Wenn jeder täte, was er für wichtig hielte

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Wo immer nämlich diese Gesellschaft nicht funktioniert, wo immer sie versagt, wird ihr Versagen an den Ärmsten offenbar.
Jede Veränderung im sozialen Raum, jede Verschärfung des Wettbewerbs, jede Zunahme an Gewalt im öffentlichen Leben, jede Kontaminierung billigen Essens hinterlässt in der Lebenserfahrung von Armen ihre Spuren. Auch wie Gesellschaft sich verändert, in ihren Klassen- und Geschlechtsverhältnissen ebenso wie in ihrer Mitmenschlichkeit, das erfahren die Armen zuerst. Sie werden deshalb eben nicht nur materiell und gesundheitlich, sie werden auch psychologisch und moralisch am empfindlichsten von den Einbußen der Gesellschaft getroffen.
In der Armut wird das Selbstbild der Gesellschaft gekränkt und bestätigt: gekränkt, weil sie ihre idealen Bilder ohne Rückstände produzieren möchte, bestätigt, weil sie diese Armut ja selbst herstellt, die Produktion von Armut also genau so forciert wie ihr Pendant, den Wohlstand.
In dieser Kultur, und das heißt auch in den Beziehungen der Menschen untereinander, hat sich der Wert der Verkäuflichkeit und Käuflichkeit derart verselbständigt, dass Menschen schon degradiert werden, weil sie nicht am Warenverkehr teilnehmen können oder wollen. Jede Gesinnung, jedes Phänomen, jede Erscheinung, jede menschliche Hervorbringung, jede Leistung wird auf optimale Verkäuflichkeit untersucht und abgerichtet. Unvorstellbar, welche Kultur sich entwickeln könnte, wenn nicht jede Lebensregung an ihrer Markttauglichkeit gemessen, wenn Zugang zur Öffentlichkeit nicht nur Dingen verschafft würde, die sich verkaufen lassen, wenn, mit einem Wort, jeder täte, was er gesellschaftlich für wichtig, und nicht, was er für profitabel hielte. Eine Utopie mehr.
(Roger Willemsen – Der Knacks)

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