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Die ursprüng­li­che Bezie­hung zu der sozia­len Welt, durch die und für die man geschaf­fen ist, ist ein Besitzver­hält­nis, das den Besitz des Besit­zers durch sei­ne Besitz­tü­mer impli­ziert. Wenn das Erbe sich den Erben ange­eig­net hat, wie Marx sagt, kann der Erbe sich das Erbe aneig­nen. Und die­se Aneig­nung des Erben durch das Erbe, die Anpas­sung des Erben an das Erbe, die die Bedin­gung für die Aneig­nung des Erbes durch den Erben ist (und die weder etwas Mecha­ni­sches noch etwas Schick­sal­haf­tes hat), voll­zieht sich durch den kom­bi­nier­ten Effekt der in die Lebens­be­din­gun­gen des Erben ein­ge­schrie­be­nen Kon­di­tio­nie­run­gen und der päd­ago­gi­schen Akti­on sei­ner Vor­fah­ren, der ange­eig­ne­ten Eigen­tü­mer. Der geerb­te, dem Erbe ange­pass­te Erbe braucht nicht zu wol­len, d.h. zu über­le­gen, zu wäh­len und bewusst zu ent­schei­den, um das zu tun, was mit den Inter­es­sen des Erbes über­ein­stimmt, sei­ner Wah­rung und Meh­rung dien­lich ist. Er mag genau genom­men nicht ein­mal wis­sen, was er tut und was er sagt, und ver­mag gleich­wohl nichts zu tun oder zu sagen, was nicht den Erfor­der­nis­sen des Erbes ent­spricht. (…) Dies kann in dem Gefühl zum Aus­druck kom­men, genau »am rich­ti­gen Platz« zu sein, genau das zu tun, was man zu tun hat, und es auf glück­li­che Wei­se – im objek­ti­ven wie im sub­jek­ti­ven Sin­ne – zu tun oder in der resi­gnier­ten Über­zeu­gung, nichts ande­res tun zu kön­nen, auch eine frei­lich weni­ger glück­li­che Wei­se, sich für das, was man tut, geschaf­fen zu fühlen.
(Pierre Bour­dieu – Der Tote packt den Leben­den, in: Der Tote packt den Lebenden)

Gegen­über der ima­gi­nä­ren Anthro­po­lo­gie der Wirt­schafts­wis­sen­schaft, die sich noch nie der For­mu­lie­rung uni­ver­sel­ler Geset­ze der »zeit­li­chen Prä­fe­renz« ent­schla­gen konn­te, ist dar­an zu erin­nern, daß die jewei­li­ge Geneigt­heit zur Unter­ord­nung gegen­wär­ti­ger Wün­sche unter zukünf­ti­ge Befrie­di­gun­gen davon abhängt, wie »ver­nünf­tig« die­ses Opfer ist, d.h. von den jewei­li­gen Chan­cen, auf jeden Fall in der Zukunft mehr an Befrie­di­gung zu erhal­ten als was gegen­wär­tig geop­fert wur­de. Unter die öko­no­mi­schen Bedin­gun­gen der Nei­gung, unter­mit­tel­ba­re Wunsch­er­fül­lung zuguns­ten künf­tig erhoff­ter zurück­zu­stel­len, ist glei­cher­ma­ßen die in der gegen­wär­ti­gen Lage ange­leg­te Wahr­schein­lich­keit der zukünf­ti­gen Befrie­di­gung zu rech­nen. (…) Für die­je­ni­gen, die – wie es so heißt – kei­ne Zukunft haben, die jeden­falls von die­ser wenig zu erwar­ten haben, stellt der Hedo­nis­mus, der Tag für Tag zu den unmit­tel­bar gege­be­nen sel­te­nen Befrie­di­gungs­mög­lich­kei­ten (»die güns­ti­gen Augen­bli­cke«) grei­fen läßt, alle­mal noch die ein­zig denk­ba­re Phi­lo­so­phie dar. Ver­ständ­li­cher wird damit, war­um der vor­nehm­lich im Ver­hält­nis zur Nah­rung sich offen­ba­ren­de prak­ti­sche Mate­ria­lis­mus zu einem der Grund­be­stand­tei­le des Ethos, ja selbst der Ethik der unte­ren Klas­sen gehört: das Gegen­wär­tig­sein im Gegen­wär­ti­gen, das sich bekun­det in der Sor­ge, die güns­ti­gen Augen­bli­cke aus­zu­nut­zen und die Zeit zu neh­men, wie sie kommt, ist von sich aus Mani­fes­ta­ti­on von Soli­da­ri­tät mit den ande­ren (die im übri­gen häu­fig genug die ein­zi­ge vor­han­de­ne Sicher­heit gegen die Unbill der Zukunft bil­den) inso­weit, als in die­sem gleich­sam voll­kom­me­nen zeit­li­chen Imma­nenz­ver­hal­ten sich doch auch die Aner­ken­nung der die spe­zi­fi­sche Lage defi­nie­ren­den Gren­zen offenbart.
(Pierre Bour­dieu – Die fei­nen Unterschiede)