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When we look at someone (an angel) from a posi­ti­on of unre­qui­ted love and ima­gi­ne the plea­su­res that being in hea­ven with them might bring us, we are pro­ne to over­look a signi­fi­cant dan­ger: how soon their attrac­tions might pale if they began to love us back. We fall in love becau­se we long to escape from our­sel­ves with someone as ide­al as we are cor­rupt. But what if such a being were one day to turn around and love us back? We can only be sho­cked. How could they be as divi­ne as we had hoped when they have the bad tas­te to appro­ve of someone like us? If in order to love we must belie­ve that the bel­oved sur­pas­ses us in some way, does not a cruel para­dox emer­ge when we wit­ness this love retur­ned? „If s/he real­ly is so won­derful, how could s/he love someone like me?“
(Alain de Bot­ton – On Love)

„Ich ver­ste­he das alles nicht. Was ist bloß mit mir los?“

„Bit­te?“

„Was stimmt nicht mit mir? Ich habe letz­te Nacht kein Auge zuge­tan. Für mehr als sechs Stun­den lag ich wach, sechs vol­le Stun­den, und die gan­ze Zeit habe ich fast aus­schließ­lich an sie gedacht und die gesam­te Situa­ti­on, in der ich mich befin­de. Nichts ergibt irgend­ei­nen Sinn.“

„Ich ver­ste­he nicht so recht, wor­um es geht.“

„Das Ers­te, wor­an ich den­ke, wenn ich mor­gens auf­wa­che, ist ihr Gesicht, ihr Lächeln. Ohne zu zögern möch­te ich sie anru­fen, ihr einen Brief schrei­ben oder mich ein­fach irgend­wie mit ihr tref­fen. Als ich das letz­te Mal mit ihr zusam­men­saß, ertapp­te ich mich dabei, auf ihre Hän­de, auf ihre Hand­ge­len­ke zu star­ren und bloß den einen Gedan­ken im Kopf zu haben, wie wun­der­schön sie sind und wie ger­ne ich sie berüh­ren wür­de, nicht mit sexu­el­lem Hin­ter­ge­dan­ken oder so, ein­fach nur… eine Berüh­rung, um ihre Hän­de zu hal­ten, um ihre Haut zu spüren.“

„Ich fan­ge an zu verstehen.“

„Ein­mal erwähn­te sie mir gegen­über irgend­ei­nen unbe­deu­ten­den Typen, den sie getrof­fen hat­te, ein namen­lo­ser Kerl, und ich fürch­te, ich wur­de eifersüchtig…“

„War­um?“

„Genau! War­um? Ich habe kei­ne Ahnung, war­um. Es gibt gar kei­nen Grund für mich, eifer­süch­tig zu sein.“

„Das heißt?“

„Es ist völ­lig hirnrissig.“

„Was?“

„Ich lie­be sie nicht. Gott, ich habe nicht mal irgend­wel­che Gefüh­le für sie. Den­noch… ver­wirrt mich das alles sehr.“

„Alles? Was alles?“

„Ich sehe Gespenster.“

„Gespens­ter?“

„Ja. Stän­dig sehe ich Men­schen, die so aus­se­hen wie sie, die mich an sie erin­nern, die sie in mei­nem Kopf leben­dig wer­den las­sen. In den Stra­ßen der Stadt, im Zug, in irgend­wel­chen Bars, eigent­lich über­all. Selbst wenn ich ganz genau weiß, sie kann es nicht sein, die in die­sem Moment genau da ist, wo ich auch bin, weil sie bei­spiels­wei­se auf der Arbeit ist, spü­re ich doch jedes Mal so ein Gefühl, so eine Hoff­nung, dass es ja doch tat­säch­lich sie sein könn­te, die ich da vor mir sehe. Ich füh­le den Drang, ein­fach hin­zu­ge­hen und sie anzu­spre­chen, die­se Gespens­ter anzu­spre­chen, die ich sehe, obwohl ich doch genau weiß, wie sinn­los das wäre. Wenn jemand nur vage Ähn­lich­keit mit ihr hat, geht das schon los und ich ver­hal­te mich so fremd, füh­le die­sen Drang. Klin­ge ich wie ein Idi­ot? Bin ich verrückt?“

„Ich den­ke, wir ken­nen alle die­se spe­zi­el­le Form von Verrücktheit.“

„Sobald mein Tele­fon klin­gelt oder ich bloß eine Email bekom­me, erwacht in mir sofort die Hoff­nung und der Wunsch, es könn­te viel­leicht sie sein, und jedes Mal bin ich dann regel­recht ent­täuscht, wenn sie es nicht ist. Am Anfang habe ich über all das gar nicht nach­ge­dacht, ja ich habe es nicht ein­mal wirk­lich bemerkt, wie selt­sam ich mich ver­hal­te, aber in letz­ter Zeit kann ich es nicht mehr über­se­hen, nicht mehr igno­rie­ren, und… es treibt mich in den Wahn­sinn. Es ist, als blick­te ich in einen Spie­gel und sähe dort mein Spie­gel­bild irgend­wel­che Din­ge tun, die ich selbst nie tun wür­de, doch zur glei­chen Zeit weiß ich ganz genau, dass es nie­mand ande­res ist als ich höchst­per­sön­lich, den ich da im Spie­gel sehe. Heu­te Mor­gen woll­te ich einem mei­ner Kol­le­gen eine Email schrei­ben, und als ich sei­ne Email­adres­se ins Emp­fän­ger­feld hät­te ein­tra­gen müs­sen, stell­te ich fest, dass ich schon ihre ein­ge­ge­ben hat­te, ohne dar­über nach­zu­den­ken. Es ist ver­rückt, oder? Das bin nicht mehr ich.“

„Du bist ein Ent­de­cker in einem Wun­der­land. Gewöhn dich bes­ser daran.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich das möch­te. Aber war­te, da ist noch mehr. Als ich heu­te im Lau­fe des Tages an ihrer Woh­nung vor­bei­fuhr, muss­te ich kurz an einer roten Ampel anhal­ten, und als ich da so war­te­te, das habe ich mir zunächst nicht ein­ge­stan­den, hoff­te ich, sie käme aus ihrer Tür her­aus und gera­de­wegs auf mich zu. Ich wuss­te, sie war nicht zuhau­se, den­noch habe ich genau das gehofft. Aber weißt du was?“

„Was?“

„Wenn sie tat­säch­lich aus ihrer Tür her­aus­spa­ziert wäre, hät­te ich nicht die gerings­te Idee gehabt, wie ich mit die­ser Situa­ti­on umge­hen oder was ich zu ihr hät­te sagen sol­len. Es ist jedes Mal so, wenn ich sie sehe, ich füh­le mich berauscht und unbe­hag­lich zugleich, und ich ver­ste­he nicht, wie­so das so ist.“

„Aber du bist den­noch glück­lich dabei?“

„Letz­te Woche bin ich durch das hal­be Land gereist, nur um einen ein­zi­gen Abend mit ihr zu verbringen…“

„Nur ein Abend?“

„Nur ein Abend. Ich habe eine Ewig­keit gebraucht, um zu ihr zu kom­men, und es kos­te­te mich ein Ver­mö­gen, aber es hät­te mir nicht gleich­gül­ti­ger sein kön­nen, denn alles, was mir in die­sem Augen­blick etwas bedeu­te­te, war der Umstand, sie zu sehen, ihr nahe zu sein, Zeit mit ihr ver­brin­gen zu kön­nen. Oh Mann, ich kann immer noch nicht rich­tig glau­ben, dass ich das wirk­lich getan habe. Das ent­wi­ckelt sich alles in die fal­sche Richtung.“

„Um ehr­lich zu sein, klingst du sehr danach, als wür­dest du dir etwas vor­ma­chen, die Wahr­heit ver­leug­nen, und glaub mir, damit ken­ne ich mich aus, ich weiß, wovon ich rede.“

„Lang­sam bezweif­le ich, dass es eine gute Idee war, das mit dir zu diskutieren…“

„Es zu igno­rie­ren ist sicher kei­ne bessere.“

„Hör zu, es gibt nichts zu ver­leug­nen, aber selbst wenn dem so wäre, rein hypo­the­tisch gedacht, wäre ich sicher der Ein­zi­ge, der in die­ser Sache emo­tio­nal invol­viert ist, also muss ich dar­über gar nicht erst nachdenken.“

„Und den­noch tust du es. Es spielt außer­dem über­haupt kei­ne Rol­le, weißt du.“

„Was spielt kei­ne Rolle?“

„Es spielt kei­ne Rol­le, ob sie eben­falls emo­tio­nal invol­viert ist, wie du es so hoch­tra­bend aus­ge­drückt hast. Was immer sie für dich fühlt oder angeb­lich nicht fühlt, ändert rein gar nichts an dem, was du für sie emp­fin­dest. Du hast also Unrecht. Es hat durch­aus Sinn, über all das nach­zu­den­ken. Du denkst über all das nach, du denkst über sie nach, du denkst an sie.“

„Aber ich emp­fin­de doch gar nichts für sie!“

„Jaja, ist klar, wie auch immer. Lass mich kurz zusam­men­fas­sen, was du mir bis hier­hin erzählt hast: Jeden Mor­gen ist sie das Aller­ers­te, wor­an du denkst, wenn du auf­wachst, und du setzt Him­mel und Höl­le in Bewe­gung, nur um sie für eine kur­ze Zeit zu sehen, nur um ihr vor­über­ge­hend nah zu sein. Du bist ner­vös, wenn sie in dei­ner Nähe ist und du ver­misst sie, wenn sie das nicht ist, dar­um siehst du dei­ne so genann­ten Gespens­ter. Offen­sicht­lich geht sie dir nicht mehr aus dem Kopf, und anschei­nend geht sie dir auch nicht mehr aus dem Her­zen. Du bist mit ziem­lich gro­ßer Wahr­schein­lich­keit gera­de der dümms­te Mensch auf die­sem Planeten.“

„War­um soll­te ich das sein und wer denkst du, dass du bist, um das zu beurteilen?“

„Oh, ich exis­tie­re nur in dei­nem Kopf, mein Freund. Das ist dir aber klar, oder? Des­sen unge­ach­tet unter­hältst du dich bereits seit einer knap­pen hal­ben Stun­de mit mir – nun, mit dir selbst eigent­lich – dar­über, wie du ja so gar kei­ne Gefüh­le für sie hast, wäh­rend sie gleich­zei­tig ganz offen­sicht­lich das ist, was dich am meis­ten beschäf­tigt und dir am aller­wich­tigs­ten ist. Willst du mich ver­ar­schen? Soll das ein beschis­se­ner Scherz sein?“

„Bit­te was?“

„Pass auf, ich wer­de dir kei­ne defi­ni­ti­ve Ant­wort auf dei­ne ursprüng­li­che Fra­ge geben, aber wenn wir uns ein­mal anse­hen, wel­che Hin­wei­se und Anhalts­punk­te du dir selbst gege­ben hast, bin ich mir ver­dammt sicher, du wirst das Rät­sel lösen. Ich hof­fe für dich, du wirst es tun, andern­falls bist du ein rie­si­ger Idi­ot. Ich habe erle­digt, wofür ich kam. Viel Glück!“

Ihr seid die lieb­lo­ses­ten Men­schen, die ich ken­ne. Ihr schaut euch Sen­dun­gen an, in denen Ande­re, die in ihrem Leben noch nie eine ernst­haf­te Part­ner­schaft erlebt haben, ein­mal von der Lie­be spre­chen, von dem, was das nun für sie ist, und ihr, ihr macht euch lus­tig über sie, weil sie in euren Augen so unglaub­lich pein­lich sind. Sie mögen pein­lich sein, doch noch viel pein­li­cher seid letzt­lich ihr, die ihr euch hämisch über das klei­ne und gro­ße Glück ande­rer Men­schen amü­siert, auf sie her­ab­blickt, um ihre Vor­stel­lung von Lie­be und Gebor­gen­heit mit zyni­scher Auf­ge­bla­sen­heit in den Dreck zu zie­hen und das biss­chen Glück, das ein Mensch für sich fin­det, erst auf den Boden zu wer­fen und dann mit Füßen zu tre­ten, bis jeder Ansatz von Zufrie­den­heit verstirbt.

Ihr wen­det euch ange­ekelt ab, wenn sich zwei Men­schen lie­be­voll küs­sen und ihr das unmit­tel­bar beob­ach­ten müsst. Ihr ver­ab­scheut jeg­li­ches Ver­hal­ten, das ande­ren zeigt, dass man ein Pär­chen ist. Ihr wür­det sie am liebs­ten alle­samt tren­nen, wollt ihrem Glück so schnell es geht ein Ende berei­ten, denn für euch ist das kein Glück, was ihr da seht, also kann es das für ande­re doch auch nicht sein. Ihr seid Gefühls­spie­ßer – wenn ihr nicht könnt, sol­len alle ande­ren auch nicht dürfen.

Ihr wollt sie nicht, die Lie­be, sagt ihr dann und wie­der­holt das wie ein Man­tra. Wen wollt ihr damit über­zeu­gen, den Rest der Welt oder am Ende bloß euch selbst? Anstatt sie als Geschenk anzu­neh­men, wollt ihr die Quit­tung sehen oder blockt sie ab, zer­re­det sie und macht sie klein. Wer immer euch mal liebt, den stoßt ihr eis­kalt weg. Das Übel, sagt ihr, wollt ihr an der Wur­zel aus­ra­die­ren. Hört ihr euch eigent­lich manch­mal selbst beim Reden zu?

Ihr ver­schanzt euch hin­ter bei­ßen­dem Zynis­mus, der bequem ist, hin­ter Traum­ge­bil­den, die naiv sind, oder hin­ter dem, was ihr Ver­nunft nennt, was doch in Wahr­heit dann bloß Angst in lis­ti­ger Ver­klei­dung ist. Ihr fin­det so vie­le gute Grün­de, euch nicht auf jeman­den ein­zu­las­sen, so vie­le schlaue Ratio­na­li­sie­run­gen, die ihr euch zurecht­biegt, aber nicht einen ein­zi­gen Grund dafür. Ihr begreift nicht, dass ihr umsonst sucht, denn es gibt gar kei­nen Grund dafür, weil das Dafür doch eines Grun­des nicht bedarf: „Ich lie­be dich, weil…“, das sagt kein Mensch, der wahr­haft liebt. Auf der ande­ren Sei­te ver­ste­cken sich Mil­lio­nen Grün­de dage­gen und ihr, ihr fin­det sie alle. Ihr wollt sie unbe­dingt fin­den, ihr wollt Vor­wän­de, Aus­flüch­te, Not­aus­gän­ge. Dann wägt ihr ab: Kein Grund dafür, so vie­le dage­gen, ihr zieht Bilanz und rech­net aus, als ob es um den Ein­kauf geht. Und ihr, die ihr so lieb­los sprecht, ihr wagt es dann, ganz laut­hals über jene her­zu­zie­hen, die glück­lich in Gefüh­len baden?

Wenn es nicht Lie­be auf den ers­ten Blick ist, die euch umhaut, die von euch Besitz ergreift, dann wollt ihr sie nicht haben. Seid ehr­lich zu euch selbst: Wie oft habt ihr das schon erlebt? Für euch ver­hält sich Lie­be wie die magi­sche Boh­ne, aus der ganz plötz­lich eine Ran­ke bis zum Him­mel wächst. Dass es auch anders geht, dass Lie­be auch als zar­tes Pflänz­chen rei­fen kann, das reich­lich Zeit zum Wach­sen braucht, das kommt euch gar nicht in den Sinn, denn wenn dann doch mal etwas keimt, stürmt ihr gleich mit der Sichel an.

Ihr seid so abge­brüht. Ihr wollt Pär­chen im Park ver­gif­ten und amü­siert euch übers Glück der ande­ren. Wie kann man da Respekt vor euch haben? Ihr seid umge­ben von Lie­be, sie klopft sogar von Zeit zu Zeit an eure Tür, und alles, was ihr dafür übrig habt, ist Hohn aus eurer Burg. Wenn uner­war­tet Lie­be zu euch kommt, dann schlagt und tre­tet ihr sie, bis sie stirbt, weil ihr doch lie­ber wei­ter­hin in eurer kal­ten Fes­tung wohnt. Ist es da ein Wun­der, wenn die Lie­be euch nichts gibt?

Ihr infor­miert euch über bio-che­mi­sche Pro­zes­se, ihr theo­re­ti­siert und ana­ly­siert das Gefühl, doch Theo­rie wird euch nicht küs­sen, nie umar­men oder Wär­me spen­den kön­nen. Ihr phan­ta­siert so gern von rie­si­gen Gefüh­len, jagt Schi­mä­ren hin­ter­her, die ihr aus Lie­bes­fil­men kennt, ihr lest in Büchern über sie, von denen ihr in Wahr­heit kei­ne Ahnung habt, weil ihr noch nicht ein­mal die klei­nen schätzt. Ihr lehnt sie ab, ihr macht sie schlecht, stets wollt ihr sie zer­stö­ren, ihr unter­grabt und ihr ver­schan­delt sie, wo immer ihr sie seht, ihr gönnt den ande­ren kein Glück.

Sind eure Abge­brüht­heit, euer Hass, die zyni­sche Ver­bit­te­rung, die ihr mit eis­ge­kühl­ter Brust dem Rest der Welt ent­ge­gen­stellt, die gan­ze Miss­gunst und das kal­te Herz denn nicht bloß Aus­druck eige­ner Ent­täu­schung? Wie wollt ihr jemals glück­lich sein, wenn ihr den Schmerz so konserviert?

Wer von Geheim­nis­sen lebt, ver­schreibt sein Dasein der stän­di­gen Angst vor Offen­ba­rung. Heu­te weiß ich, du hat­test eine selbst­zer­stö­re­ri­sche Vor­stel­lung, die jeden Zug dei­nes Han­delns bestimm­te und der du treu warst wie einem Dog­ma. Du warst so sehr von die­sem Grund­satz über­zeugt, den du dir aus Grün­den kul­ti­viert hat­test, die mir für immer ver­bor­gen blei­ben wer­den, dass für dich die Kon­se­quen­zen dei­ner Über­zeu­gung weder über­schau­bar waren noch beach­tens­wert erschienen.
Jede ernst­haf­te Ver­bin­dung zwi­schen zwei Men­schen kön­ne nur Bestand haben, so pre­dig­test du mir und jedem ande­ren, der das Unglück hat­te, die­ses The­ma ein­mal anzu­schnei­den, wenn man die Impul­se und Geheim­nis­se des Ande­ren nicht hin­ter­fra­ge. Was du mit die­sem Satz zum Aus­druck brach­test, das hieß in letz­ter Kon­se­quenz, dem Ande­ren auf ewig ein Frem­der zu blei­ben, den Abstand nie­mals zu ver­lie­ren, der zwi­schen jenen steht, die sich nicht ken­nen. Aber was waren dei­ne Geheim­nis­se? Es war vor allem Angst, muss ich rück­bli­ckend heu­te sagen. Du hat­test Angst, ich könn­te alles über dich erfah­ren, so als gäbe es ein fes­tes Kon­tin­gent an Infor­ma­tio­nen über eine leben­de Per­son. Du hat­test Angst, ich könn­te das Inter­es­se an dir schnell wie­der ver­lie­ren, wenn du mir nicht län­ger ein Mys­te­ri­um offe­rierst, als wäre eine sol­che Geheim­nis­lo­sig­keit zwi­schen zwei Men­schen jemals möglich.
Da waren kei­ne bestür­zen­den Sün­den, kei­ne gefähr­li­chen Geheim­nis­se, die du vor mir ver­bargst, die du aus Scham hin­ter einer Nebel­wand hät­test ver­ste­cken müs­sen, son­dern nur die­ses eine: Dei­ne tief ver­wur­zel­te Angst, ohne streng gehü­te­te Geheim­nis­se, ohne den Schlei­er des Mys­te­riö­sen für einen ande­ren, für mich, auf ein­mal völ­lig unin­ter­es­sant zu erschei­nen. Du hat­test Angst, du wür­dest dann bere­chen­bar, du hat­test Angst, du wärst durch­schaut, wärst für mich fer­tig, ich wür­de dann an dir nichts mehr ent­de­cken wol­len und auch gar nichts mehr ent­de­cken können.
Bei jeder Gele­gen­heit, bei jeder noch so bana­len Mei­nungs­ver­schie­den­heit hast du mich immer wie­der dar­auf hin­ge­wie­sen, wie wich­tig dir dei­ne ver­bor­ge­nen Geheim­nis­se sind, und du mach­test mir wil­des­te Sze­nen, wenn ich es jemals wag­te, eine dei­ner Hand­lun­gen auch nur im Ansatz zu hin­ter­fra­gen. Es war für dich bequem. Du führ­test dich auf wie eine Regie­rung unter Para­noia, die jede Anfra­ge mit einem schnip­pi­schen Ver­weis auf natio­na­le Sicher­heit ver­wehrt, weil ihre läs­ti­ge Bevöl­ke­rung das alles gar nicht wis­sen muss. Woll­test du etwas nicht erklä­ren – viel­leicht konn­test du es dir selbst gar nicht erklä­ren -, dann dekla­rier­test du es als Geheim­nis, dein Geheim­nis, und ich durf­te es nicht hin­ter­fra­gen, weil das in dei­ner Logik doch bedeu­tet hät­te, ich wür­de dich nicht lie­ben. Das war dein Vor­wurf, noch jedes Mal, wenn du dei­ne Geheim­nis­se in Gefahr gera­ten sahst. „Du musst das nicht ver­ste­hen“, sag­test du anläss­lich jeder Irri­ta­ti­on, wenn mir dei­ne Hand­lun­gen ein Rät­sel auf­ga­ben, und genau das freu­te dich dar­an, denn es war ein wei­te­res Geheim­nis, das ich nicht ergrün­den konn­te, das ich nicht ergrün­den durfte.
Du öff­ne­test dich nur in klei­nen, peni­bel abge­grenz­ten Stü­cken, du teil­test mir nur mit, was du mir mit­tei­len woll­test, all die guten Din­ge, die schö­nen Sei­ten, all das, von dem du dach­test, es wür­de dich am bes­ten prä­sen­tie­ren. Das war dei­ne Vor­stel­lung von Kom­mu­ni­ka­ti­on. Stets hieltst du etwas vor mir zurück, umgingst die offe­ne Dis­kus­si­on, ja jede Kon­fron­ta­ti­on, weil dies für dich zugleich bedeu­te­te, sich einer mög­li­chen Ver­let­zung zu offen­ba­ren, die dir so unver­meid­lich schien, wenn du aus dei­nem Geheim­nis­bun­ker gekro­chen wärst. Du hat­test so viel Angst vor die­sen Chi­mä­ren, so viel Furcht vor Frak­tur, dass du die wirk­li­chen Ver­let­zun­gen gar nicht wahr­ge­nom­men hast, die dei­ne Geheim­nis­krä­me­rei uns mehr und mehr zuge­fügt hat.
Aber wer von uns war es nun, der nicht lieb­te? Im Krieg und in der Lie­be ist alles erlaubt, so sagt man, und was du für dich aus die­sem Sprich­wort mit­nahmst, das war die Vor­stel­lung, bei Lie­be han­de­le es sich um eine Art von Krieg. Jedes Geheim­nis, das du mir offen­bar­test, stell­te für dich ein kapi­tu­lie­ren­des Ein­ge­ständ­nis dar, eine ver­lo­re­ne Schlacht, eine schlei­chen­de Ver­schie­bung der Front hin zu dir, was am Ende zu dei­ner Nie­der­la­ge in die­sem Krieg füh­ren wür­de und füh­ren müss­te, denn es war ja Lie­be, und Lie­be war Krieg, und Krieg bedeu­te­te, dass einer am Ende der Ver­lie­rer sein muss. Du warst nicht gewillt, dich wirk­lich auf einen ande­ren Men­schen ein­zu­las­sen, sonst hät­test du gewusst, dass du dein Spiel mit den Geheim­nis­sen gar nicht brauchst; du mach­test dich durch sie bloß künst­lich inter­es­sant. Alles an dir ver­steck­test du in einem Pan­zer­schrank, den du mit Ker­be­ros‘ Ver­bis­sen­heit bewach­test, weil in dir die Befürch­tung wuchs, ich wür­de dich ganz unbarm­her­zig aus­plün­dern und zurück­las­sen, wenn ich denn erst den Code zu dei­nem Leben wüss­te, wenn ich Zugang zu dei­nem Inne­ren bekäme.
Du heg­test nie den Wunsch, von mir ver­stan­den zu wer­den, du woll­test dich nie öff­nen, nie unse­re Wel­ten mit­ein­an­der tei­len. Immer hat­test du die Furcht, ich wür­de dich ver­las­sen, wären da nicht die Geheim­nis­se an dir, die mich für alle Ewig­keit wie einen Schatz­su­cher an dich bin­den soll­ten. Hät­test du dich wirk­lich auf mich ein­ge­las­sen, dann hät­test du den Köder nicht gebraucht. Lie­be bedarf kei­ner Geheim­nis­se. Lie­be akzep­tiert Geheim­nis­se, aber sie hat sie nicht nötig, weil es für Lie­ben­de ohne­hin auf ewig Neu­es zu ent­de­cken gibt. Lie­be sucht, ent­deckt, erforscht, ohne dass du etwas weg­schlie­ßen musst, weil der gelieb­te Mensch an sich doch das Geheim­nis ist, das Lie­ben­de so gern ergrün­den, solan­ge ihre Lie­be währt. Noch heu­te hof­fe ich für dich, du wirst das irgend­wann verstehen.

Unse­re Mei­nung, dass wir das ande­re ken­nen, ist das Ende der Lie­be, jedes­mal, aber Ursa­che und Wir­kung lie­gen viel­leicht anders, als wir anzu­neh­men ver­sucht sind – nicht weil wir das ande­re ken­nen, geht unse­re Lie­be zu Ende, son­dern umge­kehrt: weil unse­re Lie­be zu Ende geht, weil ihre Kraft sich erschöpft hat, dar­um ist der Mensch fer­tig für uns. Er muß es sein. Wir kön­nen nicht mehr! Wir kün­di­gen ihm die Bereit­schaft, auf wei­te­re Ver­wand­lun­gen ein­zu­ge­hen. Wir ver­wei­gern ihm den Anspruch alles Leben­di­gen, das unfaß­bar bleibt, und zugleich sind wir ver­wun­dert und ent­täuscht, dass unser Ver­hält­nis nicht mehr leben­dig sei. „Du bist nicht“, sagt der Ent­täusch­te oder die Ent­täusch­te, „wofür ich dich gehal­ten habe“. Und wofür hat man sich denn gehal­ten? Für ein Geheim­nis, das der Mensch ja immer­hin ist, ein erre­gen­des Rät­sel, das aus­zu­hal­ten wir müde gewor­den sind. Man macht sich ein Bild­nis. Das ist das Lieb­lo­se, der Verrat.
(Max Frisch – Tage­buch 1946–1949)

Wünschst du dir nicht auch manch­mal, du fän­dest eine Insel? Wenn du dich schla­fen legst und das nicht kannst, wenn du durch Stra­ßen einer Groß­stadt gehst, wenn du in frem­de Augen blickst, dann tust du es viel­leicht. Ein Ort, der nir­gend­wo ver­zeich­net ist, ein Platz fern­ab vom trau­ri­gen Gewühl, ein Unter­schlupf, der dich mit Kraft ver­sorgt, mit Glück und Mut und Eupho­rie, ja ein Idyll, das nur für dich dein Eden ist. Suchst du das auch?
In all dem Cha­os die­ser Welt, da fand ich eine Insel. Wenn­gleich sie kei­nen Gold­schatz birgt, so über­trifft sie doch an Reich­tum alles ande­re auf die­ser Welt. Ein Eiland fand ich und erkor es mir zum Para­dies. Nichts hat je so gro­ßen Wert gehabt wie die­ses klei­ne Stück­chen Land; weder König­rei­che, Staa­ten noch die größ­ten Dynas­tien besa­ßen jemals so viel Ein­fluss wie die­ser unschein­ba­re Fleck. Als eine Art Schiff­brü­chi­ger bin ich durch puren Zufall hier gestran­det, doch für nichts auf die­ser Erde gin­ge ich hier jemals wie­der fort.
Es wird nach mir gesucht wer­den, denn man wird mich ret­ten wol­len, fürch­te ich, doch mei­ne Ret­tung habe ich bereits gefun­den, sie liegt hier und nir­gends sonst. Man wird mich für ver­lo­ren erklä­ren und nie erfah­ren, wie falsch man doch in Wahr­heit liegt, denn alles, was es sich zu fin­den lohn­te, fin­de ich allei­ne hier. Kraft einer glück­li­chen Strö­mung setz­te ich einen Fuß auf die­sen Strand. Was ich hier fand, das ist ein Eiland weit, allein im Meer, das ich zu mei­ner Hei­mat nahm, weil eine bes­se­re die Welt mir nie­mals bie­ten kann. Was ich hier fand, bedeu­tet für mich alles, wofür es sich zu leben lohnt.
Ist es Iso­la­ti­on, mich nun an die­sen Ort zurück­zu­zie­hen? Viel­leicht ver­schlie­ße ich die Augen vor dem Rest der Welt, doch hier erst wuch­sen mir die Augen, dank derer mir die Welt beach­tens­wert erscheint. Hier erst neh­me ich die Far­ben wahr, in denen schil­lernd alles strahlt, wäh­rend sich doch mei­ne Umwelt vor­mals oft genug in Grau ertrank. Es ist kei­ne Flucht, kein Eska­pis­mus, wie manch Zyni­ker viel­leicht behaup­ten mag, wenn ich mich auf die­ser Insel nun häus­lich ein­rich­te. Sie gibt mir jene Kraft, der Welt mit offe­nen Augen ent­ge­gen­tre­ten zu kön­nen, sie aus­zu­hal­ten, so wie sie ist. Sie kann einen nicht län­ger erschüt­tern, nicht mehr bedrän­gen, sie kann einen nie wie­der aus der Bahn wer­fen, jene Welt, wenn man die­ses Eiland erst ein­mal für sich gefun­den hat, das allen Gewal­ten so stand­haft trotzt.
Kei­ne Legen­den und kei­ne Erzäh­lun­gen ver­mö­gen die Ein­zig­ar­tig­keit die­ses wun­der­ba­ren Ortes ange­mes­sen zu beschrei­ben, er ist undenk- und nicht mal vor­stell­bar, solan­ge man nicht selbst sein Leben hier ver­bringt. All jene Belang­lo­sig­kei­ten, nach denen ein Mensch im Lau­fe sei­nes Lebens strebt, ver­lie­ren voll­ends an Bedeu­tung, wenn man die Wun­der die­ser Insel kennt, all ihre Schön­heit, wenn man Fuß auf sie gesetzt, sie bloß ein­mal betre­ten hat. Es gibt hier alles, was ein Mensch zum Über­le­ben braucht, zum Leben gar, nicht bloß zum Existieren.
Was ich hier fand, ist eine Insel jen­seits aller Schiff­fahrts­rou­ten. Ein Stück der Welt, das kei­ne Kar­te offen­bart, weil sich das Land hier nicht ver­mes­sen lässt. Ein Platz, der kei­ne Gren­zen kennt, der kei­ne Mau­ern hat und kei­ne Grä­ben zieht, der blin­de Orts­kennt­nis ver­langt und an zwei Tagen nie der glei­che ist. Ein Land so weit von aller Zivi­li­sa­ti­on. Kei­ne Armeen, kei­ne Legio­nen, kei­ne Heer­scha­ren die­ser Welt, wie groß und mäch­tig sie auch sein mögen, wer­den im Stan­de sein, auf die­ser Insel jemals ein­zu­fal­len und damit alles zu zer­stö­ren. Sie haben es ver­sucht und sie sind jedes Mal geschei­tert. Wäh­rend die größ­ten Rei­che unter­ge­hen, hat die­ses Eiland hier bestand. Auf die­ser Insel lebt, was all­seits sonst bereits im Ster­ben liegt. Hier wächst, was auf dem Rest der Welt verdorrt.
Ent­ge­gen einer kal­ten Welt, die mehr und mehr in Arg­wohn zu ver­sin­ken droht, ist die­ses Eiland hier ein Ort der Wär­me und des völ­li­gen Ver­trau­ens. Immer und immer wie­der gelingt es den Eigen­ar­ten die­ser Insel, mir ein herz­li­ches Lächeln ins Gesicht zu zeich­nen, und noch in den dun­kels­ten Stun­den der Trau­er fin­de ich hier etwas, das mich die gan­ze Welt umar­men, das sie lie­bens­wert erschei­nen lässt. Alles, was es wert ist, gewusst zu wer­den, habe ich hier gelernt und ler­ne ich hier noch heu­te. Es gibt Din­ge, die so wun­der­voll beschaf­fen sind, dass man gar nicht mehr bemerkt, wie man lau­fend älter wird und eines Tages ster­ben muss, die sogar so uner­hört bezau­bernd sind, dass man ent­ge­gen aller land­läu­fi­gen Furcht das Älter­wer­den und sogar das Ster­ben als etwas Gutes betrach­tet, als Voll­endung sei­nes Lebens, weil man rund­um glück­lich ist.
Nichts auf die­ser Welt ist es wert, hier jemals wie­der fort­zu­ge­hen, weil kei­ner, der sie je betrat, ver­ges­sen kann, was die­se Insel einem offe­riert. Was ich bis­her mein Leben genannt habe, die­ses Dasein, die­se blo­ße Exis­tenz, wur­de erst zu einem Leben, als ich die­sen Ort hier fand. Mein Eiland, das bist du.

Man braucht nur eine Insel
allein im wei­ten Meer.
Man braucht nur einen Menschen,
den aber braucht man sehr.
(Mascha Kaléko)

Let me tell you a sto­ry, the Dial went on. The house that your gre­at-gre­at-gre­at-grand­mo­ther and I moved into when we first beca­me mar­ried loo­ked out onto the small falls (…). It had wood flo­ors, long win­dows, and enough room for a lar­ge fami­ly. It was a hand­so­me house. A good house.
But the water, your gre­at-gre­at-gre­at-grand­mo­ther said, I can’t hear mys­elf think.
Time, I urged her. Give it time.
And let me tell you, while the house was unre­ason­ab­ly humid, and the front lawn per­pe­tu­al mud from all the spray, while the walls nee­ded to be repa­pe­red every six months, and chips of paint fell from the cei­ling like snow for all sea­sons, what they say about peo­p­le who live next to water­falls is true.
What
, my grand­fa­ther asked, do they say?
They say that peo­p­le who live next to water­falls don’t hear the water.
They say that?
They do. Of cour­se, your gre­at-gre­at-gre­at-grand­mo­ther was right. It was ter­ri­ble at first. We could­n’t stand to be in the house for more than a few hours at a time. The first two weeks were fil­led with nights of inter­mit­tent sleep and quar­re­ling for the sake of being heard over the water. We fought so much just to remind our­sel­ves that we were in love, and not in hate.
But the next weeks were a litt­le bet­ter. It was pos­si­ble to sleep a few good hours each night and eat in only mild dis­com­fort. Your gre­at-gre­at-gre­at-grand­mo­ther still cur­sed the water (who­se per­so­ni­fi­ca­ti­on had beco­me ana­to­mic­al­ly refi­ned), but less fre­quent­ly, and with less fury. Her attacks on me also quie­ted. It’s your fault, she would say. You wan­ted to live here.
Life con­tin­ued, as life con­ti­nues, and time pas­sed, as time pas­ses, and after a litt­le more than two months: Do you hear that? I asked her on one of the rare mor­nings we sat at the table tog­e­ther. Hear it? I put down my cof­fee and rose from my chair. You hear that thing?
What thing? she asked.
Exact­ly! I said, run­ning out­side to pump my fist at the water­fall. Exactly!
We danced, thro­wing handfuls of water in the air, hea­ring not­hing at all. We alter­na­ted hugs of for­gi­ve­ness and shouts of human tri­umph at the water. Who wins the day? Who wins the day, water­fall? We do! We do!
And this is what living next to a water­fall is like, Safran. Every widow wakes one mor­ning, per­haps after years of pure and unwa­ve­ring grie­ving, to rea­li­ze she slept a good night’s sleep, and will be able to eat break­fast, and does­n’t hear her husband’s ghost all the time, but only some of the time. Her grief is repla­ced with a useful sad­ness. Every parent who loses a child finds a way to laugh again. The tim­bre beg­ins to fade. The edge dulls. The hurt les­sens. Every love is car­ved from loss. Mine was. Yours is. Your great-great-great-grandchildren’s will be. But we learn to live in that love.

(Jona­than Safran Foer – Ever­y­thing is Illuminated)

Unser All­tag wird von Zufäl­len bom­bar­diert, genau­er gesagt, von zufäl­li­gen Begeg­nun­gen zwi­schen Men­schen und Ereig­nis­sen, die man Koin­zi­den­zen nennt. Man spricht von Ko-inzi­denz, wenn zwei uner­war­te­te Ereig­nis­se gleich­zei­tig statt­fin­den, wenn sie auf­ein­an­der­tref­fen: Tomas taucht in dem Moment im Lokal auf, als im Radio Beet­ho­ven gesen­det wird. Sol­che Koin­zi­den­zen sind so häu­fig, daß man sie oft nicht wahr­nimmt. Hät­te der Metz­ger von neben­an am Wirts­haus­tisch geses­sen und nicht Tomas, so wäre Tere­sa nicht auf­ge­fal­len, daß im Radio Beet­ho­ven gespielt wur­de (obwohl die Begeg­nung zwi­schen Beet­ho­ven und einem Metz­ger auch eine inter­es­san­te Koin­zi­denz ist). Aber die kei­men­de Lie­be hat in Tere­sa den Sinn für das Schö­ne geschärft, und sie wird die­se Musik nie ver­ges­sen. Jedes­mal, wenn sie sie hören wird, wird sie ergrif­fen sein. Alles, was in die­sem Augen­blick um sie her­um vor sich gehen wird, wird ihr im Glanz die­ser Musik erschei­nen und schön sein.
Am Anfang jenes Romans, den sie unter dem Arm trug, als sie zu Tomas kam, begeg­nen sich Anna und Wron­ski unter eigen­ar­ti­gen Umstän­den. Sie ste­hen auf einem Bahn­steig, wo gera­de jemand unter den Zug gefal­len ist. Am Ende des Romans stürzt sich Anna unter den Zug. Die­se sym­me­tri­sche Kom­po­si­ti­on, in der das­sel­be Motiv am Anfang und am Ende erscheint, mag Ihnen sehr ›roman­haft‹ vor­kom­men. Ja, ich gebe es zu, aber nur unter der Vor­aus­set­zung, daß Sie das Wort ›roman­haft‹ auf kei­nen Fall ver­ste­hen als ›erfun­den‹, ›künst­lich‹ oder ›lebens­fremd‹. Denn genau­so ist das mensch­li­che Leben komponiert.
Es ist kom­po­niert wie ein Musik­stück. Der Mensch, der vom Schön­heits­sinn gelei­tet ist, ver­wan­delt ein zufäl­li­ges Ereig­nis (eine Musik von Beet­ho­ven, einen Tod auf einem Bahn­hof) in ein Motiv, das er der Par­ti­tur sei­nes Lebens ein­be­schreibt. Er nimmt es wie­der auf, wie­der­holt es, vari­iert und ent­wi­ckelt es wei­ter, wie ein Kom­po­nist die The­men sei­ner Sona­te trans­po­niert. Anna hät­te sich das Leben auch anders neh­men kön­nen. Doch das Motiv von Bahn­hof und Tod, die­ses unver­geß­li­che, mit der Geburt ihrer Lie­be ver­bun­de­ne Motiv, zog sie im Moment der Ver­zweif­lung durch sei­ne dunk­le Schön­heit an. Ohne es zu wis­sen, kom­po­niert der Mensch sein Leben nach den Geset­zen der Schön­heit, sogar in Momen­ten tiefs­ter Hoffnungslosigkeit.
Man kann dem Roman also nicht vor­wer­fen, vom geheim­nis­vol­len Zusam­men­tref­fen der Zufäl­le fas­zi­niert zu sein (wie etwa dem Zusam­men­tref­fen von Wron­ski, Anna, Bahn­steig und Tod oder dem Zusam­men­tref­fen von Beet­ho­ven, Tomas, Tere­sa und Cognac), dem Men­schen aber kann man zu Recht vor­wer­fen, daß er im All­tag sol­chen Zufäl­len gegen­über blind sei und dem Leben so die Dimen­si­on der Schön­heit nehme.
(Milan Kun­de­ra – Die uner­träg­li­che Leich­tig­keit des Seins)

I love you also means I love you more than anyo­ne loves you, or has loved you, or will love you, and also, I love you in a way that no one loves you, or has loved you, or will love you, and also, I love you in a way that I love no one else, and never have loved anyo­ne else, and never will love anyo­ne else.
(Jona­than Safran Foer – Ever­y­thing is Illuminated)