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Heute Morgen schloss ich eine Tür, obwohl ich wusste, sie wird sich nie wieder für mich öffnen. Manche Türen verschließen ein Zimmer, manche Türen verschließen ein Haus. Diese hier verschließt eine ganze Welt. Die Dielen knarzten, als ich in den Flur trat, ich schlich fast sanft darauf herum, sie sollten dich nicht wecken, auch wenn ein Teil von mir ganz heimlich hoffte, sie würden es doch, du stündest auf und alles wäre gut. Ich zog meine Jacke an und schaute in deine Richtung, ich ließ mir Zeit, blickte auf mein Handy, prüfte alle Taschen, legte meinen Schal um. Es war ein Abschied auf Raten, aber erst die Hand an der Tür ließ ihn wirklich offiziell werden, jener Moment, in dem sie hinter mir ins Schloss fiel, ein für alle Mal, quietschend und zäh, als würde sie es sich noch einmal überlegen. Wo bislang stets ein Durchgang gewesen ist, ein Tunnel zwischen den Welten, war nun bloß eine Fortsetzung der Wand. Als ich im Treppenhaus nach unten ging, war es der Abstieg vom Glück. Ich hätte dich zum Abschied gerne noch geküsst.

Letzte Nacht war ich dir so nah, und doch hättest du nicht unerreichbarer sein können. Das Mondlicht fiel fragend durch ein Fenster oder vielleicht waren es bloß die schimmernden Straßenlaternen vor deinem Haus, aber was immer es auch war, Erleuchtung brachte es nicht. Hin und wieder fuhr ein Auto vorbei, zu schnell und mit grölender Musik, und dann war es für einen Augenblick dort draußen so laut wie in meinem Kopf. Wenn ich die Augen schloss, erschienst du mir, du tanztest quer durch meine Phantasie, nahmst jede Kammer meiner Welt, deine Stimme besetzte mein Ohr. Ich sprach mit dir zum allerletzten Mal, als du müde aus dem Badezimmer kamst, dein Kater saß schnurrend neben mir, da huschtest du lautlos an uns vorbei, du schautest mich nicht an, ich weiß nicht, warum. Geschlafen habe ich in dieser Nacht kaum, und wenn doch, dann träumte ich von dir.

Ich schloss die Tür und ging, nun stehe ich verloren in der U-Bahnstation. Eine Fastnachtskapelle stapft fröhlich die Treppen herunter und spielt das traurigste Lied der Welt, nicht weil es selbst traurig ist, sondern ich. Von rechts braust endlich der Zug ins Ungewisse heran, kommt mit Getöse zum Stehen, dann steige ich ein, wir rollen ins Nichts. Hinter mir im Wagen sitzt ein Mädchen und weint. Ich fahre mit der U-Bahn durch die Stadt, bestimmt ein paar Stunden; Menschen kommen und gehen, wie Landschaften ziehen sie vorbei, verwischt und unscharf, mein Fokus ruht immerfort auf dir. Irgendwann bin ich es leid, verlasse irgendwo den Zug und trotte in den Großstadtschluchten herum, apathisch und ziellos, hungernd nach Leben. Giganten aus Glas säumen meinen Weg und blicken unberührt auf mich herab. Eine Kioskverkäuferin sagt, es sei ein wunderschöner Tag, dabei lächelt sie mich an, sie meint es ernst. Auf dem Heimweg gerate ich in Schneeregen, der die Welt mit unschuldigem Weiß bedeckt, so als wäre alles gut, doch in mir ist es dunkel. Um die Sehnsucht zu übertönen, höre ich Musik, und der Zufall wählt ein Lied von Element of Crime – natürlich trägt es deinen Namen. Alles wirkt zunehmend surreal und ich verstehe, genau deswegen ist es Wirklichkeit.

Wenn ich auch traurig bin, gibst du mir doch Kraft, da ich nun weiß, dass du dort draußen bist und lebst und lachst und dafür einstehst, woran du glaubst, mit großem Herzen und so unbeirrt wie Sisyphos am Hang. Mein ganzes Leben habe ich nach dir gesucht, dich vermisst, das wurde mir mit voller Wucht bewusst, als ich langsam aus der Wohnung trat. Jemanden wie dich findet man nur ein Mal oder nie. Die großen Träume blieben hinter deiner Tür zurück, sie dringen bloß noch als Gespenster durch die Wand. Mein Kopf lebt immer noch bei dir, wenn du ihn findest, stell ihn bitte vor die Tür, der Rest ging irgendwo verloren. Die Zukunft wird Vergangenheit, die Gegenwart verfliegt. Nichts ist so vergänglich wie das Wunderbare, lebendig wäre alles nur mit dir.

Du weißt das nicht, weil ich am Morgen durch die Tür gegangen bin, als du noch tief und fest geschlafen hast.

Weißt du, was mir das Herz zerreißt, jeden Morgen, wenn ich aufstehe, und jeden Abend, wenn ich mich schlafen lege? Ich fühle mich, als hätte mich ein Lastwagen angefahren, und nicht nur das, als sei der Fahrer hastig ausgestiegen, um sich das Unglück näher anzusehen, hätte sich wieder hinters Lenkrad begeben, kalt den Rückwärtsgang gewählt und mich erbarmungslos zerquetscht, womit er schließlich noch ganz sicher gehen will, dass ich von hier nie wieder aufstehen würde. Während es mir das Herz zerreißt, zerreißt du nur meine Briefe, als wären es längst beglichene Schuldscheine aus einer klammeren Vergangenheit. Überhaupt behandelst du mich, als sei es eine ruinöse Quartalsabrechnung, die du nun mit mir durchführen musst, eine emotionale Insolvenz, die mit den Worten endet: Wir müssen Sie leider entlassen, aber nehmen Sie es bitte nicht persönlich. Ja, wie denn sonst?
Du konntest so schnell Anschluss finden, nachdem wir auseinander brachen. Wenige Stunden danach kehrtest du zurück zum unbeschwerten Tagesgeschäft, du trafst dich mit deinen Freundinnen und Freunden, du konntest lachen und du gingst abends fröhlich aus, so als hätte es diese Verbindung zwischen uns niemals gegeben. Mich hingegen warf es aus der Bahn, tagelang aß ich nicht genug, wochenlang schlief ich nicht sehr viel, monatelang war ich eine andere Person und noch für Jahre wirst du in Gedanken immer bei mir sein. Für dich aber war es, als würdest du umsteigen. Du verließt den Zug, mit dem du bis hierher gekommen warst, und wo dieser Zug ohne dich dann hinfahren würde, was weiterhin mit ihm geschah, das war dir egal, denn du stiegst bloß in einen neuen. Kein Blick zurück, für dich war jeder Zug so gut wie jeder andere, und falls der alte Zug entgleist, nachdem du ausgestiegen bist, dann umso besser, dass du ihn rechtzeitig verlassen hast. Es riss mir den Boden unter den Füßen weg, doch du standst da wie eine Wächterstatue, gleichmütig und unerschütterlich. Tag um Tag starrte ich für Stunden auf das Postfach meiner Mails, jede SMS, die ich bekam, versetzte meinem Herzen einen hoffnungsfrohen Schock, und wenn es klingelte, dann rannte ich zur Tür. Ich wusste, ich wartete vergebens, denn du warst schon längst weitergezogen, und dennoch konnte ich nicht aufhören, vergebens auf dich zu warten. Meine Gefühle kochten über und du nahmst deine ungerührt vom Herd, du stelltest sie nicht einmal auf die Warmhalteplatte. Du sagtest zu mir mit naiver Ernsthaftigkeit in der Stimme, ich solle meine Gefühle für dich ganz einfach vergessen, und du konntest und kannst noch immer nicht verstehen, wie ich, wie irgendjemand Gefühle hegen kann, die sich nicht einfach wie das Licht beliebig ein- und ausschalten lassen. Einfach, für dich war alles einfach. Wie machst du das und wie konntest du je lieben, wenn du Emotionen so stark unter rationale Kontrolle zwingst?
In deinen Augen haben wir uns zu unversöhnlichen Gegenspielern entwickelt. Was zwischen uns geschah, das ist für dich zu einer Übung in Logik verkommen, ein Debattierclub zu zweit, in dem gewinnt, wer seinen Gegner argumentativ zu Boden wirft. Du bist darin verbissen unerbittlich, weil du die Deutungshoheit über das Geschehene verlangst. Wir waren für den jeweils anderen zu tragenden Wänden seines Lebens geworden, und während mein Haus nun in den Trümmern des Vergangenen liegt, hast du sie eingerissen, als wären sie aus Pappmaché. Mit rücksichtsloser Präzision platziertest du Sprengstoff an allen Brücken, die wir uns zuvor mit Mühe erbaut hatten, damit die Welt für uns begehbar war, und als sie am Ende hinter dir zerfielen, stand ich noch immer drauf. Du hättest all das nie so ernst genommen, sagst du heute kalt zu mir, weil es von Anfang an mir wichtiger gewesen sei als dir, was wir uns beide dort errichteten, und bekenne ich dir dann, dass du für mich auf ewig unvergleichbar bleiben wirst, erwiderst du in knappem Ton, du seist doch bloß wie all die anderen. Hast du die Liebe je verstanden?
Ich verkrieche mich in mir selbst, während du so beiläufig neue Kontakte knüpfst, als wäre nichts geschehen, als wäre dir jeder beliebige Mensch genug, um mich ganz gleichgültig zu ersetzen. Während du für mich die eine Schneeflocke bist, die ich kein zweites Mal auf dieser Erde finden werde, wurde ich für dich zu einem austauschbaren Wassertropfen, der völlig unsichtbar im Meer vergeht. All die Eigenheiten unserer Beziehung, die mir für uns so exklusiv erschienen, die kleine Welt, die einmal unsere eigene war, teilst du so unbekümmert mit mir Unbekannten, als hätte sie dir nie etwas bedeutet. Jene Magie, die einmal zwischen uns bestand und die noch immer in mir wirkt, ist nun für dich bloß fauler Zauber, an dem du dich mit einer Verve vergehst, die mir zerstörerisch erscheint. Was dir einst wichtig war und mir stets ist, das ist für dich wie ausgelöscht. Du tust, als sei da kein Gefühl, und dieser Part liegt dir so gut, dass ich mich manchmal frage, ob das nun wirklich Schauspiel ist oder ob Liebe denn für dich schon immer bloß die Rolle war. Was mir das Herz zerbricht, das ist, dass deines keinen Kratzer trägt.

Man kann einem Menschen nichts Schlimmeres antun, als ihm zu sagen, man habe sich in ihn verliebt. Das gilt natürlich nur, wenn die Gefühle nicht auf Gegenseitigkeit beruhen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man mit allem anderen davonkommt, bloß nicht mit dem schlimmsten aller möglichen Geständnisse, dem Geständnis der Liebe.

Ich habe Freunde beleidigt und einigen Menschen die hässlichsten Wörter an den Kopf geworfen, die man sich nur vorstellen kann, ich habe sie verletzt, vernachlässigt, verraten, enttäuscht und angeschwärzt, aber es brauchte nur ein wenig Zeit, eine Entschuldigung, ein gutes Wort, das andere für mich einlegten, oder eine Art der Wiedergutmachung, damit sie mir meine Taten schließlich doch wieder verziehen.

Alles wurde mir vergeben, keine Beleidigung war zu groß, keine Enttäuschung zu hart, um letzten Endes nicht darüber hinwegsehen zu können. Ich war ein Lügner, ein Betrüger, ein Schläger. Einmal wäre ich sogar fast zum Mörder geworden. Ich ging fremd, ich war ein lausiger Freund und ich habe Menschen um ihr Geld gebracht, doch alle meine bösen Taten, so schlimm sie auch waren, konnte ich irgendwie wieder geradebiegen. Es blieb kein ernsthafter Schaden zwischen mir und diesen Leuten zurück. Im schlimmsten Fall ging man auf separaten Pfaden seiner Wege, ohne sich aber im Bösen voneinander zu trennen, ohne den Anderen von nun an nicht länger im eigenen Leben wissen zu wollen.

Mit allem kam ich durch, nur nicht mit dem einen. Gestehe jemandem deine Liebe und er wird dich fortan meiden, er wird mit dir nicht mehr reden wollen, er wird sich weiter und weiter von dir distanzieren und deine Anwesenheit wird ihm Unwohlsein bereiten. Eine Liebeserklärung besitzt mehr destruktives Potential als alle bösartigen Verhaltensweisen, denn keine von ihnen verfügt über die geballte Zerstörungskraft einer emotionalen Zuwendung.

Was soll man davon halten, wenn das eigentlich Gute so viel Schlechtes mit sich bringt, während das Böse keine nennenswerten Folgen nach sich zieht, weil es von denjenigen, auf die es zielt, offenbar leichter zu verkraften ist. Es heißt, im Krieg und in der Liebe sei alles erlaubt. Ist eine Liebes- somit eine Kriegserklärung? Vielleicht also sollte ich einfach aufhören, andere Menschen zu lieben, und sie stattdessen bloß noch wie Dreck behandeln. Damit kommen sie zurecht. Nur nicht mit der Liebe.