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Wir bre­chen in den Kos­mos auf, wir sind auf alles vor­be­rei­tet, das heißt, auf die Ein­sam­keit, auf den Kampf, auf Mar­ty­ri­um und Tod. Aus Beschei­den­heit spre­chen wir es nicht laut aus, aber wir den­ken uns manch­mal, daß wir groß­ar­tig sind. Indes­sen, indes­sen ist das nicht alles, und unse­re Bereit­schaft erweist sich als Thea­ter. Wir wol­len gar nicht den Kos­mos erobern, wir wol­len nur die Erde bis an sei­ne Gren­zen erwei­tern. Die einen Pla­ne­ten haben voll Wüs­te zu sein, wie die Saha­ra, die ande­ren eisig wie der Pol oder tro­pisch wie der bra­si­lia­ni­sche Urwald. Wir sind huma­ni­tär und edel, wir wol­len die ande­ren Ras­sen nicht unter­wer­fen, wir wol­len ihnen nur unse­re Wer­te über­mit­teln und, als Gegen­ga­be, ihrer aller Erbe anneh­men. Wir hal­ten uns für die Rit­ter vom hei­li­gen Kon­takt. Das ist die zwei­te Lüge. Men­schen suchen wir, nie­man­den sonst. Wir brau­chen kei­ne ande­ren Wel­ten. Wir brau­chen Spie­gel. Mit ande­ren Wel­ten wis­sen wir nichts anzu­fan­gen. Es genügt unse­re eine, und schon ersti­cken wir an ihr. Wir wol­len das eige­ne idea­li­sier­te Bild fin­den; die­se Glo­ben, die­se Zivi­li­sa­tio­nen haben voll­kom­me­ner zu sein als die unse­re, in ande­ren wie­der­um hof­fen wir das Abbild unse­rer pri­mi­ti­ven Ver­gan­gen­heit zu fin­den. Indes­sen ist auf der ande­ren Sei­te etwas, was wir nicht akzep­tie­ren, woge­gen wir uns weh­ren, und schließ­lich haben wir von der Erde nicht nur das pure Destil­lat aus lau­ter Tugen­den mit­ge­bracht, das heroi­sche Stand­bild des Men­schen! Wir sind so hier­her­ge­flo­gen, wie wir wirk­lich sind, und wenn die ande­re Sei­te uns die­se Wahr­heit zeigt, die­sen Teil von ihr, den wir ver­schwei­gen, – dann kön­nen wir das nicht hinnehmen!
Sta­nis­law Lem – Solaris

Die Welt gehört dem, der nicht fühlt. Die Grund­vor­aus­set­zung, um ein prak­ti­scher Mensch zu wer­den, ist ein Man­gel an Sen­si­bi­li­tät. Die bes­te Vor­be­din­gung für die Pra­xis des Lebens ist die Trieb­kraft, die zum Han­deln führt, das heißt der Wil­le. Nun gibt es aber zwei Din­ge, die das Han­deln beein­träch­ti­gen – die Sen­si­bi­li­tät und das ana­ly­ti­sche Den­ken, das letzt­lich nichts ande­res ist als ein Den­ken mit Sen­si­bi­li­tät. Jedes Han­deln ist sei­ner Natur nach die Pro­jek­ti­on der Per­sön­lich­keit auf die Außen­welt, und da die Außen­welt zur Haupt­sa­che von mensch­li­chen Wesen bestimmt wird, folgt dar­aus, daß die­se Pro­jek­ti­on der Per­sön­lich­keit vor allem bedeu­tet, daß wir uns auf dem Weg unse­rer Mit­men­schen quer­le­gen, ihn hin­der­lich gestal­ten und sie je nach Art unse­res Vor­ge­hens ver­let­zen und erdrücken.
Fer­nan­do Pes­soa – Das Buch der Unruhe

Schon Dos­to­jew­ski mach­te dar­auf auf­merk­sam, daß das Bibel­wort »Lie­be dei­nen Nächs­ten wie dich selbst« wahr­schein­lich anders­rum zu ver­ste­hen ist – näm­lich in dem Sin­ne, daß man den Nächs­ten nur dann lie­ben kann, wenn man sich selbst liebt.

Weni­ger ele­gant, dafür um so prä­gnan­ter, drück­te Marx (Grou­cho, nicht Karl) die­sel­be Idee Jahr­zehn­te spä­ter aus: »Es wür­de mir nicht im Traum ein­fal­len, einem Klub bei­zu­tre­ten, der bereit wäre, jeman­den wie mich als Mit­glied auf­zu­neh­men.« Wenn Sie sich die Mühe neh­men, die Tie­fe die­ses Wit­zes zu ergrün­den, sind Sie bereits gut auf das nun Fol­gen­de vorbereitet.

Geliebt zu wer­den ist auf jeden Fall mys­te­ri­ös. Nach­zu­fra­gen, um Klar­heit zu schaf­fen, emp­fiehlt sich nicht. Bes­ten­falls kann es der ande­re Ihnen über­haupt nicht sagen; schlimms­ten­falls stellt sich sein Grund als etwas her­aus, das Sie selbst bis­her nicht für Ihre char­man­tes­te Eigen­schaft hiel­ten; zum Bei­spiel das Mut­ter­mal auf Ihrer lin­ken Schul­ter. Schwei­gen ist da wie­der ein­mal ganz ein­deu­tig Gold.

Was wir dar­aus für unser The­ma ler­nen kön­nen, zeich­net sich nun schon kla­rer ab. Neh­men Sie nicht ein­fach dank­bar hin, was Ihnen das Leben durch Ihren (offen­sicht­lich selbst lie­bens­wer­ten) Part­ner bie­tet. Grü­beln Sie. Fra­gen Sie sich, aber nicht ihn, war­um. Denn er muß ja irgend­ei­nen Hin­ter­ge­dan­ken haben. Und den ent­hüllt er Ihnen bestimmt nicht.

(…)

[F]ür den Unglück­lich­keits­be­darf des Anfän­gers mag das eben Gesag­te aus­rei­chen. Der Fort­ge­schrit­te­ne aber gibt sich damit nicht zufrie­den. Aus die­sen Zusam­men­hän­gen läßt sich näm­lich wei­te­res Kapi­tal schla­gen, das aller­dings nur den Grou­cho Mar­xens unter uns zugäng­lich ist. Es setzt eben vor­aus, daß man sich selbst für lie­ben­s­un­wür­dig hält. Damit ist jeder, der einen liebt, prompt dis­kre­di­tiert. Denn wer einen liebt, der kei­ne Lie­be ver­dient, mit des­sen Innen­le­ben stimmt etwas nicht. Ein Cha­rak­ter­de­fekt wie Maso­chis­mus, eine neu­ro­ti­sche Bin­dung an eine kas­trie­ren­de Mut­ter, eine mor­bi­de Fas­zi­na­ti­on durch das Min­der­wer­ti­ge – von die­ser Art sind die Grün­de, die sich als Erklä­rung für die Lie­be des oder der Betref­fen­den anbie­ten und sie uner­träg­lich machen. (Zur Aus­wahl der befrie­di­gends­ten Dia­gno­se ist eine gewis­se Kennt­nis der Psy­cho­lo­gie oder wenigs­tens die Teil­nah­me an Selbst­er­fah­rungs­grup­pen von gro­ßem Wert.)

Und damit ist nicht nur das gelieb­te Wesen, son­dern auch der Lie­ben­de selbst und die Lie­be als sol­che in ihrer Schä­big­keit ent­hüllt. Was kann man schon mehr wünschen?

(…)

Nur auf den ers­ten Blick erscheint das absurd, denn die Kom­pli­ka­tio­nen, die mit die­ser Auf­fas­sung ein­her­ge­hen, lie­gen doch so klar auf der Hand. Dies dürf­te aber noch nie­man­den abge­hal­ten haben, oder, wie Shake­speare es in einem sei­ner Sonet­te sagt: »Dies weiß jed­we­der, doch nicht wie man flieht den Him­mel, der zu die­ser Höl­le zieht.« Prak­tisch ver­lie­be man sich also in hoff­nungs­lo­ser Wei­se: in einen ver­hei­ra­te­ten Part­ner, einen Pries­ter, einen Film­star oder eine Opern­sän­ge­rin. Auf die­se Wei­se reist man hoff­nungs­froh, ohne anzu­kom­men, und zwei­tens bleibt einem die Ernüch­te­rung erspart, fest­stel­len zu müs­sen, daß der ande­re gege­be­nen­falls durch­aus bereit ist, in eine Bezie­hung ein­zu­tre­ten – womit er sofort unat­trak­tiv wird.
(Paul Watz­la­wick – Anlei­tung zum Unglücklichsein)