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»Ver­giß nicht, ich habe zwei Gesich­ter. Ich habe gelernt, eine gewis­se Freu­de dar­an zu haben, aber trotz­dem ist es nicht leicht, zwei Gesich­ter zu haben. Das erfor­dert Anstren­gung, das erfor­dert Dis­zi­plin! Du mußt ver­ste­hen, daß ich alles, was ich, gern oder ungern, tue, mit dem Ehr­geiz tue, es gut zu machen. Und sei es nur, um mei­ne Stel­le nicht zu ver­lie­ren. Es ist sehr schwer, per­fekt zu arbei­ten und die­se Arbeit gleich­zei­tig zu verachten.«
»Oh, du kannst es, du bist dazu imstan­de, du bist geni­al«, sagt Jean-Marc.
»Ja, ich kann zwei Gesich­ter haben, aber ich kann sie nicht gleich­zei­tig haben. Bei dir habe ich das Gesicht, das sich lus­tig macht. Wenn ich im Büro bin, tra­ge ich das seriö­se Gesicht. Ich bekom­me die Unter­la­gen der Leu­te vor­ge­legt, die sich bei uns um eine Stel­le bewer­ben. Ich muß sie emp­feh­len oder ein nega­ti­ves Votum abge­ben. Man­che drü­cken sich in ihrem Brief in einer so per­fekt moder­nen Spra­che aus, mit all den Kli­schees, mit dem Jar­gon, mit dem gan­zen obli­ga­to­ri­schen Opti­mis­mus. Ich brau­che sie nicht zu sehen oder mit ihnen zu spre­chen, um sie zu ver­ab­scheu­en. Ich weiß aber, daß sie gut und eif­rig arbei­ten wer­den. Und dann gibt es jene, die sich unter ande­ren Umstän­den sicher­lich der Phi­lo­so­phie, der Kunst­ge­schich­te, dem Fran­zö­sisch­un­ter­richt gewid­met hät­ten, heu­te aber, in Erman­ge­lung von etwas Bes­se­rem, fast aus Ver­zweif­lung, suchen sie bei uns Arbeit. Ich weiß, daß sie die Stel­le, um die sie sich bewer­ben, ins­ge­heim ver­ach­ten und daß sie also mei­ne Brü­der sind. Und ich muß entscheiden.«
»Und wie ent­schei­dest du?«
»Ein­mal emp­feh­le ich den, der mir sym­pa­thisch ist, ein­mal den, der gut arbei­ten wird. Ich hand­le halb als Ver­rä­ter an mei­ner Fir­ma, halb als Ver­rä­ter an mir selbst. Ich bin ein dop­pel­ter Ver­rä­ter. Und die­sen dop­pel­ten Ver­rat betrach­te ich nicht als Nie­der­la­ge, son­dern als tol­le Leis­tung. Wie lan­ge denn wer­de ich noch in der Lage sein, mei­ne zwei Gesich­ter zu wah­ren? Das ist sehr anstren­gend. Der Tag wird kom­men, an dem ich nur ein ein­zi­ges Gesicht haben wer­de. Das schlech­te­re von bei­den natür­lich. Das seriö­se. Das zustim­men­de. Wirst du mich dann noch lieben?«
Milan Kun­de­ra – Die Identität

Es stimmt, daß ich unge­schickt bin; ich kann kei­ne Gefüh­le aus­drü­cken; kaum habe ich ein paar Wor­te dazu gesagt, mache ich mich über mich sel­ber lus­tig, mache ich mich über den ande­ren lus­tig, zer­stö­re ich die gan­ze Wir­kung durch einen iro­ni­schen Satz. Es ist ein Miß­trau­en gegen mich selbst; ich stau­ne, mich mei­ne Emp­fin­dun­gen preis­ge­ben zu hören, wie alle ande­ren es tun. Ich höre mir zu, als wäre es jemand ande­res, der da spricht, und glau­be, nicht mehr auf­rich­tig zu sein; durch die Wor­te erschei­nen mir mei­ne Gefüh­le auf­ge­bla­sen und fremd. Ich mei­ne dann, man wird mich belä­cheln wie ein klei­nes Mäd­chen, das von Din­gen spricht, die es nicht kennt. Es ist nicht mög­lich, daß ich es bin, die sagt: Ich lie­be Sie. Wenn man mir nun glaub­te, und ich hät­te mich getäuscht! Also muß ich mei­ne Sät­ze immer mit einer Pirou­et­te been­den, die zu sagen scheint: «Sie lie­ben mich, da Sie es mir ja sagen; wenn ich jedoch lie­be, wie ich es tue, fürch­te ich, das ist so nicht rich­tig – gewiß kön­nen alle ande­ren bes­ser lie­ben und es bes­ser sagen als ich.» Ich habe Angst, eines Tages zu ent­de­cken, daß ich nicht lie­be, und las­se schon im vor­aus Zwei­fel an mei­nen Gefüh­len ent­ste­hen, da ich befürch­te, man könn­te mir am Ende Unauf­rich­tig­keit vor­wer­fen; also male ich mir tau­sen­der­lei Umstän­de aus, in denen mei­ne Lie­be ver­mut­lich nicht aus­rei­chen wür­de. Ich behaup­te, ich wür­de nicht treu sein, dabei ver­weh­re ich es jedem ande­ren, mich ins Thea­ter zu beglei­ten oder mir die Fin­ger­spit­zen zu küs­sen, um dem­je­ni­gen, dem ich gesagt habe, ich lieb­te ihn nicht, nicht zu miß­fal­len, und sei es nur in Gedan­ken. Indem ich also leug­ne, daß mein Herz liebt, bin­de ich mich stär­ker als der­je­ni­ge, der mir sagt: Ich lie­be dich.
Ich wünsch­te, man wür­de mich durch­schau­en; doch man sieht nur die Pirou­et­ten und die Ironie.
Mar­cel­le Sau­va­geot – Fast ganz die Deine