Der Mensch muß Moral haben, der Staat kennt keine Moral. Er mordet, wenn er es für gut befindet, er stiehlt, wenn er es für gut befindet; er raubt die Kinder von den Müttern, wenn er es für gut befindet; er zerbricht die Ehen, wenn er es für gut befindet. Er tut, was er will. Für ihn gibt es keinen Gott im Himmel, an den zu glauben er den Menschen bei Leib- und Lebensstrafe zwingt, für ihn gibt es keine Gebote Gottes, die er den Kindern mit dem Knüppel einbleuen läßt. Er macht sich seine Gebote selbst, denn er ist der Allmächtige und der Allwissende und der Allgegenwärtige. Er macht sich die Gebote selbst, und wenn sie ihm eine Stunde darauf nicht mehr zusagen, übertritt er sie selbst. Keinen Richter hat er über sich, der ihn zur Rechenschaft zieht, und wenn der Mensch anfängt, mißtrauisch zu werden, dann fuchtelt er ihm mit der Flagge Rot-Weiß-Blau-Hurra-Hurra-Hurra vor den Augen herum, daß der Mensch ganz duselig wird, und er brüllt ihm ins Ohr: »Haus und Herd – Weib und Kind« und bläst ihm in die Nasenlöcher den Rauch: Blick auf deine ruhmreiche Vergangenheit. Und dann plappern die Menschen alles nach, weil der Allmächtige sie in ausdauernder Arbeit zu Maschinen und Automaten heruntergewürgt hat, die ihre Arme, Beine, Augen, Lippen, Herzen und Gehirnzellen genauso bewegen, wie es der allmächtige Götze Staat haben will. Das hat nicht einmal der allmächtige Gott zuwege gebracht, und der konnte doch auch etwas. Aber diesem Ungeheuer gegenüber ist er nur ein armer Stümper. Seine Menschen handelten ganz selbständig, sobald sie erst einmal ihre Arme und Beine bewegen konnten. Sie liefen ihm davon, achteten seine Gebote nicht, sündigten vergnügt wie toll und setzten ihn endlich ab. Bei dem neuen allmächtigen Gott haben sie es schwerer, weil er noch zu jung ist und weil sie noch nicht wagen, ihm auf die Füße zu treten und den Apfel vom Baume zu reißen.
(B. Traven – Das Totenschiff)

Aber ist es romantisch zu werten, wenn Goebbels von einer Fahrt in bombenzerstörte Weststädte pathetisch lügt, er selber, der doch den Betroffenen Mut einflößen wollte, fühlte sich durch ihr unerschütterliches Heldentum »neu aufgeladen«? Nein, hier wirkt bestimmt und allein die Gewöhnung, den Menschen zu einem technischen Apparat zu erniedrigen.
Ich sage es deshalb mit Bestimmtheit, weil in den andern technischen Metaphern des Propagandaministers und des Goebbelskreises der unmittelbare Bezug auf das Maschinelle ohne jede Erinnerung an irgendwelche Kraftströme herrscht. Wieder und wieder werden tätige Menschen mit Motoren verglichen. So heißt es etwa im »Reich« von dem Hamburger Statthalter, er sei in seiner Arbeit wie »ein immer auf Hochtouren laufender Motor«. Viel stärker aber als solch ein Vergleich, der immerhin einen Grenzstrich zieht zwischen dem Bild und dem damit verglichenen Objekt, viel gravierender zeugt für die mechanisierende Grundanschauung ein Goebbelssatz wie dieser: »Wir werden in absehbarer Zeit auf einer Reihe von Gebieten wieder zu vollen Touren auflaufen.« Wir werden also nicht mehr mit Maschinen verglichen, sondern wir sind Maschinen. Wir: das ist Goebbels, das ist die nazistische Regierung, das ist die Gesamtheit Hitlerdeutschlands, die in schwerer Not, bei schrecklichem Kräfteverlust ermutigt werden soll; und sich selber und all seine Getreuen vergleicht der sprachgewaltige Prediger nicht etwa, nein, identifiziert er mit Maschinen. Eine entgeistigtere Denkart als die sich hier verratende ist unmöglich.
(Victor Klemperer – LTI)

Selbst wenn wir wissen, daß ein nie zustande kommendes Werk schlecht sein wird, ein nie begonnenes ist noch schlechter! Ein zustande gekommenes Werk ist zumindest entstanden. Kein Meisterwerk vielleicht, aber es existiert, wenn auch kümmerlich wie die Pflanze im einzigen Blumentopf meiner gebrechlichen Nachbarin. Diese Pflanze ist ihre Freude, und hin und wieder auch die meine. Was ich schreibe und als schlecht erkenne, kann dennoch die eine oder andere verwundete, traurige Seele für Augenblicke noch Schlechteres vergessen lassen. Ob es mir nun genügt oder nicht, es nützt auf irgendeine Art, und so ist das ganze Leben.
(Fernando Pessoa – Das Buch der Unruhe)

Wenn vom Klassenkampf die Rede ist, denkt man niemals an seine ganz alltäglichen Formen, an die rücksichtslose gegenseitige Verächtlichmachung, an die Arroganz, an die erdrückenden Prahlereien mit dem »Erfolg« der Kinder, mit den Ferien, mit den Autos oder anderen Prestigeobjekten, an verletzende Gleichgültigkeit, an Beleidigungen usw.: Soziale Verarmung und Vorurteile – letztere sind die traurigsten aller sozialen Leidenschaften – werden in diesen alltäglichen Kämpfen geboren, in denen stets die Würde und die Selbstachtung der beteiligten Menschen auf dem Spiel stehen. Das Leben ändern, das müßte auch heißen, die vielen kleinen Nichtigkeiten zu ändern, die das Leben der Leute ausmachen und die heute gänzlich als Privatangelegenheit angesehen und dem Geschwätz der Moralisten überlassen werden.
Pierre Bourdieu – Politik, Bildung und Sprache, in: Die verborgenen Mechanismen der Macht

Die Wahrscheinlichkeit einer Handlung oder eines Phänomens zu kennen, kann auch heißen, die Chancen jener Aktionen zu vergrößern, die darauf abzielen, die Realisierung eben dieses Phänomens zu verhindern. Aber das ist nicht alles. Viele soziale Mechanismen sind nur deshalb so wirksam, weil sie verkannt und unterschätzt werden. Das ist zum Beispiel bei den »Mechanismen« der Fall, die die Kinder aus denjenigen Familien, die ökonomisch und kulturell am stärksten benachteiligt sind, aus der Schule herausdrängen: Man beobachtet, wie gerade die Familien, die kulturell benachteiligt und Opfer der sozialen Ungleichheit sind, am stärksten daran glauben, daß Begabung und Tüchtigkeit die einzig ausschlaggebenden Faktoren für den Schulerfolg sind. Man sieht also, daß feine Wissenschaft, die enthüllt und demaskiert – »es gibt nur eine Wissenschaft, und das ist die Wissenschaft vom Verborgenen«, sagt Bachelard – aus sich heraus wichtige Veränderungen bewirken kann. Dies gilt natürlich nur unter der Bedingung, daß die Betroffenen, deren Interesse am stärksten auf diese Veränderungen drängen, auch an diesen wissenschaftlichen Einsichten teilhaben.
(Pierre Bourdieu – Politik, Bildung und Sprache, in: Die verborgenen Mechanismen der Macht)

Es ist so unerhört lächerlich, daß alle die Länder, die von sich behaupteten, sie seien die freiesten Länder, in Wahrheit ihren Bewohnern die geringste Freiheit gewähren und sie das ganze Leben hindurch unter Vormundschaft halten. Verdächtig ist jedes Land, wo soviel von Freiheit geredet wird, die angeblich innerhalb seiner Grenzen zu finden sei. Und wenn ich bei einer Einfahrt in den Hafen eines großen Landes eine Riesenstatue der Freiheit sehe, so braucht mir niemand zu erzählen, was hinter der Statue los ist. Wo man so laut schreien muß: Wir sind ein Volk von freien Menschen!, da will man nur die Tatsache verdecken, daß die Freiheit vor die Hunde gegangen ist oder daß sie von Hunderttausenden von Gesetzen, Verordnungen, Verfügungen, Anweisungen, Regelungen und Polizeiknüppeln so abgenagt worden ist, daß nur noch das Geschrei, das Fanfarengeschmetter und die Freiheitsgöttinnen übriggeblieben sind.
(B. Traven – Das Totenschiff)

I used to be a hopeless romantic. I am still a hopeless romantic. I used to believe that love was the highest value. I still believe that love is the highest value. I don’t expect to be happy. I don’t imagine that I will find love, whatever that means, or that if I do find it, it will make me happy. I don’t think of love as the answer or the solution. I think of love as a force of nature – as strong as the sun, as necessary, as impersonal, as gigantic, as impossible, as scorching as it is warming, as drought-making as it is life-giving. And when it burns out, the planet dies.
My little orbit of life circles love. I daren’t get any closer. I’m not a mystic seeking final communion. I don’t go out without SPF 15. I protect myself.
But today, when the sun is everywhere, and everything solid is nothing but its own shadow, I know that the real things in life, the things I remember, the things I turn over in my hands, are not houses, bank accounts, prizes or promotions. What I remember is love – all love – love of this dirt road, this sunrise, a day by the river, the stranger I met in a café. Myself, even, which is the hardest thing of all to love, because love and selfishness are not the same thing. It is easy to be selfish. It is hard to love who I am. No wonder I am surprised if you do.
But love it is that wins the day.
(Jeanette Winterson – Lighthousekeeping)

What should I do about the wild and the tame? The wild heart that wants to be free, and the tame heart that wants to come home. I want to be held. I don’t want you to come too close. I want you to scoop me up and bring me home at nights. I don’t want to tell you where I am. I want to keep a place among the rocks where no one can find me. I want to be with you.
(Jeanette Winterson – Lighthousekeeping)

Why didn’t Babel Dark marry Molly?
He doubted her. You must never doubt the one you love.
But they might not be telling you the truth.
Never mind that. You tell them the truth.
What do you mean?
You can’t be another person’s honesty, child, but you can be your own.
So what should I say?
When?
When I love someone?
You should say it.
(Jeanette Winterson – Lighthousekeeping)

Our doubts are traitors, and make us lose the good we oft might win, by fearing to attempt.
(William Shakespeare)