Effiziente Herrschaft

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In den Gesellschaften, die keinen »self-regulating market« (Karl Polanyi), kein Unterrichtssystem und keinen juristischen oder staatlichen Apparat aufweisen, können sich die Herrschaftsbeziehungen, da sie nicht den objektiven Strukturen selbst eingeschrieben sind, nur kraft ständig erneuerter und fortwährend angewandter Strategien auf Dauer durchsetzen. Solange solche relativ autonomen objektiven Beziehungsfelder der Konkurrenz um das Monopol einer bestimmten Kapitalform sich noch nicht konstituiert haben, fehlen die Bedingungen für die mittelbare und dauerhafte Aneignung der Arbeit, der Dienste und Ehrenbezeugungen anderer Individuen. (…) Sehr schematisch vorgehend könnte man sagen, daß in dem einen Fall sich die Herrschaftsbeziehungen innerhalb und durch die Interaktion der Handlungssubjekte bilden, auflösen und wiederherstellen, wohingegen sie in dem anderen Fall durch objektive und institutionalisierte Mechanismen vermittelt werden, die, nach Art jener, die den Wert der schulischen, monetären und Standestitel hervorbringen und absichern, den undurchdringlichen und beständigen Charakter von Dingen aufweisen und die sich gleichermaßen den Zugriffen des individuellen Bewußtseins wie der individuellen Macht entziehen. (…) Unter solchen Bedingungen bilden und vollziehen sich die Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse nicht mehr unmittelbar zwischen Einzelpersonen, sondern, im Raum der Objektivität selbst, zwischen Institutionen, d.h. zwischen sozial garantierten Titeln und sozial definierten Stellungen, sowie, vermittels dieser, zwischen sozialen Mechanismen, die den gesellschaftlichen Wert der Titel und Stellungen erzeugen und absichern, und der Verteilung dieser sozialen Attribute auf die biologischen Einzelwesen. (…)  Wie zu sehen ist, kommt die Legitimation der herrschenden Ordnung nicht allein den Mechanismen zu, die, wie das Recht, traditionellerweise dem ideologischen System zugerechnet werden. Auch solche Apparaturen wie das Produktionssystem oder das System der Produktion von Produzenten [also das Bildungssystem] erfüllen darüber hinaus, d.h. gerade kraft der Logik ihres Funktionsablaufs, ideologische Funktionen. (…) Je mehr die Reproduktion der Herrschaftsverhältnisse objektiven Mechanismen überlassen wird, die den Herrschenden dienen, ohne daß diese sich ihrer zu bedienen brauchen, desto indirekter und, wenn man so sagen darf, unpersönlicher werden die auf die Reproduktion ausgerichteten Strategien: Indem der Inhaber ökonomischen oder kulturellen Kapitals für sein Geld die günstigste Anlage und für seinen Sohn die vorteilhafteste, die beste, Ausbildungsstätte wählt – und nicht, indem er gegenüber seiner Aufwartefrau (oder einem anderen, innerhalb der Sozialstruktur eine untergeordnete Stellung einnehmenden Individuum) höflich oder freundlich ist und großzügige Geschenke macht –, sichert er den Fortbestand der Herrschaftsbeziehung, die ihn objektiv mit seiner Aufwartefrau und selbst noch deren Nachkommen verbindet.
(Pierre Bourdieu – Symbolisches Kapital und Herrschaftsformen, in: Entwurf einer Theorie der Praxis auf der Grundlage der kabylischen Gesellschaft)

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