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Es stimmt, daß ich unge­schickt bin; ich kann kei­ne Gefüh­le aus­drü­cken; kaum habe ich ein paar Wor­te dazu gesagt, mache ich mich über mich sel­ber lus­tig, mache ich mich über den ande­ren lus­tig, zer­stö­re ich die gan­ze Wir­kung durch einen iro­ni­schen Satz. Es ist ein Miß­trau­en gegen mich selbst; ich stau­ne, mich mei­ne Emp­fin­dun­gen preis­ge­ben zu hören, wie alle ande­ren es tun. Ich höre mir zu, als wäre es jemand ande­res, der da spricht, und glau­be, nicht mehr auf­rich­tig zu sein; durch die Wor­te erschei­nen mir mei­ne Gefüh­le auf­ge­bla­sen und fremd. Ich mei­ne dann, man wird mich belä­cheln wie ein klei­nes Mäd­chen, das von Din­gen spricht, die es nicht kennt. Es ist nicht mög­lich, daß ich es bin, die sagt: Ich lie­be Sie. Wenn man mir nun glaub­te, und ich hät­te mich getäuscht! Also muß ich mei­ne Sät­ze immer mit einer Pirou­et­te been­den, die zu sagen scheint: «Sie lie­ben mich, da Sie es mir ja sagen; wenn ich jedoch lie­be, wie ich es tue, fürch­te ich, das ist so nicht rich­tig – gewiß kön­nen alle ande­ren bes­ser lie­ben und es bes­ser sagen als ich.» Ich habe Angst, eines Tages zu ent­de­cken, daß ich nicht lie­be, und las­se schon im vor­aus Zwei­fel an mei­nen Gefüh­len ent­ste­hen, da ich befürch­te, man könn­te mir am Ende Unauf­rich­tig­keit vor­wer­fen; also male ich mir tau­sen­der­lei Umstän­de aus, in denen mei­ne Lie­be ver­mut­lich nicht aus­rei­chen wür­de. Ich behaup­te, ich wür­de nicht treu sein, dabei ver­weh­re ich es jedem ande­ren, mich ins Thea­ter zu beglei­ten oder mir die Fin­ger­spit­zen zu küs­sen, um dem­je­ni­gen, dem ich gesagt habe, ich lieb­te ihn nicht, nicht zu miß­fal­len, und sei es nur in Gedan­ken. Indem ich also leug­ne, daß mein Herz liebt, bin­de ich mich stär­ker als der­je­ni­ge, der mir sagt: Ich lie­be dich.
Ich wünsch­te, man wür­de mich durch­schau­en; doch man sieht nur die Pirou­et­ten und die Ironie.
Mar­cel­le Sau­va­geot – Fast ganz die Deine

Jedes Mal, wenn sich ein Jahr sei­nem Ende ent­ge­gen­neigt, machen sich unzäh­li­ge Men­schen gut gemein­te Gedan­ken zum Ablauf des bald dar­auf anbre­chen­den Jah­res und nen­nen ihre Plä­ne, die dar­aus her­vor­ge­hen, gute Vor­sät­ze. Rau­cher wol­len Nicht­rau­cher wer­den, Sport­muf­fel zu Frei­zeit­ath­le­ten, Fau­len­zer zu Arbeits­tie­ren. Die­se guten Vor­sät­ze sind in der Regel noch vor Febru­ar wie­der vergessen.

Wenn es etwas gab, das sie in die­ser Zeit des Jah­res am meis­ten hass­te, dann waren es die guten Vor­sät­ze ande­rer Men­schen und deren auf­dring­li­che Art, die­se Vor­sät­ze jedem Inter­es­sier­ten und Des­in­ter­es­sier­ten glei­cher­ma­ßen unter die Nase zu rei­ben. Auch sie hat­te sich Gedan­ken zum Ablauf des kom­men­den Jah­res gemacht, war dabei aller­dings auf eine ande­re Idee gekom­men, die ihr wesent­lich sym­pa­thi­scher erschien. Sie hat­te sich vor­ge­nom­men, ab Neu­jahr täg­lich in einem klei­nen schwar­zen Büch­lein zu notie­ren, was ihr an jedem ein­zel­nen Tag Schö­nes wider­fah­ren wür­de. Es muss­te nichts Gro­ßes sein, nichts Über­wäl­ti­gen­des, ein­fach etwas Schö­nes, etwas Gutes, etwas Posi­ti­ves, das ihr den Tag und damit auch das Leben ein wenig auf­ge­hei­tert oder erhellt, das ihr viel­leicht sogar einen Blick auf die­ses so genann­te Glück ermög­licht hatte.

Das alles begann vor einem Jahr. Nun, drei­hun­dert­zwei­und­sech­zig Tage spä­ter, saß sie bei Nacht in ihrem Zim­mer und blät­ter­te durch das Notiz­buch, das sie mit ihren Erleb­nis­sen gefüt­tert hat­te, um sich so kurz vor Sil­ves­ter die ver­gan­ge­nen zwölf Mona­te noch ein­mal Tag für Tag durch den Kopf gehen zu las­sen, die ange­neh­men wie die bedrü­cken­den Zei­ten. Sie hat­te ein gutes Gefühl dabei, denn das letz­te Jahr war schnell ver­gan­gen, fast schon zu schnell, und wenn etwas schnell ver­geht, ja zu schnell gar, dann ist das in der Regel doch ein Zei­chen dafür, dass man eine gute Zeit ver­bracht hat­te. Die guten Zei­ten ver­ge­hen immer wie im Flug, das ist das Trau­ri­ge an ihnen und der Grund, wes­halb sie so sel­ten das Gewicht der schwe­ren Zei­ten auf­wie­gen kön­nen, die sich ihrer­seits wie Fuß­ket­ten an das Leben bin­den, sodass man sich fühlt, als wür­de man durch ein Moor waten und nicht vor­an­kom­men. Zwar waren in die­sem Jahr nicht alle ihre Wün­sche in Erfül­lung gegan­gen, aber wer konn­te das schon von sich behaupten.

Als sie anfing, die ers­ten Sei­ten durch­zu­blät­tern und dabei die täg­li­chen Ein­trä­ge zu stu­die­ren, muss­te sie schmun­zeln. Sie ging in die Küche, öff­ne­te sich eine Fla­sche Wein und wid­me­te sich der wei­te­ren Lek­tü­re. Was sie las, stimm­te sie zufrie­den. Es waren Klei­nig­kei­ten, aber es waren teils süße, teils herz­er­wär­men­de, teils völ­lig in Ver­ges­sen­heit gera­te­ne Gescheh­nis­se, die sie dort sah, und es waren Din­ge, die sie auch heu­te noch fröh­lich gemacht hät­ten, wür­den sie ihr erneut pas­sie­ren. Sie las die Ein­trä­ge des gesam­ten Janu­ars und dann die Noti­zen des fol­gen­den Febru­ars. Ihr fiel auf, dass sich eini­ge Erleb­nis­se bereits wie­der­hol­ten, doch das stör­te sie nicht wei­ter. Ganz im Gegen­teil, ent­wi­ckel­te sich beim Lesen eine gewis­se Span­nung, denn da Janu­ar und Febru­ar recht ruhig ver­lau­fen waren, fie­ber­te sie inner­lich dem ers­ten außer­ge­wöhn­li­chen, dem ers­ten auf­fäl­li­gen, dem ers­ten bedeu­ten­den Ein­trag ent­ge­gen, was nun wie­der­um nicht hieß, dass die bis­he­ri­gen Ein­trä­ge für sie unbe­deu­tend gewe­sen wären, nur waren es Bana­li­tä­ten, all­täg­li­che Gescheh­nis­se, die sicher­lich jedem zuteil­wur­den und sich jeder­zeit wie­der ereig­nen könn­ten, wenn sie ein­fach nur einen völ­lig nor­ma­len Tag ver­brin­gen oder durch die Fuß­gän­ger­zo­ne schlen­dern würde.

Sie setz­te ihre Hoff­nun­gen in den März, denn end­lich, ja end­lich muss­te doch etwas Auf­re­gen­des gesche­hen sein. Beim Lesen offen­bar­te sich ihr dann aller­dings das gewohn­te Bild, das Janu­ar und Febru­ar ihr bereits zur Genü­ge prä­sen­tiert hat­ten. Lang­sam wur­de sie unge­dul­dig. Viel­leicht ist es doch eine blö­de Idee gewe­sen, die­ses Büch­lein zu füh­ren, dach­te sie sich und blät­ter­te nun ganz zufäl­lig durch die Sei­ten, bis sie einen Tag im Juni auf­schlug, immer noch auf der Suche nach span­nen­den, irgend­wie berüh­ren­den Ereig­nis­sen. „Fünf Euro auf dem Weg zur Arbeit gefun­den“ las sie da und lach­te. Nein, das war nun wirk­lich weder span­nend noch berüh­rend. Der fol­gen­de Tag war dem­ge­gen­über schon etwas bes­ser, denn dort hat­te sie notiert: „Im Regen spa­zie­ren gegan­gen“. Sie lieb­te es, im Regen durch die Stra­ßen der Stadt spa­zie­ren zu gehen, inso­fern war dies nun für sie zwar ein irgend­wie berüh­ren­der, aber kein son­der­lich her­vor­ste­chen­der, kein außer­ge­wöhn­li­cher, kein befrie­di­gen­der Ein­trag. Sie blät­ter­te wei­ter­hin wahl­los im Juni her­um, las „Von einem Kol­le­gen ein Stück Kuchen bekom­men“ oder „Jeman­dem den Weg erklärt“, fand „Eine Frau hat mir lächelnd die Tür der Stra­ßen­bahn auf­ge­hal­ten“ und „Himm­lisch geschla­fen“, aber rein gar nichts, von dem sie sagen konn­te, es sei etwas Beson­de­res gewe­sen, das ihr ein Stück vom Glück dar­ge­bo­ten hät­te. Das müs­sen ziem­lich schlech­te Tage gewe­sen sein, dach­te sie und blät­ter­te wei­ter, doch was sie auf den Sei­ten der dar­auf­fol­gen­den Wochen lesen konn­te, kam ihr noch bana­ler, noch unwich­ti­ger, jeden­falls kei­nes­wegs erfül­lend oder ein­fach bloß gut vor, son­dern irgend­wie leer. Sie fühl­te sich wie jemand, der in der Lot­te­rie gewinnt und dann aber fest­stel­len muss, dass alle ande­ren eben­falls gewon­nen haben. Nun, dann sind es eben kei­ne schlech­ten Tage gewe­sen, schlech­te Wochen müs­sen es gewe­sen sein. Sie such­te wei­ter. Es waren kei­ne schlech­ten Tage gewe­sen, muss­te sie fest­stel­len, auch kei­ne schlech­ten Wochen, es waren die bes­ten Tage im gan­zen Monat gewe­sen, sogar in zwei Mona­ten, und der Rest des Jah­res war, von ein­zel­nen Aus­nah­men abge­se­hen, nicht viel besser. 

Konn­te das wirk­lich die Wahr­heit sein? Sie hat­te für jeden Tag des Jah­res jeweils nur das eine, das aller­bes­te Erleb­nis notiert, das ihr wider­fah­ren war, die bes­te Hand­lung, die sie voll­bracht, oder das schöns­te Gefühl, das sie an die­sem Tag emp­fun­den hat­te – und die­se Din­ge, die sie da lesen muss­te, die­se Bana­li­tä­ten, die­se Nich­tig­kei­ten, die­se lieb­lo­sen lee­ren Wor­te, die sie kaum zu lesen wag­te, die waren genau das, alles erschöpf­te sich in die­sen Belang­lo­sig­kei­ten? Die­se Ein­trä­ge vol­ler unbe­deu­ten­der All­täg­lich­kei­ten waren alles, was ihr Leben in die­sem einen Jahr aus­ge­macht hat­te? Das war das Bes­te, was die Welt ihr in die­sen Wochen und Mona­ten gebo­ten hat­te? Mehr war da nicht?

Was sie außer­dem beun­ru­hig­te, waren Ein­trä­ge wie der fol­gen­de: „Net­ter Kas­sie­rer hat mir zuge­zwin­kert“. Das gan­ze letz­te Jahr hat­te sie allein ver­bracht, genau wie auch das Jahr zuvor. Sie fand vie­le wei­te­re Ein­trä­ge, die Ähn­li­ches fest­ge­hal­ten hat­ten, ob es sich dabei nun um Kas­sie­rer, Jog­ger, U‑Bahn-Fahr­gäs­te oder irgend­wel­che Call­cen­ter-Mit­ar­bei­ter gehan­delt hat­te. Sie las die­se Ein­trä­ge und sah dar­in den Unter­ton, mit dem sie sie wahr­schein­lich auch geschrie­ben hat­te: Jemand fin­det mich gut, jemand mag mich, ich bin etwas wert. War sie so ver­zwei­felt nach mensch­li­cher Nähe, nach dem Gefühl, jeman­dem – irgend­je­man­dem – zu gefal­len? Ihre Zufrie­den­heit begann zu bröckeln.

Sie nann­te es ein Leben, was sie da geführt hat­te, nun aber frag­te sie sich, ob es denn wirk­lich mehr war als eine unbe­deu­ten­de Exis­tenz. Ver­zwei­felt such­te sie nach einem Ein­trag, der her­aus­stach, der beson­ders war, der es wert war, das Bes­te eines Tages, eines Monats, eines Jah­res zu sein. Sie fand abso­lut nichts, was sie über­zeugt, was sie beein­druckt oder was ihr das Gefühl gege­ben hät­te, ein gutes Jahr hin­ter sich zu haben. Sie ver­miss­te das gro­ße Glück.

Eines Tages blickt man in den Spie­gel und begreift, dass man nie­mals mehr sein wird als das, was man dort sieht. Mit die­ser Erkennt­nis kann man wei­ter­le­ben und sie akzep­tie­ren, man kann sich umbrin­gen, um allem zu ent­ge­hen, oder man blickt nie wie­der in einen Spiegel.

Es war weni­ge Tage vor Sil­ves­ter, als sie zum letz­ten Mal eine lee­re Sei­te in ihrem schwar­zen Büch­lein auf­schlug und mit zitt­ri­gen Fin­gern ledig­lich das Wort „Ende“ hineinschrieb.

Why did­n’t Babel Dark mar­ry Molly?
He doub­ted her. You must never doubt the one you love.
But they might not be tel­ling you the truth.
Never mind that. You tell them the truth.
What do you mean?
You can’t be ano­ther person’s hones­ty, child, but you can be your own.
So what should I say?
When?
When I love someone?
You should say it.
(Jea­nette Win­ter­son – Lighthousekeeping)

Our doubts are trai­tors, and make us lose the good we oft might win, by fea­ring to attempt.
(Wil­liam Shakespeare)

Schon Dos­to­jew­ski mach­te dar­auf auf­merk­sam, daß das Bibel­wort »Lie­be dei­nen Nächs­ten wie dich selbst« wahr­schein­lich anders­rum zu ver­ste­hen ist – näm­lich in dem Sin­ne, daß man den Nächs­ten nur dann lie­ben kann, wenn man sich selbst liebt.

Weni­ger ele­gant, dafür um so prä­gnan­ter, drück­te Marx (Grou­cho, nicht Karl) die­sel­be Idee Jahr­zehn­te spä­ter aus: »Es wür­de mir nicht im Traum ein­fal­len, einem Klub bei­zu­tre­ten, der bereit wäre, jeman­den wie mich als Mit­glied auf­zu­neh­men.« Wenn Sie sich die Mühe neh­men, die Tie­fe die­ses Wit­zes zu ergrün­den, sind Sie bereits gut auf das nun Fol­gen­de vorbereitet.

Geliebt zu wer­den ist auf jeden Fall mys­te­ri­ös. Nach­zu­fra­gen, um Klar­heit zu schaf­fen, emp­fiehlt sich nicht. Bes­ten­falls kann es der ande­re Ihnen über­haupt nicht sagen; schlimms­ten­falls stellt sich sein Grund als etwas her­aus, das Sie selbst bis­her nicht für Ihre char­man­tes­te Eigen­schaft hiel­ten; zum Bei­spiel das Mut­ter­mal auf Ihrer lin­ken Schul­ter. Schwei­gen ist da wie­der ein­mal ganz ein­deu­tig Gold.

Was wir dar­aus für unser The­ma ler­nen kön­nen, zeich­net sich nun schon kla­rer ab. Neh­men Sie nicht ein­fach dank­bar hin, was Ihnen das Leben durch Ihren (offen­sicht­lich selbst lie­bens­wer­ten) Part­ner bie­tet. Grü­beln Sie. Fra­gen Sie sich, aber nicht ihn, war­um. Denn er muß ja irgend­ei­nen Hin­ter­ge­dan­ken haben. Und den ent­hüllt er Ihnen bestimmt nicht.

(…)

[F]ür den Unglück­lich­keits­be­darf des Anfän­gers mag das eben Gesag­te aus­rei­chen. Der Fort­ge­schrit­te­ne aber gibt sich damit nicht zufrie­den. Aus die­sen Zusam­men­hän­gen läßt sich näm­lich wei­te­res Kapi­tal schla­gen, das aller­dings nur den Grou­cho Mar­xens unter uns zugäng­lich ist. Es setzt eben vor­aus, daß man sich selbst für lie­ben­s­un­wür­dig hält. Damit ist jeder, der einen liebt, prompt dis­kre­di­tiert. Denn wer einen liebt, der kei­ne Lie­be ver­dient, mit des­sen Innen­le­ben stimmt etwas nicht. Ein Cha­rak­ter­de­fekt wie Maso­chis­mus, eine neu­ro­ti­sche Bin­dung an eine kas­trie­ren­de Mut­ter, eine mor­bi­de Fas­zi­na­ti­on durch das Min­der­wer­ti­ge – von die­ser Art sind die Grün­de, die sich als Erklä­rung für die Lie­be des oder der Betref­fen­den anbie­ten und sie uner­träg­lich machen. (Zur Aus­wahl der befrie­di­gends­ten Dia­gno­se ist eine gewis­se Kennt­nis der Psy­cho­lo­gie oder wenigs­tens die Teil­nah­me an Selbst­er­fah­rungs­grup­pen von gro­ßem Wert.)

Und damit ist nicht nur das gelieb­te Wesen, son­dern auch der Lie­ben­de selbst und die Lie­be als sol­che in ihrer Schä­big­keit ent­hüllt. Was kann man schon mehr wünschen?

(…)

Nur auf den ers­ten Blick erscheint das absurd, denn die Kom­pli­ka­tio­nen, die mit die­ser Auf­fas­sung ein­her­ge­hen, lie­gen doch so klar auf der Hand. Dies dürf­te aber noch nie­man­den abge­hal­ten haben, oder, wie Shake­speare es in einem sei­ner Sonet­te sagt: »Dies weiß jed­we­der, doch nicht wie man flieht den Him­mel, der zu die­ser Höl­le zieht.« Prak­tisch ver­lie­be man sich also in hoff­nungs­lo­ser Wei­se: in einen ver­hei­ra­te­ten Part­ner, einen Pries­ter, einen Film­star oder eine Opern­sän­ge­rin. Auf die­se Wei­se reist man hoff­nungs­froh, ohne anzu­kom­men, und zwei­tens bleibt einem die Ernüch­te­rung erspart, fest­stel­len zu müs­sen, daß der ande­re gege­be­nen­falls durch­aus bereit ist, in eine Bezie­hung ein­zu­tre­ten – womit er sofort unat­trak­tiv wird.
(Paul Watz­la­wick – Anlei­tung zum Unglücklichsein)

It is easie­st to accept hap­pi­ness when it is brought about through things that one can con­trol, that one has achie­ved after much effort and reason. But the hap­pi­ness I had rea­ched with Chloe had not come as a result of any per­so­nal achie­ve­ment or effort. It was sim­ply the out­co­me of having, by a mira­cle of divi­ne inter­ven­ti­on, found a per­son who­se com­pa­ny was more valuable to me than that of anyo­ne else in the world. Such hap­pi­ness was dan­ge­rous pre­cis­e­ly becau­se it was so lack­ing in self-suf­fi­ci­ent per­ma­nence. Had I after months of ste­ady labor pro­du­ced a sci­en­ti­fic for­mu­la that had rocked the world of mole­cu­lar bio­lo­gy, I would have had no qualms about accep­ting the hap­pi­ness that had ensued from such a dis­co­very. The dif­fi­cul­ty of accep­ting the hap­pi­ness Chloe repre­sen­ted came from my absence in the cau­sal pro­cess lea­ding to it, and hence my lack of con­trol over the hap­pi­ness-indu­cing ele­ment in my life. It see­med to have been arran­ged by the gods, and was hence accom­pa­nied by all the pri­mi­ti­ve fear of divi­ne retribution.

„All of man’s unhap­pi­ness comes from an ina­bi­li­ty to stay in his room alo­ne,“ said Pas­cal, advo­ca­ting a need for man to build up his own resour­ces over and against a debi­li­ta­ting depen­dence on the social sphe­re. But how could this pos­si­bly be achie­ved in love? Proust tells the sto­ry of Moham­med II, who, sens­ing that he was fal­ling in love with one of the wives in his harem, at once had her kil­led becau­se he did not wish to live in spi­ri­tu­al bon­da­ge to ano­ther. Short of this approach, I had long ago given up hope of achie­ving self-suf­fi­ci­en­cy. I had gone out of my room, and begun to love ano­ther – ther­eby taking on the risk inse­pa­ra­ble from basing one’s life around ano­ther human being.
(Alain de Bot­ton – On Love)

When we look at someone (an angel) from a posi­ti­on of unre­qui­ted love and ima­gi­ne the plea­su­res that being in hea­ven with them might bring us, we are pro­ne to over­look a signi­fi­cant dan­ger: how soon their attrac­tions might pale if they began to love us back. We fall in love becau­se we long to escape from our­sel­ves with someone as ide­al as we are cor­rupt. But what if such a being were one day to turn around and love us back? We can only be sho­cked. How could they be as divi­ne as we had hoped when they have the bad tas­te to appro­ve of someone like us? If in order to love we must belie­ve that the bel­oved sur­pas­ses us in some way, does not a cruel para­dox emer­ge when we wit­ness this love retur­ned? „If s/he real­ly is so won­derful, how could s/he love someone like me?“
(Alain de Bot­ton – On Love)

„Ich ver­ste­he das alles nicht. Was ist bloß mit mir los?“

„Bit­te?“

„Was stimmt nicht mit mir? Ich habe letz­te Nacht kein Auge zuge­tan. Für mehr als sechs Stun­den lag ich wach, sechs vol­le Stun­den, und die gan­ze Zeit habe ich fast aus­schließ­lich an sie gedacht und die gesam­te Situa­ti­on, in der ich mich befin­de. Nichts ergibt irgend­ei­nen Sinn.“

„Ich ver­ste­he nicht so recht, wor­um es geht.“

„Das Ers­te, wor­an ich den­ke, wenn ich mor­gens auf­wa­che, ist ihr Gesicht, ihr Lächeln. Ohne zu zögern möch­te ich sie anru­fen, ihr einen Brief schrei­ben oder mich ein­fach irgend­wie mit ihr tref­fen. Als ich das letz­te Mal mit ihr zusam­men­saß, ertapp­te ich mich dabei, auf ihre Hän­de, auf ihre Hand­ge­len­ke zu star­ren und bloß den einen Gedan­ken im Kopf zu haben, wie wun­der­schön sie sind und wie ger­ne ich sie berüh­ren wür­de, nicht mit sexu­el­lem Hin­ter­ge­dan­ken oder so, ein­fach nur… eine Berüh­rung, um ihre Hän­de zu hal­ten, um ihre Haut zu spüren.“

„Ich fan­ge an zu verstehen.“

„Ein­mal erwähn­te sie mir gegen­über irgend­ei­nen unbe­deu­ten­den Typen, den sie getrof­fen hat­te, ein namen­lo­ser Kerl, und ich fürch­te, ich wur­de eifersüchtig…“

„War­um?“

„Genau! War­um? Ich habe kei­ne Ahnung, war­um. Es gibt gar kei­nen Grund für mich, eifer­süch­tig zu sein.“

„Das heißt?“

„Es ist völ­lig hirnrissig.“

„Was?“

„Ich lie­be sie nicht. Gott, ich habe nicht mal irgend­wel­che Gefüh­le für sie. Den­noch… ver­wirrt mich das alles sehr.“

„Alles? Was alles?“

„Ich sehe Gespenster.“

„Gespens­ter?“

„Ja. Stän­dig sehe ich Men­schen, die so aus­se­hen wie sie, die mich an sie erin­nern, die sie in mei­nem Kopf leben­dig wer­den las­sen. In den Stra­ßen der Stadt, im Zug, in irgend­wel­chen Bars, eigent­lich über­all. Selbst wenn ich ganz genau weiß, sie kann es nicht sein, die in die­sem Moment genau da ist, wo ich auch bin, weil sie bei­spiels­wei­se auf der Arbeit ist, spü­re ich doch jedes Mal so ein Gefühl, so eine Hoff­nung, dass es ja doch tat­säch­lich sie sein könn­te, die ich da vor mir sehe. Ich füh­le den Drang, ein­fach hin­zu­ge­hen und sie anzu­spre­chen, die­se Gespens­ter anzu­spre­chen, die ich sehe, obwohl ich doch genau weiß, wie sinn­los das wäre. Wenn jemand nur vage Ähn­lich­keit mit ihr hat, geht das schon los und ich ver­hal­te mich so fremd, füh­le die­sen Drang. Klin­ge ich wie ein Idi­ot? Bin ich verrückt?“

„Ich den­ke, wir ken­nen alle die­se spe­zi­el­le Form von Verrücktheit.“

„Sobald mein Tele­fon klin­gelt oder ich bloß eine Email bekom­me, erwacht in mir sofort die Hoff­nung und der Wunsch, es könn­te viel­leicht sie sein, und jedes Mal bin ich dann regel­recht ent­täuscht, wenn sie es nicht ist. Am Anfang habe ich über all das gar nicht nach­ge­dacht, ja ich habe es nicht ein­mal wirk­lich bemerkt, wie selt­sam ich mich ver­hal­te, aber in letz­ter Zeit kann ich es nicht mehr über­se­hen, nicht mehr igno­rie­ren, und… es treibt mich in den Wahn­sinn. Es ist, als blick­te ich in einen Spie­gel und sähe dort mein Spie­gel­bild irgend­wel­che Din­ge tun, die ich selbst nie tun wür­de, doch zur glei­chen Zeit weiß ich ganz genau, dass es nie­mand ande­res ist als ich höchst­per­sön­lich, den ich da im Spie­gel sehe. Heu­te Mor­gen woll­te ich einem mei­ner Kol­le­gen eine Email schrei­ben, und als ich sei­ne Email­adres­se ins Emp­fän­ger­feld hät­te ein­tra­gen müs­sen, stell­te ich fest, dass ich schon ihre ein­ge­ge­ben hat­te, ohne dar­über nach­zu­den­ken. Es ist ver­rückt, oder? Das bin nicht mehr ich.“

„Du bist ein Ent­de­cker in einem Wun­der­land. Gewöhn dich bes­ser daran.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich das möch­te. Aber war­te, da ist noch mehr. Als ich heu­te im Lau­fe des Tages an ihrer Woh­nung vor­bei­fuhr, muss­te ich kurz an einer roten Ampel anhal­ten, und als ich da so war­te­te, das habe ich mir zunächst nicht ein­ge­stan­den, hoff­te ich, sie käme aus ihrer Tür her­aus und gera­de­wegs auf mich zu. Ich wuss­te, sie war nicht zuhau­se, den­noch habe ich genau das gehofft. Aber weißt du was?“

„Was?“

„Wenn sie tat­säch­lich aus ihrer Tür her­aus­spa­ziert wäre, hät­te ich nicht die gerings­te Idee gehabt, wie ich mit die­ser Situa­ti­on umge­hen oder was ich zu ihr hät­te sagen sol­len. Es ist jedes Mal so, wenn ich sie sehe, ich füh­le mich berauscht und unbe­hag­lich zugleich, und ich ver­ste­he nicht, wie­so das so ist.“

„Aber du bist den­noch glück­lich dabei?“

„Letz­te Woche bin ich durch das hal­be Land gereist, nur um einen ein­zi­gen Abend mit ihr zu verbringen…“

„Nur ein Abend?“

„Nur ein Abend. Ich habe eine Ewig­keit gebraucht, um zu ihr zu kom­men, und es kos­te­te mich ein Ver­mö­gen, aber es hät­te mir nicht gleich­gül­ti­ger sein kön­nen, denn alles, was mir in die­sem Augen­blick etwas bedeu­te­te, war der Umstand, sie zu sehen, ihr nahe zu sein, Zeit mit ihr ver­brin­gen zu kön­nen. Oh Mann, ich kann immer noch nicht rich­tig glau­ben, dass ich das wirk­lich getan habe. Das ent­wi­ckelt sich alles in die fal­sche Richtung.“

„Um ehr­lich zu sein, klingst du sehr danach, als wür­dest du dir etwas vor­ma­chen, die Wahr­heit ver­leug­nen, und glaub mir, damit ken­ne ich mich aus, ich weiß, wovon ich rede.“

„Lang­sam bezweif­le ich, dass es eine gute Idee war, das mit dir zu diskutieren…“

„Es zu igno­rie­ren ist sicher kei­ne bessere.“

„Hör zu, es gibt nichts zu ver­leug­nen, aber selbst wenn dem so wäre, rein hypo­the­tisch gedacht, wäre ich sicher der Ein­zi­ge, der in die­ser Sache emo­tio­nal invol­viert ist, also muss ich dar­über gar nicht erst nachdenken.“

„Und den­noch tust du es. Es spielt außer­dem über­haupt kei­ne Rol­le, weißt du.“

„Was spielt kei­ne Rolle?“

„Es spielt kei­ne Rol­le, ob sie eben­falls emo­tio­nal invol­viert ist, wie du es so hoch­tra­bend aus­ge­drückt hast. Was immer sie für dich fühlt oder angeb­lich nicht fühlt, ändert rein gar nichts an dem, was du für sie emp­fin­dest. Du hast also Unrecht. Es hat durch­aus Sinn, über all das nach­zu­den­ken. Du denkst über all das nach, du denkst über sie nach, du denkst an sie.“

„Aber ich emp­fin­de doch gar nichts für sie!“

„Jaja, ist klar, wie auch immer. Lass mich kurz zusam­men­fas­sen, was du mir bis hier­hin erzählt hast: Jeden Mor­gen ist sie das Aller­ers­te, wor­an du denkst, wenn du auf­wachst, und du setzt Him­mel und Höl­le in Bewe­gung, nur um sie für eine kur­ze Zeit zu sehen, nur um ihr vor­über­ge­hend nah zu sein. Du bist ner­vös, wenn sie in dei­ner Nähe ist und du ver­misst sie, wenn sie das nicht ist, dar­um siehst du dei­ne so genann­ten Gespens­ter. Offen­sicht­lich geht sie dir nicht mehr aus dem Kopf, und anschei­nend geht sie dir auch nicht mehr aus dem Her­zen. Du bist mit ziem­lich gro­ßer Wahr­schein­lich­keit gera­de der dümms­te Mensch auf die­sem Planeten.“

„War­um soll­te ich das sein und wer denkst du, dass du bist, um das zu beurteilen?“

„Oh, ich exis­tie­re nur in dei­nem Kopf, mein Freund. Das ist dir aber klar, oder? Des­sen unge­ach­tet unter­hältst du dich bereits seit einer knap­pen hal­ben Stun­de mit mir – nun, mit dir selbst eigent­lich – dar­über, wie du ja so gar kei­ne Gefüh­le für sie hast, wäh­rend sie gleich­zei­tig ganz offen­sicht­lich das ist, was dich am meis­ten beschäf­tigt und dir am aller­wich­tigs­ten ist. Willst du mich ver­ar­schen? Soll das ein beschis­se­ner Scherz sein?“

„Bit­te was?“

„Pass auf, ich wer­de dir kei­ne defi­ni­ti­ve Ant­wort auf dei­ne ursprüng­li­che Fra­ge geben, aber wenn wir uns ein­mal anse­hen, wel­che Hin­wei­se und Anhalts­punk­te du dir selbst gege­ben hast, bin ich mir ver­dammt sicher, du wirst das Rät­sel lösen. Ich hof­fe für dich, du wirst es tun, andern­falls bist du ein rie­si­ger Idi­ot. Ich habe erle­digt, wofür ich kam. Viel Glück!“

Lie­be soll bekannt­lich Ber­ge ver­set­zen kön­nen, doch manch­mal schei­tert sie bereits an einem Kie­sel­stein. Seit knapp sechs Mona­ten waren sie ein Paar. Sie hat­ten sich in einem Bis­tro ken­nen­ge­lernt, die Num­mern getauscht und bald dar­auf eini­ge Dates gehabt. Es war ihr Lachen, in das er sich zuerst ver­liebt hat, und ihr gefiel, wie er sich gab. An einem küh­len Diens­tag im Dezem­ber, kurz vor ihrem halb­jäh­ri­gen Jubi­lä­um, sag­te er zu ihr: „Du bist die, nach der ich gesucht habe“. Dann ging er zur Arbeit. Auf dem Nach­hau­se­weg wür­de er ihr Blu­men mit­brin­gen, ein­fach so, weil er wuss­te, wie sehr sie sich doch jedes Mal dar­über freu­te. Sie war die Frau, mit der er alt wer­den, eine Fami­lie grün­den woll­te, und er lieb­te sie von gan­zem Herzen.

Sie hin­ge­gen saß noch eine Wei­le am Küchen­tisch sei­ner Woh­nung, in der sie über­nach­tet hat­te, und dach­te über sei­ne Wor­te nach. Was woll­te er ihr damit sagen? Er hat­te sie gesucht. Woher woll­te er das wis­sen? Wenn sie bei­de in einem Jahr nicht mehr zusam­men wären, so wäre sie für ihn wohl nicht mehr die Gesuch­te. Nie gewe­sen. Dann wäre es eine neue. Such­te er also immer, was er gera­de gefun­den hat­te? Was für eine beque­me Lebens­phi­lo­so­phie! Sucht man nach Gold und fin­det bloß Eisen, so dekla­riert man die­se Suche ein­fach um. Schon immer habe man nach Eisen gesucht, sagt man dann. Etwas ande­res als Eisen wol­le man gar nicht haben, behaup­tet man mit erns­ter Mie­ne. Das Eisen wür­de sich geschmei­chelt füh­len, wäre es zu Emo­tio­nen in der Lage, und es wür­de nie infra­ge stel­len, ob die Suche wirk­lich ihm galt. Eine ange­neh­me Illu­si­on mit einer har­ten Wahr­heit auf die Pro­be stel­len? Nein!

War sie etwa sein Eisen? Er hat­te sie gefun­den, das stand außer Fra­ge, aber hat­te er sie auch gesucht? Sie? Wirk­lich sie? Sie begann zu zwei­feln. Er hat­te ihr nie erzählt, wie sei­ne Freun­din­nen vor ihr gewe­sen sind. Pass­te sie in ein Mus­ter, frag­te sie sich. Dann hat­te er viel­leicht wirk­lich nach ihr gesucht und alle Frau­en vor ihr waren fehl­ge­schla­ge­ne Ver­su­che in einer Art von Annä­he­rungs­ver­fah­ren. Bloß woher soll­te sie dann wis­sen, wirk­lich am Ende die­ser Suche zu ste­hen. War es nicht viel wahr­schein­li­cher, dass auch sie nur eine Annä­he­rung an die Frau war, die er wirk­lich such­te? Sie hat­te Eigen­schaf­ten, die er nicht moch­te. Was soll­te ihr das bedeu­ten? War sie von die­ser Frau, die er such­te, so weit ent­fernt? Er nahm sie hin, die­se Eigen­schaf­ten, sehr gedul­dig sogar, aber tat er das viel­leicht nicht nur, weil es bes­ser ist, anstel­le gar kei­ner wenigs­tens eine hal­be Ver­si­on der Frau zu haben, die man sucht? War sie eine Kom­pro­miss­lö­sung, ein Zwi­schen­schritt in der Evo­lu­ti­on sei­ner Beziehungen?

Was wäre wie­der­um, wenn sie und die Frau­en sei­ner frü­he­ren Bezie­hun­gen nicht in ein sol­ches Mus­ter pass­ten? Dann wäre sei­ne Aus­wahl doch recht belie­big. Sie wäre nicht ein­mal ein evo­lu­tio­nä­rer Zwi­schen­schritt auf dem Weg zu der von ihm gesuch­ten Frau, son­dern aus­tausch­bar. Völ­lig aus­tausch­bar. Wenn er wirk­lich sie gesucht hät­te, war­um wäre er dann mit Frau­en zusam­men gewe­sen, die ihr so unähn­lich waren? Da gab es kei­ne Linie, kei­ne Annä­he­rung, nur aus­tausch­ba­re Part­ner. Jede hat­te er gefun­den. Hat­te er auch jede gesucht? Hat­te er über­haupt eine von ihnen gesucht?

Was soll­te das über­haupt hei­ßen, sie sei die, nach der er gesucht habe? Er sprach in der Ver­gan­gen­heit. Wenn es also stim­men soll­te, hie­ße es dann, er such­te sie gar nicht mehr? Glaub­te er, er hat­te sie gefun­den? Ein­mal, und dann für immer und ewig? Wenn man etwas fin­det, hört man auf, danach zu suchen, dach­te sie. Wenn man weiß, wo etwas liegt, beach­tet man es kaum, es liegt dort schließ­lich immer. Nahm er sie also für selbst­ver­ständ­lich? Er hat­te sie gefun­den und nun war die Suche vor­bei. Sie war für ihn nichts mehr, das er erkun­den woll­te. Konn­te das sein? War das nicht gera­de das Gegen­teil von Lie­be, jeman­den ein­mal zu fin­den und dann auf­zu­hö­ren, in ihm zu suchen – nach ihm selbst. „Ich habe dich gefun­den“ redu­zier­te doch die Lie­be auf „Ich möch­te, dass du für immer so bleibst“. Das war kei­ne Lie­be. Jeman­den zu fin­den, ein für alle Mal, das ist unmög­lich, so wie es doch unmög­lich ist, sich jemals selbst zu fin­den, ohne sich dabei zu ver­lie­ren. In der Suche steckt die Lie­be und in der Suche steckt die Selbst­er­kennt­nis. Wer fin­det, der hat nichts mehr zu ent­de­cken, mit dem Fin­den stirbt das Leben, das Stre­ben und die Lie­be. Wie also konn­te er allen Erns­tes behaup­ten, er habe sie gefun­den? Sie kann­ten sich doch gera­de erst ein hal­bes Jahr! Wie ver­mes­sen es war, bereits nach die­ser kur­zen Zeit nichts mehr an ihr ent­de­cken zu wol­len. Er war fer­tig mit ihr, dach­te sie. Schade.

Sie pack­te alles ein, was ihr gehör­te, und ver­ließ sei­ne Woh­nung. Dies­mal wür­de er sie suchen, ja, aber fin­den wür­de er sie nicht mehr.