Schlagwortarchiv für: Bewusstsein

Wenn ein Duft gefällt, so ver­sucht man ihn fest­zu­hal­ten, ihn wie­der­zu­fin­den; man läßt sich nicht voll­stän­dig von ihm berau­schen, um ihn ana­ly­sie­ren zu kön­nen und ihn all­mäh­lich in sich auf­zu­neh­men, bis sich der Sin­nes­ein­druck durch die blo­ße Erin­ne­rung wie­der­her­stel­len läßt; wenn der Duft wie­der­kommt, atmet man ihn lang­sa­mer, vor­sich­ti­ger ein, um auch die feins­ten Nuan­cen zu erfas­sen. Eine star­ke Duft­wol­ke steigt einem zu Kopf, hin­ter­läßt jedoch das auf­rei­zen­de Gefühl von etwas Unfer­ti­gem, Unvoll­ende­tem. Oder sie läßt einem auf unan­ge­neh­me Wei­se den Atem sto­cken, man möch­te sie los­wer­den, um wie­der frei zu atmen, oder aber es ist ein hef­ti­ger, zu schnell wie­der ver­gan­ge­ner Rausch, weil nur das Ner­ven­sys­tem berührt wor­den ist. Es ist Glück, über­wäl­tigt zu wer­den und nichts mehr zu wis­sen. Doch noch ein Eck­chen Bewußt­sein zu haben, das immer weiß, was geschieht, und das durch die­ses Wis­sen dem gesam­ten intel­lek­tu­el­len, ver­nünf­ti­gen Wesen erlaubt, in jeder Sekun­de an dem gegen­wär­ti­gen Glück teil­zu­ha­ben, die­ses Eck­chen Bewußt­sein zu haben, das die Ent­wick­lung der Freu­de lang­sam nach­voll­zieht, das ihr bis an die äußers­ten Enden folgt, ist das nicht auch Glück? Es gibt ein Eck­chen, das nicht mit­schwingt, doch die­ses Eck­chen bleibt Zeu­ge der erleb­ten Freu­de – das, was sich erin­nert und sagen kann: Ich bin glück­lich gewe­sen und ich weiß war­um. Ich will ger­ne den Kopf ver­lie­ren, aber ich will den Augen­blick begrei­fen, da ich den Kopf ver­lie­re, und die Erkennt­nis des abdan­ken­den Bewußt­seins soweit wie mög­lich trei­ben. Man soll sein Glück nicht in Abwe­sen­heit erleben.
Mar­cel­le Sau­va­geot – Fast ganz die Deine

Unser Bewusst­sein hat sich im Lau­fe eini­ger Jahr­hun­der­te sehr ver­än­dert, unser Gefühls­le­ben sehr viel weni­ger. Daher eine Dis­kre­panz zwi­schen unse­rem intel­lek­tu­el­len und unse­rem emo­tio­na­len Niveau. Die meis­ten von uns haben so ein Paket mit fleisch­far­be­nem Stoff, näm­lich Gefüh­le, die sie von ihrem intel­lek­tu­el­len Niveau aus nicht wahr­ha­ben wol­len. Es gibt zwei Aus­we­ge, die zu nichts füh­ren; wir töten unse­re pri­mi­ti­ven und also unwür­di­gen Gefüh­le ab, soweit als mög­lich, auf die Gefahr hin, daß dadurch das Gefühls­le­ben über­haupt abge­tö­tet wird, oder wir geben unse­ren unwür­di­gen Gefüh­len ein­fach einen ande­ren Namen. Wir lügen sie um. Wir eti­ket­tie­ren sie nach dem Wunsch unse­res Bewusst­seins. Je wen­di­ger unser Bewusst­sein, je bele­se­ner, um so zahl­rei­cher und um so nobler unse­re Hin­ter­tü­ren, um so geist­vol­ler die Selbst­be­lü­gung! Man kann sich ein Leben lang damit unter­hal­ten, und zwar vor­treff­lich, nur kommt man damit nicht zum Leben, son­dern unwei­ger­lich in die Selbst­ent­frem­dung. (…) Es ist merk­wür­dig, was sich uns, sobald wir in der Selbst­über­for­de­rung und damit in der Selbst­ent­frem­dung sind, nicht alles als Gewis­sen anbie­tet. Die inne­re Stim­me, die berühm­te, ist oft genug nur die koket­te Stim­me eines Pseu­do-Ich, das nicht dul­det, daß ich es end­lich auf­ge­be, daß ich mich selbst erken­ne, und es mit allen Lis­ten der Eitel­keit, nöti­gen­falls sogar mit Falsch­mel­dun­gen aus dem Him­mel ver­sucht, mich an mei­ne töd­li­che Selbst­über­for­de­rung zu fes­seln. Wir sehen wohl unse­re Nie­der­la­ge, aber begrei­fen sie nicht als Signa­le, als Kon­se­quen­zen eines ver­kehr­ten Stre­bens, eines Stre­bens weg von unse­rem Selbst.
(Max Frisch – Stiller)