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Deine Schwächen gehören mir. Ich habe Dich unermüdlich beobachtet und sie nach und nach entdeckt. Ich leide darunter, daß Du sie hast, aber ich würde nicht wollen, daß Du Dich änderst. Ich erwähne sie Dir gegenüber manchmal mit einem Lächeln. Ich möchte Dich nicht kränken, Dir auch keine Ratschläge geben. Ich möchte, daß Du weißt, was ich weiß; und ich wünschte, statt zu versuchen, Dich anders zu geben, als Du bist, würdest Du mir all Deine kleinen Häßlichkeiten zeigen. Ich würde sie lieben, denn sie wären ganz mein. Die anderen würden sie nicht kennen, und dadurch wären wir außerhalb der Welt verbunden. Nichts ist liebenswerter als die Schwächen und Fehler: Durch sie dringt man zur Seele des geliebten Menschen vor, der Seele, die sich in dem Wunsch, wie alle anderen zu erscheinen, ständig verbirgt. Es ist wie bei einem Gesicht. Die anderen sehen nur ein Gesicht; doch man selbst weiß, an welcher Stelle genau die Kurve der Nase, statt ihre ideale Linie fortzusetzen, unmerklich bricht, um eine gewöhnliche Nase zu bilden; man weiß, daß die Poren der Haut aus der Nähe grob und schwarz sind; man hat den Fleck in den Augen gefunden, der mitunter den Blick erlöschen läßt, und den Millimeter zuviel, den die Lippe aufweist, um noch vornehm zu sein. Diese kleinen Makel möchte man lieber küssen als das Vollkommene, weil sie so arm sind und gerade sie es ausmachen, daß dieses Gesicht nicht das eines anderen ist.
Marcelle Sauvageot – Fast ganz die Deine