Arbeit ver­höhnt die Frei­heit. Offi­zi­ell kön­nen wir uns glück­lich schät­zen, von Rechts­staat und Demo­kra­tie umge­ben zu sein. Ande­re arme Unglück­li­che, die nicht so frei sind wie wir, müs­sen in Poli­zei­staa­ten leben. Die­se Opfer fol­gen Befeh­len, egal wie will­kür­lich sie sind. Die Behör­den hal­ten sie unter dau­ern­der Auf­sicht. Staats­be­am­te kon­trol­lie­ren sogar kleins­te Details ihres All­tags­le­bens. Die Büro­kra­ten, die sie her­um­schub­sen, müs­sen sich nur nach oben ver­ant­wor­ten, in öffent­li­chen wie in Pri­­vat-Ange­­le­­gen­hei­­ten. So und so wer­den Abwei­chung und Auf­leh­nung bestraft. Regel­mä­ßig lei­ten Infor­man­ten Berich­te an die Behör­den wei­ter. Das alles gilt als sehr schlecht.
Und das ist es auch, obwohl es nichts wei­ter dar­stellt als eine Beschrei­bung eines moder­nen Arbeits­plat­zes. Die Libe­ra­len und Kon­ser­va­ti­ven und Frei­heit­li­chen, die sich über Tota­li­ta­ris­mus beschwe­ren, sind Schwind­ler und Heuch­ler. (…) In einem Büro oder einer Fabrik herrscht die­sel­be Art von Hier­ar­chie und Dis­zi­plin wie in einem Klos­ter oder einem Gefäng­nis. Tat­säch­lich haben Fou­cault und ande­re gezeigt, daß Gefäng­nis­se und Fabri­ken etwa zur glei­chen Zeit auf­ka­men, und ihre Betrei­ber ent­lie­hen sich bewußt Kon­troll­tech­ni­ken von­ein­an­der. Ein Arbei­ter ist ein Teil­zeit­skla­ve. Der Chef sagt, wann es los­geht, wann gegan­gen wer­den kann und was in der Zwi­schen­zeit getan wird. Er schreibt vor, wie­viel Arbeit zu erle­di­gen ist und mit wel­chem Tem­po. Es steht ihm frei, sei­ne Kon­trol­le bis in demü­ti­gen­de Extre­me aus­zu­wei­ten, indem er fest­legt (wenn ihm danach ist), wel­che Klei­dung vor­ge­schrie­ben wird und wie oft die Toi­let­te auf­ge­sucht wer­den darf. Mit weni­gen Aus­nah­men kann er jeden aus jedem Grund feu­ern, oder auch ohne Grund. Er läßt bespit­zeln und nach­schnüf­feln, er legt Akten über jeden Ange­stell­ten an. Wider­spre­chen heißt „Unbot­mä­ßig­sein“, als wäre der Arbei­ter ein unge­zo­ge­nes Kind, und es sorgt nicht nur für sofor­ti­ge Ent­las­sung, es ver­rin­gert auch die Chan­cen auf Arbeits­lo­sen­un­ter­stüt­zung. Ohne es unbe­dingt gut­zu­hei­ßen, ist es wich­tig anzu­mer­ken, daß Kin­der zu Hau­se und in der Schu­le die glei­che Behand­lung erfah­ren, bei ihnen durch die ange­nom­me­ne Unrei­fe gerecht­fer­tigt. Was sagt uns das über ihre Eltern und Leh­rer, die arbeiten?
(Bob Black – Die Abschaf­fung der Arbeit; im Ori­gi­nal: The Aboli­ti­on of Work)

Unter einer Stra­ßen­la­ter­ne steht ein Betrun­ke­ner und sucht und sucht. Ein Poli­zist kommt daher, fragt ihn, was er ver­lo­ren habe, und der Mann ant­wor­tet: »Mei­nen Schlüs­sel«. Nun suchen bei­de. Schließ­lich will der Poli­zist wis­sen, ob der Mann sicher ist, den Schlüs­sel gera­de hier ver­lo­ren zu haben, und jener ant­wor­tet: »Nein, nicht hier, son­dern dort hin­ten – aber dort ist es viel zu fins­ter.«
Fin­den Sie das absurd? Wenn ja, suchen auch Sie am fal­schen Ort. Der Vor­teil ist näm­lich, daß eine sol­che Suche zu nichts führt, außer »mehr des­sel­ben«, näm­lich nichts.
(…)
Die Bedeu­tung die­ses Mecha­nis­mus für unser The­ma liegt auf der Hand. Er kann ohne die Not­wen­dig­keit einer Spe­zi­al­aus­bil­dung auch vom Anfän­ger ange­wandt wer­den – ja, er ist so weit ver­brei­tet, daß er seit den Tagen Freuds Gene­ra­tio­nen von Spe­zia­lis­ten ein gutes Ein- und Aus­kom­men bie­tet; wobei aller­dings zu bemer­ken ist, daß sie ihn nicht das Mehr-des­­sel­­ben-Rezept, son­dern Neu­ro­se nen­nen.
Doch nicht auf den Namen soll es uns ankom­men, son­dern auf den Effekt. Die­ser aber ist garan­tiert, solan­ge der Unglücks­aspi­rant sich an zwei ein­fa­che Regeln hält: Ers­tens, es gibt nur eine mög­li­che, erlaub­te, ver­nünf­ti­ge, sinn­vol­le, logi­sche Lösung des Pro­blems, und wenn die­se Anstren­gun­gen noch nicht zum Erfolg geführt haben, so beweist das nur, daß er sich noch nicht genü­gend ange­strengt hat. Zwei­tens, die Annah­me, daß es nur die­se ein­zi­ge Lösung gibt, darf selbst nie in Fra­ge gestellt wer­den; her­um­pro­bie­ren darf man nur an der Anwen­dung die­ser Grundannahme.
(Paul Watz­la­wick – Anlei­tung zum Unglücklichsein)

Wie­der fah­re ich mit einem Zug. Schon als Kind ist es mir die liebs­te Art des Rei­sens gewe­sen. Das Zug­fah­ren übt auf mich eine Form von Magie aus, es fas­zi­niert mich, es fes­selt mich, es lie­fert mei­ner Phan­ta­sie einen Nähr­bo­den, auf dem sie präch­tig gedei­hen kann. Jedes Mal, seit ich klein war, habe ich mich auf das Zug­fah­ren gefreut, schon Wochen, ja Mona­te im Vor­aus, wenn ich zufäl­lig die Rei­se­pla­nung mei­ner Eltern auf­ge­schnappt hat­te oder sie mir lächelnd davon erzähl­ten, weil sie wuss­ten, wie sehr ich der Bahn­fahrt ent­ge­gen­fie­bern wür­de. Als ich sie­ben war, fuh­ren wir nach Frank­reich, und ich löcher­te mei­ne Eltern tage­lang mit einer Land­kar­te, wo wir denn lang­fah­ren wür­den und ob es dort Bäu­me gäbe oder Ber­ge oder Tun­nel oder Wie­sen. Ich habe nie ein­schla­fen kön­nen, wenn ich erfuhr, ich wür­de am nächs­ten Tag in einem Zug sit­zen, so auf­ge­regt war ich, so vol­ler Vor­freu­de. Es war ein Aben­teu­er, etwas Beson­de­res, etwas, wovon ich noch wochen­lang schwär­men konn­te.
Viel­leicht war es albern, viel­leicht auch bloß kind­li­che Fas­zi­na­ti­on, aber ich habe mir bis heu­te ein wenig davon bewahrt. Ich war nie jemand, der in der Bahn die Zei­tung liest oder sich ein Buch zur Hand nimmt. Dafür ist mir das Zug­fah­ren schon immer viel zu auf­re­gend gewe­sen. Ich inter­es­sier­te mich nicht ein­mal beson­ders für die Mit­men­schen um mich her­um, die ihren Beschäf­ti­gun­gen nach­gin­gen, im Gang stan­den, mit­ein­an­der rede­ten oder ver­such­ten zu schla­fen. Statt­des­sen rann­te ich vor mei­nen Eltern in den Wagen, such­te uns Plät­ze und setz­te mich ans Fens­ter, nie irgend­wo anders hin außer ans Fens­ter. Dann schau­te ich hin­aus. Die gan­ze Fahrt über saß ich da, jedes ein­zel­ne Mal, und blick­te zufrie­den durch das Glas auf die vor­bei­zie­hen­de Welt, oder ich streck­te, als ich schon etwas grö­ßer war, hin und wie­der den Kopf durch das geöff­ne­te Fens­ter, weil ich es genoss, den Fahrt­wind auf der Haut zu spü­ren, die­ses unmit­tel­ba­re Gefühl der eige­nen Fort­be­we­gung.
Mit atem­be­rau­ben­der Geschwin­dig­keit ras­te ich an der Welt vor­über, an Men­schen, Kin­dern vor allem, die stau­nend das Spek­ta­kel betrach­te­ten, an Fel­dern, an Kühen und Bäu­men, durch Bahn­hö­fe und an Stra­ßen vor­bei, und den­noch bewegt man sich die gan­ze Zeit im Grun­de nur auf einem Pfad, den ande­re für einen vor­ge­ge­ben haben. Ich ließ mei­ne Gedan­ken schwei­fen, ver­gaß für eine Wei­le die Sor­gen der Welt, schau­te aus dem Zug und war ein­fach nur da, jetzt im Moment, voll­kom­men frei. Mei­ne Phan­ta­sie ver­lor ihre gewohn­te Zurück­hal­tung, sie wur­de beflü­gelt von dem, was ich sehen, was ich hören und was ich spü­ren konn­te. Das Rüt­teln des Wagens, der über die Glei­se rauscht, das Getö­se der Dampf­lo­ko­mo­ti­ve und das rhyth­mi­sche Geräusch der Ach­sen, das alles ver­moch­te es bei jeder Fahrt aufs Neue, mich in eine Art Rausch zu ver­set­zen, mich zu betö­ren, zu umklam­mern und mich sanft in mei­ne Tag­träu­me zu schau­keln.
Ich stell­te mir in sol­chen Momen­ten vor, ich wäre auf einem wei­tent­fern­ten Pla­ne­ten, der Ent­de­cker frem­der Sphä­ren. Ich träum­te von einer ande­ren Welt oder mal­te mir zuwei­len aus, im Post­wa­gen wür­den die wich­tigs­ten Doku­men­te des Lan­des trans­por­tiert, geheims­te Geheim­sa­chen, Bau­plä­ne und Regie­rungs­be­schlüs­se, oder gar Schät­ze von uner­mess­li­chem Wert, und ich, ich wäre somit ein Teil des wich­tigs­ten Zuges der Nati­on. Wenn ich an Wäl­dern vor­bei­fuhr, dann sah ich Bäu­me, die ihre Äste inein­an­der ver­schlun­gen hat­ten und tanz­ten, die her­um­wir­bel­ten und dabei ihre Blät­ter ableg­ten wie Klei­der, derer sie über­drüs­sig gewor­den sind. Ich stell­te sie mir vor, wie sie gewöhn­lich stolz daste­hen, erho­be­nen Haup­tes, sich weder Wind noch Regen beu­gen. Sie tra­gen ihre Kro­nen zu Recht, dach­te ich dann, sie sind die wah­ren Köni­ge, die Köni­ge der Welt. Mit dem Zug­fah­ren ver­bin­de ich trotz all des Lärms die ruhigs­ten Momen­te mei­nes Lebens, und obwohl man auf Schie­nen stän­dig unter­wegs ist, war es ein Ort, an dem ich ankom­men konn­te, vor allem bei mir selbst. Wenn ich in einem Zug saß, dann fühl­te ich mich glück­lich.
Dies­mal ist es anders. Der Wagen ist so voll, dass wir uns gegen­sei­tig auf den Füßen ste­hen. Dies­mal sit­ze ich nicht am Fens­ter, dies­mal kann ich nicht nach drau­ßen sehen, dies­mal bin ich nicht glück­lich. Den­noch stel­le ich mir die Land­schaft vor, die Fel­der und Bäu­me, wie sie alle­samt an mir vor­über­zie­hen oder viel­mehr ich an ihnen, schnell und weit­ge­hend unbe­merkt. Die Bäu­me, sie win­ken mir zu, ver­beu­gen sich vor mir im Wind, schau­en mir nach, wün­schen mir Glück. Wie­der träu­me ich von einer ande­ren Welt, dies­mal jedoch, weil mir der Glau­be an die­se hier abhan­den­ge­kom­men ist. Ich fürch­te, es wird die letz­te Zug­fahrt mei­nes Lebens sein, nach allem was man hört. Ich bin auf dem Weg zu einem Ort namens Treblinka.

Die Frau: Super muß ich sein, sonst ver­lier ich sei­ne Lie­be. Der Mann: Ich muß super sein, sonst ver­lier ich ihre Lie­be. Und bei­de waren ziem­lich super und hat­ten Angst, ent­larvt zu wer­den. Und eines Tages sprach die Frau zum Mann: Ich hal­te das nicht län­ger aus, ich bin unsu­per, ich bin nicht, wie du meinst, und das zer­reißt mich. Und Glei­ches sprach dar­auf der Mann. Sie gin­gen aus­ein­an­der, und zwar – laut Ste­no­gramm – »damit ein jedes von uns bei­den wie­der zu sich fin­de«.
Ein All­tags­mär­chen, haus­ba­cken, wahr und mick­rig. (…) Ver­mischt mit süßer Mut­ter­milch hat man dir ein­ge­flößt den Ur-Ver­­­d­acht: Lie­be ist Lohn. Wer blöd her­um­kräht und trot­zig sei­nen Stink zurück­hält, ver­dient kein war­mes Lächeln. Gra­tis ist nichts. Sei anders, als du bist: Der Schmerz der Dif­fe­renz erstirbt in seli­ger Lieb­ko­sung. (So wird der Wunsch zum Anders­sein ein obli­ga­tes See­len­re­qui­sit. Gelingt dir die Ver­wand­lung, so spürst du manch­mal, daß ein Affe aus dem Spie­gel schaut. Gelingt sie nicht, so fühlst du dich als Ödling. Bedrü­cken tut dich beides.)
(Mar­kus Wer­ner – Froschnacht)

Wer anders sein will, als er ist, der tut mir leid. Sein Wunsch ist ehren­wert, doch abge­dro­schen. Ich for­mu­lie­re tas­tend eine The­se: Die Men­schen­see­le mit allem Drum und Dran ist seri­el­ler Kitsch. Das Inners­te erwirbt sich jeder von der Stan­ge. Nichts von Mys­te­ri­um, nur Schmalz. Mit vio­let­ten Fin­ger­nä­geln kom­men sie zu mir, mit ori­gi­nel­len Kai­­ser-Wil­helm-Schnäu­­zen, abgren­zungs­wü­tig schwän­zeln sie her­um und füh­len sich weiß Gott wie ein­zig­ar­tig. Dann öff­nen sie den Mund und hus­ten Abzieh­bild­chen aus. Und was sie spü­ren, wün­schen, träu­men, das macht sie grau­sam gleich und hunds­ge­wöhn­lich.
Das Unver­wech­sel­ba­re an dir ist dei­ne Nase, die Kaprio­len dei­nes Her­zens aber sind ein Gassenhauer.
(Mar­kus Wer­ner – Froschnacht)