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Im Bewusst­sein der Zeit­lich­keit setzt sich der Knacks durch. Auch wo er nicht iden­ti­fi­ziert wird, bricht er sich Bahn in den zuwi­der­lau­fen­den Kräf­ten, etwa im Ver­such, sei­ner Arbeit mit einer Beschleu­ni­gung des Lebens­ge­fühls zu begeg­nen. Mach schnell, und du wirst ihn mit blo­ßem Auge, mit blo­ßem inne­ren Auge, nicht mehr wahr­neh­men. Die Geschwin­dig­keit wird den Knacks dahinraffen.
Hat die Spra­che die­se Beschleu­ni­gung mit voll­zo­gen? Und ob: In den Sieb­zi­gern beant­wor­te­te man die Fra­ge »How are you« mit »good«, in den Acht­zi­gern ant­wor­te­te man auf die glei­che Fra­ge mit »busy«.
Was war gesche­hen? Die Beschleu­ni­gung ver­riet sich in Kom­pa­ra­ti­ven. Der Schnell­zug ver­schwand, er war nicht schnell genug; der Eil­brief ver­schwand, denn schon das Eilen selbst klingt gemäch­lich: Alt­mo­di­sche Voka­beln, sie erin­nern an die lang­sa­me Art, schnell zu sein.
Statt­des­sen wur­den die Indi­zi­en der Beschleu­ni­gung mora­lisch: was schnell war, war gut. Es war gut, »auf der Über­hol­spur« zu leben, es war »in«, Fast Food zu mögen, aber Fast Food ist eigent­lich Fast Eat, und es erreich­te rasch das eige­ne Heim. Mit der 5‑Mi­nu­ten-Ter­ri­ne erreicht die Küche ohne Koch und ohne Ritu­al die Haus­hal­te. Alles beschleu­nigt: Schnell­ra­sur, Schnell­im­biss, Schnell­lif­ting, Schnell­tank­stel­le, Schnell­re­stau­rant, Schnell­rei­ni­gung wie juris­ti­sche Schnell­ver­fah­ren. Es geht schnel­ler: Die ein­zi­ge Musik­sen­dung auf der Höhe der Zeit hieß »Fast For­ward«, die Dro­ge der urba­nen Jugend »Speed«. Dies alles arbei­tet an der Fik­ti­on des gewon­ne­nen Lebens, es sagt, wenn du schnel­ler bist, schnel­ler reist, Zeit sparst, wirst du am Ende mehr davon haben.
(…)
Wir haben kei­ne Zeit. Wir haben alle kei­ne Zeit. Wir haben sie schon des­halb nicht, damit wir uns nicht zu gut füh­len. Bruch, Knacks, Ermü­dung, Schei­tern, Kol­laps: Unse­re rui­nö­sen Ich-Res­te sol­len nicht erschei­nen, nicht auf­bre­chen, nicht mitsprechen.
(Roger Wil­lem­sen – Der Knacks)

He awo­ke each mor­ning with the desi­re to do right, to be a good and meaningful per­son, to be, as simp­le as it sound­ed and as impos­si­ble as it actual­ly was, hap­py. And during the cour­se of each day his heart would des­cend from his chest into his sto­mach. By ear­ly after­noon he was over­co­me by the fee­ling that not­hing was right, or not­hing was right for him, and by the desi­re to be alo­ne. By evening he was ful­fil­led: alo­ne in the magni­tu­de of his grief, alo­ne in his aim­less guilt, alo­ne even in his loneli­ne­ss. ›I am not sad‹, he would repeat to hims­elf over and over, ›I am not sad‹. As if he might one day con­vin­ce hims­elf. Or fool hims­elf. Or con­vin­ce others – the only thing worse than being sad is for others to know that you are sad. ›I am not sad‹. ›I am not sad‹. Becau­se his life had unli­mi­t­ed poten­ti­al for hap­pi­ness, inso­far as it was an emp­ty white room. He would fall asleep with his heart at the foot of his bed, like some dome­sti­ca­ted ani­mal that was no part of him at all. And each mor­ning he would wake with it again in the cup­board of his rib cage, having beco­me a litt­le hea­vier, a litt­le wea­k­er, but still pum­ping. And by mid­af­ter­noon he was again over­co­me with the desi­re to be some­whe­re else, someone else, someone else some­whe­re else. ›I am not sad‹.
(Jona­than Safran Foer – Ever­y­thing is Illuminated)

Was heißt das, »in der Wahr­heit leben«? Eine nega­ti­ve Defi­ni­ti­on ist ein­fach: es heißt, nicht zu lügen, sich nicht zu ver­ste­cken, nichts zu ver­heim­li­chen. Seit Franz Sabi­na kennt, lebt er in der Lüge. Er erzählt sei­ner Frau von einem Kon­greß in Ams­ter­dam, der nie statt­ge­fun­den, von Vor­le­sun­gen in Madrid, die er nie gehal­ten hat, und er hat Angst, mit Sabi­na in den Stra­ßen von Genf spa­zie­ren­zu­ge­hen. Es amü­siert ihn, zu lügen und sich zu ver­ste­cken, denn er hat es sonst nie getan. Er ist dabei ange­nehm auf­ge­regt, wie ein Klas­sen­pri­mus, der beschließt, end­lich ein­mal die Schu­le zu schwänzen.
Für Sabi­na ist »in der Wahr­heit leben«, weder sich selbst noch ande­re zu belü­gen, nur unter der Vor­aus­set­zung mög­lich, daß man ohne Publi­kum lebt. Von dem Moment an, wo jemand unse­rem Tun zuschaut, pas­sen wir uns wohl oder übel den Augen an, die uns beob­ach­ten, und alles, was wir tun, wird unwahr. Ein Publi­kum zu haben, an ein Publi­kum zu den­ken, heißt, in der Lüge zu leben. Sabi­na ver­ach­tet die Lite­ra­tur, in der ein Autor alle Inti­mi­tä­ten über sich und sei­ne Freun­de ver­rät. Wer sei­ne Inti­mi­tät ver­liert, der hat alles ver­lo­ren, denkt Sabi­na. Und wer frei­wil­lig dar­auf ver­zich­tet, der ist ein Mons­trum. Dar­um lei­det Sabi­na nicht im gerings­ten dar­un­ter, daß sie ihre Lie­be ver­heim­li­chen muß. Im Gegen­teil, nur so kann sie »in der Wahr­heit leben«.
Franz dage­gen ist über­zeugt, daß in der Tren­nung des Lebens in eine pri­va­te und eine öffent­li­che Sphä­re die Quel­le aller Lügen liegt: Man ist ein ande­rer im Pri­vat­le­ben als in der Öffent­lich­keit. »In der Wahr­heit leben« bedeu­tet für ihn, die Bar­rie­re zwi­schen Pri­vat und Öffent­lich­keit nie­der­zu­rei­ßen. Er zitiert gern den Satz von André Bre­ton, der besagt, daß er gern »in einem Glas­haus« gelebt hät­te, »wo es kei­ne Geheim­nis­se gibt und das allen Bli­cken offensteht«.
(Milan Kun­de­ra – Die uner­träg­li­che Leich­tig­keit des Seins)

I read the first chap­ter of A Brief Histo­ry of Time when Dad was still ali­ve, and I got incre­di­bly hea­vy boots about how rela­tively insi­gni­fi­cant life is, and how, com­pared to the uni­ver­se and com­pared to time, it did­n’t even mat­ter if I exis­ted at all. When Dad was tuck­ing me in that night and we were tal­king about the book, I asked if he could think of a solu­ti­on to that pro­blem. „Which pro­blem?“ „The pro­blem of how rela­tively insi­gni­fi­cant we are.“ He said, „Well, what would hap­pen if a pla­ne drop­ped you in the midd­le of the Saha­ra Desert and you picked up a sin­gle grain of sand with tweezers and moved it one mil­li­me­ter?“ I said, „I’d pro­ba­b­ly die of dehy­dra­ti­on.“ He said, „I just mean right then, when you moved that sin­gle grain of sand. What would that mean?“ I said, „I dun­no, what?“ He said, „Think about it.“ I thought about it. „I guess I would have moved a grain of sand.“ „Which would mean?“ „Which would mean I moved a grain of sand?“ „Which would mean you chan­ged the Saha­ra.“ „So?“ „So? So the Saha­ra is a vast desert. And it has exis­ted for mil­li­ons of years. And you chan­ged it!“ „That’s true!“ I said, sit­ting up. „I chan­ged the Saha­ra!“ „Which means?“ he said. „What? Tell me.“ „Well, I’m not tal­king about pain­ting the Mona Lisa or curing can­cer. I’m just tal­king about moving that one grain of sand one mil­li­me­ter.“ „Yeah?“ „If you had­n’t done it, human histo­ry would have been one way…“ „Uh-huh?“ „But you did do it, so…?“ I stood in the bed, poin­ted my fin­gers at the fake stars, and screa­med: „I chan­ged the cour­se of human histo­ry!“ „That’s right.“ „I chan­ged the uni­ver­se!“ „You did.“ „I’m God!“ „You’­re an athe­ist.“ „I don’t exist!“ I fell back onto the bed, into his arms, and we cra­cked up together.
(Jona­than Safran Foer – Extre­me­ly Loud & Incre­di­bly Close)

Wer von Geheim­nis­sen lebt, ver­schreibt sein Dasein der stän­di­gen Angst vor Offen­ba­rung. Heu­te weiß ich, du hat­test eine selbst­zer­stö­re­ri­sche Vor­stel­lung, die jeden Zug dei­nes Han­delns bestimm­te und der du treu warst wie einem Dog­ma. Du warst so sehr von die­sem Grund­satz über­zeugt, den du dir aus Grün­den kul­ti­viert hat­test, die mir für immer ver­bor­gen blei­ben wer­den, dass für dich die Kon­se­quen­zen dei­ner Über­zeu­gung weder über­schau­bar waren noch beach­tens­wert erschienen.
Jede ernst­haf­te Ver­bin­dung zwi­schen zwei Men­schen kön­ne nur Bestand haben, so pre­dig­test du mir und jedem ande­ren, der das Unglück hat­te, die­ses The­ma ein­mal anzu­schnei­den, wenn man die Impul­se und Geheim­nis­se des Ande­ren nicht hin­ter­fra­ge. Was du mit die­sem Satz zum Aus­druck brach­test, das hieß in letz­ter Kon­se­quenz, dem Ande­ren auf ewig ein Frem­der zu blei­ben, den Abstand nie­mals zu ver­lie­ren, der zwi­schen jenen steht, die sich nicht ken­nen. Aber was waren dei­ne Geheim­nis­se? Es war vor allem Angst, muss ich rück­bli­ckend heu­te sagen. Du hat­test Angst, ich könn­te alles über dich erfah­ren, so als gäbe es ein fes­tes Kon­tin­gent an Infor­ma­tio­nen über eine leben­de Per­son. Du hat­test Angst, ich könn­te das Inter­es­se an dir schnell wie­der ver­lie­ren, wenn du mir nicht län­ger ein Mys­te­ri­um offe­rierst, als wäre eine sol­che Geheim­nis­lo­sig­keit zwi­schen zwei Men­schen jemals möglich.
Da waren kei­ne bestür­zen­den Sün­den, kei­ne gefähr­li­chen Geheim­nis­se, die du vor mir ver­bargst, die du aus Scham hin­ter einer Nebel­wand hät­test ver­ste­cken müs­sen, son­dern nur die­ses eine: Dei­ne tief ver­wur­zel­te Angst, ohne streng gehü­te­te Geheim­nis­se, ohne den Schlei­er des Mys­te­riö­sen für einen ande­ren, für mich, auf ein­mal völ­lig unin­ter­es­sant zu erschei­nen. Du hat­test Angst, du wür­dest dann bere­chen­bar, du hat­test Angst, du wärst durch­schaut, wärst für mich fer­tig, ich wür­de dann an dir nichts mehr ent­de­cken wol­len und auch gar nichts mehr ent­de­cken können.
Bei jeder Gele­gen­heit, bei jeder noch so bana­len Mei­nungs­ver­schie­den­heit hast du mich immer wie­der dar­auf hin­ge­wie­sen, wie wich­tig dir dei­ne ver­bor­ge­nen Geheim­nis­se sind, und du mach­test mir wil­des­te Sze­nen, wenn ich es jemals wag­te, eine dei­ner Hand­lun­gen auch nur im Ansatz zu hin­ter­fra­gen. Es war für dich bequem. Du führ­test dich auf wie eine Regie­rung unter Para­noia, die jede Anfra­ge mit einem schnip­pi­schen Ver­weis auf natio­na­le Sicher­heit ver­wehrt, weil ihre läs­ti­ge Bevöl­ke­rung das alles gar nicht wis­sen muss. Woll­test du etwas nicht erklä­ren – viel­leicht konn­test du es dir selbst gar nicht erklä­ren -, dann dekla­rier­test du es als Geheim­nis, dein Geheim­nis, und ich durf­te es nicht hin­ter­fra­gen, weil das in dei­ner Logik doch bedeu­tet hät­te, ich wür­de dich nicht lie­ben. Das war dein Vor­wurf, noch jedes Mal, wenn du dei­ne Geheim­nis­se in Gefahr gera­ten sahst. „Du musst das nicht ver­ste­hen“, sag­test du anläss­lich jeder Irri­ta­ti­on, wenn mir dei­ne Hand­lun­gen ein Rät­sel auf­ga­ben, und genau das freu­te dich dar­an, denn es war ein wei­te­res Geheim­nis, das ich nicht ergrün­den konn­te, das ich nicht ergrün­den durfte.
Du öff­ne­test dich nur in klei­nen, peni­bel abge­grenz­ten Stü­cken, du teil­test mir nur mit, was du mir mit­tei­len woll­test, all die guten Din­ge, die schö­nen Sei­ten, all das, von dem du dach­test, es wür­de dich am bes­ten prä­sen­tie­ren. Das war dei­ne Vor­stel­lung von Kom­mu­ni­ka­ti­on. Stets hieltst du etwas vor mir zurück, umgingst die offe­ne Dis­kus­si­on, ja jede Kon­fron­ta­ti­on, weil dies für dich zugleich bedeu­te­te, sich einer mög­li­chen Ver­let­zung zu offen­ba­ren, die dir so unver­meid­lich schien, wenn du aus dei­nem Geheim­nis­bun­ker gekro­chen wärst. Du hat­test so viel Angst vor die­sen Chi­mä­ren, so viel Furcht vor Frak­tur, dass du die wirk­li­chen Ver­let­zun­gen gar nicht wahr­ge­nom­men hast, die dei­ne Geheim­nis­krä­me­rei uns mehr und mehr zuge­fügt hat.
Aber wer von uns war es nun, der nicht lieb­te? Im Krieg und in der Lie­be ist alles erlaubt, so sagt man, und was du für dich aus die­sem Sprich­wort mit­nahmst, das war die Vor­stel­lung, bei Lie­be han­de­le es sich um eine Art von Krieg. Jedes Geheim­nis, das du mir offen­bar­test, stell­te für dich ein kapi­tu­lie­ren­des Ein­ge­ständ­nis dar, eine ver­lo­re­ne Schlacht, eine schlei­chen­de Ver­schie­bung der Front hin zu dir, was am Ende zu dei­ner Nie­der­la­ge in die­sem Krieg füh­ren wür­de und füh­ren müss­te, denn es war ja Lie­be, und Lie­be war Krieg, und Krieg bedeu­te­te, dass einer am Ende der Ver­lie­rer sein muss. Du warst nicht gewillt, dich wirk­lich auf einen ande­ren Men­schen ein­zu­las­sen, sonst hät­test du gewusst, dass du dein Spiel mit den Geheim­nis­sen gar nicht brauchst; du mach­test dich durch sie bloß künst­lich inter­es­sant. Alles an dir ver­steck­test du in einem Pan­zer­schrank, den du mit Ker­be­ros‘ Ver­bis­sen­heit bewach­test, weil in dir die Befürch­tung wuchs, ich wür­de dich ganz unbarm­her­zig aus­plün­dern und zurück­las­sen, wenn ich denn erst den Code zu dei­nem Leben wüss­te, wenn ich Zugang zu dei­nem Inne­ren bekäme.
Du heg­test nie den Wunsch, von mir ver­stan­den zu wer­den, du woll­test dich nie öff­nen, nie unse­re Wel­ten mit­ein­an­der tei­len. Immer hat­test du die Furcht, ich wür­de dich ver­las­sen, wären da nicht die Geheim­nis­se an dir, die mich für alle Ewig­keit wie einen Schatz­su­cher an dich bin­den soll­ten. Hät­test du dich wirk­lich auf mich ein­ge­las­sen, dann hät­test du den Köder nicht gebraucht. Lie­be bedarf kei­ner Geheim­nis­se. Lie­be akzep­tiert Geheim­nis­se, aber sie hat sie nicht nötig, weil es für Lie­ben­de ohne­hin auf ewig Neu­es zu ent­de­cken gibt. Lie­be sucht, ent­deckt, erforscht, ohne dass du etwas weg­schlie­ßen musst, weil der gelieb­te Mensch an sich doch das Geheim­nis ist, das Lie­ben­de so gern ergrün­den, solan­ge ihre Lie­be währt. Noch heu­te hof­fe ich für dich, du wirst das irgend­wann verstehen.

Und nie­mand ver­steht bes­ser anzu­trei­ben, nie­mand ver­steht höh­ni­scher zu sagen: »Schlap­per Hund! Soll­test mich mal sehen!« als der Mit-Tote, als der Mit-Pro­let, als der Mit-Hun­gern­de, als der Mit-Gepeitsch­te. Selbst die Galee­ren­skla­ven haben ihren Stolz und ihr Ehr­ge­fühl, sie haben den Stolz, gute Galee­ren­skla­ven zu sein und ›nun ein­mal zu zei­gen‹, was sie kön­nen. Wenn das Auge des Kom­man­do­ru­fers, der mit der Peit­sche die Rei­hen ent­lang­geht, wohl­ge­fäl­lig auf ihm ruht, so ist er beglückt, als hät­te ihm ein Kai­ser per­sön­lich einen Orden an die Brust geheftet.
(B. Tra­ven – Das Totenschiff)

Der irrepa­ra­ble Mensch ist der Mensch, der das Cha­os hin­ter sich hat, und die Ord­nung in der Marot­te, in der Kon­ven­ti­on, in den Trös­tun­gen der Gewohn­heit, im Tic, in der Rou­ti­ne, im Stil fin­det. Er wird nichts mehr. Kul­ti­vier­te er frü­her viel­leicht noch das auf­klä­re­ri­sche Ide­al, das Ich-Gebil­de müs­se ste­tig, plau­si­bel, aus sich her­aus ent­wi­ckelt auf­stei­gen, so bla­miert das Selbst­bild im Knacks jede Vor­stel­lung einer sich ziel­ge­rich­tet ent­wi­ckeln­den Per­sön­lich­keit. Am Ende erweist er sich als allen­falls amüsierbar.
(Roger Wil­lem­sen – Der Knacks)

Unse­re Mei­nung, dass wir das ande­re ken­nen, ist das Ende der Lie­be, jedes­mal, aber Ursa­che und Wir­kung lie­gen viel­leicht anders, als wir anzu­neh­men ver­sucht sind – nicht weil wir das ande­re ken­nen, geht unse­re Lie­be zu Ende, son­dern umge­kehrt: weil unse­re Lie­be zu Ende geht, weil ihre Kraft sich erschöpft hat, dar­um ist der Mensch fer­tig für uns. Er muß es sein. Wir kön­nen nicht mehr! Wir kün­di­gen ihm die Bereit­schaft, auf wei­te­re Ver­wand­lun­gen ein­zu­ge­hen. Wir ver­wei­gern ihm den Anspruch alles Leben­di­gen, das unfaß­bar bleibt, und zugleich sind wir ver­wun­dert und ent­täuscht, dass unser Ver­hält­nis nicht mehr leben­dig sei. „Du bist nicht“, sagt der Ent­täusch­te oder die Ent­täusch­te, „wofür ich dich gehal­ten habe“. Und wofür hat man sich denn gehal­ten? Für ein Geheim­nis, das der Mensch ja immer­hin ist, ein erre­gen­des Rät­sel, das aus­zu­hal­ten wir müde gewor­den sind. Man macht sich ein Bild­nis. Das ist das Lieb­lo­se, der Verrat.
(Max Frisch – Tage­buch 1946–1949)

What if the water that came out of the show­er was trea­ted with a che­mi­cal that respon­ded to a com­bi­na­ti­on of things, like your heart­beat, and your body tem­pe­ra­tu­re, and your brain waves, so that your skin chan­ged color accor­ding to your mood? If you were extre­me­ly exci­ted your skin would turn green, and if you were angry you’d turn red, obvious­ly, and if you felt like shii­ta­ke you’d turn brown, and if you were blue you’d turn blue.
Ever­yo­ne could know what ever­yo­ne else felt, and we could be more careful with each other, becau­se you’d never want to tell a per­son who­se skin was pur­ple that you’­re angry at her for being late, just like you would want to pat a pink per­son on the back and tell him, „Con­gra­tu­la­ti­ons!“
Ano­ther reason it would be a good inven­ti­on is that the­re are so many times when you know you’­re fee­ling a lot of some­thing, but you don’t know what the some­thing is. Am I frus­tra­ted? Am I actual­ly just pani­cky? And that con­fu­si­on chan­ges your mood, it beco­mes your mood, and you beco­me a con­fu­sed, gray per­son. But with the spe­cial water, you could look at your oran­ge hand and think, I’m hap­py! That who­le time I was actual­ly hap­py! What a relief!
(Jona­than Safran Foer – Extre­me­ly Loud & Incre­di­bly Close)

Wünschst du dir nicht auch manch­mal, du fän­dest eine Insel? Wenn du dich schla­fen legst und das nicht kannst, wenn du durch Stra­ßen einer Groß­stadt gehst, wenn du in frem­de Augen blickst, dann tust du es viel­leicht. Ein Ort, der nir­gend­wo ver­zeich­net ist, ein Platz fern­ab vom trau­ri­gen Gewühl, ein Unter­schlupf, der dich mit Kraft ver­sorgt, mit Glück und Mut und Eupho­rie, ja ein Idyll, das nur für dich dein Eden ist. Suchst du das auch?
In all dem Cha­os die­ser Welt, da fand ich eine Insel. Wenn­gleich sie kei­nen Gold­schatz birgt, so über­trifft sie doch an Reich­tum alles ande­re auf die­ser Welt. Ein Eiland fand ich und erkor es mir zum Para­dies. Nichts hat je so gro­ßen Wert gehabt wie die­ses klei­ne Stück­chen Land; weder König­rei­che, Staa­ten noch die größ­ten Dynas­tien besa­ßen jemals so viel Ein­fluss wie die­ser unschein­ba­re Fleck. Als eine Art Schiff­brü­chi­ger bin ich durch puren Zufall hier gestran­det, doch für nichts auf die­ser Erde gin­ge ich hier jemals wie­der fort.
Es wird nach mir gesucht wer­den, denn man wird mich ret­ten wol­len, fürch­te ich, doch mei­ne Ret­tung habe ich bereits gefun­den, sie liegt hier und nir­gends sonst. Man wird mich für ver­lo­ren erklä­ren und nie erfah­ren, wie falsch man doch in Wahr­heit liegt, denn alles, was es sich zu fin­den lohn­te, fin­de ich allei­ne hier. Kraft einer glück­li­chen Strö­mung setz­te ich einen Fuß auf die­sen Strand. Was ich hier fand, das ist ein Eiland weit, allein im Meer, das ich zu mei­ner Hei­mat nahm, weil eine bes­se­re die Welt mir nie­mals bie­ten kann. Was ich hier fand, bedeu­tet für mich alles, wofür es sich zu leben lohnt.
Ist es Iso­la­ti­on, mich nun an die­sen Ort zurück­zu­zie­hen? Viel­leicht ver­schlie­ße ich die Augen vor dem Rest der Welt, doch hier erst wuch­sen mir die Augen, dank derer mir die Welt beach­tens­wert erscheint. Hier erst neh­me ich die Far­ben wahr, in denen schil­lernd alles strahlt, wäh­rend sich doch mei­ne Umwelt vor­mals oft genug in Grau ertrank. Es ist kei­ne Flucht, kein Eska­pis­mus, wie manch Zyni­ker viel­leicht behaup­ten mag, wenn ich mich auf die­ser Insel nun häus­lich ein­rich­te. Sie gibt mir jene Kraft, der Welt mit offe­nen Augen ent­ge­gen­tre­ten zu kön­nen, sie aus­zu­hal­ten, so wie sie ist. Sie kann einen nicht län­ger erschüt­tern, nicht mehr bedrän­gen, sie kann einen nie wie­der aus der Bahn wer­fen, jene Welt, wenn man die­ses Eiland erst ein­mal für sich gefun­den hat, das allen Gewal­ten so stand­haft trotzt.
Kei­ne Legen­den und kei­ne Erzäh­lun­gen ver­mö­gen die Ein­zig­ar­tig­keit die­ses wun­der­ba­ren Ortes ange­mes­sen zu beschrei­ben, er ist undenk- und nicht mal vor­stell­bar, solan­ge man nicht selbst sein Leben hier ver­bringt. All jene Belang­lo­sig­kei­ten, nach denen ein Mensch im Lau­fe sei­nes Lebens strebt, ver­lie­ren voll­ends an Bedeu­tung, wenn man die Wun­der die­ser Insel kennt, all ihre Schön­heit, wenn man Fuß auf sie gesetzt, sie bloß ein­mal betre­ten hat. Es gibt hier alles, was ein Mensch zum Über­le­ben braucht, zum Leben gar, nicht bloß zum Existieren.
Was ich hier fand, ist eine Insel jen­seits aller Schiff­fahrts­rou­ten. Ein Stück der Welt, das kei­ne Kar­te offen­bart, weil sich das Land hier nicht ver­mes­sen lässt. Ein Platz, der kei­ne Gren­zen kennt, der kei­ne Mau­ern hat und kei­ne Grä­ben zieht, der blin­de Orts­kennt­nis ver­langt und an zwei Tagen nie der glei­che ist. Ein Land so weit von aller Zivi­li­sa­ti­on. Kei­ne Armeen, kei­ne Legio­nen, kei­ne Heer­scha­ren die­ser Welt, wie groß und mäch­tig sie auch sein mögen, wer­den im Stan­de sein, auf die­ser Insel jemals ein­zu­fal­len und damit alles zu zer­stö­ren. Sie haben es ver­sucht und sie sind jedes Mal geschei­tert. Wäh­rend die größ­ten Rei­che unter­ge­hen, hat die­ses Eiland hier bestand. Auf die­ser Insel lebt, was all­seits sonst bereits im Ster­ben liegt. Hier wächst, was auf dem Rest der Welt verdorrt.
Ent­ge­gen einer kal­ten Welt, die mehr und mehr in Arg­wohn zu ver­sin­ken droht, ist die­ses Eiland hier ein Ort der Wär­me und des völ­li­gen Ver­trau­ens. Immer und immer wie­der gelingt es den Eigen­ar­ten die­ser Insel, mir ein herz­li­ches Lächeln ins Gesicht zu zeich­nen, und noch in den dun­kels­ten Stun­den der Trau­er fin­de ich hier etwas, das mich die gan­ze Welt umar­men, das sie lie­bens­wert erschei­nen lässt. Alles, was es wert ist, gewusst zu wer­den, habe ich hier gelernt und ler­ne ich hier noch heu­te. Es gibt Din­ge, die so wun­der­voll beschaf­fen sind, dass man gar nicht mehr bemerkt, wie man lau­fend älter wird und eines Tages ster­ben muss, die sogar so uner­hört bezau­bernd sind, dass man ent­ge­gen aller land­läu­fi­gen Furcht das Älter­wer­den und sogar das Ster­ben als etwas Gutes betrach­tet, als Voll­endung sei­nes Lebens, weil man rund­um glück­lich ist.
Nichts auf die­ser Welt ist es wert, hier jemals wie­der fort­zu­ge­hen, weil kei­ner, der sie je betrat, ver­ges­sen kann, was die­se Insel einem offe­riert. Was ich bis­her mein Leben genannt habe, die­ses Dasein, die­se blo­ße Exis­tenz, wur­de erst zu einem Leben, als ich die­sen Ort hier fand. Mein Eiland, das bist du.

Man braucht nur eine Insel
allein im wei­ten Meer.
Man braucht nur einen Menschen,
den aber braucht man sehr.
(Mascha Kaléko)