Schlagwortarchiv für: Mitgefühl

Mr. Black said, „I once went to report on a vil­la­ge in Rus­sia, a com­mu­ni­ty of artists who were forced to flee the cities! I’d heard that pain­tings hung ever­y­whe­re! I heard you could­n’t see the walls through all of the pain­tings! They’d pain­ted the cei­lings, the pla­tes, the win­dows, the lamp­sha­des! Was it an act of rebel­li­on! An act of expres­si­on! Were the pain­tings good, or was that bes­i­de the point! I nee­ded to see it for mys­elf, and I nee­ded to tell the world about it! I used to live for report­ing like that! Sta­lin found out about the com­mu­ni­ty and sent his thugs in, just a few days befo­re I got the­re, to break all of their arms! That was worse than kil­ling them! It was a hor­ri­ble sight, Oskar: their arms in cru­de splints, straight in front of them like zom­bies! They could­n’t feed them­sel­ves, becau­se they could­n’t get their hands to their mouths! So you know what they did!“ „They star­ved?“ „They fed each other! That’s the dif­fe­rence bet­ween hea­ven and hell! In hell we star­ve! In hea­ven we feed each other!“ „I don’t belie­ve in the after­li­fe.“ „Neither do I, but I belie­ve in the story!“
(Jona­than Safran Foer – Extre­me­ly Loud & Incre­di­bly Close)

Alle aus dem Latei­ni­schen her­vor­ge­gan­ge­nen Spra­chen bil­den das Wort Mit­ge­fühl aus der Vor­sil­be com- und dem Wort, das ursprüng­lich ›Lei­den‹ bedeu­te­te: pas­sio. Ande­re Spra­chen, so das Tsche­chi­sche, das Pol­ni­sche und das Schwe­di­sche, drü­cken die­sen Begriff durch ein Sub­stan­tiv aus, das aus der Vor­sil­be Mit- und dem Wort ›Gefühl‹ besteht (tsche­chisch sou-cit, pol­nisch wspol-uczu­cie, schwe­disch med-känsla).
In den aus dem Latei­ni­schen her­vor­ge­gan­ge­nen Spra­chen bedeu­tet das Wort com­pas­sio: wir kön­nen nicht herz­los den Lei­den eines ande­ren zuschau­en; oder: wir neh­men Anteil am Leid des ande­ren. Aus einem ande­ren Wort mit unge­fähr der­sel­ben Bedeu­tung (fran­zö­sisch pitié, eng­lisch pity, ita­lie­nisch pie­tà usw.) schwingt sogar unter­schwel­lig so etwas wie Nach­sicht dem Lei­den­den gegen­über mit: »Avoir de la pitié pour une femme« heißt, daß wir bes­ser dran sind als die­se Frau, uns zu ihr hin­ab­nei­gen, uns herablassen.
Aus die­sem Grund erweckt das Wort Mit­leid Miß­trau­en: es bezeich­net ein schlech­tes Gefühl, das als zweit­ran­gig emp­fun­den wird und nicht viel mit Lie­be zu tun hat. Jeman­den aus Mit­leid zu lie­ben heißt, ihn nicht wirk­lich zu lieben.
In den Spra­chen, die das Wort nicht aus der Wur­zel ›Lei­den‹, son­dern aus dem Sub­stan­tiv ›Gefühl‹ bil­den, wird es unge­fähr in dem­sel­ben Sinn gebraucht; man kann aber nicht behaup­ten, es bezeich­ne ein zweit­ran­gi­ges, schlech­tes Gefühl. Die gehei­me Macht sei­ner Ety­mo­lo­gie läßt das Wort in einem ande­ren Licht erschei­nen, gibt ihm eine umfas­sen­de­re Bedeu­tung: Mit-Gefühl haben bedeu­tet, das Unglück des ande­ren mit­zu­er­le­ben, genau­so­gut aber jedes ande­re Gefühl mit­emp­fin­den zu kön­nen: Freu­de, Angst, Glück und Schmerz. Die­ses Mit­ge­fühl (im Sin­ne von sou­cit, wspo­luc­zu­cie, med­käns­la) bezeich­net also den höchs­ten Grad der gefühls­mä­ßi­gen Vor­stel­lungs­kraft, die Kunst der Gefühls­te­le­pa­thie; in der Hier­ar­chie der Gefüh­le ist es das höchs­te aller Gefühle.
(Milan Kun­de­ra – Die uner­träg­li­che Leich­tig­keit des Seins)

Wenn die Pflicht­er­fül­lung durch den sozia­len Druck zur dau­ern­den Antriebs­fe­der wird, ver­stärkt sich fort­wäh­rend die Bereit­schaft, sich dem Wil­len eines ande­ren zu unter­wer­fen. Außer­dem wird immer wei­ter beschnit­ten, was noch vom Gefühl der Eigen­ver­ant­wort­lich­keit – und der Fähig­keit zum Mit­ge­fühl – übrig­ge­blie­ben ist. Pflicht­er­fül­lung wird ein will­kom­me­ner Weg, auf dem man der per­sön­li­chen Ver­ant­wor­tung, die durch Mit­ge­fühl erwa­chen könn­te, ent­kom­men kann. Hat man sich für die Pflicht­er­fül­lung ent­schie­den, so ent­geht man auch dem Schmerz, der von dem eige­nen Mit­ge­fühl her­vor­ge­ru­fen wer­den könn­te. Ein so von der Pflicht beses­se­ner Mensch ist sogar dazu bereit, in treu­er Pflicht­er­fül­lung zu ster­ben – und die­se abs­trak­te Idee hält er für Verantwortlichkeit.

Gehor­sam wird dann zum eigent­li­chen Sinn des Lebens. Es sei an die Kriegs­ver­bre­cher erin­nert, die die­se Ent­schul­di­gung oft vor­brin­gen. Sie soll­ten uns end­lich die Augen öff­nen für die wah­re Bedeu­tung jeder Art von Gehor­sam. Unter dem Deck­man­tel des Befehls gescha­hen alle Arten von Grau­sam­kei­ten und Mord­ta­ten, ohne daß einer die Ver­ant­wor­tung dafür hat über­neh­men müs­sen. In einem gewis­sen Sinn ist die­se Ent­schul­di­gung sogar rich­tig: Die eige­ne See­le hat­te nichts damit zu tun, sie wur­de außer Reich­wei­te des­sen gehal­ten, dem man gehor­sam war. Die­ser trug schließ­lich die Ver­ant­wor­tung. Unter die­ser Vor­aus­set­zung fällt es sol­chen Men­schen auch nicht schwer, die Her­ren zu wechseln.
Nicht selbst die Ver­ant­wor­tung zu tra­gen ist Bestand­teil der Grund­lü­ge. Sie ver­deckt, was die ursprüng­li­che Ent­schei­dung – die Lebens­ent­schei­dung – war: näm­lich sich mit der Unter­wer­fung abzu­fin­den und sein inne­res Leben auf­zu­ge­ben, um an der Macht zu par­ti­zi­pie­ren. An genau die­sem Punkt fällt die Ent­schei­dung dar­über, ob ein Mensch Selbst­ver­ant­wor­tung und die Ver­ant­wor­tung ande­ren gegen­über entwickelt.

Am 27. März 1979 wur­de wäh­rend einer poli­ti­schen Demons­tra­ti­on in der Schweiz ein Schrift­stel­ler von zwei Poli­zis­ten fest­ge­nom­men und zusam­men­ge­schla­gen. Einer der Poli­zis­ten sag­te bei der spä­te­ren Gerichts­ver­hand­lung: »Was wol­len Sie denn von mir? Ich habe mein Leben lang gehorcht, als Kind, als Schü­ler, in der Aus­bil­dung, als Sol­dat und nun als Poli­zist. Ich habe nur mei­ne Befeh­le ausgeführt.«
Hier inter­es­siert nicht so sehr die Tat­sa­che, daß der Poli­zist dann vor Gericht für sich in Anspruch nahm, »auf Befehl« gehan­delt zu haben, son­dern daß er die Ent­wick­lungs­ge­schich­te des Gehor­sams vor­führ­te: Man wächst damit auf, daß man gehor­sam sein muß, nicht aber damit, daß man selbst – und für sich selbst – den­ken und füh­len kann. Und es bleibt ver­bor­gen, daß die­se Ein­übung genau das her­vor­ruft, wovor die Gesell­schaft Angst hat: näm­lich Destruk­ti­vi­tät – vor der sie sich ver­geb­lich durch die Ein­übung in Gehor­sam zu schüt­zen versucht.
(Arno Gruen – Der Wahn­sinn der Normalität)