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Vierter Anklagepunkt [im Prozess gegen das Leben]: Wo war die Liebe?

(…) Diese Antwort interessierte mich sehr. Liebe, ja, was hatte das Leben mit der Liebe getan? Verscheucht, vergruselt, entfernt, mich nicht gelassen, mir nehmend, nie gebend. Das Leben wollte nicht, dass ich geliebt werde, legte mir Mutlosigkeit und Angst in den Weg, nahm mir mein Selbstwertgefühl, schubste mich zu Boden. Saukerl! Das hatte ich nicht verdient. Ich hatte darum gebeten, glücklich zu sein, lieben zu dürfen, doch ständig mischte es sich ein, mein größter Gegner, mein Feind, dieses Leben, von dem andere sagen, es sei schön, liebenswert und mache Spaß. Welch eine Lüge, damit wäre nach diesem Prozess Schluss. Für immer. Die Wahrheit musste auf den Tisch, die Menschen mussten erkennen, dass sie es nicht verdient hatten, dass das Leben ihnen einen Strich durch die Rechnung macht. Warum hatte ich so wenig gelacht, hatte so wenig Freude, wurde nicht geliebt, und immer, wenn ich lieben wollte, wurde mir wieder ein Stein hingeschmissen? Los, sprich, schnell, ich hol dich sonst hinter dem Vorhang vor, du elender Gauner, du Dieb meiner Liebe. Schämst du dich endlich, du Leben, das ich nicht wollte? Los, komm endlich raus!

Was hast du erwartet?

Liebe!

Warum hast du es nicht zugelassen?

Weil du mich nicht gelassen hast!

Warum warst du so feige?

Weil du mir den Mut nicht gabst!

Wieso hast du ihn dir nicht einfach genommen?
(Mia Bernstein – Erdbeerflecken)

It is easiest to accept happiness when it is brought about through things that one can control, that one has achieved after much effort and reason. But the happiness I had reached with Chloe had not come as a result of any personal achievement or effort. It was simply the outcome of having, by a miracle of divine intervention, found a person whose company was more valuable to me than that of anyone else in the world. Such happiness was dangerous precisely because it was so lacking in self-sufficient permanence. Had I after months of steady labor produced a scientific formula that had rocked the world of molecular biology, I would have had no qualms about accepting the happiness that had ensued from such a discovery. The difficulty of accepting the happiness Chloe represented came from my absence in the causal process leading to it, and hence my lack of control over the happiness-inducing element in my life. It seemed to have been arranged by the gods, and was hence accompanied by all the primitive fear of divine retribution.

“All of man’s unhappiness comes from an inability to stay in his room alone,” said Pascal, advocating a need for man to build up his own resources over and against a debilitating dependence on the social sphere. But how could this possibly be achieved in love? Proust tells the story of Mohammed II, who, sensing that he was falling in love with one of the wives in his harem, at once had her killed because he did not wish to live in spiritual bondage to another. Short of this approach, I had long ago given up hope of achieving self-sufficiency. I had gone out of my room, and begun to love another – thereby taking on the risk inseparable from basing one’s life around another human being.
(Alain de Botton – On Love)

Wer von Geheimnissen lebt, verschreibt sein Dasein der ständigen Angst vor Offenbarung. Heute weiß ich, du hattest eine selbstzerstörerische Vorstellung, die jeden Zug deines Handelns bestimmte und der du treu warst wie einem Dogma. Du warst so sehr von diesem Grundsatz überzeugt, den du dir aus Gründen kultiviert hattest, die mir für immer verborgen bleiben werden, dass für dich die Konsequenzen deiner Überzeugung weder überschaubar waren noch beachtenswert erschienen.
Jede ernsthafte Verbindung zwischen zwei Menschen könne nur Bestand haben, so predigtest du mir und jedem anderen, der das Unglück hatte, dieses Thema einmal anzuschneiden, wenn man die Impulse und Geheimnisse des Anderen nicht hinterfrage. Was du mit diesem Satz zum Ausdruck brachtest, das hieß in letzter Konsequenz, dem Anderen auf ewig ein Fremder zu bleiben, den Abstand niemals zu verlieren, der zwischen jenen steht, die sich nicht kennen. Aber was waren deine Geheimnisse? Es war vor allem Angst, muss ich rückblickend heute sagen. Du hattest Angst, ich könnte alles über dich erfahren, so als gäbe es ein festes Kontingent an Informationen über eine lebende Person. Du hattest Angst, ich könnte das Interesse an dir schnell wieder verlieren, wenn du mir nicht länger ein Mysterium offerierst, als wäre eine solche Geheimnislosigkeit zwischen zwei Menschen jemals möglich.
Da waren keine bestürzenden Sünden, keine gefährlichen Geheimnisse, die du vor mir verbargst, die du aus Scham hinter einer Nebelwand hättest verstecken müssen, sondern nur dieses eine: Deine tief verwurzelte Angst, ohne streng gehütete Geheimnisse, ohne den Schleier des Mysteriösen für einen anderen, für mich, auf einmal völlig uninteressant zu erscheinen. Du hattest Angst, du würdest dann berechenbar, du hattest Angst, du wärst durchschaut, wärst für mich fertig, ich würde dann an dir nichts mehr entdecken wollen und auch gar nichts mehr entdecken können.
Bei jeder Gelegenheit, bei jeder noch so banalen Meinungsverschiedenheit hast du mich immer wieder darauf hingewiesen, wie wichtig dir deine verborgenen Geheimnisse sind, und du machtest mir wildeste Szenen, wenn ich es jemals wagte, eine deiner Handlungen auch nur im Ansatz zu hinterfragen. Es war für dich bequem. Du führtest dich auf wie eine Regierung unter Paranoia, die jede Anfrage mit einem schnippischen Verweis auf nationale Sicherheit verwehrt, weil ihre lästige Bevölkerung das alles gar nicht wissen muss. Wolltest du etwas nicht erklären – vielleicht konntest du es dir selbst gar nicht erklären -, dann deklariertest du es als Geheimnis, dein Geheimnis, und ich durfte es nicht hinterfragen, weil das in deiner Logik doch bedeutet hätte, ich würde dich nicht lieben. Das war dein Vorwurf, noch jedes Mal, wenn du deine Geheimnisse in Gefahr geraten sahst. „Du musst das nicht verstehen“, sagtest du anlässlich jeder Irritation, wenn mir deine Handlungen ein Rätsel aufgaben, und genau das freute dich daran, denn es war ein weiteres Geheimnis, das ich nicht ergründen konnte, das ich nicht ergründen durfte.
Du öffnetest dich nur in kleinen, penibel abgegrenzten Stücken, du teiltest mir nur mit, was du mir mitteilen wolltest, all die guten Dinge, die schönen Seiten, all das, von dem du dachtest, es würde dich am besten präsentieren. Das war deine Vorstellung von Kommunikation. Stets hieltst du etwas vor mir zurück, umgingst die offene Diskussion, ja jede Konfrontation, weil dies für dich zugleich bedeutete, sich einer möglichen Verletzung zu offenbaren, die dir so unvermeidlich schien, wenn du aus deinem Geheimnisbunker gekrochen wärst. Du hattest so viel Angst vor diesen Chimären, so viel Furcht vor Fraktur, dass du die wirklichen Verletzungen gar nicht wahrgenommen hast, die deine Geheimniskrämerei uns mehr und mehr zugefügt hat.
Aber wer von uns war es nun, der nicht liebte? Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt, so sagt man, und was du für dich aus diesem Sprichwort mitnahmst, das war die Vorstellung, bei Liebe handele es sich um eine Art von Krieg. Jedes Geheimnis, das du mir offenbartest, stellte für dich ein kapitulierendes Eingeständnis dar, eine verlorene Schlacht, eine schleichende Verschiebung der Front hin zu dir, was am Ende zu deiner Niederlage in diesem Krieg führen würde und führen müsste, denn es war ja Liebe, und Liebe war Krieg, und Krieg bedeutete, dass einer am Ende der Verlierer sein muss. Du warst nicht gewillt, dich wirklich auf einen anderen Menschen einzulassen, sonst hättest du gewusst, dass du dein Spiel mit den Geheimnissen gar nicht brauchst; du machtest dich durch sie bloß künstlich interessant. Alles an dir verstecktest du in einem Panzerschrank, den du mit Kerberos’ Verbissenheit bewachtest, weil in dir die Befürchtung wuchs, ich würde dich ganz unbarmherzig ausplündern und zurücklassen, wenn ich denn erst den Code zu deinem Leben wüsste, wenn ich Zugang zu deinem Inneren bekäme.
Du hegtest nie den Wunsch, von mir verstanden zu werden, du wolltest dich nie öffnen, nie unsere Welten miteinander teilen. Immer hattest du die Furcht, ich würde dich verlassen, wären da nicht die Geheimnisse an dir, die mich für alle Ewigkeit wie einen Schatzsucher an dich binden sollten. Hättest du dich wirklich auf mich eingelassen, dann hättest du den Köder nicht gebraucht. Liebe bedarf keiner Geheimnisse. Liebe akzeptiert Geheimnisse, aber sie hat sie nicht nötig, weil es für Liebende ohnehin auf ewig Neues zu entdecken gibt. Liebe sucht, entdeckt, erforscht, ohne dass du etwas wegschließen musst, weil der geliebte Mensch an sich doch das Geheimnis ist, das Liebende so gern ergründen, solange ihre Liebe währt. Noch heute hoffe ich für dich, du wirst das irgendwann verstehen.

Er lebt stets in Erwartungen. Er liebt es, alles in der Schwebe zu lassen. Er gehört zu den Menschen, denen überall, wo sie sich befinden, zwanghaft einfällt, wie schön es jetzt auch anderswo sein möchte. Er flieht das Hier-und-Jetzt zumindest innerlich. Er mag den Sommer nicht, überhaupt keinen Zustand der Gegenwärtigkeit, liebt den Herbst, die Dämmerung, die Melancholie, Vergänglichkeit ist sein Element. Frauen haben bei ihm leicht das Gefühl, verstanden zu werden. Er hat wenig Freunde unter Männern. Unter Männern kommt er sich nicht als Mann vor. Aber in seiner Grundangst, nicht zu genügen, hat er eigentlich auch Angst vor den Frauen. Er erobert mehr, als er zu halten vermag, und wenn die Partnerin einmal seine Grenze erspürt hat, verliert er jeden Mut; er ist nicht bereit, nicht imstande, geliebt zu werden als der Mensch, der er ist, und daher vernachlässigt er unwillkürlich jede Frau, die ihn wahrhaft liebt, denn nähme er ihre Liebe wirklich ernst, so wäre er ja genötigt, infolgedessen sich selbst anzunehmen.
(Max Frisch – Stiller)