Öko­no­mi­sches, kul­tu­rel­les und sozia­les Kapital

Im Kon­text des Habi­tus­kon­zepts und der Bour­dieu­schen Milieu­for­schung ist von öko­no­mi­schem, kul­tu­rel­lem sowie sozia­lem Kapi­tal die Rede. Um die­se ver­schie­de­nen For­men des Kapi­tals, die bei Bour­dieu zur Spra­che kom­men, zu betrach­ten, ist es zunächst ein­mal wich­tig, den Begriff des Kapi­tals gene­rell zu defi­nie­ren. Bour­dieu spricht von Kapi­tal als „akku­mu­lier­te Arbeit, ent­we­der in Form von Mate­ri­al oder in ver­in­ner­lich­ter, »inkor­po­rier­ter« Form“ (Bour­dieu, 1992b, S. 49).

Im Gegen­satz zu einer ver­en­gen­den Betrach­tungs­wei­se, die jeg­li­che Kapi­tal­for­men jen­seits des öko­no­mi­schen Kapi­tals als sol­ches schlicht ver­kennt, iden­ti­fi­ziert Bour­dieu neben dem öko­no­mi­schen Kapi­tal auch kul­tu­rel­les sowie sozia­les Kapital.

Die Betrach­tung der Gesell­schaft unter rein öko­no­mi­schen Gesichts­punk­ten igno­riert die sym­bo­li­sche Logik der Distink­ti­on und die Effek­te des kul­tu­rel­len Kapi­tals, die den Besit­zern eines umfang­rei­chen Kul­tur­ka­pi­tals auf Grund des­sen Sel­ten­heits­werts beson­de­re Pro­fi­te wie etwa schu­li­sche Bil­dungs­er­fol­ge ermöglichen:

„D. h., der­je­ni­ge Teil des Pro­fits, der in unse­rer Gesell­schaft aus dem Sel­ten­heits­wert bestimm­ter For­men von kul­tu­rel­lem Kapi­tal erwächst, ist letz­ten Endes dar­auf zurück­zu­füh­ren, daß nicht alle Indi­vi­du­en über die öko­no­mi­schen und kul­tu­rel­len Mit­tel ver­fü­gen, die es ihnen ermög­li­chen, die Bil­dung ihrer Kin­der über das Mini­mum hin­aus zu ver­län­gern, das zu einem gege­be­nen Zeit­punkt für die Repro­duk­ti­on der Arbeits­kraft mit dem gerings­ten Markt­wert erfor­der­lich ist“ (ebd., S. 57f).

Hier­bei wird anhand des kul­tu­rel­len Kapi­tals bereits deut­lich, dass die drei genann­ten Kapi­tal­ar­ten gesell­schaft­lich ungleich ver­teilt sind, wobei deren Ver­tei­lungs­struk­tur „der imma­nen­ten Struk­tur der gesell­schaft­li­chen Welt“ (ebd., S. 50) ent­spricht, sodass die „unglei­che Ver­tei­lung von Kapi­tal (…) somit die Grund­la­ge für die spe­zi­fi­schen Wir­kun­gen von Kapi­tal“ (ebd., S. 58) bil­det. Auf die­ser Grund­la­ge ist sozia­le Her­kunft „als Ver­ket­tung von Merk­ma­len der sozio­öko­no­mi­schen Stel­lung, des kul­tu­rel­len sowie des sozia­len Kapi­tals zu ver­ste­hen“ (Bau­mert & Maaz, 2006, S. 24), die sozia­le Ungleich­hei­ten abbil­den: „Durch die Ver­knüp­fung und Kor­re­la­ti­on der ver­schie­de­nen Kapi­tal­ar­ten erfolgt eine Kumu­la­ti­on von Vor- bzw. Nach­tei­len in den ver­schie­de­nen sozia­len Klas­sen“ (Jung­bau­er-Gans, 2004, S. 377). Ein gewich­ti­ger Vor­teil die­ser Ope­ra­tio­na­li­sie­rung sozia­ler Her­kunft ist der Umstand, dass mit Blick auf Kapi­tal­zu­sam­men­set­zung, -wir­kung und den dar­aus resul­tie­ren­den Habi­tus eine Per­spek­ti­ve ein­ge­nom­men wird, die sich nicht auf abs­trak­te Kate­go­rien und Struk­tur­merk­ma­le beschränkt, son­dern eben­so Pro­zess­merk­ma­le beleuch­tet und kon­kre­te Eigen­hei­ten wie die Zusam­men­set­zung des Freun­des­krei­ses, Frei­zeit­be­schäf­ti­gun­gen oder Erzie­hungs­sti­le beinhal­tet (vgl. Krais, 2004; Water­mann & Bau­mert, 2006; Bra­ke & Büch­ner, 2009).

Das kul­tu­rel­le Kapi­tal kann als Bil­dung und Hand­lungs­wis­sen in jed­we­der Form, über das eine Per­son ver­fügt, beschrie­ben wer­den und lässt sich in die drei Unter­for­men des inkor­po­rier­ten, objek­ti­vier­ten und insti­tu­tio­na­li­sier­ten Kul­tur­ka­pi­tals differenzieren.

Das inkor­po­rier­te Kul­tur­ka­pi­tal bezeich­net die ver­in­ner­lich­te Form des Kul­tur­ka­pi­tals, es „wird in per­sön­li­cher Bil­dungs­ar­beit erwor­ben und kann am ehes­ten als kogni­ti­ve Kom­pe­tenz und ästhe­ti­scher Geschmack beschrie­ben wer­den“ (Jung­bau­er-Gans, 2004, S. 377). Die Vor­aus­set­zung für jeg­li­che Inkor­po­rie­rung ist eine per­sön­li­che Inves­ti­ti­on von Zeit, die auf­zu­brin­gen sowohl der jewei­li­ge Akteur als auch des­sen Fami­lie (öko­no­misch) in der Lage sein müs­sen, denn die Akku­mu­la­ti­on des kul­tu­rel­len Kapi­tals und damit des­sen indi­vi­du­el­le Effek­ti­vi­tät „hängt viel­mehr auch davon ab, wie­viel nutz­ba­re Zeit (…) in der Fami­lie zur Ver­fü­gung steht, um die Wei­ter­ga­be des Kul­tur­ka­pi­tals zu ermög­li­chen und einen ver­zö­ger­ten Ein­tritt in den Arbeits­markt zu gestat­ten“ (Bour­dieu, 1992b, S. 72), wes­we­gen sich hier Vor­tei­le für öko­no­misch gut­si­tu­ier­te Fami­li­en erge­ben. Als sinn­volls­tes Maß für inkor­po­rier­tes Kul­tur­ka­pi­tal bezeich­net Bour­dieu die gesam­te Dau­er des Bil­dungs­er­werbs, also die­je­ni­ge Zeit, in wel­cher auf dem Wege sozia­ler Ver­er­bung Kul­tur­ka­pi­tal wei­ter­ge­ge­ben wird, wobei hier sehr dar­auf zu ach­ten ist, die­se nicht fälsch­li­cher­wei­se auf die Schul­zeit zu redu­zie­ren, da ansons­ten erneut – wie bei der rein öko­no­mi­schen Betrach­tungs­wei­se – die Trans­mis­si­on des kul­tu­rel­len Kapi­tals in der Fami­lie kom­plett unbe­rück­sich­tigt blie­be (vgl. ebd., S. 56). Da sich die her­kunfts­spe­zi­fi­schen und schul­spe­zi­fi­schen Bil­dungs­in­hal­te aller­dings durch­aus wider­spre­chen kön­nen, ist somit die Zeit der Pri­mär­er­zie­hung, die für die Ver­mitt­lung kul­tu­rel­ler Prak­ti­ken auf­ge­wen­det wur­de, „je nach dem Abstand zu den Erfor­der­nis­sen des schu­li­schen Mark­tes ent­we­der als posi­ti­ver Wert [in Rech­nung zu stel­len], als gewon­ne­ne Zeit und Vor­sprung, oder als nega­ti­ver Fak­tor, als dop­pelt ver­lo­re­ne Zeit, weil zur Kor­rek­tur der nega­ti­ven Fol­gen noch­mals Zeit ein­ge­setzt wer­den muß“ (ebd., S. 56) – für den Schul­erfolg irr­re­le­van­te Pra­xen wer­den somit aus Per­spek­ti­ve der legi­ti­men Kul­tur als Fehl­in­ves­ti­tio­nen betrachtet.

Das ein­mal inkor­po­rier­te Kul­tur­ka­pi­tal wird unwei­ger­lich zum fes­ten Bestand­teil der Per­son und formt ihren Habi­tus, bleibt dabei aber stets von den Umstän­den der ers­ten Aneig­nung geprägt (vgl. ebd., S. 56f), wor­an ersicht­lich wird, wel­chen nach­hal­ti­gen Ein­fluss die her­kunfts­spe­zi­fi­sche Kapi­tal­zu­sam­men­set­zung und die Ver­er­bung die­ses Kapi­tals auf den indi­vi­du­el­len Habi­tus und schließ­lich die schu­li­schen Erfol­ge aufweist.

Dem­ge­gen­über stellt objek­ti­vier­tes Kul­tur­ka­pi­tal, so wie ein Buch, ein Bild, ein Com­pu­ter oder ein Instru­ment, eine auto­no­me, mate­ri­ell über­trag­ba­re Form von Kul­tur­ka­pi­tal dar (vgl. ebd., S. 59). Es kann belie­big unmit­tel­bar wei­ter­ge­ben, ver­schenkt, ver­erbt und gekauft wer­den, wofür ledig­lich eine öko­no­mi­sche Inves­ti­ti­on nötig ist. Durch die­sen Umstand ist das objek­ti­vier­te Kul­tur­ka­pi­tal sehr eng an das öko­no­mi­sche Kapi­tal gebun­den. Die Aneig­nung des objek­ti­vier­ten Kul­tur­ka­pi­tals, die es erst als Kapi­tal wirk­sam wer­den lässt, setzt aller­dings anknüp­fungs­fä­hi­ges inkor­po­rier­tes kul­tu­rel­les Kapi­tal vor­aus – ein Buch bleibt eine blo­ße Blät­ter­samm­lung, solan­ge nicht inkor­po­rier­tes Kul­tur­ka­pi­tal in Form der Lese­fä­hig­keit vorliegt.

Eine gewis­se Objek­ti­vie­rung wie­der­um erfährt das inkor­po­rier­te Kul­tur­ka­pi­tal durch die Form des insti­tu­tio­na­li­sier­ten kul­tu­rel­len Kapi­tals, das in Gestalt von zu ver­ge­be­nen schu­li­schen bzw. aka­de­mi­schen Titeln exis­tiert. Die insti­tu­tio­na­li­sier­te Form des Kul­tur­ka­pi­tals stellt damit eine offi­zi­el­le Aner­ken­nung und Legi­ti­mie­rung des inkor­po­rier­ten Kul­tur­ka­pi­tals dar und ist „ein Zeug­nis für kul­tu­rel­le Kom­pe­tenz, das sei­nem Inha­ber einen dau­er­haf­ten und recht­lich garan­tier­ten kon­ven­tio­nel­len Wert über­trägt“ (ebd., S. 61). Ein der­ar­ti­ges Zeug­nis legi­ti­miert damit nicht nur die fami­liä­re Ver­er­bung kul­tu­rel­len Kapi­tals und die dadurch erzeug­ten sozia­len Ungleich­hei­ten, son­dern beschei­nigt dem Absol­ven­ten einer aner­kann­ten Bil­dungs­ein­rich­tung zudem dau­er­haft, was der Auto­di­dakt stän­dig bewei­sen muss, wobei die ein­zi­ge Dif­fe­renz zwi­schen bei­den Akteu­ren ihre Ent­spre­chung mit und ihre Unter­wer­fung unter die als legi­tim erach­te­ten Bil­dungs­in­sti­tu­tio­nen ist, womit durch insti­tu­tio­nel­le Sank­tio­nen blei­ben­de und für die wei­te­ren Lebens­we­ge höchst rele­van­te Gren­zen pro­du­ziert wer­den, da sie eine wesens­mä­ßi­ge Unter­schei­dung zwi­schen offi­zi­ell aner­kann­tem und durch den Bil­dungs­ti­tel nach­ge­wie­se­nem bzw. garan­tier­tem Kul­tur­ka­pi­tal auf der einen sowie nicht offi­zi­ell aner­kann­tem Kul­tur­ka­pi­tal auf der ande­ren Sei­te voll­zie­hen (vgl. ebd., S. 62; Sol­ga, 2005). An die­ser Stel­le sei erneut auf die damit ein­her­ge­hen­de Abwer­tung all­tags­re­le­van­ter Pra­xen ver­wie­sen, wenn die­se nicht den schu­li­schen (und damit herr­schen­den) Vor­stel­lun­gen legi­ti­mer Kul­tur entsprechen.

Sozia­les Kapi­tal wie­der­um defi­niert Bour­dieu als „die Gesamt­heit der aktu­el­len und poten­ti­el­len Res­sour­cen, die mit dem Besitz eines dau­er­haf­ten Net­zes von mehr oder weni­ger insti­tu­tio­na­li­sier­ten Bezie­hun­gen gegen­sei­ti­gen Ken­nens oder Aner­ken­nens ver­bun­den sind“ (Bour­dieu, 1992b, S. 63). Die­se Res­sour­cen, die über das Netz poten­ti­ell erschlos­sen wer­den kön­nen, umfas­sen sowohl öko­no­mi­sches (bei­spiels­wei­se in Form von Kre­di­ten oder ander­wei­ti­ger finan­zi­el­ler Unter­stüt­zung), kul­tu­rel­les (bei­spiels­wei­se als Zugang zu objek­ti­vier­tem Kul­tur­ka­pi­tal) als auch wei­te­res sozia­les Kapi­tal (‚ein Freund eines Freun­des‘), das „nicht in der direk­ten Ver­fü­gung des Indi­vi­du­ums“, son­dern „an die Exis­tenz ande­rer Per­so­nen gebun­den“ (Holl­stein, 2007, S. 53) ist. Das Netz dient hier­bei als Mul­ti­pli­ka­tor, sodass letzt­lich das für einen Akteur tat­säch­lich ver­füg­ba­re Kapi­tal nicht bloß das direkt zugäng­li­che, son­dern zudem das über das Netz­werk akti­vier­ba­re Kapi­tal ein­schließt (Bour­dieu, 1992b, S. 64). Mit der Grö­ße des jewei­li­gen sozia­len Net­zes und der sozia­len Posi­ti­on der Gegen­über kor­re­liert somit der Umfang des eige­nen Gesamt­ka­pi­tals, wobei qua­li­ta­ti­ve Stär­ke durch­aus Vor­rang vor quan­ti­ta­ti­vem Aus­maß des Net­zes ein­nimmt (vgl. Mewes, 2010).

Die unter­schied­li­chen Kapi­tal­ar­ten sind, wie bereits ange­schnit­ten, unter­ein­an­der kon­ver­tier­bar und stets mit­ein­an­der ver­wo­ben, sodass kei­ne Kapi­tal­art als von den ande­ren Kapi­tal­ar­ten unab­hän­gi­ge ver­stan­den wer­den kann. Kul­tu­rel­le, sozia­le wie öko­no­mi­sche Res­sour­cen der Eltern bei­spiels­wei­se (oder auch der Peers) sind nur nütz­lich, wenn sie ent­spre­chend genutzt wer­den (kön­nen) und sozia­les Kapi­tal in Form von Bezie­hun­gen besteht, die eine sol­che Nut­zung erlau­ben und för­dern (vgl. All­men­din­ger, Ebner, & Niko­lai, 2007, S. 489). Inner­halb der Fami­lie wir­ken sich die Fami­li­en­struk­tur, die phy­si­sche Prä­senz und die För­der­kul­tur auf die schu­li­schen Leis­tun­gen eines Kin­des aus – besteht kein (regel­mä­ßi­ger) Kon­takt zu den Eltern oder fehlt eine sol­che För­der­kul­tur, kann das Kind kaum vom kul­tu­rel­len Kapi­tal der Eltern pro­fi­tie­ren (vgl. ebd.). Außer­halb der Fami­lie ist es die Peer­group und das unmit­tel­ba­re Milieu, das sich auf die Leis­tun­gen aus­wirkt. In- und außer­halb der Fami­lie las­sen sich das kul­tu­rel­le Kapi­tal und die kul­tu­rel­le Pra­xis nicht von den Sozi­al­be­zie­hun­gen und damit dem sozia­len Kapi­tal tren­nen. Bei nied­ri­gem for­ma­lem Bil­dungs­ni­veau kon­zen­trie­ren sich die sozia­len Bezie­hun­gen zudem vor­wie­gend auf Ver­wandt­schaft und Nach­bar­schaft (vgl. Die­wald & Lüdi­cke, 2007; Mewes, 2010), ein Zugriff auf kul­tu­rel­les Kapi­tal über gro­ße sozia­le Netz­wer­ke, wie sie für Milieus mit hoher for­ma­ler Bil­dung cha­rak­te­ris­tisch sind, wird damit erschwert bis unmöglich.

Anhand der Akku­mu­la­ti­on kul­tu­rel­len Kapi­tals in inkor­po­rier­ter Form wur­de bereits im Ansatz deut­lich, wie essen­ti­ell die Ver­füg­bar­keit öko­no­mi­schen Kapi­tals sich auf die zur Inkor­po­rie­rung ver­füg­ba­re Zeit aus­wirkt, da „ein Indi­vi­du­um die Zeit für die Akku­mu­la­ti­on kul­tu­rel­len Kapi­tals nur so lan­ge aus­deh­nen kann, wie ihm sei­ne Fami­lie freie, von öko­no­mi­schen Zwän­gen befrei­te Zeit garan­tie­ren kann“ (Bour­dieu, 1992b, S. 59), und auch Zeit, sich mit dem Kind zu beschäf­ti­gen, bedarf öko­no­mi­scher Sicher­heit, sich die­se Zeit ‚leis­ten‘ zu kön­nen. Das öko­no­mi­sche Kapi­tal erzeugt neben den unmit­tel­ba­ren öko­no­mi­schen Vor­tei­len ein Gefühl mate­ri­el­ler Sicher­heit und erlaubt den Zugriff auf und die Akku­mu­la­ti­on kul­tu­rel­len Kapi­tals, ist folg­lich sowohl direkt als auch indi­rekt für die Habi­tus­bil­dung ver­ant­wort­lich. Es liegt daher sowohl allen ande­ren Kapi­tal­ar­ten zugrun­de, muss aber gleich­zei­tig Trans­for­ma­tio­nen erfah­ren, wo die direk­te Ver­er­bung öko­no­mi­schen Kapi­tals als ille­gi­tim erschei­nen könn­te, um die­se Ver­er­bung zu ver­schlei­ern und zu legi­ti­mie­ren (vgl. ebd., S. 70ff) – eben als Ver­er­bung kul­tu­rel­len Kapi­tals. Wäh­rend die Ver­füg­bar­keit über öko­no­mi­sches Kapi­tal ver­gleich­bar offen­sicht­lich und quan­ti­fi­zier­bar ist, die Effek­te des kul­tu­rel­len Kapi­tals und des­sen Ver­er­bung aber ver­bor­ge­ner von­stat­ten­ge­hen und es häu­fig als Kapi­tal ver­kannt wird – so wird nicht sel­ten das inkor­po­rier­te kul­tu­rel­le Kapi­tal natu­ra­li­siert und als Intel­li­genz, Bega­bung, Talent dekla­riert – , muss fest­ge­hal­ten wer­den, „daß die Über­tra­gung von Kul­tur­ka­pi­tal zwei­fel­los die am bes­ten ver­schlei­er­te Form erb­li­cher Über­tra­gung von Kapi­tal ist“ (ebd., S. 58), denn „[d]er Umstand, daß kul­tu­rel­le Erschei­nun­gen immer auch als sinn­lich faß­ba­re Äuße­run­gen von Per­so­nen in Erschei­nung tre­ten, erweckt den Ein­druck, als sei Kul­tur die natür­lichs­te und die per­sön­lichs­te und damit also auch die legi­tims­te Form des Eigen­tums“ (Bour­dieu, 1992a, S. 27). Infol­ge­des­sen müs­sen auf­grund der Ungleich­ver­tei­lung des kul­tu­rel­len Kapi­tals und der gene­rel­len Hier­ar­chi­sie­rung von Kul­tur die „spe­zi­fi­schen Stra­te­gien, mit denen die ver­schie­de­nen sozia­len Klas­sen und deren Teil­frak­tio­nen ihre sozia­le Stel­lung erhal­ten oder zu ver­bes­sern stre­ben“ (Ves­ter, 2004, S. 27), genau­so wie die schu­li­sche Defi­ni­ti­on legi­ti­mer Kul­tur und die Abwer­tung davon abwei­chen­der sozia­ler Pra­xen als sozia­le Kämp­fe ver­stan­den werden.

In der sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Bil­dungs­for­schung fris­ten auf Bour­dieu und des­sen Kapi­tal- sowie Habi­tus­kon­zept auf­bau­en­de Ansät­ze bis­lang jedoch ein Schat­ten­da­sein (vgl. Kalt­hoff, 2004) oder wer­den bis­wei­len in einer Form umge­setzt, die kul­tu­rel­les Kapi­tal defi­ni­to­risch auf Hoch­kul­tur ver­kürzt (vgl. de Graaf & de Graaf, 2006; dazu kri­tisch Jung­bau­er-Gans, 2006). Zwar fin­det das Kon­zept des kul­tu­rel­len und sozia­len Kapi­tals in den die öffent­li­chen Debat­ten über Bil­dungs­chan­cen immer wie­der her­vor­ru­fen­den PISA-Stu­di­en durch­aus Anwen­dung, aller­dings wur­de in die­sen Ansät­zen die kul­tu­rel­le Pra­xis ledig­lich im Kon­text von PISA 2000 über Fra­gen nach Besitz von Kul­tur­gü­tern, zum kul­tu­rel­len Leben in der Fami­lie und zur Teil­ha­be der Schü­ler an For­men der Kul­tur bzw. der kom­mu­ni­ka­ti­ven Pra­xis ermit­telt (vgl. Bau­mert & Maaz, 2006; Bau­mert, 2001; Water­mann & Bau­mert, 2006). In der Fol­ge­stu­die aus dem Jahr 2003 wur­den zunächst sämt­li­che Fra­gen zur Ver­hal­tens­di­men­si­on des kul­tu­rel­len Kapi­tals gestri­chen, sodass als Indi­ka­tor für kul­tu­rel­les Kapi­tal ein­zig der Besitz von Kul­tur­gü­tern erfasst wird, der eher Rück­schlüs­se auf den finan­zi­el­len als auf den kul­tu­rel­len Hin­ter­grund der Fami­li­en erlaubt (vgl. Jung­bau­er-Gans, 2004), bis schließ­lich PISA 2006 jeg­li­chen Bezug auf Bour­dieu ver­mis­sen ließ (vgl. Kra­mer & Hel­sper, 2010). Selbst zu Beginn der PISA-Stu­di­en wur­den die theo­re­ti­schen Annah­men Bour­dieus nur begrenzt metho­disch umge­setzt, „ohne aller­dings – und das mar­kiert die ent­schei­den­de Dif­fe­renz zu kri­ti­scher Bil­dungs­for­schung – des­sen radi­ka­le, also auf den Grund gehen­de, Ein­schät­zun­gen, die in der Klas­sen­struk­tu­riert­heit der bür­ger­lich-kapi­ta­lis­ti­schen Gesell­schafts­for­ma­ti­on grün­den, zu tei­len bzw. auf­zu­neh­men“ (Sün­ker, 2008, S. 224). Im Gegen­teil fin­det sich dort viel­mehr „eine Abwehr, die teil­wei­se mit einer unvoll­stän­di­gen und ein­sei­ti­gen Rezep­ti­on Bour­dieus ein­her­geht“ (Ves­ter, 2006, S. 23). Mit die­ser Abkehr von der Erfas­sung der Pro­zess­merk­ma­le kul­tu­rel­ler Pra­xis beschrän­ken sich die PISA-Stu­di­en auf rein objek­ti­vis­ti­sche Merk­ma­le zur Defi­ni­ti­on der sozia­len Her­kunft, wes­halb der Bei­trag zur Erklä­rung sozia­ler Chan­cen- und Bil­dungs­un­gleich­hei­ten unbe­frie­di­gend blei­ben muss: „Auf die­se Wei­se kön­nen zwar sta­tis­ti­sche Kor­re­la­tio­nen zwi­schen spe­zi­fi­schen Indi­ka­to­ren wie zum Bei­spiel zwi­schen der sozia­len Her­kunft und der indi­vi­du­el­len schu­li­schen Leis­tungs­fä­hig­keit her­aus­ge­ar­bei­tet wer­den; ver­stan­den sind die sozia­len Pro­zes­se und Mecha­nis­men, die zu die­sen Kor­re­la­tio­nen füh­ren, damit aber noch nicht“ (Grund­mann, Bitt­ling­may­er, Dra­ven­au, & Edel­stein, 2006, S. 15).


Lite­ra­tur:

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  12. Jung­bau­er-Gans, M. (2006). Kul­tu­rel­les Kapi­tal und Mathe­ma­tik­leis­tun­gen – eine Ana­ly­se der PISA 2003-Daten für Deutsch­land. In W. Georg (Hrsg.), Sozia­le Ungleich­heit im Bil­dungs­sys­tem (S. 175-198). Kon­stanz: UVK.
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  14. Krais, B. (2004). Zur Ein­füh­rung in den The­men­schwer­punkt ‚Die Repro­duk­ti­on sozia­ler Ungleich­heit und die Rol­le der Schu­le‘. Zeit­schrift für Sozio­lo­gie der Erzie­hung und Sozia­li­sa­ti­on, 24. Jahrg. (Heft 2), S. 115-123.
  15. Kra­mer, R.-T., & Hel­sper, W. (2010). Kul­tu­rel­le Pas­sung und Bil­dungs­un­gleich­heit – Poten­tia­le einer an Bour­dieu ori­en­tier­ten Ana­ly­se der Bil­dungs­un­gleich­heit. In H.-H. Krü­ger, U. Rabe-Kle­berg, R.-T. Kra­mer, & J. Bud­de (Hrsg.), Bil­dungs­un­gleich­heit revi­si­ted (S. 103-125). Wies­ba­den: VS Ver­lag für Sozialwissenschaften.
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  17. Sol­ga, H. (2005). Meri­to­kra­tie – die moder­ne Legi­ti­ma­ti­on unglei­cher Bil­dungs­chan­cen. In P. A. Ber­ger, & H. Kah­lert (Hrsg.), Insti­tu­tio­na­li­sier­te Ungleich­hei­ten. Wie das Bil­dungs­we­sen Chan­cen blo­ckiert (S. 19-38). Wein­heim und Mün­chen: Juventa.
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  19. Ves­ter, M. (2004). Die Illu­si­on der Bil­dungs­expan­si­on. In S. Eng­ler, & B. Krais (Hrsg.), Das kul­tu­rel­le Kapi­tal und die Macht der Klas­sen­struk­tu­ren (S. 13-53). Wein­heim und Mün­chen: Juventa.
  20. Ves­ter, M. (2006). Die stän­di­sche Kana­li­sie­rung der Bil­dungs­chan­cen. In W. Georg (Hrsg.), Sozia­le Ungleich­heit im Bil­dungs­sys­tem (S. 13-54). Kon­stanz: UVK.
  21. Water­mann, R., & Bau­mert, J. (2006). Ent­wick­lung eines Struk­tur­mo­dells zum Zusam­men­hang zwi­schen sozia­ler Her­kunft und fach­li­chen und über­fach­li­chen Kom­pe­ten­zen: Befun­de natio­nal und inter­na­tio­nal ver­glei­chen­der Ana­ly­sen. In J. Bau­mert, P. Sta­nat, & R. Water­mann (Hrsg.), Her­kunfts­be­ding­te Dis­pa­ri­tä­ten im Bil­dungs­we­sen (S. 61-94). Wies­ba­den: VS Ver­lag für Sozialwissenschaften.


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