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»Ich wür­de sagen, die Men­ge an Lan­ge­wei­le, falls Lan­ge­wei­le meß­bar ist, ist heu­te viel grö­ßer als frü­her. Weil die dama­li­gen Beru­fe, jeden­falls zu einem gro­ßen Teil, nicht ohne eine lei­den­schaft­li­che Nei­gung denk­bar waren: die Bau­ern, die ihr Land lieb­ten; mein Groß­va­ter, der schö­ne Tische zau­ber­te; die Schus­ter, die die Füße aller Dorf­be­woh­ner aus­wen­dig kann­ten; die Förs­ter; die Gärt­ner; ich ver­mu­te, sogar die Sol­da­ten töte­ten damals mit Lei­den­schaft. Der Sinn des Lebens stand nicht in Fra­ge, er beglei­te­te sie, in ihren Werk­stät­ten, auf ihren Fel­dern. Jeder Beruf hat­te sei­ne eige­ne Men­ta­li­tät, sei­ne eige­ne Seins­wei­se geschaf­fen. Ein Arzt dach­te anders als ein Bau­er, ein Sol­dat ver­hielt sich anders als ein Leh­rer. Heu­te sind wir alle gleich, alle durch die gemein­sa­me Gleich­gül­tig­keit für unse­re Arbeit geeint. Die­se Gleich­gül­tig­keit ist eine Lei­den­schaft gewor­den. Die ein­zi­ge gro­ße kol­lek­ti­ve Lei­den­schaft unse­rer Zeit.«
Chan­tal sag­te: »Aber sag mir doch: du selbst, als du Ski­leh­rer warst, als du in Zeit­schrif­ten über Innen­ar­chi­tek­tur geschrie­ben hast oder spä­ter über Medi­zin, oder als du als Zeich­ner in einer Tisch­le­rei gear­bei­tet hast …«
»… ja, das habe ich am liebs­ten gemacht, aber es ist nicht gelaufen …«
»… oder als du arbeits­los warst und gar nichts getan hast, da hät­test du dich doch auch lang­wei­len müssen!«
»Alles hat sich ver­än­dert, als ich dich ken­nen­ge­lernt habe. Nicht, weil mei­ne klei­nen Arbei­ten span­nen­der gewor­den sind. Son­dern weil ich alles, was um mich her­um geschieht, in Stoff für unse­re Gesprä­che verwandle.«
»Wir könn­ten von etwas ande­rem sprechen!«
»Zwei Men­schen, die sich lie­ben, allein, von der Welt abge­schie­den, das ist sehr schön. Aber womit wür­den sie ihr Tête-à-Tête aus­fül­len? So ver­ächt­lich die Welt auch sein mag, sie brau­chen sie, um mit­ein­an­der reden zu können.«
Milan Kun­de­ra – Die Identität

»Ver­giß nicht, ich habe zwei Gesich­ter. Ich habe gelernt, eine gewis­se Freu­de dar­an zu haben, aber trotz­dem ist es nicht leicht, zwei Gesich­ter zu haben. Das erfor­dert Anstren­gung, das erfor­dert Dis­zi­plin! Du mußt ver­ste­hen, daß ich alles, was ich, gern oder ungern, tue, mit dem Ehr­geiz tue, es gut zu machen. Und sei es nur, um mei­ne Stel­le nicht zu ver­lie­ren. Es ist sehr schwer, per­fekt zu arbei­ten und die­se Arbeit gleich­zei­tig zu verachten.«
»Oh, du kannst es, du bist dazu imstan­de, du bist geni­al«, sagt Jean-Marc.
»Ja, ich kann zwei Gesich­ter haben, aber ich kann sie nicht gleich­zei­tig haben. Bei dir habe ich das Gesicht, das sich lus­tig macht. Wenn ich im Büro bin, tra­ge ich das seriö­se Gesicht. Ich bekom­me die Unter­la­gen der Leu­te vor­ge­legt, die sich bei uns um eine Stel­le bewer­ben. Ich muß sie emp­feh­len oder ein nega­ti­ves Votum abge­ben. Man­che drü­cken sich in ihrem Brief in einer so per­fekt moder­nen Spra­che aus, mit all den Kli­schees, mit dem Jar­gon, mit dem gan­zen obli­ga­to­ri­schen Opti­mis­mus. Ich brau­che sie nicht zu sehen oder mit ihnen zu spre­chen, um sie zu ver­ab­scheu­en. Ich weiß aber, daß sie gut und eif­rig arbei­ten wer­den. Und dann gibt es jene, die sich unter ande­ren Umstän­den sicher­lich der Phi­lo­so­phie, der Kunst­ge­schich­te, dem Fran­zö­sisch­un­ter­richt gewid­met hät­ten, heu­te aber, in Erman­ge­lung von etwas Bes­se­rem, fast aus Ver­zweif­lung, suchen sie bei uns Arbeit. Ich weiß, daß sie die Stel­le, um die sie sich bewer­ben, ins­ge­heim ver­ach­ten und daß sie also mei­ne Brü­der sind. Und ich muß entscheiden.«
»Und wie ent­schei­dest du?«
»Ein­mal emp­feh­le ich den, der mir sym­pa­thisch ist, ein­mal den, der gut arbei­ten wird. Ich hand­le halb als Ver­rä­ter an mei­ner Fir­ma, halb als Ver­rä­ter an mir selbst. Ich bin ein dop­pel­ter Ver­rä­ter. Und die­sen dop­pel­ten Ver­rat betrach­te ich nicht als Nie­der­la­ge, son­dern als tol­le Leis­tung. Wie lan­ge denn wer­de ich noch in der Lage sein, mei­ne zwei Gesich­ter zu wah­ren? Das ist sehr anstren­gend. Der Tag wird kom­men, an dem ich nur ein ein­zi­ges Gesicht haben wer­de. Das schlech­te­re von bei­den natür­lich. Das seriö­se. Das zustim­men­de. Wirst du mich dann noch lieben?«
Milan Kun­de­ra – Die Identität

War­um der Arbeit nach­lau­fen? Da steht man vor dem, der die Arbeit zu ver­ge­ben hat, und wird behan­delt wie ein zudring­li­cher Bett­ler. »Ich habe jetzt kei­ne Zeit, kom­men Sie spä­ter wie­der.« Wenn der Arbei­ter aber ein­mal sagt: »Ich habe jetzt kei­ne Zeit oder kei­ne Lust, für Sie zu arbei­ten«, dann ist es Revo­lu­ti­on, Streik, Rüt­te­lung an den Fun­da­men­ten des Gemein­wohls, und die Poli­zei kommt, und gan­ze Regi­men­ter von Miliz rücken an und stel­len Maschi­nen­ge­weh­re auf. Für­wahr, es ist manch­mal weni­ger beschä­mend, um Brot zu bet­teln, als um Arbeit zu fra­gen. Aber kann der Skip­per sei­nen Eimer allein fah­ren, ohne den Arbei­ter? Kann der Inge­nieur sei­ne Loko­mo­ti­ven allein bau­en, ohne den Arbei­ter? Aber der Arbei­ter hat mit dem Hute in der Hand um Arbeit zu bet­teln, muß daste­hen wie ein Hund, der geprü­gelt wer­den soll, muß zu dem blö­den Witz, den der Arbeit­ver­ge­ben­de macht, lachen, obgleich ihm gar nicht zum Lachen zumu­te ist, nur um den Skip­per oder den Inge­nieur oder den Meis­ter oder den Vor­ar­bei­ter oder wer immer das Macht­wort ›Sie wer­den ein­ge­stellt!‹ zu sagen die Befug­nis hat, bei guter Lau­ne zu halten.
Wenn ich so unter­tä­nig um Arbeit bet­teln muß, um sie zu erhal­ten, kann ich auch um übrig­ge­blie­be­nes Mit­tag­essen in einem Gast­hof bet­teln. Der Hotel­koch behan­delt mich nicht so weg­wer­fend, wie mich schon Leu­te behan­delt haben, bei denen ich um Arbeit nachfragte.
B. Tra­ven – Das Totenschiff

Arbeit ver­höhnt die Frei­heit. Offi­zi­ell kön­nen wir uns glück­lich schät­zen, von Rechts­staat und Demo­kra­tie umge­ben zu sein. Ande­re arme Unglück­li­che, die nicht so frei sind wie wir, müs­sen in Poli­zei­staa­ten leben. Die­se Opfer fol­gen Befeh­len, egal wie will­kür­lich sie sind. Die Behör­den hal­ten sie unter dau­ern­der Auf­sicht. Staats­be­am­te kon­trol­lie­ren sogar kleins­te Details ihres All­tags­le­bens. Die Büro­kra­ten, die sie her­um­schub­sen, müs­sen sich nur nach oben ver­ant­wor­ten, in öffent­li­chen wie in Pri­vat-Ange­le­gen­hei­ten. So und so wer­den Abwei­chung und Auf­leh­nung bestraft. Regel­mä­ßig lei­ten Infor­man­ten Berich­te an die Behör­den wei­ter. Das alles gilt als sehr schlecht.
Und das ist es auch, obwohl es nichts wei­ter dar­stellt als eine Beschrei­bung eines moder­nen Arbeits­plat­zes. Die Libe­ra­len und Kon­ser­va­ti­ven und Frei­heit­li­chen, die sich über Tota­li­ta­ris­mus beschwe­ren, sind Schwind­ler und Heuch­ler. (…) In einem Büro oder einer Fabrik herrscht die­sel­be Art von Hier­ar­chie und Dis­zi­plin wie in einem Klos­ter oder einem Gefäng­nis. Tat­säch­lich haben Fou­cault und ande­re gezeigt, daß Gefäng­nis­se und Fabri­ken etwa zur glei­chen Zeit auf­ka­men, und ihre Betrei­ber ent­lie­hen sich bewußt Kon­troll­tech­ni­ken von­ein­an­der. Ein Arbei­ter ist ein Teil­zeit­skla­ve. Der Chef sagt, wann es los­geht, wann gegan­gen wer­den kann und was in der Zwi­schen­zeit getan wird. Er schreibt vor, wie­viel Arbeit zu erle­di­gen ist und mit wel­chem Tem­po. Es steht ihm frei, sei­ne Kon­trol­le bis in demü­ti­gen­de Extre­me aus­zu­wei­ten, indem er fest­legt (wenn ihm danach ist), wel­che Klei­dung vor­ge­schrie­ben wird und wie oft die Toi­let­te auf­ge­sucht wer­den darf. Mit weni­gen Aus­nah­men kann er jeden aus jedem Grund feu­ern, oder auch ohne Grund. Er läßt bespit­zeln und nach­schnüf­feln, er legt Akten über jeden Ange­stell­ten an. Wider­spre­chen heißt „Unbot­mä­ßig­sein“, als wäre der Arbei­ter ein unge­zo­ge­nes Kind, und es sorgt nicht nur für sofor­ti­ge Ent­las­sung, es ver­rin­gert auch die Chan­cen auf Arbeits­lo­sen­un­ter­stüt­zung. Ohne es unbe­dingt gut­zu­hei­ßen, ist es wich­tig anzu­mer­ken, daß Kin­der zu Hau­se und in der Schu­le die glei­che Behand­lung erfah­ren, bei ihnen durch die ange­nom­me­ne Unrei­fe gerecht­fer­tigt. Was sagt uns das über ihre Eltern und Leh­rer, die arbeiten?
(Bob Black – Die Abschaf­fung der Arbeit; im Ori­gi­nal: The Aboli­ti­on of Work)

Wenn ich fünf­und­zwan­zig Jah­re lang kei­nen Cent aus­gä­be, jede Monats­heu­er sorg­fäl­tig auf die and­re leg­te, wäh­rend der gan­zen Zeit nie ohne Arbeit wäre, dann könn­te ich nach Ablauf jener fünf­und­zwan­zig Jah­re uner­müd­li­chen Arbei­tens und Spa­rens mich zwar nicht zur Ruhe set­zen, könn­te aber nach wei­te­ren fünf­und­zwan­zig Jah­ren Arbei­tens und Spa­rens mich mit eini­gem Stolz zur unters­ten Schicht der Mit­tel­klas­se zäh­len. Zu jener Schicht, die sagen darf: Gott sei gelobt, ich habe einen klei­nen Not­pfen­nig auf die Sei­te gelegt für Regen­ta­ge. Und da die­se Volks­schicht jene geprie­se­ne Schicht ist, die den Staat in sei­nen Fun­da­men­ten erhält, so wür­de ich dann ein wert­vol­les Mit­glied der mensch­li­chen Gesell­schaft genannt wer­den kön­nen. Die­ses Ziel errei­chen zu kön­nen, ist fünf­zig Jah­re Spa­rens und Arbei­tens wert. Das Jen­seits hat man sich dann gesi­chert und das Dies­seits für andre.
(B. Tra­ven – Das Totenschiff)

Das Gegen­teil von Arbeit ist nicht bloß Faul­heit. (…) So sehr ich das Ver­gnü­gen der Träg­heit schät­ze, ist sie doch wohl am loh­nends­ten, wenn sie ande­ren Genuß und Zeit­ver­treib unter­bricht. Genau­so­we­nig wer­be ich für das gelenk­te und zeit­lich fest­ge­leg­te Not­ven­til namens „Frei­zeit“; nichts läge mir fer­ner. Frei­zeit ist Nicht-Arbeit zum Nut­zen der Arbeit. Frei­zeit ist die Zeit, die man damit ver­bringt, sich von der Arbeit zu erho­len und ver­zwei­felt zu ver­su­chen, die Arbeit zu ver­ges­sen. Vie­le Leu­te kom­men aus den Feri­en so zer­schla­gen wie­der, daß sie sich dar­auf freu­en, wie­der arbei­ten zu gehen. Der wesent­li­che Unter­schied zwi­schen Arbeit und Frei­zeit besteht dar­in, daß man bei der Arbeit wenigs­tens für die Ent­frem­dung und Ent­ner­vung bezahlt wird. (…)
Tun wir mal für einen Moment so, als wür­de Arbeit aus Leu­ten kei­ne ver­blö­de­ten Unter­ta­nen machen. Tun wir auch so, ent­ge­gen jeder nach­voll­zieh­ba­ren Psy­cho­lo­gie und der Ideo­lo­gie ihrer För­de­rer, daß sie kei­nen Effekt auf die Cha­rak­ter­bil­dung hat. Und tun wir so, als wäre Arbeit nicht so lang­wei­lig und ermü­dend und ent­wür­di­gend, wie sie es ist. Auch dann wür­de sie alle huma­nis­ti­schen und demo­kra­ti­schen Bemü­hun­gen ver­spot­ten, ein­fach weil sie so viel Zeit bean­sprucht. Sokra­tes beharr­te, daß Hand­ar­bei­ter schlech­te Freun­de und schlech­te Staats­bür­ger abgä­ben, da ihnen die Zeit man­ge­le, die Ver­ant­wort­lich­kei­ten einer Freund­schaft und ihrer Staats­bür­ger­schaft aus­zu­fül­len. Er hat­te Recht. Wegen der Arbeit schau­en wir dau­ernd auf die Uhr. Das ein­zig „freie“ an der soge­nann­ten Frei­zeit ist, daß sie den Boss von der Lohn­fort­zah­lung befreit. Die Frei­zeit wird haupt­säch­lich genutzt, um sich auf die Arbeit vor­zu­be­rei­ten, zur Arbeit zu gehen, von der Arbeit zu kom­men und sich von ihr zu erho­len. Frei­zeit ist ein Euphe­mis­mus für die beson­de­re Art, mit der die Arbeits­kraft als ein Pro­duk­ti­ons­fak­tor nicht nur sich selbst zum und vom Arbeits­platz trans­por­tiert, son­dern auch die Haupt­ver­ant­wor­tung für die eige­ne Ver­sor­gung und Wie­der­her­stel­lung übernimmt.
(Bob Black – Die Abschaf­fung der Arbeit; im Ori­gi­nal: The Aboli­ti­on of Work)

Sag ja zum Leben, sag ja zum Job, sag ja zur Kar­rie­re, sag ja zur Fami­lie. Sag ja zu einem per­vers gro­ßen Fern­se­her. Sag ja zu Wasch­ma­schi­nen, Autos, CD-Play­ern und elek­tri­schen Dosen­öff­nern. Sag ja zur Gesund­heit, nied­ri­gem Cho­le­ste­rin­spie­gel und Zahn­zu­satz­ver­si­che­rung. Sag ja zur Bau­spar­kas­se, sag ja zur ers­ten Eigen­tums­woh­nung, sag ja zu den rich­ti­gen Freun­den. Sag ja zur Frei­zeit­klei­dung mit pas­sen­den Kof­fern, sag ja zum drei­tei­li­gen Anzug auf Raten­zah­lung in hun­der­ten von Scheiß-Stof­fen. Sag ja zu Do-It-Yours­elf und dazu, auf dei­ner Couch zu hocken und dir hirn­läh­men­de Game­shows rein­zu­zie­hen und dich dabei mit scheiß Junk­fraß voll­zu­stop­fen. Sag ja dazu, am Schluss vor dich hin­zu­ver­we­sen, dich in einer elen­den Bruch­bu­de voll­zu­pis­sen und den miss­ra­te­nen Ego-Rat­ten von Kin­dern, die du gezeugt hast, damit sie dich erset­zen, nur noch pein­lich zu sein. Sag ja zur Zukunft, sag ja zum Leben. (…) Bald bin ich genau wie ihr: Job, Fami­lie, per­vers gro­ßer Fern­se­her, Wasch­ma­schi­ne, Auto, CD und elek­tri­scher Dosen­öff­ner, Gesund­heit, nied­ri­ger Cho­le­ste­rin­spie­gel, Kran­ken­ver­si­che­rung, Eigen­heim-Finan­zie­rung, Frei­zeit­klei­dung, drei­tei­li­ger Anzug, Heim­wer­ker­tum, Game­show, Junk­fraß, Kin­der, Spa­zie­ren­ge­hen im Park, gere­gel­te Arbeits­zeit, Fit­ness­cen­ter, Auto­wa­schen, ’ne Men­ge Pull­over, trau­te Weih­nacht mit der Fami­lie, infla­ti­ons­si­che­re Ren­te, Steu­er­frei­be­trä­ge, Abfluss sau­ber machen, über die Run­de kom­men, mich auf den Tag freu­en, an dem ich sterbe.
(Train­spot­ting)

Nie­mand soll­te jemals arbeiten.
Arbeit ist die Ursa­che nahe­zu allen Elends in der Welt. Fast jedes erdenk­li­che Übel geht aufs Arbei­ten oder auf eine fürs Arbei­ten ein­ge­rich­te­te Welt zurück. Um das Lei­den zu been­den, müs­sen wir auf­hö­ren zu arbeiten.
Das bedeu­tet nicht, daß wir auf­hö­ren soll­ten, Din­ge zu tun. Viel­mehr soll­ten wir eine neue Lebens­wei­se schaf­fen, der das Spie­len zugrun­de­liegt; sozu­sa­gen eine spie­le­ri­sche Revolution.
Spie­le­ri­sches Leben ist völ­lig inkom­pa­ti­bel zur bestehen­den Wirk­lich­keit. Das sagt alles über die „Wirk­lich­keit“, das Schwer­kraft­loch, das dem Weni­gen im Leben, das es noch vom blo­ßen Über­le­ben unter­schei­det, die Lebens­kraft absaugt. Selt­sa­mer­wei­se – oder viel­leicht auch nicht – sind alle alten Ideo­lo­gien kon­ser­va­tiv, weil sie an die Arbeit glauben.
Die Libe­ra­len for­dern ein Ende der Dis­kri­mi­nie­rung auf dem Arbeits­markt. Ich for­de­re ein Ende des Arbeits­mark­tes. Die Kon­ser­va­ti­ven unter­stüt­zen das Recht auf Arbeit. Mit Karl Marx‘ eigen­sin­ni­gem Schwie­ger­sohn Paul Lafar­gue unter­stüt­ze ich das „Recht auf Faul­heit“. So wie die Sur­rea­lis­ten – abge­se­hen davon, daß ich es ernst mei­ne – for­de­re ich vol­le Arbeits­lo­sig­keit. Die Trotz­kis­ten agi­tie­ren für die per­ma­nen­te Revo­lu­ti­on. Ich agi­tie­re für per­ma­nen­tes Fei­ern. Aber wenn alle Ideo­lo­gen die Arbeit ver­tei­di­gen, was sie ja tun, und das nicht nur, weil sie ande­re dazu brin­gen wol­len, ihren Teil mit­zu­ma­chen, geben sie es doch ungern zu. Sie füh­ren end­lo­se Debat­ten über Löh­ne, Arbeits­stun­den, Arbeits­be­din­gun­gen, Aus­beu­tung, Pro­duk­ti­vi­tät und Gewinn­chan­cen. Sie reden gern über alles – außer über die Arbeit selbst. Die­se Exper­ten, die sich anbie­ten, uns das Den­ken abzu­neh­men, tei­len sel­ten ihre Erkennt­nis­se über die Arbeit mit uns, trotz der Bedeu­tung für unser aller Leben. Unter­ein­an­der strei­ten sie sich ein biß­chen über die Ein­zel­hei­ten. (…) All die­se Ideo­lo­gen haben erns­te Dif­fe­ren­zen über die Ver­tei­lung der Macht. Genau­so klar ist, daß sie der Macht als sol­cher nicht wider­spre­chen und daß sie uns alle am Arbei­ten hal­ten wollen.
Die Ent­wür­di­gung, die die meis­ten Arbei­ten­den bei ihren Jobs erle­ben, ent­springt der Sum­me der ver­schie­dens­ten Demü­ti­gun­gen, die unter dem Begriff „Dis­zi­plin“ zusam­men­ge­faßt wer­den kön­nen. Fou­cault hat die­ses Phä­no­men kom­ple­xer dar­ge­stellt, aber es ist eigent­lich ganz ein­fach. Dis­zi­plin besteht aus der Abso­lut­heit der tota­li­tä­ren Kon­trol­le am Arbeits­platz – Über­wa­chung, Fließ­band, vor­ge­ge­be­nes Arbeits­tem­po, Pro­duk­ti­ons­zif­fern, Stech­uhr usw. Dis­zi­plin ist das, was Fabrik, Büro und Geschäft mit dem Gefäng­nis, der Schu­le und dem Irren­haus gemein haben. Es ist etwas his­to­risch Ein­zig­ar­ti­ges und Furcht­ba­res. Es über­stieg die Fähig­kei­ten solch teuf­li­scher Dik­ta­to­ren wie wei­land Nero oder Dschin­gis Khan oder Iwan des Schreck­li­chen. So schlecht ihre Absich­ten auch gewe­sen sein mögen, ihnen fehl­te die Maschi­ne­rie, um ihre Unter­ta­nen so gründ­lich zu kon­trol­lie­ren, wie es moder­ne Des­po­ten ver­mö­gen. Dis­zi­plin ist die cha­rak­te­ris­tisch moder­ne Funk­ti­ons­wei­se der gesell­schaft­li­chen Kon­trol­le, es ist ein inno­va­ti­ves Ein­trich­tern, gegen das bei der ers­ten sich bie­ten­den Gele­gen­heit ein­ge­schrit­ten wer­den muß.
So steht es mit der Arbeit. Spie­len ist das gera­de Gegen­teil. Spie­len ist immer frei­wil­lig. Was ansons­ten Spiel wäre, wird zur Arbeit, sobald es erzwun­gen wird.
Wir haben jetzt die Mög­lich­keit, die Arbeit abzu­schaf­fen und den not­wen­di­gen Anteil Arbeit durch eine Viel­falt an neu­en frei­en Akti­vi­tä­ten zu erset­zen. Die Abschaf­fung der Arbeit erfor­dert eine Annä­he­rung von zwei Sei­ten, einer quan­ti­ta­ti­ven und einer qua­li­ta­ti­ven. Auf der einen, der quan­ti­ta­ti­ven Sei­te, müs­sen wir die Men­ge geleis­te­ter Arbeit mas­siv redu­zie­ren. Gegen­wär­tig ist die meis­te Arbeit ein­fach nutz­los und wir soll­ten sie los­wer­den. Auf der ande­ren Sei­te – und ich den­ke, die­se qua­li­ta­ti­ve Annä­he­rung ist der Knack­punkt und der wirk­lich revo­lu­tio­nä­re Auf­bruch – müs­sen wir die weni­ge nutz­brin­gen­de Arbeit in ver­schie­dens­te spie­le­ri­sche und hand­werk­li­che Freu­den ver­wan­deln, nicht unter­scheid­bar von ande­ren freud­vol­len Tätig­kei­ten, außer dadurch, daß sie neben­bei nütz­li­che End­pro­duk­te her­vor­brin­gen. Das soll­te sie aber kei­nes­falls weni­ger ver­lo­ckend machen. In der Fol­ge könn­ten alle künst­li­chen Schran­ken von Macht und Besitz fal­len. Schöp­fung wäre nicht mehr Erschöp­fung. Und wir könn­ten alle auf­hö­ren, vor­ein­an­der Angst zu haben.
Ich unter­stel­le nicht, daß die­se Ver­wand­lung bei jeder Art von Arbeit mög­lich ist. Aber dann ist die meis­te Arbeit auch nicht wert, erhal­ten zu wer­den. Nur ein klei­ner und sich noch ver­klei­nern­der Aus­schnitt der Arbeits­welt dient letzt­lich einem Zweck, den nicht erst die Ver­tei­di­gung und Repro­duk­ti­on des Arbeits­sys­tems und sei­ner poli­ti­schen und recht­li­chen Anhäng­sel nötig machen (…): die meis­te Arbeit dient direkt oder indi­rekt der wirt­schaft­li­chen oder sozia­len Kon­trol­le. Es wäre also ein­fach so mög­lich, Mil­lio­nen von Ver­käu­fern, Sol­da­ten, Mana­gern, Poli­zis­ten, Bör­sia­nern, Pries­tern, Ban­kiers, Anwäl­ten, Leh­rern, Ver­mie­tern, Wachen und Wer­be­leu­ten von der Arbeit zu befrei­en, nebst allen, die für sie arbeiten.
(Bob Black – Die Abschaf­fung der Arbeit; im Ori­gi­nal: The Aboli­ti­on of Work)

Viel liest man über die nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen, die es haben kann, füt­tert man sozia­le Netz­wer­ke, die eige­ne Home­page oder Blogs mit per­sön­li­chen Infor­ma­tio­nen. Wenn­gleich vie­les davon auch zutref­fend ist und die opti­mier­te Selbst­in­sze­nie­rung oder Öffent­lich­ma­chung intims­ter Details bis­wei­len ins Patho­lo­gi­sche abdrif­tet, so ist ein immer wie­der erwähn­ter Punkt doch unter Umstän­den auch nütz­lich: Schnüf­fe­lei durch den aktu­el­len oder einen poten­ti­el­len Arbeitgeber.

Das Pro­fil in sozia­len Netz­wer­ken, die eige­ne Home­page und Aus­sa­gen in Blogs wer­den mit der Sche­re im Kopf ver­fasst oder in vor­aus­ei­len­dem Gehor­sam zen­siert, um der Angst zu begeg­nen, der tat­säch­li­che oder poten­ti­el­le Arbeit­ge­ber könn­te Details über Pri­vat­le­ben, poli­ti­sche oder sexu­el­le Ori­en­tie­rung, Vor­lie­ben und Abnei­gun­gen oder per­sön­li­che Mei­nun­gen erfah­ren und als – natür­lich inof­fi­zi­el­le – Grund­la­ge für nega­ti­ve Kon­se­quen­zen her­an­zie­hen, sei es das Ableh­nen einer Bewer­bung und Nicht­ein­stel­lung, das Über­ge­hen bei einer Beför­de­rung oder in Extrem­fäl­len die Kün­di­gung. Warum?

Genau­so, wie die­se dreis­te Schnüf­fe­lei durch wenig Ver­trau­en ver­die­nen­de Unter­neh­men, denen das Pri­vat­le­ben ihrer Mit­ar­bei­ter, solan­ge es die Arbeit selbst nicht beein­träch­tigt, nicht Grund für nega­ti­ve Sank­tio­nen sein darf, soll und muss, in die eine Rich­tung funk­tio­niert, wirkt sie auch in die ande­re, näm­lich als vor­züg­li­cher Arbeit­ge­ber­fil­ter. Möch­te man für eine Fir­ma arbei­ten, die her­um­schnüf­felt und einen Men­schen nicht ein­stellt, weil er per­sön­li­che, viel­leicht sogar pein­li­che Par­ty­fo­tos in ein sozia­les Netz­werk gela­den hat? Möch­te man für eine Fir­ma arbei­ten, die eine poli­ti­sche Mei­nung jen­seits der eigens pro­pa­gier­ten als Knock-Out-Kri­te­ri­um betrach­tet? Wenn man nicht ein­ge­stellt wird, weil man sich in die­ser oder jener Orga­ni­sa­ti­on enga­giert, ist das dann, abseits vom Öko­no­mi­schen, wirk­lich ein Grund zur Trau­er oder nicht eher zur Freu­de dar­über, dass man nicht Teil eines Unter­neh­men mit sol­chen Prak­ti­ken gewor­den ist? Was für ein Zustand ist das, wenn man vor­sich­tig sein muss, wel­che poli­ti­schen oder per­sön­li­chen Aus­sa­gen man trifft?

„Selbst schuld“, hört man süf­fi­sant von den­je­ni­gen, die sich ent­spre­chend sol­cher an sie gestell­ten Erwar­tun­gen zen­sie­ren und die eige­ne Per­sön­lich­keit demü­tig ver­ste­cken. „Selbst schuld“, kann man ihnen eigent­lich nur antworten.

Zug­weis­hei­ten – Gesam­mel­tes aus dem ÖPNV. Reprä­sen­ta­ti­ve Zita­te, die die gesam­te Gesell­schaft widerspiegeln.

Moder­ne Kommunikationsmittel:

Du bist ja im ICQ auch immer away…
– Jo klar, ich bin auch so ein Away-Faker. Nur ‘online’ ist irgend­wie Schei­ße. Das macht so einen Noob-Ein­druck, die ken­nen nur ‘ein’ und ‘aus’.

Sie­he da, die Situa­ti­on am Lohn­skla­ven­markt scheint sich deut­lich ver­än­dert zu haben:

Ich hab’ jetzt eine Bewer­bung abge­schickt. Wenn die mich nich’ neh­men, bin ich voll im Arsch, dann reicht die Zeit nich’ mehr für noch ‘ne Bewerbung…

Oder ist das Gegen­teil der Fall und der Kampf um Arbeits­plät­ze wird immer härter?

Ich wür­de ja echt ger­ne mal mit ‘ner Walt­her PPK bei uns durch die Abtei­lung gehen…
– Ja, ja, das sind so Allmachtsphantasien…
Nein, das wäre eine gute Metho­de zur Effi­zi­enz­stei­ge­rung der Firma.

In die­ser Fra­ge wird wei­te­re empi­ri­sche For­schung nötig sein.