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„In der Regel feh­len denen, die über Bil­dungs­ka­pi­tal in nen­nens­wer­tem Umfang nicht ver­fü­gen, die ›rich­ti­gen‹ Infor­ma­tio­nen für eine in die höchs­ten Posi­tio­nen füh­ren­de Bil­dungs­in­ves­ti­ti­on, es fehlt ihnen die Ver­traut­heit mit den Struk­tu­ren und Wer­ten der Schu­le, und wo die­se nicht fehlt, wie zum Bei­spiel in den Fami­li­en der Leh­rer oder der klei­nen Beam­ten, da feh­len ihnen die mate­ri­el­le Sicher­heit und auch die Sicher­heit des Habi­tus, die jene ris­kan­ten Bil­dungs­we­ge ermög­li­chen wür­den, die den höchs­ten Gewinn ver­spre­chen“ (Krais & Gebau­er, 2002, S. 41).

Zusätz­lich zu einer kul­tu­rel­len und habi­tu­el­len Pas­sung, die sich als pri­mä­rer Her­kunfts­ef­fekt auf die schu­li­schen Leis­tun­gen aus­wirkt, ist die Bil­dungs­lauf­bahn inner­halb des Schul­sys­tems von zahl­rei­chen sich kumu­lie­ren­den Ent­schei­dun­gen geprägt, die je nach sozia­ler Her­kunft unter­schied­lich aus­fal­len, von der Wahl der vor­schu­li­schen Betreu­ung und der Grund­schu­le, über die wei­ter­füh­ren­de Schul­form, die Auf­nah­me einer beruf­li­chen Aus­bil­dung oder eines Stu­di­ums bis hin zur Wahl des spe­zi­fi­schen Stu­di­en­fachs. Die­se Bil­dungs­ent­schei­dun­gen sind vor allem in den ers­ten Abschnit­ten des Bil­dungs­ver­laufs wie etwa beim Über­gang von der Grund- in die wei­ter­füh­ren­de Schu­le elter­li­che Ent­schei­dun­gen, wäh­rend spä­ter auch der Schü­ler selbst die Ent­schei­dun­gen beein­flus­sen kann[1].

In der Bil­dungs­for­schung domi­nie­ren ver­schie­de­ne, auf Boudons (1974) Modell ratio­na­ler Wahl­ent­schei­dun­gen fußen­de Kon­zep­te (für einen Über­blick sie­he Maaz, Hau­sen, McEl­va­ny, & Bau­mert, 2006; Becker R., 2011; Stocké, 2010) die Erklä­rung der her­kunfts­spe­zi­fi­schen Bil­dungs­ent­schei­dun­gen, wie etwa die Theo­rie ratio­na­ler Bil­dungs­ent­schei­dun­gen (vgl. Erik­son & Jons­son, 1996), der mikro­theo­re­ti­sche Ansatz (vgl. Breen & Gold­thor­pe, 1997) oder die Wert-Erwar­tungs-Theo­rie (vgl. Esser, 1999). Der Kern all die­ser Theo­rien „besteht in der Annah­me, dass Indi­vi­du­en bei der Ent­schei­dungs­fin­dung kal­ku­lie­ren, wel­che Erträ­ge sich aus dem Besuch eines bestimm­ten Bil­dungs­gangs erge­ben und wel­che Kos­ten damit ver­bun­den sind“ (Maaz, Hau­sen, McEl­va­ny, & Bau­mert, 2006, S. 303; vgl. Hill­mert, 2007), dem­zu­fol­ge es sich bei Bil­dungs­ent­schei­dun­gen um zukunfts­ori­en­tier­te, nut­zen­ma­xi­mie­ren­de, ziel­ge­rich­te­te ratio­na­le Abwä­gung als „Teil der Lebens­pla­nung“ (Becker R., 2011, S. 107) han­de­le. Ver­all­ge­mei­nernd wird hier­zu das Motiv des Sta­tus­er­halts unter­stellt (vgl. Maaz, 2006; Maaz, Hau­sen, McEl­va­ny, & Bau­mert, 2006; Becker R., 2007; Hill­mert, 2007; Becker R., 2011), das als allei­ni­ges Motiv aller­dings bereits zu kurz greift, da milieu­spe­zi­fi­sche Ein­stel­lungs­mus­ter und Bil­dungs­aspi­ra­tio­nen gegen­über der Schu­le exis­tie­ren, die sich in ent­spre­chen­den her­kunfts­spe­zi­fi­schen ‚Stra­te­gien‘ äußern, sei­en es je nach Milieu etwa Auf­stiegs- oder Ver­mei­dungs­stra­te­gien. Damit ver­bun­den ist zudem die Fra­ge, wes­sen Nut­zen eigent­lich gemeint ist, wenn von Nut­zen­ma­xi­mie­rung gespro­chen wird (vgl. Dit­ton, 2007, S. 251) – der der Fami­lie, der des Kin­des oder gar ein gänz­lich anderer.

Die unglei­chen, her­kunfts­spe­zi­fi­schen Bil­dungs­ent­schei­dun­gen wer­den in die­sem Kon­text mit einer je nach sozia­ler Her­kunft unter­schied­lich aus­fal­len­den Ein­schät­zung und Bewer­tung der eige­nen Leis­tun­gen, des poten­ti­el­len Stu­di­en­erfolgs und des Kos­ten­ri­si­kos erklärt (vgl. Becker & Lau­ter­bach, 2007; Becker R., 2010), d.h. „[d]ie Ratio­na­li­tät der Bil­dungs­ent­schei­dung ergibt sich daher aus der (ver­nünf­ti­gen) Beach­tung von Mög­lich­kei­ten und Zwän­gen der Ent­schei­dungs- und Hand­lungs­mög­lich­kei­ten, die wie­der­um mit der sozia­len Posi­ti­on der Fami­lie und ihren Res­sour­cen gege­ben sind“ (Becker R., 2007, S. 165). Wenn­gleich dar­auf hin­ge­wie­sen wird, dass der­ar­ti­ge „Eva­lua­tions- und Aus­wahl­pro­zes­se (…) nicht zwangs­läu­fig bewusst vor­ge­nom­men wer­den“ (Becker R., 2011, S. 127) müs­sen, wird doch immer wie­der betont, der­ar­ti­ge Bil­dungs­ent­schei­dun­gen basier­ten auf „kom­ple­xen Ent­schei­dungs­pro­zes­sen, denen in der Regel mehr oder weni­ger umfas­sen­de Infor­ma­ti­ons­su­chen, selek­ti­ve Infor­ma­ti­ons­ver­ar­bei­tun­gen und dar­auf basie­ren­de Abwä­gungs­pro­zes­se vor­aus­ge­hen“ (ebd., S. 107) – hier wird ent­we­der ein Wider­spruch offen­bar, oder es han­delt sich um eine Ein­schrän­kung der latent ratio­na­lis­ti­schen Sicht­wei­se zuguns­ten ande­rer Erklä­rungs­an­sät­ze wie etwa unter Zuhil­fe­nah­me des Habi­tus­kon­zepts. Für letz­te­res spricht, dass zugleich ‚frames‘ und ‚habits‘ ange­führt wer­den, die zu siche­ren und ‚auto­ma­ti­schen Ent­schei­dun­gen‘ füh­ren sol­len, da sie „sich in der Ver­gan­gen­heit immer bewährt haben“ (ebd., S. 127) und es die „Unbe­stimmt­heit der kon­kre­ten Hand­lungs­si­tua­ti­on (…) mög­li­cher­wei­se struk­tu­rell unmög­lich [macht], i.e.S. ‚ratio­nal’ zu han­deln“ (Hill­mert, 2007, S. 92), wes­we­gen auf bewähr­te, erfah­rungs­mä­ßi­ge (und eher unbe­wuss­te) Hand­lungs­me­cha­nis­men zurück­ge­grif­fen wer­den muss.

In die­sem Sin­ne soll das Kon­zept der ratio­na­len Wahl mit jenem des Habi­tus ver­bun­den wer­den, da „ratio­na­le Ent­schei­dun­gen übli­cher­wei­se mit den inkor­po­rier­ten Sche­ma­ta des Habi­tus weit­ge­hend zusam­men­fal­len“ (Lan­ge-Ves­ter & Tei­wes-Küg­ler, 2006, S. 60; vgl. Ves­ter, 2006; Grund­mann, 2006), was nichts ande­res bedeu­tet, als dass ein Indi­vi­du­um die objek­ti­ven Per­spek­ti­ven, Chan­cen und Wahr­schein­lich­kei­ten habi­tu­ell ver­in­ner­licht hat, die somit zur Grund­la­ge der eige­nen, sub­jek­ti­ven her­kunfts­spe­zi­fi­schen Ratio­na­li­tät gewor­den sind, sodass objek­ti­ve Mög­lich­kei­ten und sub­jek­ti­ve Ent­schei­dun­gen in einer Art Wahl der wahr­schein­lichs­ten Zukunft – ver­mit­telt über die impli­zi­te Kom­pli­zen­schaft des Habi­tus mit den ihn erzeu­gen­den Struk­tu­ren – in der Regel über­ein­stim­men, da der Habi­tus und der mit ihm ein­her­ge­hen­de prak­ti­sche Sinn als „Natur gewor­de­ne, in moto­ri­sche Sche­ma­ta und auto­ma­ti­sche Kör­per­re­ak­tio­nen ver­wan­del­te gesell­schaft­li­che Not­wen­dig­keit“ (Bour­dieu, 1987b, S. 127; vgl. Krais & Gebau­er, 2002) eine Ratio­na­li­tät erzeugt, die den erfah­re­nen gesell­schaft­li­chen Umstän­den am bes­ten ange­passt ist: „Ob die Wahl eines Stu­di­ums oder die Ent­schei­dung für einen Lehr­be­ruf eher ratio­nal kal­ku­lie­rend oder eher ohne spe­zi­fi­sche Kal­ku­la­ti­on erfolgt, lässt sich des­halb oft gar nicht unter­schei­den, weil bei­de Logi­ken des Han­delns zu über­ein­stim­men­den Ergeb­nis­sen füh­ren“ (Lan­ge-Ves­ter & Tei­wes-Küg­ler, 2006, S. 60) und „Über­ein­stim­mun­gen zwi­schen dem Wil­len der Akteu­re und den Len­kun­gen des Bil­dungs­sys­tems die Regel sind“ (Lan­ge-Ves­ter, 2009, S. 273). Wenn also eine ratio­na­le Wahl per Beob­ach­tung kon­stru­iert wird, heißt das nicht zwangs­läu­fig, dass der Akteur die­se auch bewusst als ratio­na­le Wahl erfah­ren bzw. voll­zo­gen hat, da „bewuss­tes und kal­ku­lie­ren­des Han­deln im All­tag von Men­schen einen Son­der­fall, kei­nes­wegs den ‚Nor­mal­mo­dus‘ des Han­delns dar­stellt“ (Bitt­ling­may­er, 2006, S. 45; vgl. Ves­ter, 2004), sind doch die „ein­träg­lichs­ten Stra­te­gien (…) meist die, wel­che außer­halb jeder Berech­nung (…) erzeugt wer­den“ (Bour­dieu, 1987a, S. 116), wes­halb zwar „eine sehr enge Kor­re­la­ti­on zwi­schen wis­sen­schaft­lich kon­stru­ier­ten objek­ti­ven Wahr­schein­lich­kei­ten (…) und sub­jek­ti­ven Erwar­tun­gen“ (ebd., S. 100) fest­ge­stellt wer­den kann, die aber nicht als Beleg für bewusst-kal­ku­lie­ren­des Han­deln miss­ver­stan­den wer­den soll­te (vgl. ebd.; Krais & Gebau­er, 2002; Wig­ger, 2009; Bour­dieu & Wac­quant, 1996).

Über den Habi­tus wer­den in der Regel „die unwahr­schein­lichs­ten Prak­ti­ken (…) durch eine Sofort­un­ter­wer­fung unter die Ord­nung, die aus der Not gern eine Tugend macht, also Abge­lehn­tes ver­wirft und Unver­meid­li­ches will, als undenk­ba­re aus­ge­schie­den“ (Bour­dieu, 1987a, S. 100), bevor über­haupt eine bewusst-kal­ku­lie­ren­de Abwä­gung statt­fin­den kann; so zum Bei­spiel im Fall des schul­ab­leh­nen­den Ver­hal­tens unter Kin­dern aus schul­bil­dungs­fer­nen Milieus, denn hier­bei wer­den die Spiel­re­geln von vorn­her­ein abge­lehnt, das Spiel nicht aner­kannt, weil die ohne­hin gerin­gen objek­ti­ven Erfolgs­chan­cen bereits habi­tu­ell ver­in­ner­licht wor­den sind. Bil­dungs­stra­te­gien und ratio­na­le Bil­dungs­ent­schei­dun­gen kön­nen somit nicht anders begrif­fen wer­den denn als „eine (impli­zi­te) Ver­nünf­tig­keit der Hand­lungs­plä­ne, wie sie sich aus dem Habi­tus des Indi­vi­du­ums bzw. der Fami­lie und aus der jewei­li­gen Posi­ti­on im sozia­len Raum ergibt“ (Bra­ke & Büch­ner, 2009, S. 69), dem­entspre­chend die­se Ver­nünf­tig­keit mit den jeweils milieu­spe­zi­fi­schen All­tags­prak­ti­ken, deren Zusam­men­wir­ken mit dem Hand­lungs­feld Schu­le, der unter­schied­li­chen Schul­nä­he und der Wert­schät­zung der Schu­le als auch der von der Schu­le erfah­re­nen Wert­schät­zung vari­iert (vgl. Lan­ge-Ves­ter & Tei­wes-Küg­ler, 2006; Grund­mann, 2006) und nicht objek­tiv fass­bar, son­dern nur anhand der sub­jek­ti­ven Dis­po­si­tio­nen erklär­bar ist.

Jeder ratio­na­lis­ti­sche Erklä­rungs­an­satz der Bil­dungs­ent­schei­dun­gen ist folg­lich „intel­lek­tu­ello­zen­trisch“ (Bour­dieu & Wac­quant, 1996, S. 153) und begeht daher den Feh­ler, objek­tiv fest­stell­ba­re Stra­te­gien als sub­jek­ti­ve Stra­te­gien zu inter­pre­tie­ren und dahin­ge­hend umzu­deu­ten (vgl. Bour­dieu, 1998, S. 207 & 210; Bour­dieu & Wac­quant, 1996, S. 100; Krais & Gebau­er, 2002, S. 23), womit er einer retro­spek­ti­ven Illu­si­on auf­liegt, indem „die objek­tiv fina­li­sier­te Akti­on des Habi­tus als das Ergeb­nis einer bewuss­ten und kal­ku­lier­ten (…) Stra­te­gie auf­ge­fasst wird und nicht als eine objek­ti­ve Stra­te­gie, die ihren Erfolg viel­fach nur ihrer Unbe­wusst­heit (…) ver­dankt“ (Bour­dieu, 2011, S. 25), zumal es tri­vi­al bis tau­to­lo­gisch anmu­tet zu kon­sta­tie­ren, Akteu­re ent­schie­den sich in einem ratio­na­len Pro­zess für die­je­ni­ge Alter­na­ti­ve, die bei ratio­na­ler Abwä­gung am sinn­volls­ten sei.

Hin­zu kom­men Kon­flikt­ver­hält­nis­se zwi­schen All­tags­pra­xis und schu­li­scher Pra­xis, die maß­geb­li­chen Ein­fluss auf die jeweils ver­folg­ten Bil­dungs­stra­te­gien aus­üben. In den unte­ren, schulbildungsferne(re)n Milieus pro­vo­ziert die Schu­le einen „kon­flikt­haf­te Gegen­satz, der hier zwi­schen lebens­welt­lich rele­van­ter und insti­tu­tio­nell gefor­der­ter Bil­dung besteht“ (Grund­mann, Bitt­ling­may­er, Dra­ven­au, & Groh-Sam­berg, 2007, S. 48; vgl. Bitt­ling­may­er & Grund­mann, 2006; Dra­ven­au & Groh-Sam­berg, 2005), der letz­ten Endes eine die sozia­le Iden­ti­tät mas­siv beein­träch­ti­gen­de Bil­dungs­ent­schei­dung her­vor­ruft, die zuguns­ten der Schu­le und gegen das Her­kunfts­mi­lieu oder zuguns­ten des Her­kunfts­mi­lieus und gegen die Schu­le aus­fällt, denn jene „Hand­lungs­be­fä­hi­gun­gen und Kom­pe­ten­zen, die in der einen Welt zäh­len, sind in der jeweils ande­ren nichts wert“ (ebd., S. 49). Spä­tes­tens an die­ser Stel­le soll­te deut­lich wer­den, dass eine rein auf Nut­zen­ma­xi­mie­rung und ratio­na­le Abwä­gung fokus­sier­te Ana­ly­se der­ar­ti­ge iden­ti­täts­stif­ten­de oder -bedro­hen­de Ein­flüs­se und poten­ti­el­le Ent­frem­dungs­pro­zes­se größ­ten­teils igno­riert und nur eine lücken­haf­te Erklä­rung leis­ten kann, die der Akteurs­per­spek­ti­ve kaum gerecht wird, da auch die zu erwar­ten­de Ent­frem­dung und Ent­beh­rung und die damit ein­her­ge­hen­den Zumu­tun­gen in die Bil­dungs­ent­schei­dun­gen ein­ge­hen (Grund­mann, Bitt­ling­may­er, Dra­ven­au, & Edel­stein, 2006). Die vor allem bei Fami­li­en mit nied­ri­gem Bil­dungs­sta­tus zu beob­ach­ten­de Selbst­eli­mi­nie­rung aus dem Schul­sys­tem, d.h. die Wahl wenig ertrag­rei­cher Bil­dungs­lauf­bah­nen, der Abbruch der­sel­ben oder die Ent­wick­lung von Gegen­wel­ten kann dar­um als Selbst­schutz ver­stan­den wer­den, um „der wei­te­ren Kon­fron­ta­ti­on mit den lebens­welt­lich inkom­men­sur­a­blen Impe­ra­ti­ven schu­li­scher Bil­dung aus dem Weg [zu] gehen“ (Grund­mann, Groh-Sam­berg, Bitt­ling­may­er, & Bau­er, 2003, S. 39; vgl. Dit­ton, 2010; Dra­ven­au, 2006).

Unzu­rei­chen­de ana­ly­ti­sche Schär­fe wei­sen die Ratio­nal-Choice-Theo­rien auch hin­sicht­lich des her­kunfts­spe­zi­fi­schen Zeit­ho­ri­zonts bei der Bil­dungs­pla­nung auf (vgl. Becker R., 2010; Becker R., 2011; Dit­ton, 2007), der von der mate­ri­el­len und kul­tu­rel­len Situa­ti­on der Fami­lie abhän­gig ist. Die Vor­stel­lung im Kon­text der Theo­rien ratio­na­ler Wahl lau­tet ver­ein­facht aus­ge­drückt: Auf­grund der mate­ri­el­len Situa­ti­on und weil die Aus­bil­dungs­we­ge unter­schied­li­che Kos­ten und Nut­zen auf­wei­sen, wird von den Akteu­ren in einem mehr oder weni­ger ratio­na­len Pro­zess der bewuss­te Zeit­ho­ri­zont ange­passt, der für Pla­nun­gen zur Ver­fü­gung steht. Die­se Vor­stel­lung ist erneut als ratio­na­lis­tisch zurück­zu­wei­sen, da sich der her­kunfts­spe­zi­fi­sche Zeit­ho­ri­zont nicht nur in ratio­na­ler Betrach­tung und dem Maß der kal­ku­lie­ren­den Vor­aus­pla­nung äußert, son­dern auch im Den­ken, der Wahr­neh­mung und somit dem Habi­tus an sich (vgl. Bour­dieu, 2000; Gar­ham­mer, 2002; Levi­ne, 1999). Da unte­re, schul­bil­dungs­fer­ne Milieus über kaum mate­ri­el­les und kul­tu­rel­les Kapi­tal ver­fü­gen und „lebens­welt­lich gera­de dar­auf ange­wie­sen sind, nur gerin­ge Erwar­tun­gen an ihre Zukunft, an die Plan­bar­keit ihres Lebens und an län­ger­fris­ti­ge Zie­le und bio­gra­fi­sche ‚Pro­jek­te‘ zu stel­len“ (Grund­mann, Bitt­ling­may­er, Dra­ven­au, & Groh-Sam­berg, 2007, S. 56), ent­wi­ckeln sie einen Habi­tus der Not, der als ein­zi­ge lebens­welt­lich prak­ti­ka­ble Stra­te­gie auf Hedo­nis­mus und das Genie­ßen des im Augen­blick Gege­be­nen setzt (vgl. Bour­dieu, 1982, S. 297) und damit den Zeit­ho­ri­zont stark ein­schränkt – dies aller­dings nicht als Ergeb­nis bewuss­ter Pro­zes­se, son­dern im Sin­ne einer habi­tu­el­len Anpas­sung an die lebens­welt­li­chen Erfor­der­nis­se. Dies bedeu­tet, für ris­kan­te­re Aus­bil­dungs­gän­ge und umfas­sen­de Bil­dungs­pla­nun­gen kön­nen sich haupt­säch­lich sol­che Akteu­re ent­schei­den, die über einen ent­spre­chen­den habi­tu­el­len Zeit­ho­ri­zont und die die­sem zugrun­de­lie­gen­de öko­no­mi­sche Grund­la­ge ver­fü­gen, wohin­ge­gen in „unbe­re­chen­ba­ren Lebens­ver­hält­nis­sen (…) das Ethos plan­mä­ßi­ger Lebens­füh­rung wenig [nutzt]“ (Ves­ter, 2004, S. 46), da es mit den all­täg­li­chen Pra­xen, die zum (Über-)Leben im Her­kunfts­mi­lieu not­wen­dig sind, kollidiert.

Ver­meint­lich irra­tio­na­le Bil­dungs­ent­schei­dun­gen, wie etwa die Wahl der Real­schu­le statt des Gym­na­si­ums oder der Abbruch eines Stu­di­ums, sind folg­lich nicht als irra­tio­nal im eigent­li­chen Sin­ne zu begrei­fen, da dies die jeweils her­kunfts­spe­zi­fi­sche Ratio­na­li­tät ver­ken­nen wür­de, auf der die Ent­schei­dun­gen basie­ren, ohne dabei zwin­gend Aus­druck sub­jek­tiv ratio­na­ler Ent­schei­dun­gen zu sein, „son­dern sie kön­nen im jewei­li­gen sozia­len Kon­text funk­tio­nal sein“ (Hill­mert, 2007, S. 91; vgl. Bitt­ling­may­er, 2006; Dra­ven­au, 2006; Grund­mann, 2006) und ledig­lich unter­schied­li­che Anschluss­fä­hig­keit an die Anfor­de­run­gen des insti­tu­tio­na­li­sier­ten Bil­dungs­we­sens aufweisen:

„Jede Ein­zel­ent­schei­dung, durch die sich ein Kind vom wei­te­ren Bil­dungs­auf­stieg aus­schließt oder in einen aus­sicht­lo­sen Zweig rele­gie­ren läßt, resul­tiert, selbst wenn sie durch den Druck inne­rer Beru­fung oder die Fest­stel­lung unzu­rei­chen­der Befä­hi­gung erzwun­gen scheint, aus der Gesamt­heit der objek­ti­ven Rela­tio­nen zwi­schen sozia­ler Klas­se und Bil­dungs­sys­tem“ (Bour­dieu & Pas­se­ron, 1971, S. 178).

Am Bei­spiel des Stu­di­ums lässt sich das Dar­ge­leg­te exem­pla­risch ver­deut­li­chen. Selbst bei ver­gleich­ba­ren schu­li­schen Leis­tun­gen wei­sen Kin­der aus Fami­li­en mit hoher for­ma­ler Bil­dung eine deut­lich stär­ke­re Stu­di­en­in­ten­ti­on auf als Kin­der aus schul­bil­dungs­fer­nen Milieus (vgl. Maaz, 2006; Reemts­ma Begab­ten­för­de­rungs­werk, 2009; Autoren­grup­pe Bil­dungs­be­richt­erstat­tung, 2010) und neh­men auch dann eher ein Stu­di­um auf, wenn sie sich selbst schlech­te Leis­tun­gen attes­tie­ren und nied­ri­ge Erfolgs­er­war­tun­gen haben (vgl. Becker R., 2010). Stu­den­ten aus unte­ren Milieus den­ken außer­dem häu­fi­ger an Stu­di­en­ab­bruch (vgl. Lan­ge-Ves­ter & Tei­wes-Küg­ler, 2004) – nicht sel­ten, weil sie einen stär­ke­ren Pra­xis­be­zug ver­mis­sen (vgl. Reemts­ma Begab­ten­för­de­rungs­werk, 2009, S. 29), was die sozia­le Distanz zu abs­trak­ter Bil­dung ver­deut­licht – und geben als Aus­druck des schul­bil­dungs­fer­nen Habi­tus einen gene­rell höhe­ren Bera­tungs­be­darf an (vgl. Isser­stedt, Mid­den­dorff, Kan­dul­la, Bor­chert, & Leszc­zen­sky, 2010, S. 35 & 461).

Ent­frem­dung, insti­tu­tio­nel­le Steue­rung und man­geln­de Pas­sungs­ver­hält­nis­se erwe­cken den Anschein, als sei­en es die Indi­vi­du­en selbst, die ihre Bil­dungs­we­ge wäh­len, sich durch­set­zen oder eli­mi­nie­ren las­sen, obwohl viel­mehr unter­schied­li­che Bil­dungs­stra­te­gien, diver­gie­ren­de Zeit­ho­ri­zon­te, impli­zi­te und expli­zi­te Zwän­ge und sym­bo­li­sche Gewalt, letzt­lich also Habi­tus­un­ter­schie­de und die in der Her­kunfts­fa­mi­lie vor­lie­gen­de Kapi­tal­aus­stat­tung für die Selbst­eli­mi­nie­run­gen aus dem Bil­dungs­sys­tem ver­ant­wort­lich sind (vgl. Ves­ter, 2004; Lan­ge-Ves­ter, 2009).


[1] Gemeint ist hier­mit die geziel­te, bewuss­te Beein­flus­sung der kon­kre­ten Bil­dungs­ent­schei­dung – die schu­li­schen Leis­tun­gen eines Schü­lers tra­gen ohne­hin zur Ent­schei­dungs­fin­dung bei, sei es als limi­tie­ren­der Fak­tor oder als Zugangsberechtigung.


Lite­ra­tur:

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Im Kon­text des Habi­tus­kon­zepts und der Bour­dieu­schen Milieu­for­schung ist von öko­no­mi­schem, kul­tu­rel­lem sowie sozia­lem Kapi­tal die Rede. Um die­se ver­schie­de­nen For­men des Kapi­tals, die bei Bour­dieu zur Spra­che kom­men, zu betrach­ten, ist es zunächst ein­mal wich­tig, den Begriff des Kapi­tals gene­rell zu defi­nie­ren. Bour­dieu spricht von Kapi­tal als „akku­mu­lier­te Arbeit, ent­we­der in Form von Mate­ri­al oder in ver­in­ner­lich­ter, »inkor­po­rier­ter« Form“ (Bour­dieu, 1992b, S. 49).

Im Gegen­satz zu einer ver­en­gen­den Betrach­tungs­wei­se, die jeg­li­che Kapi­tal­for­men jen­seits des öko­no­mi­schen Kapi­tals als sol­ches schlicht ver­kennt, iden­ti­fi­ziert Bour­dieu neben dem öko­no­mi­schen Kapi­tal auch kul­tu­rel­les sowie sozia­les Kapital.

Die Betrach­tung der Gesell­schaft unter rein öko­no­mi­schen Gesichts­punk­ten igno­riert die sym­bo­li­sche Logik der Distink­ti­on und die Effek­te des kul­tu­rel­len Kapi­tals, die den Besit­zern eines umfang­rei­chen Kul­tur­ka­pi­tals auf Grund des­sen Sel­ten­heits­werts beson­de­re Pro­fi­te wie etwa schu­li­sche Bil­dungs­er­fol­ge ermöglichen:

„D. h., der­je­ni­ge Teil des Pro­fits, der in unse­rer Gesell­schaft aus dem Sel­ten­heits­wert bestimm­ter For­men von kul­tu­rel­lem Kapi­tal erwächst, ist letz­ten Endes dar­auf zurück­zu­füh­ren, daß nicht alle Indi­vi­du­en über die öko­no­mi­schen und kul­tu­rel­len Mit­tel ver­fü­gen, die es ihnen ermög­li­chen, die Bil­dung ihrer Kin­der über das Mini­mum hin­aus zu ver­län­gern, das zu einem gege­be­nen Zeit­punkt für die Repro­duk­ti­on der Arbeits­kraft mit dem gerings­ten Markt­wert erfor­der­lich ist“ (ebd., S. 57f).

Hier­bei wird anhand des kul­tu­rel­len Kapi­tals bereits deut­lich, dass die drei genann­ten Kapi­tal­ar­ten gesell­schaft­lich ungleich ver­teilt sind, wobei deren Ver­tei­lungs­struk­tur „der imma­nen­ten Struk­tur der gesell­schaft­li­chen Welt“ (ebd., S. 50) ent­spricht, sodass die „unglei­che Ver­tei­lung von Kapi­tal (…) somit die Grund­la­ge für die spe­zi­fi­schen Wir­kun­gen von Kapi­tal“ (ebd., S. 58) bil­det. Auf die­ser Grund­la­ge ist sozia­le Her­kunft „als Ver­ket­tung von Merk­ma­len der sozio­öko­no­mi­schen Stel­lung, des kul­tu­rel­len sowie des sozia­len Kapi­tals zu ver­ste­hen“ (Bau­mert & Maaz, 2006, S. 24), die sozia­le Ungleich­hei­ten abbil­den: „Durch die Ver­knüp­fung und Kor­re­la­ti­on der ver­schie­de­nen Kapi­tal­ar­ten erfolgt eine Kumu­la­ti­on von Vor- bzw. Nach­tei­len in den ver­schie­de­nen sozia­len Klas­sen“ (Jung­bau­er-Gans, 2004, S. 377). Ein gewich­ti­ger Vor­teil die­ser Ope­ra­tio­na­li­sie­rung sozia­ler Her­kunft ist der Umstand, dass mit Blick auf Kapi­tal­zu­sam­men­set­zung, -wir­kung und den dar­aus resul­tie­ren­den Habi­tus eine Per­spek­ti­ve ein­ge­nom­men wird, die sich nicht auf abs­trak­te Kate­go­rien und Struk­tur­merk­ma­le beschränkt, son­dern eben­so Pro­zess­merk­ma­le beleuch­tet und kon­kre­te Eigen­hei­ten wie die Zusam­men­set­zung des Freun­des­krei­ses, Frei­zeit­be­schäf­ti­gun­gen oder Erzie­hungs­sti­le beinhal­tet (vgl. Krais, 2004; Water­mann & Bau­mert, 2006; Bra­ke & Büch­ner, 2009).

Das kul­tu­rel­le Kapi­tal kann als Bil­dung und Hand­lungs­wis­sen in jed­we­der Form, über das eine Per­son ver­fügt, beschrie­ben wer­den und lässt sich in die drei Unter­for­men des inkor­po­rier­ten, objek­ti­vier­ten und insti­tu­tio­na­li­sier­ten Kul­tur­ka­pi­tals differenzieren.

Das inkor­po­rier­te Kul­tur­ka­pi­tal bezeich­net die ver­in­ner­lich­te Form des Kul­tur­ka­pi­tals, es „wird in per­sön­li­cher Bil­dungs­ar­beit erwor­ben und kann am ehes­ten als kogni­ti­ve Kom­pe­tenz und ästhe­ti­scher Geschmack beschrie­ben wer­den“ (Jung­bau­er-Gans, 2004, S. 377). Die Vor­aus­set­zung für jeg­li­che Inkor­po­rie­rung ist eine per­sön­li­che Inves­ti­ti­on von Zeit, die auf­zu­brin­gen sowohl der jewei­li­ge Akteur als auch des­sen Fami­lie (öko­no­misch) in der Lage sein müs­sen, denn die Akku­mu­la­ti­on des kul­tu­rel­len Kapi­tals und damit des­sen indi­vi­du­el­le Effek­ti­vi­tät „hängt viel­mehr auch davon ab, wie­viel nutz­ba­re Zeit (…) in der Fami­lie zur Ver­fü­gung steht, um die Wei­ter­ga­be des Kul­tur­ka­pi­tals zu ermög­li­chen und einen ver­zö­ger­ten Ein­tritt in den Arbeits­markt zu gestat­ten“ (Bour­dieu, 1992b, S. 72), wes­we­gen sich hier Vor­tei­le für öko­no­misch gut­si­tu­ier­te Fami­li­en erge­ben. Als sinn­volls­tes Maß für inkor­po­rier­tes Kul­tur­ka­pi­tal bezeich­net Bour­dieu die gesam­te Dau­er des Bil­dungs­er­werbs, also die­je­ni­ge Zeit, in wel­cher auf dem Wege sozia­ler Ver­er­bung Kul­tur­ka­pi­tal wei­ter­ge­ge­ben wird, wobei hier sehr dar­auf zu ach­ten ist, die­se nicht fälsch­li­cher­wei­se auf die Schul­zeit zu redu­zie­ren, da ansons­ten erneut – wie bei der rein öko­no­mi­schen Betrach­tungs­wei­se – die Trans­mis­si­on des kul­tu­rel­len Kapi­tals in der Fami­lie kom­plett unbe­rück­sich­tigt blie­be (vgl. ebd., S. 56). Da sich die her­kunfts­spe­zi­fi­schen und schul­spe­zi­fi­schen Bil­dungs­in­hal­te aller­dings durch­aus wider­spre­chen kön­nen, ist somit die Zeit der Pri­mär­er­zie­hung, die für die Ver­mitt­lung kul­tu­rel­ler Prak­ti­ken auf­ge­wen­det wur­de, „je nach dem Abstand zu den Erfor­der­nis­sen des schu­li­schen Mark­tes ent­we­der als posi­ti­ver Wert [in Rech­nung zu stel­len], als gewon­ne­ne Zeit und Vor­sprung, oder als nega­ti­ver Fak­tor, als dop­pelt ver­lo­re­ne Zeit, weil zur Kor­rek­tur der nega­ti­ven Fol­gen noch­mals Zeit ein­ge­setzt wer­den muß“ (ebd., S. 56) – für den Schul­erfolg irr­re­le­van­te Pra­xen wer­den somit aus Per­spek­ti­ve der legi­ti­men Kul­tur als Fehl­in­ves­ti­tio­nen betrachtet.

Das ein­mal inkor­po­rier­te Kul­tur­ka­pi­tal wird unwei­ger­lich zum fes­ten Bestand­teil der Per­son und formt ihren Habi­tus, bleibt dabei aber stets von den Umstän­den der ers­ten Aneig­nung geprägt (vgl. ebd., S. 56f), wor­an ersicht­lich wird, wel­chen nach­hal­ti­gen Ein­fluss die her­kunfts­spe­zi­fi­sche Kapi­tal­zu­sam­men­set­zung und die Ver­er­bung die­ses Kapi­tals auf den indi­vi­du­el­len Habi­tus und schließ­lich die schu­li­schen Erfol­ge aufweist.

Dem­ge­gen­über stellt objek­ti­vier­tes Kul­tur­ka­pi­tal, so wie ein Buch, ein Bild, ein Com­pu­ter oder ein Instru­ment, eine auto­no­me, mate­ri­ell über­trag­ba­re Form von Kul­tur­ka­pi­tal dar (vgl. ebd., S. 59). Es kann belie­big unmit­tel­bar wei­ter­ge­ben, ver­schenkt, ver­erbt und gekauft wer­den, wofür ledig­lich eine öko­no­mi­sche Inves­ti­ti­on nötig ist. Durch die­sen Umstand ist das objek­ti­vier­te Kul­tur­ka­pi­tal sehr eng an das öko­no­mi­sche Kapi­tal gebun­den. Die Aneig­nung des objek­ti­vier­ten Kul­tur­ka­pi­tals, die es erst als Kapi­tal wirk­sam wer­den lässt, setzt aller­dings anknüp­fungs­fä­hi­ges inkor­po­rier­tes kul­tu­rel­les Kapi­tal vor­aus – ein Buch bleibt eine blo­ße Blät­ter­samm­lung, solan­ge nicht inkor­po­rier­tes Kul­tur­ka­pi­tal in Form der Lese­fä­hig­keit vorliegt.

Eine gewis­se Objek­ti­vie­rung wie­der­um erfährt das inkor­po­rier­te Kul­tur­ka­pi­tal durch die Form des insti­tu­tio­na­li­sier­ten kul­tu­rel­len Kapi­tals, das in Gestalt von zu ver­ge­be­nen schu­li­schen bzw. aka­de­mi­schen Titeln exis­tiert. Die insti­tu­tio­na­li­sier­te Form des Kul­tur­ka­pi­tals stellt damit eine offi­zi­el­le Aner­ken­nung und Legi­ti­mie­rung des inkor­po­rier­ten Kul­tur­ka­pi­tals dar und ist „ein Zeug­nis für kul­tu­rel­le Kom­pe­tenz, das sei­nem Inha­ber einen dau­er­haf­ten und recht­lich garan­tier­ten kon­ven­tio­nel­len Wert über­trägt“ (ebd., S. 61). Ein der­ar­ti­ges Zeug­nis legi­ti­miert damit nicht nur die fami­liä­re Ver­er­bung kul­tu­rel­len Kapi­tals und die dadurch erzeug­ten sozia­len Ungleich­hei­ten, son­dern beschei­nigt dem Absol­ven­ten einer aner­kann­ten Bil­dungs­ein­rich­tung zudem dau­er­haft, was der Auto­di­dakt stän­dig bewei­sen muss, wobei die ein­zi­ge Dif­fe­renz zwi­schen bei­den Akteu­ren ihre Ent­spre­chung mit und ihre Unter­wer­fung unter die als legi­tim erach­te­ten Bil­dungs­in­sti­tu­tio­nen ist, womit durch insti­tu­tio­nel­le Sank­tio­nen blei­ben­de und für die wei­te­ren Lebens­we­ge höchst rele­van­te Gren­zen pro­du­ziert wer­den, da sie eine wesens­mä­ßi­ge Unter­schei­dung zwi­schen offi­zi­ell aner­kann­tem und durch den Bil­dungs­ti­tel nach­ge­wie­se­nem bzw. garan­tier­tem Kul­tur­ka­pi­tal auf der einen sowie nicht offi­zi­ell aner­kann­tem Kul­tur­ka­pi­tal auf der ande­ren Sei­te voll­zie­hen (vgl. ebd., S. 62; Sol­ga, 2005). An die­ser Stel­le sei erneut auf die damit ein­her­ge­hen­de Abwer­tung all­tags­re­le­van­ter Pra­xen ver­wie­sen, wenn die­se nicht den schu­li­schen (und damit herr­schen­den) Vor­stel­lun­gen legi­ti­mer Kul­tur entsprechen.

Sozia­les Kapi­tal wie­der­um defi­niert Bour­dieu als „die Gesamt­heit der aktu­el­len und poten­ti­el­len Res­sour­cen, die mit dem Besitz eines dau­er­haf­ten Net­zes von mehr oder weni­ger insti­tu­tio­na­li­sier­ten Bezie­hun­gen gegen­sei­ti­gen Ken­nens oder Aner­ken­nens ver­bun­den sind“ (Bour­dieu, 1992b, S. 63). Die­se Res­sour­cen, die über das Netz poten­ti­ell erschlos­sen wer­den kön­nen, umfas­sen sowohl öko­no­mi­sches (bei­spiels­wei­se in Form von Kre­di­ten oder ander­wei­ti­ger finan­zi­el­ler Unter­stüt­zung), kul­tu­rel­les (bei­spiels­wei­se als Zugang zu objek­ti­vier­tem Kul­tur­ka­pi­tal) als auch wei­te­res sozia­les Kapi­tal (‚ein Freund eines Freun­des‘), das „nicht in der direk­ten Ver­fü­gung des Indi­vi­du­ums“, son­dern „an die Exis­tenz ande­rer Per­so­nen gebun­den“ (Holl­stein, 2007, S. 53) ist. Das Netz dient hier­bei als Mul­ti­pli­ka­tor, sodass letzt­lich das für einen Akteur tat­säch­lich ver­füg­ba­re Kapi­tal nicht bloß das direkt zugäng­li­che, son­dern zudem das über das Netz­werk akti­vier­ba­re Kapi­tal ein­schließt (Bour­dieu, 1992b, S. 64). Mit der Grö­ße des jewei­li­gen sozia­len Net­zes und der sozia­len Posi­ti­on der Gegen­über kor­re­liert somit der Umfang des eige­nen Gesamt­ka­pi­tals, wobei qua­li­ta­ti­ve Stär­ke durch­aus Vor­rang vor quan­ti­ta­ti­vem Aus­maß des Net­zes ein­nimmt (vgl. Mewes, 2010).

Die unter­schied­li­chen Kapi­tal­ar­ten sind, wie bereits ange­schnit­ten, unter­ein­an­der kon­ver­tier­bar und stets mit­ein­an­der ver­wo­ben, sodass kei­ne Kapi­tal­art als von den ande­ren Kapi­tal­ar­ten unab­hän­gi­ge ver­stan­den wer­den kann. Kul­tu­rel­le, sozia­le wie öko­no­mi­sche Res­sour­cen der Eltern bei­spiels­wei­se (oder auch der Peers) sind nur nütz­lich, wenn sie ent­spre­chend genutzt wer­den (kön­nen) und sozia­les Kapi­tal in Form von Bezie­hun­gen besteht, die eine sol­che Nut­zung erlau­ben und för­dern (vgl. All­men­din­ger, Ebner, & Niko­lai, 2007, S. 489). Inner­halb der Fami­lie wir­ken sich die Fami­li­en­struk­tur, die phy­si­sche Prä­senz und die För­der­kul­tur auf die schu­li­schen Leis­tun­gen eines Kin­des aus – besteht kein (regel­mä­ßi­ger) Kon­takt zu den Eltern oder fehlt eine sol­che För­der­kul­tur, kann das Kind kaum vom kul­tu­rel­len Kapi­tal der Eltern pro­fi­tie­ren (vgl. ebd.). Außer­halb der Fami­lie ist es die Peer­group und das unmit­tel­ba­re Milieu, das sich auf die Leis­tun­gen aus­wirkt. In- und außer­halb der Fami­lie las­sen sich das kul­tu­rel­le Kapi­tal und die kul­tu­rel­le Pra­xis nicht von den Sozi­al­be­zie­hun­gen und damit dem sozia­len Kapi­tal tren­nen. Bei nied­ri­gem for­ma­lem Bil­dungs­ni­veau kon­zen­trie­ren sich die sozia­len Bezie­hun­gen zudem vor­wie­gend auf Ver­wandt­schaft und Nach­bar­schaft (vgl. Die­wald & Lüdi­cke, 2007; Mewes, 2010), ein Zugriff auf kul­tu­rel­les Kapi­tal über gro­ße sozia­le Netz­wer­ke, wie sie für Milieus mit hoher for­ma­ler Bil­dung cha­rak­te­ris­tisch sind, wird damit erschwert bis unmöglich.

Anhand der Akku­mu­la­ti­on kul­tu­rel­len Kapi­tals in inkor­po­rier­ter Form wur­de bereits im Ansatz deut­lich, wie essen­ti­ell die Ver­füg­bar­keit öko­no­mi­schen Kapi­tals sich auf die zur Inkor­po­rie­rung ver­füg­ba­re Zeit aus­wirkt, da „ein Indi­vi­du­um die Zeit für die Akku­mu­la­ti­on kul­tu­rel­len Kapi­tals nur so lan­ge aus­deh­nen kann, wie ihm sei­ne Fami­lie freie, von öko­no­mi­schen Zwän­gen befrei­te Zeit garan­tie­ren kann“ (Bour­dieu, 1992b, S. 59), und auch Zeit, sich mit dem Kind zu beschäf­ti­gen, bedarf öko­no­mi­scher Sicher­heit, sich die­se Zeit ‚leis­ten‘ zu kön­nen. Das öko­no­mi­sche Kapi­tal erzeugt neben den unmit­tel­ba­ren öko­no­mi­schen Vor­tei­len ein Gefühl mate­ri­el­ler Sicher­heit und erlaubt den Zugriff auf und die Akku­mu­la­ti­on kul­tu­rel­len Kapi­tals, ist folg­lich sowohl direkt als auch indi­rekt für die Habi­tus­bil­dung ver­ant­wort­lich. Es liegt daher sowohl allen ande­ren Kapi­tal­ar­ten zugrun­de, muss aber gleich­zei­tig Trans­for­ma­tio­nen erfah­ren, wo die direk­te Ver­er­bung öko­no­mi­schen Kapi­tals als ille­gi­tim erschei­nen könn­te, um die­se Ver­er­bung zu ver­schlei­ern und zu legi­ti­mie­ren (vgl. ebd., S. 70ff) – eben als Ver­er­bung kul­tu­rel­len Kapi­tals. Wäh­rend die Ver­füg­bar­keit über öko­no­mi­sches Kapi­tal ver­gleich­bar offen­sicht­lich und quan­ti­fi­zier­bar ist, die Effek­te des kul­tu­rel­len Kapi­tals und des­sen Ver­er­bung aber ver­bor­ge­ner von­stat­ten­ge­hen und es häu­fig als Kapi­tal ver­kannt wird – so wird nicht sel­ten das inkor­po­rier­te kul­tu­rel­le Kapi­tal natu­ra­li­siert und als Intel­li­genz, Bega­bung, Talent dekla­riert – , muss fest­ge­hal­ten wer­den, „daß die Über­tra­gung von Kul­tur­ka­pi­tal zwei­fel­los die am bes­ten ver­schlei­er­te Form erb­li­cher Über­tra­gung von Kapi­tal ist“ (ebd., S. 58), denn „[d]er Umstand, daß kul­tu­rel­le Erschei­nun­gen immer auch als sinn­lich faß­ba­re Äuße­run­gen von Per­so­nen in Erschei­nung tre­ten, erweckt den Ein­druck, als sei Kul­tur die natür­lichs­te und die per­sön­lichs­te und damit also auch die legi­tims­te Form des Eigen­tums“ (Bour­dieu, 1992a, S. 27). Infol­ge­des­sen müs­sen auf­grund der Ungleich­ver­tei­lung des kul­tu­rel­len Kapi­tals und der gene­rel­len Hier­ar­chi­sie­rung von Kul­tur die „spe­zi­fi­schen Stra­te­gien, mit denen die ver­schie­de­nen sozia­len Klas­sen und deren Teil­frak­tio­nen ihre sozia­le Stel­lung erhal­ten oder zu ver­bes­sern stre­ben“ (Ves­ter, 2004, S. 27), genau­so wie die schu­li­sche Defi­ni­ti­on legi­ti­mer Kul­tur und die Abwer­tung davon abwei­chen­der sozia­ler Pra­xen als sozia­le Kämp­fe ver­stan­den werden.

In der sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Bil­dungs­for­schung fris­ten auf Bour­dieu und des­sen Kapi­tal- sowie Habi­tus­kon­zept auf­bau­en­de Ansät­ze bis­lang jedoch ein Schat­ten­da­sein (vgl. Kalt­hoff, 2004) oder wer­den bis­wei­len in einer Form umge­setzt, die kul­tu­rel­les Kapi­tal defi­ni­to­risch auf Hoch­kul­tur ver­kürzt (vgl. de Graaf & de Graaf, 2006; dazu kri­tisch Jung­bau­er-Gans, 2006). Zwar fin­det das Kon­zept des kul­tu­rel­len und sozia­len Kapi­tals in den die öffent­li­chen Debat­ten über Bil­dungs­chan­cen immer wie­der her­vor­ru­fen­den PISA-Stu­di­en durch­aus Anwen­dung, aller­dings wur­de in die­sen Ansät­zen die kul­tu­rel­le Pra­xis ledig­lich im Kon­text von PISA 2000 über Fra­gen nach Besitz von Kul­tur­gü­tern, zum kul­tu­rel­len Leben in der Fami­lie und zur Teil­ha­be der Schü­ler an For­men der Kul­tur bzw. der kom­mu­ni­ka­ti­ven Pra­xis ermit­telt (vgl. Bau­mert & Maaz, 2006; Bau­mert, 2001; Water­mann & Bau­mert, 2006). In der Fol­ge­stu­die aus dem Jahr 2003 wur­den zunächst sämt­li­che Fra­gen zur Ver­hal­tens­di­men­si­on des kul­tu­rel­len Kapi­tals gestri­chen, sodass als Indi­ka­tor für kul­tu­rel­les Kapi­tal ein­zig der Besitz von Kul­tur­gü­tern erfasst wird, der eher Rück­schlüs­se auf den finan­zi­el­len als auf den kul­tu­rel­len Hin­ter­grund der Fami­li­en erlaubt (vgl. Jung­bau­er-Gans, 2004), bis schließ­lich PISA 2006 jeg­li­chen Bezug auf Bour­dieu ver­mis­sen ließ (vgl. Kra­mer & Hel­sper, 2010). Selbst zu Beginn der PISA-Stu­di­en wur­den die theo­re­ti­schen Annah­men Bour­dieus nur begrenzt metho­disch umge­setzt, „ohne aller­dings – und das mar­kiert die ent­schei­den­de Dif­fe­renz zu kri­ti­scher Bil­dungs­for­schung – des­sen radi­ka­le, also auf den Grund gehen­de, Ein­schät­zun­gen, die in der Klas­sen­struk­tu­riert­heit der bür­ger­lich-kapi­ta­lis­ti­schen Gesell­schafts­for­ma­ti­on grün­den, zu tei­len bzw. auf­zu­neh­men“ (Sün­ker, 2008, S. 224). Im Gegen­teil fin­det sich dort viel­mehr „eine Abwehr, die teil­wei­se mit einer unvoll­stän­di­gen und ein­sei­ti­gen Rezep­ti­on Bour­dieus ein­her­geht“ (Ves­ter, 2006, S. 23). Mit die­ser Abkehr von der Erfas­sung der Pro­zess­merk­ma­le kul­tu­rel­ler Pra­xis beschrän­ken sich die PISA-Stu­di­en auf rein objek­ti­vis­ti­sche Merk­ma­le zur Defi­ni­ti­on der sozia­len Her­kunft, wes­halb der Bei­trag zur Erklä­rung sozia­ler Chan­cen- und Bil­dungs­un­gleich­hei­ten unbe­frie­di­gend blei­ben muss: „Auf die­se Wei­se kön­nen zwar sta­tis­ti­sche Kor­re­la­tio­nen zwi­schen spe­zi­fi­schen Indi­ka­to­ren wie zum Bei­spiel zwi­schen der sozia­len Her­kunft und der indi­vi­du­el­len schu­li­schen Leis­tungs­fä­hig­keit her­aus­ge­ar­bei­tet wer­den; ver­stan­den sind die sozia­len Pro­zes­se und Mecha­nis­men, die zu die­sen Kor­re­la­tio­nen füh­ren, damit aber noch nicht“ (Grund­mann, Bitt­ling­may­er, Dra­ven­au, & Edel­stein, 2006, S. 15).


Lite­ra­tur:

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  3. Bau­mert, J., & Maaz, K. (2006). Das theo­re­ti­sche und metho­di­sche Kon­zept von PISA zur Erfas­sung sozia­ler und kul­tu­rel­ler Res­sour­cen der Her­kunfts­fa­mi­lie: Inter­na­tio­na­le und natio­na­le Rah­men­kon­zep­ti­on. In J. Bau­mert, P. Sta­nat, & R. Water­mann (Hrsg.), Her­kunfts­be­ding­te Dis­pa­ri­tä­ten im Bil­dungs­we­sen (S. 11-29). Wies­ba­den: VS Ver­lag für Sozialwissenschaften.
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(Re-)Produktion und Legi­ti­ma­ti­on sozia­ler Ungleich­heit durch das Bildungssystem

Obwohl es sich bei Bil­dungs­un­gleich­heit um eines der kon­ti­nu­ier­lich behan­del­ten The­men der sozio­lo­gi­schen For­schung han­delt, fris­te­te es im öffent­li­chen Bewusst­sein nach der ers­ten Hoch­pha­se der Bil­dungs­un­gleich­heits­for­schung und anschlie­ßen­der Bil­dungs­expan­si­on ein Schat­ten­da­sein. Erst mit Erschei­nen der ursprüng­li­chen PISA-Stu­die ist Bil­dungs- und Chan­cen­un­gleich­heit wie­der ins öffent­li­che und auch poli­ti­sche Bewusst­sein gerückt. Wie jede der nach­fol­gen­den PISA-Stu­di­en und die sie beglei­ten­den Debat­ten offen­ba­ren, weist das Pro­blem der Bil­dungs- und Chan­cen­un­gleich­heit eine erheb­li­che Per­sis­tenz auf. Im Zuge der Bil­dungs­expan­si­on konn­te zwar die gene­rel­le Bil­dungs­be­tei­li­gung gestei­gert und der Zugang zu höhe­ren Bil­dungs­ab­schlüs­sen erwei­tert wer­den, doch sind sowohl die­se Zugangs­chan­cen als auch die Chan­cen inner­halb der Bil­dungs­in­sti­tu­tio­nen wei­ter­hin sozi­al ungleich ver­teilt, denn es hat ledig­lich eine quan­ti­ta­ti­ve Annä­he­rung statt­ge­fun­den, die das Pro­blem als sol­ches aller­dings nicht neu­tra­li­siert hat. Im Anschluss an die Bil­dungs­expan­si­on sind gar neue sozia­le Schlie­ßungs­me­cha­nis­men zu beob­ach­ten, die die erziel­ten Erfol­ge rela­ti­vie­ren und die sozia­len Bil­dungs­un­gleich­hei­ten wie­der anstei­gen lassen.

Zen­tra­les Anlie­gen der hier zum Down­load bereit­ge­stell­ten Arbeit ist es, das Zustan­de­kom­men von Bil­dungs­un­gleich­hei­ten und deren Per­sis­tenz unter Zuhil­fe­nah­me des Habi­tus­kon­zepts und dar­auf auf­bau­en­der Milieu- und Pas­sungs­theo­rien nach­zu­zeich­nen, um dar­aus schließ­lich gesamt­ge­sell­schaft­li­che Beob­ach­tun­gen und Kon­se­quen­zen in Bezug auf den Abbau oder die Ver­mei­dung von Bil­dungs­un­gleich­hei­ten abzu­lei­ten. Im Mit­tel­punkt steht dabei der Begriff des milieu­spe­zi­fi­schen Habi­tus und einer ent­spre­chen­den Kul­tur, die je nach sozia­ler Posi­ti­on diver­gie­ren­de Inhal­te und Pra­xen umfasst und die auf­grund die­ser imma­nen­ten Dif­fe­ren­zen unter­schied­li­ches Poten­ti­al zur Anknüp­fung an und Iden­ti­fi­ka­ti­on mit schu­li­schen Bil­dungs­in­hal­ten auf­weist. Anders aus­ge­drückt: All­tags­welt­li­che Bil­dung und schu­li­sche Bil­dung zeich­nen sich je nach sozia­ler Her­kunft durch einen unter­schied­li­chen Grad an Kom­pa­ti­bi­li­tät aus.

Down­load: Habi­tus, Her­kunft und Bil­dungs­er­folg (PDF – 97 Sei­ten – 1,4 MB)