Vor etwas mehr als einem halben Jahr habe ich im Beitrag »Die kommenden Tage« die sozialen Folgen der anhaltenden Krise sowie die aufkeimenden Proteste der Occupy- als auch anderer Bewegungen skizziert und versucht, deren weitere Entwicklung zu prognostizieren. Genannt wurden als Krisenphänomene der weitgehenden Abbau des Sozialstaats, erstarkender Nationalismus, zunehmende Verarmung, Prekarisierung und Entsolidarisierung, Personalisierung der Kritik, schleichende Entdemokratisierung sowie die Radikalisierung des Protests und der Protestbekämpfung. Leider haben sich sämtliche dargestellten Aspekte in der Zwischenzeit tatsächlich weiter verschärft, einige sogar schneller und gewaltiger, als ich ursprünglich gedacht hatte.
Im Folgenden daher eine fragmentarische Bestandsaufnahme, die sich auf den aktuellen Zustand Europas konzentriert, verbunden mit zahlreichen exemplarischen Links zu Artikeln und Informationen. Sie sollen als Überblick und Anhaltspunkte für weitergehende Recherchen dienen, damit sich jeder Leser anhand der Berichte selbst ein Bild machen kann und nicht auf meine Interpretation angewiesen ist.
Abbau des Sozialstaats
Die Sparmaßnahmen in Griechenland, Italien, Frankreich, Großbritannien, Irland, Spanien, Portugal und anderen europäischen Ländern bedeuten nicht zuletzt einen Abbau des Sozialstaats. Sie umfassen quer durch Europa u.a. Maßnahmen wie Rentenkürzungen sowie die Anhebung des Rentenalters, die Lockerung des Kündigungsschutzes, Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst, Einführung neuer Gebühren oder Gebührenerhöhungen, die Kürzung von Arbeitslosenunterstützung, Sozialgeld und ähnlichen Sozialleistungen. Die größten Einschnitte finden dabei in der Regel in den Bereichen Gesundheit und Bildung statt, wodurch nicht nur die gegenwärtige Versorgung und Ausbildung der Bevölkerung beschnitten wird, sondern auch deren individuelle sowie die gesamtgesellschaftliche Zukunftsperspektive. Entsprechend werden immer größere Teile der Bevölkerung in Armut und Verzweiflung gedrängt, die mitunter zum Suizid führt (so ist beispielsweise die Suizidrate in Griechenland in den letzten zwei Jahren um mehr als 40 Prozent angestiegen).
- Am Rande der Armut
Portugal hat harte Sparmaßnahmen beschlossen und weitere werden folgen. Die Bevölkerung protestiert. - Wenn Krankheit zum Luxus wird
In Portugal werden die Gebühren im Gesundheitswesen genauso deutlich angehoben wie viele Steuern. - Spaniens Regierung beschließt drastische Sparmaßnahmen
Spaniens Regierung will 27 Milliarden Euro sparen, um das Haushaltsdefizit zu senken. Der Finanzminister spricht vom härtesten Sparprogramm seit 30 Jahren. - Neue Armut in Spanien: Suppenküchen für den Mittelstand
Spaniens Wirtschaftsaussichten sind verheerend, das Vertrauen der Finanzmärkte schwindet. Nun strebt die Klasse der „neuen Armen“ verzweifelt nach Sichtbarkeit. - Spanien: Wieder 40 Schüler pro Klasse
Rund 100.000 Spanier demonstrieren landesweit gegen die Spar- und Kürzungsorgie der Regierung. Es scheint höchste Zeit zu sein. Weite Kreise der Bevölkerung drohen zu verarmen. - Suizidserie in Italien: Arroganz der Politik tötet
Eine Suizidserie erschüttert Italien. Liegt es an der Wirtschaftskrise? An der Regierung? Gar an der preußischen Pünktlichkeit bei der Steuerzahlung? - Italien: «Monti hat die Toten auf dem Gewissen»
Um Italien aus der Krise zu holen, setzt Monti auf rigoroses Sparen. Der Druck auf das Volk ist gross. Täglich berichten Medien über Selbstmorde aus Verzweiflung. Viele machen den Staatschef dafür verantwortlich. - 78jährige Italienerin springt nach Rentenkürzung in den Tod
In Sizilien hat sich eine 78jährige Frau wegen Geldmangels von 4. Stock eines Wohnhauses in den Tod gestürzt. Es ist nicht das erste Mal, dass in Italien jemand infolge der aktuellen Wirtschaftskrise Suizid begangen hat. Oft sind es ältere Personen. - Suizid eines Rentners löst Krawalle in Athen aus
Ein griechischer Rentner sah angesichts seiner Schulden keinen anderen Ausweg – und erschoss sich aus Verzweiflung. In Athen kam es daraufhin zu Ausschreitungen. Mehrere Menschen warfen Brandsätze auf Polizisten und gaben dem Staat die Schuld am Tod des Mannes. - Griechenland: Langsam breitet sich Angst aus
Man mag schon bald nicht mehr aus dem Haus gehen und mit irgendjemandem reden, denn überall schwebt nur ein und dieselbe Frage, zum Teil ausgesprochen, zum Teil in Gesichtern und Augen geschrieben: Wie wird das alles weitergehen? - Griechenland: „2012 werden wir den Zusammenbruch der Mittelschicht erleben“
- Griechenland: Eltern können ihre Kinder nicht mehr ernähren
Infolge der griechischen Wirtschaftskrise stehen viele Familien vor dem finanziellen Ruin. Erst ersuchten sie das Sozialamt für finanzielle Unterstützung – nun bitten sie um Obhut für ihre Kinder. Wohlfahrtsorganisationen warnen vor Bedingungen der dritten Welt. - Kanzlerin hält höhere Lebensarbeitszeit für nötig
Die Menschen werden nicht kürzer, sondern länger arbeiten müssen, sagt Kanzlerin Merkel auf dem Deutschen Seniorentag. Bundespräsident Gauck hatte dort zuvor für eine Flexibilisierung des Renteneintrittsalters plädiert.
Rezession
Vor allem die europäische Südperipherie, aber auch andere europäische Staaten leiden unter Rezession unterschiedlichen Ausmaßes, wenngleich einige Staaten bislang davon verschont geblieben sind. Die strikten Maßnahmen der Austeritätspolitik wiederum zementieren die Abwärtsspirale der entsprechenden Länder in immer tiefere Rezession, da Lohnkürzungen, Gebühren- und Steuererhöhungen wie z.B. bei der Mehrwertsteuer oder die Einführung neuer Sondersteuern zulasten der Unter- und Mittelschicht sich negativ auf den privaten Konsum und damit letztlich die Produktion und das Steueraufkommen auswirken. Auch hierzulande wird die Krise spürbarer, sodass mittelfristig Meldungen wie diese kein Einzelfall bleiben werden, zumal wirtschaftliche Abkühlung auf globaler Ebene – mit besonderem Blick auf China – zu beobachten ist. Hinzu kommen aufgrund immer aufwendigerer Fördermethoden stetig steigende Energiekosten.
- Griechenland: Industrieproduktion März 2012 mit -8,5% zum Vorjahresmonat
- Griechenland: -56,7% bei den PKW-Neuzulassungen April 2012
- Griechenland: Auftragseingang der Industrie im Februar 2012 mit -13,8% zum Vorjahresmonat
- Griechenland: reale Einzelhandelsumsätze weiter mit Dynamik abwärts
- Spanien: Industrieproduktion schrumpft mit -10,4%
- Spanien: Land unter bei den PKW-Neuzulassungen
- Spanien: reale Einzelhandelsumsätze auf dem Niveau von Mitte 1999
- Spanien auf Absturzkurs
Risikoaufschläge für Staatsanleihen steigen auf ein Rekordhoch wegen Zweifel an den Banken - Portugal: PKW-Neuzulassungen April 2012 mit -41,7%
- Portugal: PKW-Neuzulassungen im März 2012 mit -49,2%
- Portugal auf Griechenland-Kurs oder: die EU und der Eisberg
- Portugal erlebt „nie dagewesene Rezession“
Die Zentralbank des Landes korrigiert die Konjunkturprognose deutlich nach unten - Irland: PKW-Neuzulassungen April 2012 mit -22,0% und kumuliert in den PIIGS mit -21,7%
- Italien: schwächste PKW-Neuzulassungen in einem April seit 1990
- Italien: Moody’s stuft 26 italienische Banken herab
Moody’s begründete den Schritt in erster Linie mit der schlechten wirtschaftlichen Verfassung von Italien. Das Land sei in die Rezession zurückgefallen, erklärte die Ratingagentur. - Großbritannien rutscht in die Rezession
Der britische Premier David Cameron hat im Kampf gegen die Wirtschaftskrise einen Rückschlag erlitten. Großbritannien ist erstmals seit 2009 wieder in die Rezession gerutscht. Das Minus im ersten Quartal hat selbst Experten überrascht. - Briten sparen sich in Rezession
Großbritannien will sich aus der Krise sparen. Aber stattdessen verschärft sich die wirtschaftliche Situation auf der Insel. Das zweite Quartal in Folge schrumpft das Bruttoinlandsprodukt. Die Rezession ist da – und die Lage wird sich so schnell nicht bessern, sagen nicht nur Analysten. - Eurozone: Deutlicher Rückgang der Industrieproduktion
In der gesamten Eurozone ist die Industrieproduktion im März deutlich zurückgegangen, obwohl Ökonomen mit einem leichten Wachstum gerechnet hatten. Den größten Rückgang in Bezug auf den Vorjahresmonat wiesen Luxemburg und Griechenland auf. - Kurzarbeit bei Ford in Köln
Auch hierzulande wird die Krise spürbarer, sodass mittelfristig Meldungen wie diese kein Einzelfall bleiben werden. - Oil prices could double by 2022, IMF warned
Global trade would be profoundly affected if crude prices permanently doubled from current historic high of $113 a barrel - Peak Oil: Großbritanniens Ölförderung in 2011 um fast ein Sechstel gesunken
Großbritannien hat sein Ölfördermaximum 1999 überschritten. Seitdem sinken die Fördermengen. Angesichts der Benzinpreisdebatte lohnt ein Blick auf das schwindende Nordseeöl. - Peak Oil
Generelle Informationen und aktuelle Meldungen
Nationalismus & zunehmende Entsolidarisierung
Zusätzlich zur unverhohlenen und zum Teil auch von politischer Seite befeuerten Hetze gegen die vermeintlichen Krisenverursacher im europäischen Süden, für deren angebliche Faulheit und Inkompetenz man nicht länger Zahlmeister sein wolle, werden – allen voran durch Deutschland – nationale Wirtschaftsinteressen auf Kosten von Drittstaaten vorangetrieben. Das Projekt Europa, das die Bevölkerungen der europäischen Staaten einander näherbringen sollte, verkommt zum Gegenteil. Im Zuge der Krise ist nicht nur eine allgemeine Spaltung Europas zu beobachten, es ist zudem auch ein deutlicher Graben zwischen den strauchelnden europäischen Staaten und Deutschland entstanden, letzteres seinerseits hegemoniales Zentrum der Krisenpolitik und großer Profiteur des Euros sowie des wirtschaftlichen Ungleichgewichts in Europa.
Selbst noch in der momentanen Situation profitiert Deutschland zumindest kurzfristig aus den Krisenphänomenen, u.a. durch niedrige bis negative Zinsen für Anleihen oder etwa den schwachen Euro, der deutsche Exporte in Länder außerhalb der Eurozone verbilligt. Diese kurzfristigen Vorteile für die deutsche Wirtschaft, erkauft auf dem Rücken Europas, sollten bei deutschen Vorschlägen zur Krisenbekämpfung stets im Hinterkopf behalten werden, offenbaren sie doch einen gewichtigen Interessenkonflikt. Erfolgsmeldungen wie etwa steigender deutscher Export sind daher mit Vorsicht zu genießen, denn mittel- bis langfristig wird der Kelch auch an Deutschland nicht vorübergehen (vgl. Abschnitt Rezession), gerade angesichts der Exportlastigkeit der deutschen Wirtschaft.
Generell wird weiterhin mittels nationalistischer Argumentationslinien versucht, die von den Krisenentwicklungen am stärksten Betroffenen der jeweiligen Staaten gegeneinander auszuspielen. Nationalismus und Entsolidarisierung zeigen sich exemplarisch auch am deutschen Umgang mit Griechenland, dessen Bevölkerung kurz vor den Wahlen mehr oder weniger offen angedroht wurde, es müsse unabhängig des Wahlausgangs die an die finanziellen Hilfspakete geknüpften Bedingungen erfüllen oder ansonsten die Konsequenzen tragen. Mit Wolfgang Schäubles Ambitionen zur Führung der Eurogruppe könnten sich deutsche Vormachtsansprüche zusätzlich zementieren, die zuletzt mit der Wahl in Frankreich ins Wanken geraten waren.
Innerhalb der einzelnen Staaten sind andere Formen der Entsolidarisierung zu beobachten, nämlich verstärkte von oben nach unten gerichtete Abgrenzungsbemühungen bis hin zur Abwertung schwächerer sozialer Gruppen. Für Deutschland fasst der Soziologe Wilhelm Heitmeyer, Herausgeber der Studie »Deutsche Zustände«, exemplarisch zusammen:
Die laufenden Prozesse der Umverteilung und ihre gesellschaftliche Zerstörungskraft nehmen stetig zu und führen zu einer immer größer werdenden Spaltung der Gesellschaft. Die oberen Einkommensgruppen nehmen diese Spaltung nur begrenzt wahr, sie sind im Gegenteil der Meinung, dass sie zu wenig vom Wachstum profitieren. Sie sind rasch bereit, die Hilfe und Solidarität für schwache Gruppen aufzukündigen. Sie werten zunehmend stärker ab. Die Studie macht deutlich, es existiert eine geballte Wucht rabiater Eliten und die Transmission sozialer Kälte durch eine rohe Bürgerlichkeit, die sich selbst in der Opferrolle sieht und deshalb immer neue Abwertungen gegen schwache Gruppen in Szene setzt. Und die Studie zeigt, wie stark Menschen aufgrund von ethnischen, kulturellen oder religiösen Merkmalen, der sexuellen Orientierung, des Geschlechts, einer körperlichen Einschränkung oder aus sozialen Gründen mit solchen Mentalitäten konfrontiert und ihnen machtlos ausgeliefert sind. Die Opfergruppen sind mittlerweile wehrlos und nicht mobilisierungsfähig. Insgesamt ist eine ökonomische Durchdringung sozialer Verhältnisse empirisch belegbar. Sie geht Hand in Hand mit einem Anstieg von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Seit 2008 haben sich die krisenhaften Entwicklungen zeitlich massiv verdichtet.
Die Wahlergebnisse der rechten Parteien in Griechenland (zusammen knapp 17 % für die Parteien Chrysi Avgi und Unabhängige Griechen) und Frankreich (knapp 18 % für die Nationalisten unter Marine Le Pen) zeigen deutlich, welche Richtung derartige Abgrenzungs- und Entsolidarisierungstendenzen einschlagen können. Doch nicht nur kleine, rechtsradikale Parteien, sondern auch konservative Volksparteien betrieben kräftig Stimmungsmache gegen sozial Schwache und Migranten, wie die Wahlkämpfe in Frankreich und Griechenland vor Augen geführt haben. Zudem wird die restriktive EU-Migrationspolitik in Zeiten der Krise noch schärfer vorangetrieben, wie etwa massive Maßnahmen zur »Bekämpfung illegaler Migration« in Griechenland belegen.
- Griechenland: Markiert Immigranten dauerhaft!
Nea Dimokratia kämpft auch um die Wähler der im Wahlkampf stärker werdenden rechtsextremen und nationalistischen Partei Chryssi Avgi - Milizionäre bilden Bürger in Griechenland aus
In Griechenland werden Bürger von Mitgliedern rechtsradikaler Gruppierungen rekrutiert und mit dem Ziel ausgebildet, das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen. - Illegale Einwanderung wird zum reißerischen Wahlkampfthema
In Griechenland ist fast jeder Zehnte ein Migrant, Flüchtlinge sollen in Militärlagern eingesperrt werden, Razzien sind an der Tagesordnung, Rechte erhalten Aufwind. - Griechen-Frust mündet in Fremdenfeindlichkeit und Extremismus
- Griechenland: 30 new detention camps announced, for 30.000 immigrants!
- Griechenland: Panzergraben, Grenzzaun, Wachroboter und mehr deutsche Polizei
Griechenland wird auch in der Neubestimmung der EU-Migrationspolitik zum Testfall. Deutschland zwingt die Regierung in Athen zur rücksichtslosen Aufrüstung der Grenzüberwachung. - Sarkozy umgarnt rechten Rand
Frankreichs Präsident hofft bei der Stichwahl auf Stimmen der rechtsextremen „Front National“ von Marie Le Pen. Nicht allein: Auch sein Herausforderer François Hollande fischt am rechten Rand. - Rette sich, wer kann
Wilhelm Heitmeyer über »Deutsche Zustände«
Zunehmende Verarmung und Prekarisierung
Arbeitslosenzahlen wie zum Beispiel die Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland (~54 %), Spanien (~50 %) und Italien (~30 %) oder Statistiken der Einkommens- und Vermögensverteilung (erstere hier als interaktive Grafik für die USA), der Obdachlosigkeit, der Schuldenbelastung sowie der Armut oder des Armutsrisikos offenbaren allesamt anwachsende soziale Missstände (vgl. den Abschnitt zum Abbau des Sozialstaats). In vielen Ländern ist daher aufgrund der tristen Aussichten bereits von der »verlorenen Generation« die Rede. Ähnliches gilt für die USA, wo die Illusion einer moderaten Arbeitslosenquote nur durch statistische Spielereien aufrechterhalten werden kann.
- Italien: Arbeitslosigkeit steigt auf höchsten Stand seit 2004
Die schlechten Nachrichten reißen nicht ab: In Italien ist die Arbeitslosigkeit im März auf den höchsten Stand seit über acht Jahren gestiegen. Auch in anderen EU-Ländern verschlechtert sich die Beschäftigungsquote. Insgesamt sind im Euro-Raum knapp 17,37 Millionen Menschen ohne Job. - Spanien: 24,44% Arbeitslosenquote in Q1 2012
- Hohe Arbeitslosigkeit schockt Spanien
Spanien weiter auf Talfahrt: Die Arbeitslosigkeit stieg im ersten Quartal auf 24,4 Prozent, mehr als die Hälfte der Jugendlichen ist arbeitslos – die Verkäufe im Einzelhandel fallen seit 21 Monaten. Die Banco Popular meldet einen Gewinneinbruch. - Spanien: Fast die Hälfte der Jugendlichen ohne Job
Spanische Gewerkschaften, Unternehmer und Regierung unterzeichnen Sozialpakt, während die Arbeitslosigkeit immer bedenklichere Höhen erklimmt - Spanien: „Krise gigantischen Ausmaßes“
Die extreme Arbeitslosigkeit steigt weiter stark und das Rating Spaniens nähert sich gefährlich der Ramsch-Grenze - Griechenland: Jugendarbeitslosigkeit steigt auf 53,8%
- More pain in Greece as unemployment hits record
- Europa: Skandalöse Jugendarbeitslosigkeit
- Europa: UN-Organisation warnt vor Folgen der Sparpolitik
Die Internationale Arbeitsorganisation hält die Sparmaßnahmen in Europa für verfehlt. Die Reformprogramme seien wenig durchdacht und hätten eine zerstörerische Wirkung. - USA: Not in Labor Force erneut mit Allzeithoch
Entdemokratisierung
Nicht nur wurden in Griechenland und Italien Übergangsregierungen gebildet, die von ungewählten Technokraten im Sinne der rigiden Sparpolitik angeführt werden, auch die teils panischen Reaktionen in Presse, Politik und an den Märkten auf den Linksruck der Wahlen in Frankreich und Griechenland sprechen eine deutliche, antidemokratische Sprache. Politische Prozesse werden zunehmend an antizipierten Marktreaktionen ausgerichtet, deren Verunsicherung so gut es geht vermieden wird; es findet eine Verschiebung der Souveränität statt, deren Ergebnis die »marktkonforme« (Angela Merkel) Demokratie ist. Mit dem geplanten Fiskalpakt wird zudem das Haushaltsrecht der Unterzeichnerstaaten starke Einschränkungen erfahren, was einer Schwächung parlamentarischer Kontrolle entspricht, sowie Entscheidungsgewalt u.a. zur EU-Kommission verlagert werden, die nicht demokratisch gewählt ist. Eine Befragung der Bevölkerung mittels Referendum wird, wie schon bei früheren Verträgen auf Ebene der EU, als Bedrohung betrachtet oder – wie in Griechenland geschehen – gar verhindert. Immer deutlicher tritt der unauflösbare Widerspruch zwischen Demokratie und Kapitalismus zutage. Mitbestimmung und friedlicher Protest (vgl. den folgenden Abschnitt), so scheint es, werden mit Verschärfung der Krise mehr und mehr zum Störfaktor für autoritäres Krisenmanagement und Märkte.
- Das Volk wird zum Störfaktor
Auf den Finanzmärkten geht ein Gespenst um: Was, wenn das Heer von Arbeitslosen und Armen die Politik der Mächtigen nicht mehr abnickt? Allzu viel Demokratie wollen deshalb weder Politiker noch Wirtschaftsbosse wagen. - Spanien will mit Sparprogramm die Märkte beruhigen
- EU-Regierungschefs wollen die Märkte beruhigen
- Griechenlands Politchaos verunsichert Anleger
Regierungschaos in Athen, wankende Banken in Madrid: Die Euro-Krise versetzt die Investoren an den Börsen in Angst und Schrecken. In ganz Europa fallen die Aktienkurse – in Griechenland sogar auf den niedrigsten Stand seit 20 Jahren. - Angst vor Euro-Crash: EU gibt harten Sparkurs für Griechenland auf
Die griechische Zeitung Real News berichtet, dass die Troika den Griechen signalisiert habe, auf die wichtigsten Punkte des Sparprogramms zu verzichten. (…) Im Gegenzug muss Griechenland sofort eine neue Regierung installieren – Neuwahlen sind ausdrücklich nicht erwünscht. - 10 Fragen und 10 Antworten zum Fiskalpakt
Radikalisierung des Protests und der Protestbekämpfung
Die Protestbewegung, ob sie sich nun gegen die aktuelle Krisenpolitik, Bankenspekulationen oder das gegenwärtige System als Ganzes richtet, hat zwar an Aufmerksamkeit von Seite der Massenmedien verloren, ist jedoch weiterhin sehr aktiv und kann sowohl große Demonstrationen als auch kleinere, alltäglichere Formen des Protests vorweisen, wie Besetzungen öffentlicher Plätze, kreative Spontankundgebungen, diverse Formen von Selbstorganisation und -versorgung, zivilen Ungehorsam, widerständische Alltagspraxen, Guerrilla Gardening und direkte Aktionen. In von der Krise stark betroffenen Ländern wie Griechenland oder Italien sind in diesem Kontext vermehrt Ausschreitungen zu beobachten.
Auf der anderen Seite werden Protestformen und deren Teilnehmer zunehmend kriminalisiert, Camps und Demonstrationen – teils gewaltsam – aufgelöst und non-konformes Verhalten bestraft. Italien erwägt sogar den Einsatz des Militärs. Generell scheint die Toleranzschwelle für Protest zu sinken, was zunehmend die Ausübung elementarer Freiheitsrechte beschneiden wird, um die Illusion des ungestörten Weiter-so aufrechtzuerhalten und Eigentumsverhältnisse als auch Geschäftsbetrieb zu verteidigen.
- Italiens Regierung berät über Einsatz von Armee
Erst das Attentat auf einen führenden Atommanager, dann wütende Proteste und Brandanschläge auf die Steuerbehörde: Italien wird von einer Welle der Gewalt erfasst. Die Regierung erwägt jetzt den Einsatz der Armee. - Italien: Monti-Regierung geht gewaltsam gegen Streiks vor
- Spanien: Aufruf zu Protesten im Internet soll als Bildung einer kriminellen Vereinigung bestraft werden
Spaniens rechte Regierung rüstet gegen Proteste auf und will mit drastischen Verschärfungen des Strafgesetzes für Ruhe sorgen, selbst passiver Widerstand soll als Angriff auf die Staatsgewalt geahndet werden. - Spanien: Wer Torten wirft, ist ein Terrorist
Gefährlich, gefährlich: Facebook und Twitter werden in Spanien zu kriminellen Vereinigungen. Wer aktiv gegen die Beschlüsse der Regierung angeht, wird kriminalisiert. - Occupy: Ruhig in Europa, blutig in den USA
Die Proteste von Occupy Wall Street zum 1. Mai sind in den USA von den Sicherheitskräften mit harter Hand begleitet worden. In Europa war die Lage eher ruhig. - Großbritannien: Hunderttausend streiken gegen Pensionsalter 67
- Deutschland: Stadt verbietet Blockupy-Proteste
Unter dem Motto „Blockupy“ wollten linke Gruppen Mitte Mai in Frankfurt aus Protest gegen die EU-Krisenpolitik Plätze besetzen. Die Stadt begründet ihr Verbot mit Erkenntnissen, wonach Aktivisten ein Gewalt-Training durchlaufen haben. Die Blockupy-Organisatoren wollen nun klagen. - Deutschland: Der Protest ist „unzumutbar“
Linke Gruppen rufen für Mitte Mai zu großen Blockadeaktionen im Frankfurter Bankenviertel auf. Die Stadt reagiert nun ihrerseits mit einem Demonstrationsverbot. - Deutschland: Verwaltungsgericht bestätigt Blockupy-Verbot
Das Frankfurter Verwaltungsgericht hält am Verbot der Blockupy-Aktionstage fest und erlaubt der Stadt, das Camp im Bankenviertel zu räumen – zum Schutz der öffentlichen Sicherheit. - Québec schränkt Versammlungsfreiheit ein
Die Regierung der kanadischen Provinz Québec hat auf andauernde Proteste gegen eine Erhöhung der Studiengebühren mit einem Notstandsgesetz reagiert. Darin wird die Versammlungsfreiheit stark beschnitten. - Grundrechte im Zeitalter der Krise
Die Behörden fahren eine harte Linie gegen Occupy, weil sie die Interessen der Geschäftswelt bedroht sehen. Die konservative Presse gibt dem Vorschub. - 12m15m – Aktionstage in Spanien
Zusammenfassung der spanischen Proteste vom 12. & 15. Mai 2012. - Spanien: Bilder der Räumung des friedlichen Protests vom 12.05.2012
Stellvertretend für ähnliche Räumungen in den USA und Europa. - Greece riots: Athens burns, police fire tear gas as violence flares up
Im weiteren Verlauf der Krise dürften derartige Bilder aus allen betroffenen Ländern häufiger zu sehen sein.
So weit der aktuelle Stand, ohne Anspruch auf Vollständigkeit – tatsächlich existieren europaweit und natürlich global aufgrund der anhaltenden Krise etliche weitere soziale, ökonomische und ökologische Problemlagen sowie entsprechende Proteste.
Es gibt keine konkreten Hinweise darauf, dass sich diese Zustände in absehbarer Zukunft verbessern werden. Das Gegenteil ist der Fall: Wird am bestehenden Kurs festgehalten, werden Arbeitslosigkeit und Sozialabbau weiter zunehmen, worauf der Lebensstandard der meisten Menschen in den betroffenen Ländern absinken wird, während verstärkt autoritäre Krisen- und Protestbewältigungsstrategien zu beobachten sein werden. Selbst an jenen, die bislang das gegenwärtige politische und ökonomische System verteidigt oder zumindest hingenommen haben, weil sie von dessen gewaltigen Schattenseiten nicht direkt betroffen waren, dürften die gegenwärtigen Entwicklungen nicht mehr lange unbemerkt vorübergehen. Die Einschläge kommen näher. Dies ist das Europa, in dem wir leben.
Langfristig werden diese Entwicklungen wohl vor keinem der so genannten Durchschnittsbürger Halt machen, da jeder zusätzliche Tag der bestehenden Verhältnisse die Zustände nur verschlimmert, auch wenn sie manche später erfassen werden als andere. Dieser tristen Aussicht steht die positive Vision gegenüber, die eigene Apathie und Ohnmacht angesichts scheinbar übermächtiger Strukturen zu überwinden, um aus der Krise konstruktive Kraft zu schöpfen und sich durch Protest, alternative Lebensweisen, Selbstorganisation oder ähnliche Maßnahmen aktiv an der Gestaltung einer gerechten, freien, demokratischen und solidarischen Gesellschaft zu beteiligen, in der wir gerne leben möchten. Niemand sollte darauf vertrauen, von der Politik Lösungen zu erhalten. Die Politik hat keine Lösungen und sie stellt die falschen Fragen. Es liegt an jedem einzelnen von uns, wie es weitergehen wird.
Sonstige weiterführende Links:
- Keep Talking Greece
Nachrichten aus Griechenland (Englisch) - Griechenland-Blog
Aus und über Griechenland – News, Meldungen, Kommentare - Ellas
Informationen darüber, wie das Leben in Griechenland in den Zeiten der „Krise“ wirklich aussieht – und ein bisschen mehr. - Spanienleben
Spanien: aktuelle Neuigkeiten aus Medien, Politik, Wirtschaft - Uhupardo
Aktuelle Berichte aus Spanien und über die Krisenpolitik im Allgemeinen
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