Schlagwortarchiv für: Gefühle

Die Trauer ist das eine. Das andere ist der Eintritt in eine Sphäre des Verlusts. Anders gesagt: Der Verlust ist das eine, das andere aber ist, ihn dauern zu sehen und zu wissen, wie er überdauern wird: Nicht im Medium des Schmerzes und nicht als Klage, nicht einmal expressiv, sondern sachlich, als graduelle Verschiebung der Erlebnisintensität.
Man könnte auch sagen: Etwas Relatives tritt ein. Was kommt, misst sich an diesem Erleben und geht gleichfalls durch den Knacks. Es ist der negative Konjunktiv: Etwas ist schön, wäre da nicht… Es tritt ein Moment ein, in dem alles auch das eigene Gegenteil ist. Als kämen, auf die Spitze getrieben, die Dinge unmittelbar aus dem Tod und müssten sich im Leben erst behaupten und bewähren.
(…)
Vielleicht wird jemand sagen, dieser eine Verlust sei ein Kontrastmittel. In der Konfrontation mit ihm wirkten die Farben der Welt nun leuchtender, als sei das Dauernde durch die Begegnung mit dem Vergänglichen noch wunderbarer. Es ist die Dialektik der Sonntagsrede. Als müsste man dem eigenen Leben nur Verluste zuführen und würde gleich dessen froh, was man hat. Nein, man kann ganz gut unterscheiden zwischen der Schlappe, dem Unglück, dem Scheitern, der Einbuße, dem Verlust, der überwunden werden kann. Man kann ja in manchem Verlust diesen selbst nicht einmal fühlen, sondern möchte lachen: über die Pantomime des Tragöden, über das Stummfilm-Pathos der Trauer. Man wird darüber hinwegkommen, über die Trauer und über das Gelächter, das sie weckte.
Aber der Knacks ist etwas anderes, über ihn kommt man nicht hinweg. Er ist ein Schub, meist bewegt er sich lautlos und unmerklich. Erst im Rückblick kann man sagen: Dann war nichts mehr wie zuvor. Eine posthume Perspektive, die des Passé. Die Farben nehmen jetzt Patina an, die Genüsse büßen ihre Frische ein, die Erfahrung wählt einen flachen Einfallswinkel, sie kommt eher vermittelt, wie durch eine Membran gegangen. Das Leben wechselt die Sphäre, es reift, es altert, und irgendwann ist zum ersten Mal das Gefühl da, überhaupt ein eigenes Alter zu haben, das heißt, es fühlen zu können.
(Roger Willemsen – Der Knacks)

Wünschst du dir nicht auch manchmal, du fändest eine Insel? Wenn du dich schlafen legst und das nicht kannst, wenn du durch Straßen einer Großstadt gehst, wenn du in fremde Augen blickst, dann tust du es vielleicht. Ein Ort, der nirgendwo verzeichnet ist, ein Platz fernab vom traurigen Gewühl, ein Unterschlupf, der dich mit Kraft versorgt, mit Glück und Mut und Euphorie, ja ein Idyll, das nur für dich dein Eden ist. Suchst du das auch?
In all dem Chaos dieser Welt, da fand ich eine Insel. Wenngleich sie keinen Goldschatz birgt, so übertrifft sie doch an Reichtum alles andere auf dieser Welt. Ein Eiland fand ich und erkor es mir zum Paradies. Nichts hat je so großen Wert gehabt wie dieses kleine Stückchen Land; weder Königreiche, Staaten noch die größten Dynastien besaßen jemals so viel Einfluss wie dieser unscheinbare Fleck. Als eine Art Schiffbrüchiger bin ich durch puren Zufall hier gestrandet, doch für nichts auf dieser Erde ginge ich hier jemals wieder fort.
Es wird nach mir gesucht werden, denn man wird mich retten wollen, fürchte ich, doch meine Rettung habe ich bereits gefunden, sie liegt hier und nirgends sonst. Man wird mich für verloren erklären und nie erfahren, wie falsch man doch in Wahrheit liegt, denn alles, was es sich zu finden lohnte, finde ich alleine hier. Kraft einer glücklichen Strömung setzte ich einen Fuß auf diesen Strand. Was ich hier fand, das ist ein Eiland weit, allein im Meer, das ich zu meiner Heimat nahm, weil eine bessere die Welt mir niemals bieten kann. Was ich hier fand, bedeutet für mich alles, wofür es sich zu leben lohnt.
Ist es Isolation, mich nun an diesen Ort zurückzuziehen? Vielleicht verschließe ich die Augen vor dem Rest der Welt, doch hier erst wuchsen mir die Augen, dank derer mir die Welt beachtenswert erscheint. Hier erst nehme ich die Farben wahr, in denen schillernd alles strahlt, während sich doch meine Umwelt vormals oft genug in Grau ertrank. Es ist keine Flucht, kein Eskapismus, wie manch Zyniker vielleicht behaupten mag, wenn ich mich auf dieser Insel nun häuslich einrichte. Sie gibt mir jene Kraft, der Welt mit offenen Augen entgegentreten zu können, sie auszuhalten, so wie sie ist. Sie kann einen nicht länger erschüttern, nicht mehr bedrängen, sie kann einen nie wieder aus der Bahn werfen, jene Welt, wenn man dieses Eiland erst einmal für sich gefunden hat, das allen Gewalten so standhaft trotzt.
Keine Legenden und keine Erzählungen vermögen die Einzigartigkeit dieses wunderbaren Ortes angemessen zu beschreiben, er ist undenk- und nicht mal vorstellbar, solange man nicht selbst sein Leben hier verbringt. All jene Belanglosigkeiten, nach denen ein Mensch im Laufe seines Lebens strebt, verlieren vollends an Bedeutung, wenn man die Wunder dieser Insel kennt, all ihre Schönheit, wenn man Fuß auf sie gesetzt, sie bloß einmal betreten hat. Es gibt hier alles, was ein Mensch zum Überleben braucht, zum Leben gar, nicht bloß zum Existieren.
Was ich hier fand, ist eine Insel jenseits aller Schifffahrtsrouten. Ein Stück der Welt, das keine Karte offenbart, weil sich das Land hier nicht vermessen lässt. Ein Platz, der keine Grenzen kennt, der keine Mauern hat und keine Gräben zieht, der blinde Ortskenntnis verlangt und an zwei Tagen nie der gleiche ist. Ein Land so weit von aller Zivilisation. Keine Armeen, keine Legionen, keine Heerscharen dieser Welt, wie groß und mächtig sie auch sein mögen, werden im Stande sein, auf dieser Insel jemals einzufallen und damit alles zu zerstören. Sie haben es versucht und sie sind jedes Mal gescheitert. Während die größten Reiche untergehen, hat dieses Eiland hier bestand. Auf dieser Insel lebt, was allseits sonst bereits im Sterben liegt. Hier wächst, was auf dem Rest der Welt verdorrt.
Entgegen einer kalten Welt, die mehr und mehr in Argwohn zu versinken droht, ist dieses Eiland hier ein Ort der Wärme und des völligen Vertrauens. Immer und immer wieder gelingt es den Eigenarten dieser Insel, mir ein herzliches Lächeln ins Gesicht zu zeichnen, und noch in den dunkelsten Stunden der Trauer finde ich hier etwas, das mich die ganze Welt umarmen, das sie liebenswert erscheinen lässt. Alles, was es wert ist, gewusst zu werden, habe ich hier gelernt und lerne ich hier noch heute. Es gibt Dinge, die so wundervoll beschaffen sind, dass man gar nicht mehr bemerkt, wie man laufend älter wird und eines Tages sterben muss, die sogar so unerhört bezaubernd sind, dass man entgegen aller landläufigen Furcht das Älterwerden und sogar das Sterben als etwas Gutes betrachtet, als Vollendung seines Lebens, weil man rundum glücklich ist.
Nichts auf dieser Welt ist es wert, hier jemals wieder fortzugehen, weil keiner, der sie je betrat, vergessen kann, was diese Insel einem offeriert. Was ich bisher mein Leben genannt habe, dieses Dasein, diese bloße Existenz, wurde erst zu einem Leben, als ich diesen Ort hier fand. Mein Eiland, das bist du.

Man braucht nur eine Insel
allein im weiten Meer.
Man braucht nur einen Menschen,
den aber braucht man sehr.
(Mascha Kaléko)

Let me tell you a story, the Dial went on. The house that your great-great-great-grandmother and I moved into when we first became married looked out onto the small falls (…). It had wood floors, long windows, and enough room for a large family. It was a handsome house. A good house.
But the water, your great-great-great-grandmother said, I can’t hear myself think.
Time, I urged her. Give it time.
And let me tell you, while the house was unreasonably humid, and the front lawn perpetual mud from all the spray, while the walls needed to be repapered every six months, and chips of paint fell from the ceiling like snow for all seasons, what they say about people who live next to waterfalls is true.
What
, my grandfather asked, do they say?
They say that people who live next to waterfalls don’t hear the water.
They say that?
They do. Of course, your great-great-great-grandmother was right. It was terrible at first. We couldn’t stand to be in the house for more than a few hours at a time. The first two weeks were filled with nights of intermittent sleep and quarreling for the sake of being heard over the water. We fought so much just to remind ourselves that we were in love, and not in hate.
But the next weeks were a little better. It was possible to sleep a few good hours each night and eat in only mild discomfort. Your great-great-great-grandmother still cursed the water (whose personification had become anatomically refined), but less frequently, and with less fury. Her attacks on me also quieted. It’s your fault, she would say. You wanted to live here.
Life continued, as life continues, and time passed, as time passes, and after a little more than two months: Do you hear that? I asked her on one of the rare mornings we sat at the table together. Hear it? I put down my coffee and rose from my chair. You hear that thing?
What thing? she asked.
Exactly! I said, running outside to pump my fist at the waterfall. Exactly!
We danced, throwing handfuls of water in the air, hearing nothing at all. We alternated hugs of forgiveness and shouts of human triumph at the water. Who wins the day? Who wins the day, waterfall? We do! We do!
And this is what living next to a waterfall is like, Safran. Every widow wakes one morning, perhaps after years of pure and unwavering grieving, to realize she slept a good night’s sleep, and will be able to eat breakfast, and doesn’t hear her husband’s ghost all the time, but only some of the time. Her grief is replaced with a useful sadness. Every parent who loses a child finds a way to laugh again. The timbre begins to fade. The edge dulls. The hurt lessens. Every love is carved from loss. Mine was. Yours is. Your great-great-great-grandchildren’s will be. But we learn to live in that love.

(Jonathan Safran Foer – Everything is Illuminated)

Es gibt kaum etwas, das so schwer zu finden und so leicht wieder zu verlieren ist wie Glück. In ihrem Leben ist Glück schon immer eine Seltenheit gewesen und sie litt unter den Mangelerscheinungen, die dieses Defizit an Glück in ihr bewirkte. Sie war als Halbwaise aufgewachsen, allein mit ihrem Vater, da ihre Mutter kurz nach der Geburt gestorben war. Ihre nicht allzu unbeschwerte Kindheit war von stetiger Entbehrung geprägt, unter deren alles überschattendem Einfluss nicht nur ihre persönliche Verfassung, sondern auch ihre schulischen Leistungen haben leiden müssen, also hat sie die Schule verlassen, sobald diese Möglichkeit in Sichtweite geraten war, um Geld zu verdienen für das, was sie Familie nannte. Ihr Einkommen reichte kaum zum Überleben. Sie hatte eine Arbeit, denn sie hangelte sich von Aushilfstätigkeit zu Aushilfstätigkeit, doch war dieser Job nicht mehr als eine Übergangslösung, ein schlecht bezahlter Lückenfüller für Menschen ohne Qualifikation, den sie, dessen war sie sich bewusst, recht bald wieder verlieren würde.

Zwar hatten ihre Eltern einige Ersparnisse angesammelt, die ihr Vater nun mehr schlecht als recht verwaltete, doch wurden diese kleinen finanziellen Reserven hauptsächlich dadurch aufgezehrt, die monatlichen Rechnungen zu begleichen und das in die Jahre gekommene Haus irgendwie instand zu halten, in welchem sie mit ihrem Vater wohnte und in dem schon ihre Ur-Großeltern vor ihr gewohnt hatten. Dieses Familienerb- und Bruchstück trieb sie in den schleichenden Ruin und so hatte sie in der Vergangenheit beachtliche Schulden angehäuft, die sie nicht mehr würde begleichen können, wenn das Ersparte einmal aufgebraucht wäre. Zu ihren materiellen Sorgen gesellten sich zudem auch zwischenmenschliche Wirrungen. Während ihr Vater zunächst sie gepflegt und aufgezogen hatte, war es nun an ihr, ihren altersschwachen Vater zu versorgen. Sie hatten kein besonders gutes Verhältnis zueinander, denn er schien von ihr enttäuscht zu sein und ließ sie das jeden Tag deutlich spüren, doch war er immer noch ihr Vater und sie fühlte sich für ihn verantwortlich.

Auch ihr Beziehungsleben konnte sie nicht glücklich machen. Traf sie einmal einen Mann, auf den es sich in ihren Augen einzulassen lohnte, was in ihrem Leben wirklich selten geschah, dann waren all diese Beziehungen doch nie von allzu langer Dauer und ließen sie in einem emotionalen Trümmerhaufen zurück, wenn sie schließlich wie ein Kartenhaus zerfielen. Kein eines Mal in ihrem Leben hatte sie je so etwas wie völlige Zufriedenheit erlebt. Zwar hatte sie ab und an das so genannte Glück gefunden, doch verging es stets so schnell wie es gekommen war. Falls sich tatsächlich so etwas wie Hoffnung vor ihrer Nase befand, so konnte sie es jedenfalls nicht sehen. Kurz gesagt, ihr Leben war eine Großbaustelle, deren Architekt ein Zyniker und deren Vorarbeiter ein hoffnungsloser Unglücksrabe war.

Als sie zu einem ihrer vielen Bewerbungsgespräche ging, zu einem Vorstellungstermin in einem anonymen Glaspalast, bei dem sie wieder einmal abgelehnt wurde, traf sie einen aufgeweckten jungen Mann. Beide teilten das gleiche Schicksal, zumindest in Hinblick auf die enttäuschte Hoffnung, die dieses Bewerbungsgespräch ihnen eingepflanzt hatte, und beide führten sie ein Leben, mit dem sie nicht zufrieden sein konnten, selbst wenn sie es gewollt hätten. Anstatt nach Hause zu fahren, wo nichts auf sie gewartet hätte außer ihrem missgelaunten Vater, setzte sie sich gemeinsam mit diesem Mann in ein Café, bestellte Kuchen, den sie sich nicht leisten konnte, und verbrachte den gesamten Nachmittag mit angeregter Unterhaltung, mit Lachen und gar mit so etwas wie Euphorie. Die Zeit verging, als ob sie es nicht besser wüsste.

Spät am Abend stand sie vor der Wahl, den Tag mit dieser kurzen Episode der Freude zu beenden oder aber auf sein Angebot einzugehen, denn er hatte sie charmant in seine Wohnung eingeladen. Schließlich verbrachte sie die Nacht mit diesem Mann. Er war nicht ihre große Liebe, darüber machte sie sich keine Illusionen, doch zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte sie sich wieder glücklich. Es war nicht bloß ein beiläufiges Glücksgefühl, wie sie es ab und an einmal erlebte, sondern völlig und unbedingt in seiner Art. Ihr Glück verdrängte jedes andere Gefühl in ihr, all die Sorgen und Ängste, deren schweres Gewicht sie ständig mit sich herumzutragen hatte, das sie herunterzog und an den Boden presste.

Als sie am nächsten Morgen nach Hause kam, tanzte sie ganz unbeschwert herum, schwebte lächelnd durch die Räume und summte leise vor sich hin, während ihr Vater, der all das überrascht zur Kenntnis nahm, sie bloß jäh und ruppig anblaffte, ob sie denn diesmal endlich einen ernstzunehmenden Arbeitsplatz gefunden hätte. Sie aber wollte das nicht hören, sie mochte in diesem Augenblick von alledem nichts wissen, denn sie war glücklich und sie wollte dieses zerbrechliche Glück nicht wieder zerfallen sehen. Sie wollte diesen glücklichen Moment so lange konservieren wie irgend möglich. Sie blickte auf die Fotos früherer Tage, die in diesem Haus an den Wänden hingen, festgehaltene Erinnerungen an eine traurige Vergangenheit. „Du wirst glücklich sein“, sprach sie sanft zu einem dieser Bilder, zu dieser unglücklichen jungen Frau, die bislang so wenig Hoffnung für sich gesehen hatte. Dann schritt sie fröhlich in das Arbeitszimmer ihres Vaters, öffnete eine Schreibtischschublade, griff hinein, nahm die geladene Pistole heraus, die ihr Vater darin aufbewahrte, steckte sich den Lauf in den Mund und drückte ab.

I love you also means I love you more than anyone loves you, or has loved you, or will love you, and also, I love you in a way that no one loves you, or has loved you, or will love you, and also, I love you in a way that I love no one else, and never have loved anyone else, and never will love anyone else.
(Jonathan Safran Foer – Everything is Illuminated)

Alle aus dem Lateinischen hervorgegangenen Sprachen bilden das Wort Mitgefühl aus der Vorsilbe com- und dem Wort, das ursprünglich ›Leiden‹ bedeutete: passio. Andere Sprachen, so das Tschechische, das Polnische und das Schwedische, drücken diesen Begriff durch ein Substantiv aus, das aus der Vorsilbe Mit- und dem Wort ›Gefühl‹ besteht (tschechisch sou-cit, polnisch wspol-uczucie, schwedisch med-känsla).
In den aus dem Lateinischen hervorgegangenen Sprachen bedeutet das Wort compassio: wir können nicht herzlos den Leiden eines anderen zuschauen; oder: wir nehmen Anteil am Leid des anderen. Aus einem anderen Wort mit ungefähr derselben Bedeutung (französisch pitié, englisch pity, italienisch pietà usw.) schwingt sogar unterschwellig so etwas wie Nachsicht dem Leidenden gegenüber mit: »Avoir de la pitié pour une femme« heißt, daß wir besser dran sind als diese Frau, uns zu ihr hinabneigen, uns herablassen.
Aus diesem Grund erweckt das Wort Mitleid Mißtrauen: es bezeichnet ein schlechtes Gefühl, das als zweitrangig empfunden wird und nicht viel mit Liebe zu tun hat. Jemanden aus Mitleid zu lieben heißt, ihn nicht wirklich zu lieben.
In den Sprachen, die das Wort nicht aus der Wurzel ›Leiden‹, sondern aus dem Substantiv ›Gefühl‹ bilden, wird es ungefähr in demselben Sinn gebraucht; man kann aber nicht behaupten, es bezeichne ein zweitrangiges, schlechtes Gefühl. Die geheime Macht seiner Etymologie läßt das Wort in einem anderen Licht erscheinen, gibt ihm eine umfassendere Bedeutung: Mit-Gefühl haben bedeutet, das Unglück des anderen mitzuerleben, genausogut aber jedes andere Gefühl mitempfinden zu können: Freude, Angst, Glück und Schmerz. Dieses Mitgefühl (im Sinne von soucit, wspoluczucie, medkänsla) bezeichnet also den höchsten Grad der gefühlsmäßigen Vorstellungskraft, die Kunst der Gefühlstelepathie; in der Hierarchie der Gefühle ist es das höchste aller Gefühle.
(Milan Kundera – Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins)

Forgetting that beauty and happiness are only ever incarnated in an individual person, we replace them in our minds by a conventional pattern, a sort of average of all the different faces we have ever admired, all the different pleasures we have ever enjoyed, and thus carry about with us abstract images, which are lifeless and uninspiring because they lack the very quality that something new, something different from what is familiar, always possesses, and which is the quality inseparable from real beauty and happiness. So we make our pessimistic pronouncements on life, which we think are valid, in the belief that we have taken account of beauty and happiness, whereas we have actually omitted them from consideration, substituting for them synthetic compounds that contain nothing of them.
(Marcel Proust – In the Shadow of Young Girls in Flower)

Weißt du, was mir das Herz zerreißt, jeden Morgen, wenn ich aufstehe, und jeden Abend, wenn ich mich schlafen lege? Ich fühle mich, als hätte mich ein Lastwagen angefahren, und nicht nur das, als sei der Fahrer hastig ausgestiegen, um sich das Unglück näher anzusehen, hätte sich wieder hinters Lenkrad begeben, kalt den Rückwärtsgang gewählt und mich erbarmungslos zerquetscht, womit er schließlich noch ganz sicher gehen will, dass ich von hier nie wieder aufstehen würde. Während es mir das Herz zerreißt, zerreißt du nur meine Briefe, als wären es längst beglichene Schuldscheine aus einer klammeren Vergangenheit. Überhaupt behandelst du mich, als sei es eine ruinöse Quartalsabrechnung, die du nun mit mir durchführen musst, eine emotionale Insolvenz, die mit den Worten endet: Wir müssen Sie leider entlassen, aber nehmen Sie es bitte nicht persönlich. Ja, wie denn sonst?
Du konntest so schnell Anschluss finden, nachdem wir auseinander brachen. Wenige Stunden danach kehrtest du zurück zum unbeschwerten Tagesgeschäft, du trafst dich mit deinen Freundinnen und Freunden, du konntest lachen und du gingst abends fröhlich aus, so als hätte es diese Verbindung zwischen uns niemals gegeben. Mich hingegen warf es aus der Bahn, tagelang aß ich nicht genug, wochenlang schlief ich nicht sehr viel, monatelang war ich eine andere Person und noch für Jahre wirst du in Gedanken immer bei mir sein. Für dich aber war es, als würdest du umsteigen. Du verließt den Zug, mit dem du bis hierher gekommen warst, und wo dieser Zug ohne dich dann hinfahren würde, was weiterhin mit ihm geschah, das war dir egal, denn du stiegst bloß in einen neuen. Kein Blick zurück, für dich war jeder Zug so gut wie jeder andere, und falls der alte Zug entgleist, nachdem du ausgestiegen bist, dann umso besser, dass du ihn rechtzeitig verlassen hast. Es riss mir den Boden unter den Füßen weg, doch du standst da wie eine Wächterstatue, gleichmütig und unerschütterlich. Tag um Tag starrte ich für Stunden auf das Postfach meiner Mails, jede SMS, die ich bekam, versetzte meinem Herzen einen hoffnungsfrohen Schock, und wenn es klingelte, dann rannte ich zur Tür. Ich wusste, ich wartete vergebens, denn du warst schon längst weitergezogen, und dennoch konnte ich nicht aufhören, vergebens auf dich zu warten. Meine Gefühle kochten über und du nahmst deine ungerührt vom Herd, du stelltest sie nicht einmal auf die Warmhalteplatte. Du sagtest zu mir mit naiver Ernsthaftigkeit in der Stimme, ich solle meine Gefühle für dich ganz einfach vergessen, und du konntest und kannst noch immer nicht verstehen, wie ich, wie irgendjemand Gefühle hegen kann, die sich nicht einfach wie das Licht beliebig ein- und ausschalten lassen. Einfach, für dich war alles einfach. Wie machst du das und wie konntest du je lieben, wenn du Emotionen so stark unter rationale Kontrolle zwingst?
In deinen Augen haben wir uns zu unversöhnlichen Gegenspielern entwickelt. Was zwischen uns geschah, das ist für dich zu einer Übung in Logik verkommen, ein Debattierclub zu zweit, in dem gewinnt, wer seinen Gegner argumentativ zu Boden wirft. Du bist darin verbissen unerbittlich, weil du die Deutungshoheit über das Geschehene verlangst. Wir waren für den jeweils anderen zu tragenden Wänden seines Lebens geworden, und während mein Haus nun in den Trümmern des Vergangenen liegt, hast du sie eingerissen, als wären sie aus Pappmaché. Mit rücksichtsloser Präzision platziertest du Sprengstoff an allen Brücken, die wir uns zuvor mit Mühe erbaut hatten, damit die Welt für uns begehbar war, und als sie am Ende hinter dir zerfielen, stand ich noch immer drauf. Du hättest all das nie so ernst genommen, sagst du heute kalt zu mir, weil es von Anfang an mir wichtiger gewesen sei als dir, was wir uns beide dort errichteten, und bekenne ich dir dann, dass du für mich auf ewig unvergleichbar bleiben wirst, erwiderst du in knappem Ton, du seist doch bloß wie all die anderen. Hast du die Liebe je verstanden?
Ich verkrieche mich in mir selbst, während du so beiläufig neue Kontakte knüpfst, als wäre nichts geschehen, als wäre dir jeder beliebige Mensch genug, um mich ganz gleichgültig zu ersetzen. Während du für mich die eine Schneeflocke bist, die ich kein zweites Mal auf dieser Erde finden werde, wurde ich für dich zu einem austauschbaren Wassertropfen, der völlig unsichtbar im Meer vergeht. All die Eigenheiten unserer Beziehung, die mir für uns so exklusiv erschienen, die kleine Welt, die einmal unsere eigene war, teilst du so unbekümmert mit mir Unbekannten, als hätte sie dir nie etwas bedeutet. Jene Magie, die einmal zwischen uns bestand und die noch immer in mir wirkt, ist nun für dich bloß fauler Zauber, an dem du dich mit einer Verve vergehst, die mir zerstörerisch erscheint. Was dir einst wichtig war und mir stets ist, das ist für dich wie ausgelöscht. Du tust, als sei da kein Gefühl, und dieser Part liegt dir so gut, dass ich mich manchmal frage, ob das nun wirklich Schauspiel ist oder ob Liebe denn für dich schon immer bloß die Rolle war. Was mir das Herz zerbricht, das ist, dass deines keinen Kratzer trägt.

Brod’s life was a slow realization that the world was not for her, and that for whatever reason, she would never be happy and honest at the same time. She felt as if she were brimming, always producing and hoarding more love inside her. But there was no release. Table, ivory elephant charm, rainbow, onion, hairdo, mollusk, Shabbos, violence, cuticle, melodrama, ditch, honey, doily… None of it moved her. She addressed her world honestly, searching for something deserving of the volumes of love she knew she had within her, but to each she would have to say, I don’t love you. Bark-brown fence post: I don’t love you. Poem too long: I don’t love you. Lunch in a bowl: I don’t love you. Physics, the idea of you, the laws of you: I don’t love you. Nothing felt like anything more than what it actually was. Everything was just a thing, mired completely in its thingness.
If we were to open a random page in her journal – which she must have kept and kept with her at all times, not fearing that it would be lost, discovered and read, but that she would one day stumble upon that thing which was finally worth writing about and remembering, only to find that she had no place to write it – we would find some rendering of the following sentiment: I am not in love.
So she had to satisfy herself with the idea of love – loving the loving of things whose existence she didn’t care at all about. Love itself became the object of her love. She loved herself in love, she loved loving love, as love loves loving, and was able, in that way, to reconcile herself with a world that fell so short of what she would have hoped for. It was not the world that was the great and saving lie, but willingness to make it beautiful and fair, to live a once-removed life, in a world once-removed from the one in which everyone else seemed to exist.
(Jonathan Safran Foer – Everything is Illuminated)

Have you ever been in love? Horrible isn’t it? It makes you so vulnerable. It opens your chest and it opens up your heart and it means that someone can get inside you and mess you up. You build up all these defenses, you build up a whole suit of armor, so that nothing can hurt you, then one stupid person, no different from any other stupid person, wanders into your stupid life… You give them a piece of you. They didn’t ask for it. They did something dumb one day, like kiss you or smile at you, and then your life isn’t your own anymore. Love takes hostages. It gets inside you. It eats you out and leaves you crying in the darkness, so simple a phrase like ‘maybe we should be just friends’ turns into a glass splinter working its way into your heart. It hurts. Not just in the imagination. Not just in the mind. It’s a soul-hurt, a real gets-inside-you-and-rips-you-apart pain. Nothing should be able to do that. Especially not love. I hate love.
(Neil Gaiman – The Sandman)