Die Glück­li­chen haben kein Auge auf…

Ein Lie­bes­paar geht über die Stra­ße. Sie ver­liert einen Knopf. Ein Drit­ter hebt ihn auf, trägt ihn ihr nach. Das Elend hat ihn wie eine Flech­te über­zo­gen, sein Anzug, sei­ne Haut sogar, alles ist Elend.
»O dan­ke«, sagt die Frau und greift nach dem Knopf, den er aber fest­hält. »Das haben wir gar nicht gemerkt.«
»Natür­lich nicht«, bellt der Drit­te. »Immer ist es unse­re Auf­ga­be, uns um die Glück­li­chen zu küm­mern. Wir sol­len die Augen offen hal­ten. Wir sol­len sor­gen, dass nichts fehlt. Glau­ben Sie viel­leicht, die Glück­li­chen haben ein Auge auf uns? Träu­men Sie wei­ter! Ich bin nicht glück­lich, sehen Sie, ich lebe allein, mit mir in Frie­den, aber glück­lich? Küm­mert sich jemand um mich? Wird jemand an mei­nem Grab singen …«
So geht es immer wei­ter. Er redet mit dem Knopf in der Hand, den er nicht her­gibt. Sein Mono­log schlägt sich ins Gebüsch.
»Uner­wi­der­te Lie­be?«, fragt die Frau.
Er nickt.
»Dei­ne Zeit wird kom­men«, sagt sie.
Das ist ihm neu und gibt ihm zu den­ken. Drei Tage spä­ter nimmt er sein Glück in bei­de Hän­de und bucht einen Flug nach Madei­ra, wo ihn eine Woche Hotel ein statt­li­ches Sümm­chen kos­ten soll. Egal, fin­det er, fühlt sich sno­bis­tisch. Aller­dings stürz­te die Maschi­ne ins Meer, und er soll Madei­ra nie ken­nen­ler­nen. Das Hotel berech­net den Hin­ter­blie­be­nen drei Tage Stor­no-Gebühr, und die Lie­ben­den wer­den nicht ein­mal erfah­ren, dass ihn der Fund eines Knop­fes das Leben kos­ten soll­te. So groß ist ihr Glück.
(Roger Wil­lem­sen – Der Knacks)

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