zi­gen Satz zu sagen und das Gefühl der Lust mit dem orgi­as­ti­schen Getö­se der Musik zusam­men­flie­ßen zu las­sen. Mit die­sem glück­se­li­gen Lärm im Kopf schlief er ein.
(Milan Kun­de­ra – Die uner­träg­li­che Leich­tig­keit des Seins)

Ein Lie­bes­paar geht über die Stra­ße. Sie ver­liert einen Knopf. Ein Drit­ter hebt ihn auf, trägt ihn ihr nach. Das Elend hat ihn wie eine Flech­te über­zo­gen, sein Anzug, sei­ne Haut sogar, alles ist Elend.
»O dan­ke«, sagt die Frau und greift nach dem Knopf, den er aber fest­hält. »Das haben wir gar nicht gemerkt.«
»Natür­lich nicht«, bellt der Drit­te. »Immer ist es unse­re Auf­ga­be, uns um die Glück­li­chen zu küm­mern. Wir sol­len die Augen offen hal­ten. Wir sol­len sor­gen, dass nichts fehlt. Glau­ben Sie viel­leicht, die Glück­li­chen haben ein Auge auf uns? Träu­men Sie wei­ter! Ich bin nicht glück­lich, sehen Sie, ich lebe allein, mit mir in Frie­den, aber glück­lich? Küm­mert sich jemand um mich? Wird jemand an mei­nem Grab singen …«
So geht es immer wei­ter. Er redet mit dem Knopf in der Hand, den er nicht her­gibt. Sein Mono­log schlägt sich ins Gebüsch.
»Uner­wi­der­te Lie­be?«, fragt die Frau.
Er nickt.
»Dei­ne Zeit wird kom­men«, sagt sie.
Das ist ihm neu und gibt ihm zu den­ken. Drei Tage spä­ter nimmt er sein Glück in bei­de Hän­de und bucht einen Flug nach Madei­ra, wo ihn eine Woche Hotel ein statt­li­ches Sümm­chen kos­ten soll. Egal, fin­det er, fühlt sich sno­bis­tisch. Aller­dings stürz­te die Maschi­ne ins Meer, und er soll Madei­ra nie ken­nen­ler­nen. Das Hotel berech­net den Hin­ter­blie­be­nen drei Tage Stor­no-Gebühr, und die Lie­ben­den wer­den nicht ein­mal erfah­ren, dass ihn der Fund eines Knop­fes das Leben kos­ten soll­te. So groß ist ihr Glück.
(Roger Wil­lem­sen – Der Knacks)