Manch unge­sühn­ter Mord

Sie glau­ben, es sei pri­mi­tiv und bar­ba­risch, einen Men­schen zu töten? Au con­trai­re! Oh bit­te, den­ken Sie nicht an Schuss­waf­fen, den­ken Sie nicht an Mes­ser oder Gift, den­ken Sie nicht an Blut und all die bra­chia­len Metho­den des Tötens. Wagen Sie etwas mehr Fan­ta­sie. Mei­ne Pro­fes­si­on ist eine ande­re, ich bin spe­zia­li­siert auf Mor­de und Hin­rich­tun­gen einer gra­ziö­se­ren, weit­aus ver­sier­te­ren Art.
Haben Sie sich je über­legt, wie unge­recht die Welt an und für sich ist? Bre­chen Sie jeman­dem die Bei­ne, und Sie kom­men dafür vor Gericht. Bre­chen Sie aber jeman­dem das Herz, wird Sie kein Gericht der Welt dafür ver­ur­tei­len. Und glau­ben Sie mir, der Effekt ist ein grö­ße­rer, wenn Sie es bloß rich­tig anstel­len. Steh­len Sie jeman­dem das Vehi­kel, und man wird Sie wegen Dieb­stahl ver­fol­gen. Neh­men Sie hin­ge­gen jeman­dem die Träu­me, die er für sein Leben hegt, kom­men Sie mit die­sem Coup gänz­lich unbe­hel­ligt davon. Oder zün­den Sie jeman­dem das Haus an, bren­nen Sie es nie­der, und man wird Sie wegen Brand­stif­tung belan­gen. Ver­nich­ten Sie aber das Glück, das einer hat, wird Sie nie­mand dafür zur Ver­ant­wor­tung zie­hen wol­len. Ver­ste­hen Sie, wor­auf ich hin­aus möchte?
Mein Metier ist eine Kunst. Jeman­den mit einer Waf­fe zu erschie­ßen oder zu erste­chen, ihn zu über­fah­ren oder zu ver­gif­ten ist ein­fach und arm­se­lig, jeder Töl­pel könn­te es, auch wenn zur Umset­zung die­ser Tat ein höchst­kom­ple­xer Plan dahin­ter­ste­cken mag. Die Tat selbst aber ist eine pri­mi­ti­ve und die­se Zunft nicht die mei­ne. Mei­ne Mor­de sind inner­lich, gleich­sam kunst- wie anspruchs­voll und äußerst effek­tiv. Nie­mand bemerkt sie, außer dem Ermor­de­ten, und nie­mand kann sie mir je nach­wei­sen, kei­ne Straf­ver­fol­gungs­be­hör­de wür­de je des­we­gen gegen mich ermit­teln, denn alles, was ich tue, ist legal, ich ver­sto­ße gegen kei­ner­lei Sta­tu­ten. Dafür erfor­dern mei­ne Taten ein wesent­lich höhe­res Maß an Fin­ger­spit­zen­ge­fühl, an Fan­ta­sie, an Kunst­fer­tig­keit und an Unbarm­her­zig­keit als ein nor­ma­ler Mord. Man muss an das Opfer her­an­kom­men. Nicht phy­sisch, nicht geo­gra­fisch. Es ist leicht, Per­so­nen­schutz, Mau­ern und Wach­sys­te­me zu über­lis­ten, geht man nur mit genug Ent­schlos­sen­heit an einen Mord her­an, aber die Schutz­sys­te­me, die mei­ne Auf­merk­sam­keit erfor­dern, sind weit­aus schwie­ri­ger zu über­win­den. Ich spre­che von Ver­trau­en, das in einer lang­wie­ri­gen Inter­ak­ti­on erst ein­mal geschmie­det wer­den muss, es geht um eine Bezie­hung, die ich zu mei­nem Opfer auf­bau­en muss, um schließ­lich des­sen inne­re Ver­tei­di­gungs­maß­nah­men ele­gant zu bezwin­gen. Kein Per­so­nen­schutz der Welt kann mei­ne Opfer davor beschüt­zen, kei­ne kugel­si­che­re Wes­te fängt mei­nen töd­li­chen Schuss ab, wenn es so weit ist.
Sie glau­ben ver­mut­lich, ein phy­si­scher Mord sei wirk­sa­mer, aber da täu­schen Sie sich. Men­schen sind solch zer­brech­li­che Wesen. Ich glau­be, die meis­ten von ihnen ver­kraf­ten mehr kör­per­li­chen Scha­den als inner­li­ches Leid, als see­li­schen Schmerz, wenn Sie es so aus­drü­cken möch­ten. Ein fal­sches Wort zur rich­ti­gen Zeit, ein Schwei­gen, wenn Wor­te erwar­tet wer­den, eine noch so klei­ne Hand­lung, die deplat­ziert erscheint, ein sinn­bild­li­cher Dolch­stoß, und der Mensch wird nie wie­der so sein wie je zuvor. Er ver­liert viel­leicht sei­nen Opti­mis­mus, sei­ne Lebens­freu­de, sein Lachen, sein Ver­trau­en oder sei­ne Offen­heit. Ein ech­ter Mord schließt ab, der Mensch ist tot, requies­cat in pace. Einen Men­schen aber, den ich im Inne­ren ermor­de, tötet das nicht wirk­lich, zumin­dest nicht sofort, er muss damit wei­ter­le­ben, für den Rest sei­ner Tage.
Ich habe Ehe­män­ner und Ehe­frau­en umge­bracht, indem ich sie ver­füh­ren ließ, indem ich ihre Fami­li­en, ihr Glück, ihre Bezie­hun­gen zer­stör­te. Ich habe Men­schen getö­tet, indem ich sie über Mona­te hin­weg mit der Ver­hei­ßung der gro­ßen Lie­be lock­te, in ihnen epi­sche Gefüh­le pro­vo­zier­te, um sie dann ein­fach damit sit­zen­zu­las­sen. Ich habe Men­schen in den Abgrund gesto­ßen, indem ich ihr Ver­trau­en in die Zukunft erschüt­ter­te. Ich habe Ehr­gei­zi­ge umge­bracht, indem ich ihre Kar­rie­re zer­stör­te, und Eltern, indem ich ihre Kin­der korrumpierte.
All die­se Taten sind für mich bloß eher­ne Rou­ti­ne, it’s all in a day‘s work. Nichts davon geschah auf einem ille­ga­len Wege. Wie ste­hen Sie zu einer Welt, die all das unge­rührt zur Kennt­nis nimmt, weil sie in ihrer Ver­ach­tung für Mord, Zer­stö­rung und Gewalt so ober­fläch­lich ist wie ein Groß­teil der Men­schen, die dar­in leben? Ich bin ein Ass­as­si­ne und mei­ne Mor­de blei­ben ungesühnt.

1 Kommentar
  1. German Psycho
    German Psycho sagte:

    Wun­der­voll. Wis­sen Sie, ich mag es an sich ja nicht, wenn man über mei­ne Zunft her­zieht, aber so, wie Sie es tun, kann ich mich gar nicht belei­digt fühlen.

    Daß, was Sie schil­dern, ist Rea­li­tät, Tag für Tag. Und jeder ist Opfer und Täter, das mach die Sache noch so viel interessanter.

    Manch­mal lobe ich mir da mei­ne ein­fa­che Welt: Hier die Axt, da das Blut.

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