Schnipsel
Zitate, Musik und Aufgeschnapptes
Die [gesellschaftlich] gleichermaßen erfahrbaren Formen struktureller und symbolischer Gewalt werden für die Deklassierten und Dequalifizierten umso leidvoller und entwaffnender, als sie unter den Vorzeichen und Verheißungen einer an individueller Selbstverwirklichung und -behauptung orientierten ‚Gesellschaft der Individuen‘ die Schuld für ihr Versagen zwangsläufig bei sich selbst suchen und dann wohl auch entdecken werden müssen. Symbolische Gewalt als die subtilste Form der Herrschaft beruht nun einmal auf einem Mechanismus, bei dem die Herrschaftsunterworfenen nicht umhin zu kommen scheinen, anzuerkennen, dass alles mit rechten Dingen zugeht und jeder nach den ihm gegebenen Möglichkeiten und Grenzen seines eigenen Glückes (oder Unglückes) Schmied ist.
(Franz Schultheis – Reproduktion in der Krise: Fallstudien zur symbolischen Gewalt; in: Barbara Friebertshäuser, Markus Rieger-Ladich & Lothar Wigger – Reflexive Erziehungswissenschaft)
Arbeit verhöhnt die Freiheit. Offiziell können wir uns glücklich schätzen, von Rechtsstaat und Demokratie umgeben zu sein. Andere arme Unglückliche, die nicht so frei sind wie wir, müssen in Polizeistaaten leben. Diese Opfer folgen Befehlen, egal wie willkürlich sie sind. Die Behörden halten sie unter dauernder Aufsicht. Staatsbeamte kontrollieren sogar kleinste Details ihres Alltagslebens. Die Bürokraten, die sie herumschubsen, müssen sich nur nach oben verantworten, in öffentlichen wie in Privat-Angelegenheiten. So und so werden Abweichung und Auflehnung bestraft. Regelmäßig leiten Informanten Berichte an die Behörden weiter. Das alles gilt als sehr schlecht.
Und das ist es auch, obwohl es nichts weiter darstellt als eine Beschreibung eines modernen Arbeitsplatzes. Die Liberalen und Konservativen und Freiheitlichen, die sich über Totalitarismus beschweren, sind Schwindler und Heuchler. (…) In einem Büro oder einer Fabrik herrscht dieselbe Art von Hierarchie und Disziplin wie in einem Kloster oder einem Gefängnis. Tatsächlich haben Foucault und andere gezeigt, daß Gefängnisse und Fabriken etwa zur gleichen Zeit aufkamen, und ihre Betreiber entliehen sich bewußt Kontrolltechniken voneinander. Ein Arbeiter ist ein Teilzeitsklave. Der Chef sagt, wann es losgeht, wann gegangen werden kann und was in der Zwischenzeit getan wird. Er schreibt vor, wieviel Arbeit zu erledigen ist und mit welchem Tempo. Es steht ihm frei, seine Kontrolle bis in demütigende Extreme auszuweiten, indem er festlegt (wenn ihm danach ist), welche Kleidung vorgeschrieben wird und wie oft die Toilette aufgesucht werden darf. Mit wenigen Ausnahmen kann er jeden aus jedem Grund feuern, oder auch ohne Grund. Er läßt bespitzeln und nachschnüffeln, er legt Akten über jeden Angestellten an. Widersprechen heißt „Unbotmäßigsein“, als wäre der Arbeiter ein ungezogenes Kind, und es sorgt nicht nur für sofortige Entlassung, es verringert auch die Chancen auf Arbeitslosenunterstützung. Ohne es unbedingt gutzuheißen, ist es wichtig anzumerken, daß Kinder zu Hause und in der Schule die gleiche Behandlung erfahren, bei ihnen durch die angenommene Unreife gerechtfertigt. Was sagt uns das über ihre Eltern und Lehrer, die arbeiten?
(Bob Black – Die Abschaffung der Arbeit; im Original: The Abolition of Work)
Unter einer Straßenlaterne steht ein Betrunkener und sucht und sucht. Ein Polizist kommt daher, fragt ihn, was er verloren habe, und der Mann antwortet: »Meinen Schlüssel«. Nun suchen beide. Schließlich will der Polizist wissen, ob der Mann sicher ist, den Schlüssel gerade hier verloren zu haben, und jener antwortet: »Nein, nicht hier, sondern dort hinten – aber dort ist es viel zu finster.«
Finden Sie das absurd? Wenn ja, suchen auch Sie am falschen Ort. Der Vorteil ist nämlich, daß eine solche Suche zu nichts führt, außer »mehr desselben«, nämlich nichts.
(…)
Die Bedeutung dieses Mechanismus für unser Thema liegt auf der Hand. Er kann ohne die Notwendigkeit einer Spezialausbildung auch vom Anfänger angewandt werden – ja, er ist so weit verbreitet, daß er seit den Tagen Freuds Generationen von Spezialisten ein gutes Ein- und Auskommen bietet; wobei allerdings zu bemerken ist, daß sie ihn nicht das Mehr-desselben-Rezept, sondern Neurose nennen.
Doch nicht auf den Namen soll es uns ankommen, sondern auf den Effekt. Dieser aber ist garantiert, solange der Unglücksaspirant sich an zwei einfache Regeln hält: Erstens, es gibt nur eine mögliche, erlaubte, vernünftige, sinnvolle, logische Lösung des Problems, und wenn diese Anstrengungen noch nicht zum Erfolg geführt haben, so beweist das nur, daß er sich noch nicht genügend angestrengt hat. Zweitens, die Annahme, daß es nur diese einzige Lösung gibt, darf selbst nie in Frage gestellt werden; herumprobieren darf man nur an der Anwendung dieser Grundannahme.
(Paul Watzlawick – Anleitung zum Unglücklichsein)
Die Frau: Super muß ich sein, sonst verlier ich seine Liebe. Der Mann: Ich muß super sein, sonst verlier ich ihre Liebe. Und beide waren ziemlich super und hatten Angst, entlarvt zu werden. Und eines Tages sprach die Frau zum Mann: Ich halte das nicht länger aus, ich bin unsuper, ich bin nicht, wie du meinst, und das zerreißt mich. Und Gleiches sprach darauf der Mann. Sie gingen auseinander, und zwar – laut Stenogramm – »damit ein jedes von uns beiden wieder zu sich finde«.
Ein Alltagsmärchen, hausbacken, wahr und mickrig. (…) Vermischt mit süßer Muttermilch hat man dir eingeflößt den Ur-Verdacht: Liebe ist Lohn. Wer blöd herumkräht und trotzig seinen Stink zurückhält, verdient kein warmes Lächeln. Gratis ist nichts. Sei anders, als du bist: Der Schmerz der Differenz erstirbt in seliger Liebkosung. (So wird der Wunsch zum Anderssein ein obligates Seelenrequisit. Gelingt dir die Verwandlung, so spürst du manchmal, daß ein Affe aus dem Spiegel schaut. Gelingt sie nicht, so fühlst du dich als Ödling. Bedrücken tut dich beides.)
(Markus Werner – Froschnacht)
Wer anders sein will, als er ist, der tut mir leid. Sein Wunsch ist ehrenwert, doch abgedroschen. Ich formuliere tastend eine These: Die Menschenseele mit allem Drum und Dran ist serieller Kitsch. Das Innerste erwirbt sich jeder von der Stange. Nichts von Mysterium, nur Schmalz. Mit violetten Fingernägeln kommen sie zu mir, mit originellen Kaiser-Wilhelm-Schnäuzen, abgrenzungswütig schwänzeln sie herum und fühlen sich weiß Gott wie einzigartig. Dann öffnen sie den Mund und husten Abziehbildchen aus. Und was sie spüren, wünschen, träumen, das macht sie grausam gleich und hundsgewöhnlich.
Das Unverwechselbare an dir ist deine Nase, die Kapriolen deines Herzens aber sind ein Gassenhauer.
(Markus Werner – Froschnacht)
One of the most inspirational speeches in recorded history was given by a comedian by the name of Charlie Chaplin:
The Greatest Speech Ever Made auf YouTube
Die symbolische Macht ist eine Macht, die in dem Maße existiert, wie es ihr gelingt, sich anerkennen zu lassen, sich Anerkennung zu verschaffen; d.h. eine (ökonomische, politische, kulturelle oder andere) Macht, die die Macht hat, sich in ihrer Wahrheit als Macht, als Gewalt, als Willkür verkennen zu lassen. (…) Die sozialen Akteure und auch die Beherrschten selbst sind in der sozialen Welt (selbst der abstoßendsten und empörendsten) durch eine Beziehung hingenommener Komplizenschaft verbunden, die bewirkt, daß bestimmte Aspekte dieser Welt stets jenseits oder diesseits kritischer Infragestellung stehen.
Was ist schließlich ein Papst, ein Präsident oder ein Generalsekretär anderes als jemand, der sich für einen Papst oder einen Generalsekretär oder genauer: für die Kirche, den Staat, die Partei oder die Nation hält? Das einzige, was ihn von der Figur in der Komödie oder vom Größenwahnsinnigen unterscheidet, ist, daß man ihn im allgemeinen ernst nimmt und ihm damit das Recht auf diese Art von »legitimem Schwindel«, wie Austin sagt, zuerkennt. Glauben Sie mir, die Welt so betrachtet, d.h. so wie sie ist, ist ziemlich komisch. Aber man hat ja oft gesagt, daß das Komische und das Tragische sich berühren.
(Pierre Bourdieu – Die verborgenen Mechanismen der Macht enthüllen, in: Die verborgenen Mechanismen der Macht)
Noch die inhumansten Arbeits- und Lebensbedingungen können als sinnhaft und attraktiv erlebt werden durch das stillschweigende Einverständnis von Menschen, die durch inhumane Existenzbedingungen darauf vorbereitet worden sind, sie zu akzeptieren.
(Margarete Steinrücke, in: Pierre Bourdieu – Der Tote packt den Lebenden)
Betrachtet man die Entwicklungsdynamik von Bildungssystemen, dann drängt sich die Vermutung auf, dass die Schule selbst sozial selektiv auf die Sozialisationspraktiken einwirkt und systematisch die Praktiken bestimmter Bevölkerungsgruppen abwertet. Sie entwickelt formale Leistungskriterien, die sich als unfähig erweisen, die Differenz milieuspezifischer Erfahrungen und Befähigungen zu erkennen, sondern ganz im Gegenteil einer unflexiblen und notwendig diskriminierenden Defizitlogik verhaftet bleiben. Gemessen wird daher nicht das Können, sondern die Abweichung des Könnens von den politisch gesetzten Leistungsstandards. Eine solche Bewertungslogik dient nicht der Bildung des einzelnen, sondern allein der Selektion Heranwachsender. Diese Bewertungslogik entfaltet ihre verheerende Wirkung auf die Betroffenen nicht nur dadurch, dass sie den Heranwachsenden bestimmte Optionen der Entwicklung bzw. der Entfaltung ihrer Persönlichkeit vorenthält. Mehr noch: Die Schüler werden im Hinblick auf ihre je eigene Leistungsfähigkeit und in der Wertschätzung ihrer Person systematisch abgewertet, degradiert und damit zu quasi-pathologischen Fällen einer Gesellschaft, die am Wohlergehen ihrer Kinder oftmals nur dann ein Interesse zu haben scheint, wenn diese aus „gutem“ Hause kommen.
(Matthias Grundmann – Handlungsbefähigung und Milieu)
Was Psychiatrie und Psychologie als Geisteskrankheit vorführen, ist an die Vorstellung gebunden, daß es sich dabei um zunehmenden Realitätsverlust handelt. Mehr oder weniger Realitätsbezug – danach wird alles menschliche Verhalten klassifiziert. »Realität« wird dabei ausschließlich als äußere Realität verstanden.
In der Tat ist der Realitätsbezug – sein Fehlen oder der Grad der Ergebenheit an die äußere Realität – ein Raster, in das man Menschen einordnen kann und das uns ermöglicht, eine Klassifizierung vorzunehmen vom psychotischen Verhalten über die Neurose zur Normalität. Doch ein solches Schema verdeckt, daß es auch noch eine andere Art von Krankheit gibt, die viel gefährlicher ist als die, die vom Verlust des Realitätsbezugs gekennzeichnet ist.
Diese andere Art von Krankheit zu sehen erfordert einen Wechsel der Blickrichtung und eine Abkehr von den herkömmlichen Kategorien. Dann wird man sehen, daß sich hinter der Orientierung an der »Realität«, die gemeinhin das Kriterium für Gesundheit ist, eine tiefere und weniger augenfällige Pathologie verbirgt: die des »normalen« Verhaltens, die Pathologie der Anpassung als Folge der Preisgabe des Selbst.
(Arno Gruen – Der Wahnsinn der Normalität)
Neueste Kommentare