In all den Diskussionen um die Vor- und Nachteile sowie die realen oder nur projizierten Gefahren sozialer Internet-Dienste vermisse ich bislang einen Aspekt, den ich für sehr zentral und für mit weitreichenden Folgen verbunden halte: Effizienz.
Versteht man beispielsweise Twitter, Facebook oder Formspring als charakteristische Stellvertreter der Social-Media-Dienste, bedeutet dies unterm Strich, die 1:1-Relationen in der Kommunikation zwischen Freunden oder „Freunden“ werden mittels dieser Dienste wesentlich leichter, wesentlich öfter in 1:n-Relationen umgewandelt.
Für einen Dienst wie Formspring, bei dem User anderen Usern Fragen stellen können, auch anonym, die dann inklusive der dazugehörigen Antworten allen anderen Usern zum Lesen zur Verfügung stehen, bedeutet dies konkret: Hat nur ein einziger der User eine Frage an einen bestimmten User gestellt, brauchen sämtliche anderen User dieselbe Frage diesem bestimmten User nicht noch einmal zu stellen. Im Gegenteil: Oft ist zu beobachten, dass es die Antwortenden in der Regel nervt, wenn ein Fragender eine bereits beantwortete Frage noch einmal stellt. Wenn nun beispielsweise ein User in seiner formspring-Karriere ungefähr 500 Fragen beantwortet hat, brauchen alle anderen, die jene Fragen und deren Antworten gelesen haben, diese 500 Fragen und zig Millionen andere Fragen, die zu ähnlichen Antworten geführt hätten, nicht mehr stellen und werden möglicherweise vom Antwortenden sogar darauf hingewiesen, er wolle diese Frage nicht noch einmal beantworten, denn das habe er ja bereits. Schon beim Umgang mit Blogs, Twitter oder Facebook ist bisweilen Ähnliches zu beobachten, sodass es dann mitunter zu Dialogen kommt, die wie folgt verlaufen: „Hab ich dir schon das Neueste erzählt?“ „Nein, aber ich hab’s in deinem Blog/in deinem Tweet/auf Facebook gelesen.“ „Ach so.“
Es ist nicht mehr nötig, jedem der eigenen Freunde die neuen Urlaubsfotos zu zeigen, wenn man sie einfach auf Facebook stellen kann, wo sie jeder bequem ansehen kann, wann immer es beliebt. Die Gespräche mit Freunden über den neuen Partner werden ersetzt durch eine Änderung des Beziehungsstatus, der sofort von allen Freunden zur Kenntnis genommen werden kann, ohne mit jedem von ihnen einzeln darüber sprechen zu müssen. Direkte Kommunikation weicht der Veröffentlichung von Informationen für ein Publikum, so als gebe man eine Pressekonferenz über die eigene Person.
All das bedeutet trotz bewusster Überzeichnung, die Kommunikation verschiebt sich aufgrund der neuen Einfachheit, die diese sozialen Dienste bieten, vom Schwerpunkt ein wenig weg von direkter 1:1-Kommunikation, die aber natürlich nicht verschwindet, hin zu breiteren 1:n-Kommunikationskanälen, was bedeutet, dass es möglich wird, via Facebook, Twitter oder auch Formspring viele Menschen gleichzeitig über seine Aktivitäten, Gedanken, Meinungen und so weiter zu informieren.
Eine ehemalige Kommilitonin hielt StudiVZ gerade deswegen für so praktisch, weil sie dann nicht mehr all ihren Freunden separat (1:1) von Neuerungen in ihrem Leben erzählen müsse, sondern das einfach nur noch ins StudiVZ zu schreiben habe (1:n). Das ist zwar nun in diesem Beispiel ein Extremfall, wenn auch wahr, dennoch lässt sich die allgemeine Tendenz all dieser Dienste damit beschreiben, dass sie objektiv ein Mittel zur Effizienzsteigerung der Kontaktverwaltung darstellen und Redundanz abbauen.
Wenn man fünf Freunden oder „Freunden“ nicht mehr separat erzählen muss, was man gestern gemacht, wen man kennengelernt, was man gekauft oder gesehen hat, sondern das lediglich ein einziges Mal auf einem Blog schreiben oder auf Facebook veröffentlichen muss, wo es alle fünf dann jederzeit nachlesen können, dann habe ich den Umgang mit meinen Freunden optimiert und dessen Effizienz gesteigert, weil ich Redundanzen abgebaut habe. Gleichzeitig erleichtert das den Aufbau eines wesentlich größeren „Freundes“-Kreises und erhöht das eigene »soziale Kapital« (Bourdieu), auf das man zugreifen kann. Zudem erstellt man gewissermaßen sein eigenes Dossier, das man Interessenten an der eigenen Person nur noch in die Hand zu drücken braucht – auch das Kennenlernen oder vielmehr das, was man dann für Kennenlernen hält, wird dadurch optimiert, beschleunigt, vereinfacht und letztlich effizienter. Das Soziale wird zunächst auf Daten reduziert.
Der Begriff der Objektivität ist hier von großer Relevanz. Meine beschreibenden Worte möchten nicht ausdrücken, dass dieser Effekt der Effizienzsteigerung in jedem Fall die subjektive Intention der Nutzer ist, aber er ist dennoch das objektive Resultat, so wie auch niemand mit der subjektiven Intention einkaufen geht, das Wirtschaftssystem zu erhalten oder den Staat mittels Steuern unterstützen zu wollen, während all diese Dinge jedoch gleichzeitig objektives Ergebnis des Einkaufens sind, ganz egal was die subjektive Intention sein mag.
Viele gesellschaftliche oder individuelle Entwicklungen haben teilweise verheerende Nebenfolgen, die uns in den seltensten Fällen wirklich bewusst sind und die wir keineswegs als Intention dieses Handelns anführen würden. Niemand beginnt mit dem Rauchen, weil es so schön gesundheitsgefährdend ist, und auch wenn das nicht subjektive Intention des Rauchens ist, so ist es doch objektiver Effekt. Das gleiche trifft auf Umweltzerstörung zu, da niemand (oder zumindest fast niemand) morgens mit dem Vorhaben aufsteht, heute bewusst die Umwelt zu zerstören, sondern weil es häufig der mehr oder weniger unbewusste Nebeneffekt vieler als völlig selbstverständlich erachteter Handlungsweisen ist, der nur dann überhaupt als Problem begriffen und beseitigt werden kann, wenn man sich dieses Nebeneffekts tatsächlich bewusst wird.
Bei all den Vorteilen, die solche Social-Media-Dienste bieten, ist dies, dieser gesellschaftlich sanktionierte bis bedingte, unter anderem durch prekäre Arbeitsverhältnisse und der Forderung nach zunehmender Mobilität und Flexibilität befeuerte und in Form dieser Dienste recht transparent auftretende Effizienzgesichtspunkt in zwischenmenschlichen Beziehungen, einer dieser unbewussten Nebeneffekte, über den etwas mehr Reflexion vielleicht angebracht wäre, um den Umgang mit diesen Diensten entsprechend bewusster zu gestalten. Letztlich stellt sich nämlich zumindest mir die Frage, in welchem Maße eine solche Effizienzsteigerung des Zwischenmenschlichen überhaupt wünschenswert erscheint und ob größtmögliche Quantität sowie der Gesichtspunkt der Effizienz dem Konzept ernsthafter Freundschaft nicht diametral widersprechen.
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