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Im Kon­text des Habi­tus­kon­zepts und der Bour­dieu­schen Milieu­for­schung ist von öko­no­mi­schem, kul­tu­rel­lem sowie sozia­lem Kapi­tal die Rede. Um die­se ver­schie­de­nen For­men des Kapi­tals, die bei Bour­dieu zur Spra­che kom­men, zu betrach­ten, ist es zunächst ein­mal wich­tig, den Begriff des Kapi­tals gene­rell zu defi­nie­ren. Bour­dieu spricht von Kapi­tal als „akku­mu­lier­te Arbeit, ent­we­der in Form von Mate­ri­al oder in ver­in­ner­lich­ter, »inkor­po­rier­ter« Form“ (Bour­dieu, 1992b, S. 49).

Im Gegen­satz zu einer ver­en­gen­den Betrach­tungs­wei­se, die jeg­li­che Kapi­tal­for­men jen­seits des öko­no­mi­schen Kapi­tals als sol­ches schlicht ver­kennt, iden­ti­fi­ziert Bour­dieu neben dem öko­no­mi­schen Kapi­tal auch kul­tu­rel­les sowie sozia­les Kapital.

Die Betrach­tung der Gesell­schaft unter rein öko­no­mi­schen Gesichts­punk­ten igno­riert die sym­bo­li­sche Logik der Distink­ti­on und die Effek­te des kul­tu­rel­len Kapi­tals, die den Besit­zern eines umfang­rei­chen Kul­tur­ka­pi­tals auf Grund des­sen Sel­ten­heits­werts beson­de­re Pro­fi­te wie etwa schu­li­sche Bil­dungs­er­fol­ge ermöglichen:

„D. h., der­je­ni­ge Teil des Pro­fits, der in unse­rer Gesell­schaft aus dem Sel­ten­heits­wert bestimm­ter For­men von kul­tu­rel­lem Kapi­tal erwächst, ist letz­ten Endes dar­auf zurück­zu­füh­ren, daß nicht alle Indi­vi­du­en über die öko­no­mi­schen und kul­tu­rel­len Mit­tel ver­fü­gen, die es ihnen ermög­li­chen, die Bil­dung ihrer Kin­der über das Mini­mum hin­aus zu ver­län­gern, das zu einem gege­be­nen Zeit­punkt für die Repro­duk­ti­on der Arbeits­kraft mit dem gerings­ten Markt­wert erfor­der­lich ist“ (ebd., S. 57f).

Hier­bei wird anhand des kul­tu­rel­len Kapi­tals bereits deut­lich, dass die drei genann­ten Kapi­tal­ar­ten gesell­schaft­lich ungleich ver­teilt sind, wobei deren Ver­tei­lungs­struk­tur „der imma­nen­ten Struk­tur der gesell­schaft­li­chen Welt“ (ebd., S. 50) ent­spricht, sodass die „unglei­che Ver­tei­lung von Kapi­tal (…) somit die Grund­la­ge für die spe­zi­fi­schen Wir­kun­gen von Kapi­tal“ (ebd., S. 58) bil­det. Auf die­ser Grund­la­ge ist sozia­le Her­kunft „als Ver­ket­tung von Merk­ma­len der sozio­öko­no­mi­schen Stel­lung, des kul­tu­rel­len sowie des sozia­len Kapi­tals zu ver­ste­hen“ (Bau­mert & Maaz, 2006, S. 24), die sozia­le Ungleich­hei­ten abbil­den: „Durch die Ver­knüp­fung und Kor­re­la­ti­on der ver­schie­de­nen Kapi­tal­ar­ten erfolgt eine Kumu­la­ti­on von Vor- bzw. Nach­tei­len in den ver­schie­de­nen sozia­len Klas­sen“ (Jung­bau­er-Gans, 2004, S. 377). Ein gewich­ti­ger Vor­teil die­ser Ope­ra­tio­na­li­sie­rung sozia­ler Her­kunft ist der Umstand, dass mit Blick auf Kapi­tal­zu­sam­men­set­zung, ‑wir­kung und den dar­aus resul­tie­ren­den Habi­tus eine Per­spek­ti­ve ein­ge­nom­men wird, die sich nicht auf abs­trak­te Kate­go­rien und Struk­tur­merk­ma­le beschränkt, son­dern eben­so Pro­zess­merk­ma­le beleuch­tet und kon­kre­te Eigen­hei­ten wie die Zusam­men­set­zung des Freun­des­krei­ses, Frei­zeit­be­schäf­ti­gun­gen oder Erzie­hungs­sti­le beinhal­tet (vgl. Krais, 2004; Water­mann & Bau­mert, 2006; Bra­ke & Büch­ner, 2009).

Das kul­tu­rel­le Kapi­tal kann als Bil­dung und Hand­lungs­wis­sen in jed­we­der Form, über das eine Per­son ver­fügt, beschrie­ben wer­den und lässt sich in die drei Unter­for­men des inkor­po­rier­ten, objek­ti­vier­ten und insti­tu­tio­na­li­sier­ten Kul­tur­ka­pi­tals differenzieren.

Das inkor­po­rier­te Kul­tur­ka­pi­tal bezeich­net die ver­in­ner­lich­te Form des Kul­tur­ka­pi­tals, es „wird in per­sön­li­cher Bil­dungs­ar­beit erwor­ben und kann am ehes­ten als kogni­ti­ve Kom­pe­tenz und ästhe­ti­scher Geschmack beschrie­ben wer­den“ (Jung­bau­er-Gans, 2004, S. 377). Die Vor­aus­set­zung für jeg­li­che Inkor­po­rie­rung ist eine per­sön­li­che Inves­ti­ti­on von Zeit, die auf­zu­brin­gen sowohl der jewei­li­ge Akteur als auch des­sen Fami­lie (öko­no­misch) in der Lage sein müs­sen, denn die Akku­mu­la­ti­on des kul­tu­rel­len Kapi­tals und damit des­sen indi­vi­du­el­le Effek­ti­vi­tät „hängt viel­mehr auch davon ab, wie­viel nutz­ba­re Zeit (…) in der Fami­lie zur Ver­fü­gung steht, um die Wei­ter­ga­be des Kul­tur­ka­pi­tals zu ermög­li­chen und einen ver­zö­ger­ten Ein­tritt in den Arbeits­markt zu gestat­ten“ (Bour­dieu, 1992b, S. 72), wes­we­gen sich hier Vor­tei­le für öko­no­misch gut­si­tu­ier­te Fami­li­en erge­ben. Als sinn­volls­tes Maß für inkor­po­rier­tes Kul­tur­ka­pi­tal bezeich­net Bour­dieu die gesam­te Dau­er des Bil­dungs­er­werbs, also die­je­ni­ge Zeit, in wel­cher auf dem Wege sozia­ler Ver­er­bung Kul­tur­ka­pi­tal wei­ter­ge­ge­ben wird, wobei hier sehr dar­auf zu ach­ten ist, die­se nicht fälsch­li­cher­wei­se auf die Schul­zeit zu redu­zie­ren, da ansons­ten erneut – wie bei der rein öko­no­mi­schen Betrach­tungs­wei­se – die Trans­mis­si­on des kul­tu­rel­len Kapi­tals in der Fami­lie kom­plett unbe­rück­sich­tigt blie­be (vgl. ebd., S. 56). Da sich die her­kunfts­spe­zi­fi­schen und schul­spe­zi­fi­schen Bil­dungs­in­hal­te aller­dings durch­aus wider­spre­chen kön­nen, ist somit die Zeit der Pri­mär­er­zie­hung, die für die Ver­mitt­lung kul­tu­rel­ler Prak­ti­ken auf­ge­wen­det wur­de, „je nach dem Abstand zu den Erfor­der­nis­sen des schu­li­schen Mark­tes ent­we­der als posi­ti­ver Wert [in Rech­nung zu stel­len], als gewon­ne­ne Zeit und Vor­sprung, oder als nega­ti­ver Fak­tor, als dop­pelt ver­lo­re­ne Zeit, weil zur Kor­rek­tur der nega­ti­ven Fol­gen noch­mals Zeit ein­ge­setzt wer­den muß“ (ebd., S. 56) – für den Schul­erfolg irr­re­le­van­te Pra­xen wer­den somit aus Per­spek­ti­ve der legi­ti­men Kul­tur als Fehl­in­ves­ti­tio­nen betrachtet.

Das ein­mal inkor­po­rier­te Kul­tur­ka­pi­tal wird unwei­ger­lich zum fes­ten Bestand­teil der Per­son und formt ihren Habi­tus, bleibt dabei aber stets von den Umstän­den der ers­ten Aneig­nung geprägt (vgl. ebd., S. 56f), wor­an ersicht­lich wird, wel­chen nach­hal­ti­gen Ein­fluss die her­kunfts­spe­zi­fi­sche Kapi­tal­zu­sam­men­set­zung und die Ver­er­bung die­ses Kapi­tals auf den indi­vi­du­el­len Habi­tus und schließ­lich die schu­li­schen Erfol­ge aufweist.

Dem­ge­gen­über stellt objek­ti­vier­tes Kul­tur­ka­pi­tal, so wie ein Buch, ein Bild, ein Com­pu­ter oder ein Instru­ment, eine auto­no­me, mate­ri­ell über­trag­ba­re Form von Kul­tur­ka­pi­tal dar (vgl. ebd., S. 59). Es kann belie­big unmit­tel­bar wei­ter­ge­ben, ver­schenkt, ver­erbt und gekauft wer­den, wofür ledig­lich eine öko­no­mi­sche Inves­ti­ti­on nötig ist. Durch die­sen Umstand ist das objek­ti­vier­te Kul­tur­ka­pi­tal sehr eng an das öko­no­mi­sche Kapi­tal gebun­den. Die Aneig­nung des objek­ti­vier­ten Kul­tur­ka­pi­tals, die es erst als Kapi­tal wirk­sam wer­den lässt, setzt aller­dings anknüp­fungs­fä­hi­ges inkor­po­rier­tes kul­tu­rel­les Kapi­tal vor­aus – ein Buch bleibt eine blo­ße Blät­ter­samm­lung, solan­ge nicht inkor­po­rier­tes Kul­tur­ka­pi­tal in Form der Lese­fä­hig­keit vorliegt.

Eine gewis­se Objek­ti­vie­rung wie­der­um erfährt das inkor­po­rier­te Kul­tur­ka­pi­tal durch die Form des insti­tu­tio­na­li­sier­ten kul­tu­rel­len Kapi­tals, das in Gestalt von zu ver­ge­be­nen schu­li­schen bzw. aka­de­mi­schen Titeln exis­tiert. Die insti­tu­tio­na­li­sier­te Form des Kul­tur­ka­pi­tals stellt damit eine offi­zi­el­le Aner­ken­nung und Legi­ti­mie­rung des inkor­po­rier­ten Kul­tur­ka­pi­tals dar und ist „ein Zeug­nis für kul­tu­rel­le Kom­pe­tenz, das sei­nem Inha­ber einen dau­er­haf­ten und recht­lich garan­tier­ten kon­ven­tio­nel­len Wert über­trägt“ (ebd., S. 61). Ein der­ar­ti­ges Zeug­nis legi­ti­miert damit nicht nur die fami­liä­re Ver­er­bung kul­tu­rel­len Kapi­tals und die dadurch erzeug­ten sozia­len Ungleich­hei­ten, son­dern beschei­nigt dem Absol­ven­ten einer aner­kann­ten Bil­dungs­ein­rich­tung zudem dau­er­haft, was der Auto­di­dakt stän­dig bewei­sen muss, wobei die ein­zi­ge Dif­fe­renz zwi­schen bei­den Akteu­ren ihre Ent­spre­chung mit und ihre Unter­wer­fung unter die als legi­tim erach­te­ten Bil­dungs­in­sti­tu­tio­nen ist, womit durch insti­tu­tio­nel­le Sank­tio­nen blei­ben­de und für die wei­te­ren Lebens­we­ge höchst rele­van­te Gren­zen pro­du­ziert wer­den, da sie eine wesens­mä­ßi­ge Unter­schei­dung zwi­schen offi­zi­ell aner­kann­tem und durch den Bil­dungs­ti­tel nach­ge­wie­se­nem bzw. garan­tier­tem Kul­tur­ka­pi­tal auf der einen sowie nicht offi­zi­ell aner­kann­tem Kul­tur­ka­pi­tal auf der ande­ren Sei­te voll­zie­hen (vgl. ebd., S. 62; Sol­ga, 2005). An die­ser Stel­le sei erneut auf die damit ein­her­ge­hen­de Abwer­tung all­tags­re­le­van­ter Pra­xen ver­wie­sen, wenn die­se nicht den schu­li­schen (und damit herr­schen­den) Vor­stel­lun­gen legi­ti­mer Kul­tur entsprechen.

Sozia­les Kapi­tal wie­der­um defi­niert Bour­dieu als „die Gesamt­heit der aktu­el­len und poten­ti­el­len Res­sour­cen, die mit dem Besitz eines dau­er­haf­ten Net­zes von mehr oder weni­ger insti­tu­tio­na­li­sier­ten Bezie­hun­gen gegen­sei­ti­gen Ken­nens oder Aner­ken­nens ver­bun­den sind“ (Bour­dieu, 1992b, S. 63). Die­se Res­sour­cen, die über das Netz poten­ti­ell erschlos­sen wer­den kön­nen, umfas­sen sowohl öko­no­mi­sches (bei­spiels­wei­se in Form von Kre­di­ten oder ander­wei­ti­ger finan­zi­el­ler Unter­stüt­zung), kul­tu­rel­les (bei­spiels­wei­se als Zugang zu objek­ti­vier­tem Kul­tur­ka­pi­tal) als auch wei­te­res sozia­les Kapi­tal (‚ein Freund eines Freun­des‘), das „nicht in der direk­ten Ver­fü­gung des Indi­vi­du­ums“, son­dern „an die Exis­tenz ande­rer Per­so­nen gebun­den“ (Holl­stein, 2007, S. 53) ist. Das Netz dient hier­bei als Mul­ti­pli­ka­tor, sodass letzt­lich das für einen Akteur tat­säch­lich ver­füg­ba­re Kapi­tal nicht bloß das direkt zugäng­li­che, son­dern zudem das über das Netz­werk akti­vier­ba­re Kapi­tal ein­schließt (Bour­dieu, 1992b, S. 64). Mit der Grö­ße des jewei­li­gen sozia­len Net­zes und der sozia­len Posi­ti­on der Gegen­über kor­re­liert somit der Umfang des eige­nen Gesamt­ka­pi­tals, wobei qua­li­ta­ti­ve Stär­ke durch­aus Vor­rang vor quan­ti­ta­ti­vem Aus­maß des Net­zes ein­nimmt (vgl. Mewes, 2010).

Die unter­schied­li­chen Kapi­tal­ar­ten sind, wie bereits ange­schnit­ten, unter­ein­an­der kon­ver­tier­bar und stets mit­ein­an­der ver­wo­ben, sodass kei­ne Kapi­tal­art als von den ande­ren Kapi­tal­ar­ten unab­hän­gi­ge ver­stan­den wer­den kann. Kul­tu­rel­le, sozia­le wie öko­no­mi­sche Res­sour­cen der Eltern bei­spiels­wei­se (oder auch der Peers) sind nur nütz­lich, wenn sie ent­spre­chend genutzt wer­den (kön­nen) und sozia­les Kapi­tal in Form von Bezie­hun­gen besteht, die eine sol­che Nut­zung erlau­ben und för­dern (vgl. All­men­din­ger, Ebner, & Niko­lai, 2007, S. 489). Inner­halb der Fami­lie wir­ken sich die Fami­li­en­struk­tur, die phy­si­sche Prä­senz und die För­der­kul­tur auf die schu­li­schen Leis­tun­gen eines Kin­des aus – besteht kein (regel­mä­ßi­ger) Kon­takt zu den Eltern oder fehlt eine sol­che För­der­kul­tur, kann das Kind kaum vom kul­tu­rel­len Kapi­tal der Eltern pro­fi­tie­ren (vgl. ebd.). Außer­halb der Fami­lie ist es die Peer­group und das unmit­tel­ba­re Milieu, das sich auf die Leis­tun­gen aus­wirkt. In- und außer­halb der Fami­lie las­sen sich das kul­tu­rel­le Kapi­tal und die kul­tu­rel­le Pra­xis nicht von den Sozi­al­be­zie­hun­gen und damit dem sozia­len Kapi­tal tren­nen. Bei nied­ri­gem for­ma­lem Bil­dungs­ni­veau kon­zen­trie­ren sich die sozia­len Bezie­hun­gen zudem vor­wie­gend auf Ver­wandt­schaft und Nach­bar­schaft (vgl. Die­wald & Lüdi­cke, 2007; Mewes, 2010), ein Zugriff auf kul­tu­rel­les Kapi­tal über gro­ße sozia­le Netz­wer­ke, wie sie für Milieus mit hoher for­ma­ler Bil­dung cha­rak­te­ris­tisch sind, wird damit erschwert bis unmöglich.

Anhand der Akku­mu­la­ti­on kul­tu­rel­len Kapi­tals in inkor­po­rier­ter Form wur­de bereits im Ansatz deut­lich, wie essen­ti­ell die Ver­füg­bar­keit öko­no­mi­schen Kapi­tals sich auf die zur Inkor­po­rie­rung ver­füg­ba­re Zeit aus­wirkt, da „ein Indi­vi­du­um die Zeit für die Akku­mu­la­ti­on kul­tu­rel­len Kapi­tals nur so lan­ge aus­deh­nen kann, wie ihm sei­ne Fami­lie freie, von öko­no­mi­schen Zwän­gen befrei­te Zeit garan­tie­ren kann“ (Bour­dieu, 1992b, S. 59), und auch Zeit, sich mit dem Kind zu beschäf­ti­gen, bedarf öko­no­mi­scher Sicher­heit, sich die­se Zeit ‚leis­ten‘ zu kön­nen. Das öko­no­mi­sche Kapi­tal erzeugt neben den unmit­tel­ba­ren öko­no­mi­schen Vor­tei­len ein Gefühl mate­ri­el­ler Sicher­heit und erlaubt den Zugriff auf und die Akku­mu­la­ti­on kul­tu­rel­len Kapi­tals, ist folg­lich sowohl direkt als auch indi­rekt für die Habi­tus­bil­dung ver­ant­wort­lich. Es liegt daher sowohl allen ande­ren Kapi­tal­ar­ten zugrun­de, muss aber gleich­zei­tig Trans­for­ma­tio­nen erfah­ren, wo die direk­te Ver­er­bung öko­no­mi­schen Kapi­tals als ille­gi­tim erschei­nen könn­te, um die­se Ver­er­bung zu ver­schlei­ern und zu legi­ti­mie­ren (vgl. ebd., S. 70ff) – eben als Ver­er­bung kul­tu­rel­len Kapi­tals. Wäh­rend die Ver­füg­bar­keit über öko­no­mi­sches Kapi­tal ver­gleich­bar offen­sicht­lich und quan­ti­fi­zier­bar ist, die Effek­te des kul­tu­rel­len Kapi­tals und des­sen Ver­er­bung aber ver­bor­ge­ner von­stat­ten­ge­hen und es häu­fig als Kapi­tal ver­kannt wird – so wird nicht sel­ten das inkor­po­rier­te kul­tu­rel­le Kapi­tal natu­ra­li­siert und als Intel­li­genz, Bega­bung, Talent dekla­riert – , muss fest­ge­hal­ten wer­den, „daß die Über­tra­gung von Kul­tur­ka­pi­tal zwei­fel­los die am bes­ten ver­schlei­er­te Form erb­li­cher Über­tra­gung von Kapi­tal ist“ (ebd., S. 58), denn „[d]er Umstand, daß kul­tu­rel­le Erschei­nun­gen immer auch als sinn­lich faß­ba­re Äuße­run­gen von Per­so­nen in Erschei­nung tre­ten, erweckt den Ein­druck, als sei Kul­tur die natür­lichs­te und die per­sön­lichs­te und damit also auch die legi­tims­te Form des Eigen­tums“ (Bour­dieu, 1992a, S. 27). Infol­ge­des­sen müs­sen auf­grund der Ungleich­ver­tei­lung des kul­tu­rel­len Kapi­tals und der gene­rel­len Hier­ar­chi­sie­rung von Kul­tur die „spe­zi­fi­schen Stra­te­gien, mit denen die ver­schie­de­nen sozia­len Klas­sen und deren Teil­frak­tio­nen ihre sozia­le Stel­lung erhal­ten oder zu ver­bes­sern stre­ben“ (Ves­ter, 2004, S. 27), genau­so wie die schu­li­sche Defi­ni­ti­on legi­ti­mer Kul­tur und die Abwer­tung davon abwei­chen­der sozia­ler Pra­xen als sozia­le Kämp­fe ver­stan­den werden.

In der sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Bil­dungs­for­schung fris­ten auf Bour­dieu und des­sen Kapi­tal- sowie Habi­tus­kon­zept auf­bau­en­de Ansät­ze bis­lang jedoch ein Schat­ten­da­sein (vgl. Kalt­hoff, 2004) oder wer­den bis­wei­len in einer Form umge­setzt, die kul­tu­rel­les Kapi­tal defi­ni­to­risch auf Hoch­kul­tur ver­kürzt (vgl. de Graaf & de Graaf, 2006; dazu kri­tisch Jung­bau­er-Gans, 2006). Zwar fin­det das Kon­zept des kul­tu­rel­len und sozia­len Kapi­tals in den die öffent­li­chen Debat­ten über Bil­dungs­chan­cen immer wie­der her­vor­ru­fen­den PISA-Stu­di­en durch­aus Anwen­dung, aller­dings wur­de in die­sen Ansät­zen die kul­tu­rel­le Pra­xis ledig­lich im Kon­text von PISA 2000 über Fra­gen nach Besitz von Kul­tur­gü­tern, zum kul­tu­rel­len Leben in der Fami­lie und zur Teil­ha­be der Schü­ler an For­men der Kul­tur bzw. der kom­mu­ni­ka­ti­ven Pra­xis ermit­telt (vgl. Bau­mert & Maaz, 2006; Bau­mert, 2001; Water­mann & Bau­mert, 2006). In der Fol­ge­stu­die aus dem Jahr 2003 wur­den zunächst sämt­li­che Fra­gen zur Ver­hal­tens­di­men­si­on des kul­tu­rel­len Kapi­tals gestri­chen, sodass als Indi­ka­tor für kul­tu­rel­les Kapi­tal ein­zig der Besitz von Kul­tur­gü­tern erfasst wird, der eher Rück­schlüs­se auf den finan­zi­el­len als auf den kul­tu­rel­len Hin­ter­grund der Fami­li­en erlaubt (vgl. Jung­bau­er-Gans, 2004), bis schließ­lich PISA 2006 jeg­li­chen Bezug auf Bour­dieu ver­mis­sen ließ (vgl. Kra­mer & Hel­sper, 2010). Selbst zu Beginn der PISA-Stu­di­en wur­den die theo­re­ti­schen Annah­men Bour­dieus nur begrenzt metho­disch umge­setzt, „ohne aller­dings – und das mar­kiert die ent­schei­den­de Dif­fe­renz zu kri­ti­scher Bil­dungs­for­schung – des­sen radi­ka­le, also auf den Grund gehen­de, Ein­schät­zun­gen, die in der Klas­sen­struk­tu­riert­heit der bür­ger­lich-kapi­ta­lis­ti­schen Gesell­schafts­for­ma­ti­on grün­den, zu tei­len bzw. auf­zu­neh­men“ (Sün­ker, 2008, S. 224). Im Gegen­teil fin­det sich dort viel­mehr „eine Abwehr, die teil­wei­se mit einer unvoll­stän­di­gen und ein­sei­ti­gen Rezep­ti­on Bour­dieus ein­her­geht“ (Ves­ter, 2006, S. 23). Mit die­ser Abkehr von der Erfas­sung der Pro­zess­merk­ma­le kul­tu­rel­ler Pra­xis beschrän­ken sich die PISA-Stu­di­en auf rein objek­ti­vis­ti­sche Merk­ma­le zur Defi­ni­ti­on der sozia­len Her­kunft, wes­halb der Bei­trag zur Erklä­rung sozia­ler Chan­cen- und Bil­dungs­un­gleich­hei­ten unbe­frie­di­gend blei­ben muss: „Auf die­se Wei­se kön­nen zwar sta­tis­ti­sche Kor­re­la­tio­nen zwi­schen spe­zi­fi­schen Indi­ka­to­ren wie zum Bei­spiel zwi­schen der sozia­len Her­kunft und der indi­vi­du­el­len schu­li­schen Leis­tungs­fä­hig­keit her­aus­ge­ar­bei­tet wer­den; ver­stan­den sind die sozia­len Pro­zes­se und Mecha­nis­men, die zu die­sen Kor­re­la­tio­nen füh­ren, damit aber noch nicht“ (Grund­mann, Bitt­ling­may­er, Dra­ven­au, & Edel­stein, 2006, S. 15).


Lite­ra­tur:

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  10. Holl­stein, B. (2007). Sozi­al­ka­pi­tal und Sta­tus­pas­sa­gen – Die Rol­le von insti­tu­tio­nel­len Gate­kee­pern bei der Akti­vie­rung von Netz­werk­res­sour­cen. In J. Lüdi­cke, & M. Die­wald (Hrsg.), Sozia­le Netz­wer­ke und sozia­le Ungleich­heit (S. 53–83). Wies­ba­den: VS Ver­lag für Sozialwissenschaften.
  11. Jung­bau­er-Gans, M. (2004). Ein­fluss des sozia­len und kul­tu­rel­len Kapi­tals auf die Lese­kom­pe­tenz. Zeit­schrift für Sozio­lo­gie, 33. Jahrg. (Heft 5), S. 375–397.
  12. Jung­bau­er-Gans, M. (2006). Kul­tu­rel­les Kapi­tal und Mathe­ma­tik­leis­tun­gen – eine Ana­ly­se der PISA 2003-Daten für Deutsch­land. In W. Georg (Hrsg.), Sozia­le Ungleich­heit im Bil­dungs­sys­tem (S. 175–198). Kon­stanz: UVK.
  13. Kalt­hoff, H. (2004). Schu­le als Per­for­manz. In S. Eng­ler, & B. Krais (Hrsg.), Das kul­tu­rel­le Kapi­tal und die Macht der Klas­sen­struk­tu­ren (S. 115–140). Wein­heim und Mün­chen: Juventa.
  14. Krais, B. (2004). Zur Ein­füh­rung in den The­men­schwer­punkt ‚Die Repro­duk­ti­on sozia­ler Ungleich­heit und die Rol­le der Schu­le‘. Zeit­schrift für Sozio­lo­gie der Erzie­hung und Sozia­li­sa­ti­on, 24. Jahrg. (Heft 2), S. 115–123.
  15. Kra­mer, R.-T., & Hel­sper, W. (2010). Kul­tu­rel­le Pas­sung und Bil­dungs­un­gleich­heit – Poten­tia­le einer an Bour­dieu ori­en­tier­ten Ana­ly­se der Bil­dungs­un­gleich­heit. In H.-H. Krü­ger, U. Rabe-Kle­berg, R.-T. Kra­mer, & J. Bud­de (Hrsg.), Bil­dungs­un­gleich­heit revi­si­ted (S. 103–125). Wies­ba­den: VS Ver­lag für Sozialwissenschaften.
  16. Mewes, J. (2010). Unglei­che Netz­wer­ke – Ver­netz­te Ungleich­heit. Wies­ba­den: VS Ver­lag für Sozialwissenschaften.
  17. Sol­ga, H. (2005). Meri­to­kra­tie – die moder­ne Legi­ti­ma­ti­on unglei­cher Bil­dungs­chan­cen. In P. A. Ber­ger, & H. Kah­lert (Hrsg.), Insti­tu­tio­na­li­sier­te Ungleich­hei­ten. Wie das Bil­dungs­we­sen Chan­cen blo­ckiert (S. 19–38). Wein­heim und Mün­chen: Juventa.
  18. Sün­ker, H. (2008). Bil­dungs­po­li­tik, Bil­dung und sozia­le Gerech­tig­keit. PISA und die Fol­gen. In H.-U. Otto, & T. Rau­schen­bach (Hrsg.), Die ande­re Sei­te der Bil­dung. Zum Ver­hält­nis von for­mel­len und infor­mel­len Bil­dungs­pro­zes­sen (2. Auf­la­ge) (S. 223–236). Wies­ba­den: VS Ver­lag für Sozialwissenschaften.
  19. Ves­ter, M. (2004). Die Illu­si­on der Bil­dungs­expan­si­on. In S. Eng­ler, & B. Krais (Hrsg.), Das kul­tu­rel­le Kapi­tal und die Macht der Klas­sen­struk­tu­ren (S. 13–53). Wein­heim und Mün­chen: Juventa.
  20. Ves­ter, M. (2006). Die stän­di­sche Kana­li­sie­rung der Bil­dungs­chan­cen. In W. Georg (Hrsg.), Sozia­le Ungleich­heit im Bil­dungs­sys­tem (S. 13–54). Kon­stanz: UVK.
  21. Water­mann, R., & Bau­mert, J. (2006). Ent­wick­lung eines Struk­tur­mo­dells zum Zusam­men­hang zwi­schen sozia­ler Her­kunft und fach­li­chen und über­fach­li­chen Kom­pe­ten­zen: Befun­de natio­nal und inter­na­tio­nal ver­glei­chen­der Ana­ly­sen. In J. Bau­mert, P. Sta­nat, & R. Water­mann (Hrsg.), Her­kunfts­be­ding­te Dis­pa­ri­tä­ten im Bil­dungs­we­sen (S. 61–94). Wies­ba­den: VS Ver­lag für Sozialwissenschaften.


(Re-)Produktion und Legi­ti­ma­ti­on sozia­ler Ungleich­heit durch das Bildungssystem

Obwohl es sich bei Bil­dungs­un­gleich­heit um eines der kon­ti­nu­ier­lich behan­del­ten The­men der sozio­lo­gi­schen For­schung han­delt, fris­te­te es im öffent­li­chen Bewusst­sein nach der ers­ten Hoch­pha­se der Bil­dungs­un­gleich­heits­for­schung und anschlie­ßen­der Bil­dungs­expan­si­on ein Schat­ten­da­sein. Erst mit Erschei­nen der ursprüng­li­chen PISA-Stu­die ist Bil­dungs- und Chan­cen­un­gleich­heit wie­der ins öffent­li­che und auch poli­ti­sche Bewusst­sein gerückt. Wie jede der nach­fol­gen­den PISA-Stu­di­en und die sie beglei­ten­den Debat­ten offen­ba­ren, weist das Pro­blem der Bil­dungs- und Chan­cen­un­gleich­heit eine erheb­li­che Per­sis­tenz auf. Im Zuge der Bil­dungs­expan­si­on konn­te zwar die gene­rel­le Bil­dungs­be­tei­li­gung gestei­gert und der Zugang zu höhe­ren Bil­dungs­ab­schlüs­sen erwei­tert wer­den, doch sind sowohl die­se Zugangs­chan­cen als auch die Chan­cen inner­halb der Bil­dungs­in­sti­tu­tio­nen wei­ter­hin sozi­al ungleich ver­teilt, denn es hat ledig­lich eine quan­ti­ta­ti­ve Annä­he­rung statt­ge­fun­den, die das Pro­blem als sol­ches aller­dings nicht neu­tra­li­siert hat. Im Anschluss an die Bil­dungs­expan­si­on sind gar neue sozia­le Schlie­ßungs­me­cha­nis­men zu beob­ach­ten, die die erziel­ten Erfol­ge rela­ti­vie­ren und die sozia­len Bil­dungs­un­gleich­hei­ten wie­der anstei­gen lassen.

Zen­tra­les Anlie­gen der hier zum Down­load bereit­ge­stell­ten Arbeit ist es, das Zustan­de­kom­men von Bil­dungs­un­gleich­hei­ten und deren Per­sis­tenz unter Zuhil­fe­nah­me des Habi­tus­kon­zepts und dar­auf auf­bau­en­der Milieu- und Pas­sungs­theo­rien nach­zu­zeich­nen, um dar­aus schließ­lich gesamt­ge­sell­schaft­li­che Beob­ach­tun­gen und Kon­se­quen­zen in Bezug auf den Abbau oder die Ver­mei­dung von Bil­dungs­un­gleich­hei­ten abzu­lei­ten. Im Mit­tel­punkt steht dabei der Begriff des milieu­spe­zi­fi­schen Habi­tus und einer ent­spre­chen­den Kul­tur, die je nach sozia­ler Posi­ti­on diver­gie­ren­de Inhal­te und Pra­xen umfasst und die auf­grund die­ser imma­nen­ten Dif­fe­ren­zen unter­schied­li­ches Poten­ti­al zur Anknüp­fung an und Iden­ti­fi­ka­ti­on mit schu­li­schen Bil­dungs­in­hal­ten auf­weist. Anders aus­ge­drückt: All­tags­welt­li­che Bil­dung und schu­li­sche Bil­dung zeich­nen sich je nach sozia­ler Her­kunft durch einen unter­schied­li­chen Grad an Kom­pa­ti­bi­li­tät aus.

Down­load: Habi­tus, Her­kunft und Bil­dungs­er­folg (PDF – 97 Sei­ten – 1,4 MB)

Vor etwas mehr als einem hal­ben Jahr habe ich im Bei­trag »Die kom­men­den Tage« die sozia­len Fol­gen der anhal­ten­den Kri­se sowie die auf­kei­men­den Pro­tes­te der Occu­py- als auch ande­rer Bewe­gun­gen skiz­ziert und ver­sucht, deren wei­te­re Ent­wick­lung zu pro­gnos­ti­zie­ren. Genannt wur­den als Kri­sen­phä­no­me­ne der weit­ge­hen­den Abbau des Sozi­al­staats, erstar­ken­der Natio­na­lis­mus, zuneh­men­de Ver­ar­mung, Pre­ka­ri­sie­rung und Ent­so­li­da­ri­sie­rung, Per­so­na­li­sie­rung der Kri­tik, schlei­chen­de Ent­de­mo­kra­ti­sie­rung sowie die Radi­ka­li­sie­rung des Pro­tests und der Pro­test­be­kämp­fung. Lei­der haben sich sämt­li­che dar­ge­stell­ten Aspek­te in der Zwi­schen­zeit tat­säch­lich wei­ter ver­schärft, eini­ge sogar schnel­ler und gewal­ti­ger, als ich ursprüng­lich gedacht hatte.

Im Fol­gen­den daher eine frag­men­ta­ri­sche Bestands­auf­nah­me, die sich auf den aktu­el­len Zustand Euro­pas kon­zen­triert, ver­bun­den mit zahl­rei­chen exem­pla­ri­schen Links zu Arti­keln und Infor­ma­tio­nen. Sie sol­len als Über­blick und Anhalts­punk­te für wei­ter­ge­hen­de Recher­chen die­nen, damit sich jeder Leser anhand der Berich­te selbst ein Bild machen kann und nicht auf mei­ne Inter­pre­ta­ti­on ange­wie­sen ist.


Abbau des Sozialstaats

Die Spar­maß­nah­men in Grie­chen­land, Ita­li­en, Frank­reich, Groß­bri­tan­ni­en, Irland, Spa­ni­en, Por­tu­gal und ande­ren euro­päi­schen Län­dern bedeu­ten nicht zuletzt einen Abbau des Sozi­al­staats. Sie umfas­sen quer durch Euro­pa u.a. Maß­nah­men wie Ren­ten­kür­zun­gen sowie die Anhe­bung des Ren­ten­al­ters, die Locke­rung des Kün­di­gungs­schut­zes, Lohn­kür­zun­gen im öffent­li­chen Dienst, Ein­füh­rung neu­er Gebüh­ren oder Gebüh­ren­er­hö­hun­gen, die Kür­zung von Arbeits­lo­sen­un­ter­stüt­zung, Sozi­al­geld und ähn­li­chen Sozi­al­leis­tun­gen. Die größ­ten Ein­schnit­te fin­den dabei in der Regel in den Berei­chen Gesund­heit und Bil­dung statt, wodurch nicht nur die gegen­wär­ti­ge Ver­sor­gung und Aus­bil­dung der Bevöl­ke­rung beschnit­ten wird, son­dern auch deren indi­vi­du­el­le sowie die gesamt­ge­sell­schaft­li­che Zukunfts­per­spek­ti­ve. Ent­spre­chend wer­den immer grö­ße­re Tei­le der Bevöl­ke­rung in Armut und Ver­zweif­lung gedrängt, die mit­un­ter zum Sui­zid führt (so ist bei­spiels­wei­se die Sui­zid­ra­te in Grie­chen­land in den letz­ten zwei Jah­ren um mehr als 40 Pro­zent angestiegen).


Rezession

Vor allem die euro­päi­sche Süd­pe­ri­phe­rie, aber auch ande­re euro­päi­sche Staa­ten lei­den unter Rezes­si­on unter­schied­li­chen Aus­ma­ßes, wenn­gleich eini­ge Staa­ten bis­lang davon ver­schont geblie­ben sind. Die strik­ten Maß­nah­men der Austeri­täts­po­li­tik wie­der­um zemen­tie­ren die Abwärts­spi­ra­le der ent­spre­chen­den Län­der in immer tie­fe­re Rezes­si­on, da Lohn­kür­zun­gen, Gebüh­ren- und Steu­er­erhö­hun­gen wie z.B. bei der Mehr­wert­steu­er oder die Ein­füh­rung neu­er Son­der­steu­ern zulas­ten der Unter- und Mit­tel­schicht sich nega­tiv auf den pri­va­ten Kon­sum und damit letzt­lich die Pro­duk­ti­on und das Steu­er­auf­kom­men aus­wir­ken. Auch hier­zu­lan­de wird die Kri­se spür­ba­rer, sodass mit­tel­fris­tig Mel­dun­gen wie die­se kein Ein­zel­fall blei­ben wer­den, zumal wirt­schaft­li­che Abküh­lung auf glo­ba­ler Ebe­ne – mit beson­de­rem Blick auf Chi­na – zu beob­ach­ten ist. Hin­zu kom­men auf­grund immer auf­wen­di­ge­rer För­der­me­tho­den ste­tig stei­gen­de Ener­gie­kos­ten.


Natio­na­lis­mus & zuneh­men­de Entsolidarisierung

Zusätz­lich zur unver­hoh­le­nen und zum Teil auch von poli­ti­scher Sei­te befeu­er­ten Het­ze gegen die ver­meint­li­chen Kri­sen­ver­ur­sa­cher im euro­päi­schen Süden, für deren angeb­li­che Faul­heit und Inkom­pe­tenz man nicht län­ger Zahl­meis­ter sein wol­le, wer­den – allen vor­an durch Deutsch­land – natio­na­le Wirt­schafts­in­ter­es­sen auf Kos­ten von Dritt­staa­ten vor­an­ge­trie­ben. Das Pro­jekt Euro­pa, das die Bevöl­ke­run­gen der euro­päi­schen Staa­ten ein­an­der näher­brin­gen soll­te, ver­kommt zum Gegen­teil. Im Zuge der Kri­se ist nicht nur eine all­ge­mei­ne Spal­tung Euro­pas zu beob­ach­ten, es ist zudem auch ein deut­li­cher Gra­ben zwi­schen den strau­cheln­den euro­päi­schen Staa­ten und Deutsch­land ent­stan­den, letz­te­res sei­ner­seits hege­mo­nia­les Zen­trum der Kri­sen­po­li­tik und gro­ßer Pro­fi­teur des Euros sowie des wirt­schaft­li­chen Ungleich­ge­wichts in Europa.

Selbst noch in der momen­ta­nen Situa­ti­on pro­fi­tiert Deutsch­land zumin­dest kurz­fris­tig aus den Kri­sen­phä­no­me­nen, u.a. durch nied­ri­ge bis nega­ti­ve Zin­sen für Anlei­hen oder etwa den schwa­chen Euro, der deut­sche Expor­te in Län­der außer­halb der Euro­zo­ne ver­bil­ligt. Die­se kurz­fris­ti­gen Vor­tei­le für die deut­sche Wirt­schaft, erkauft auf dem Rücken Euro­pas, soll­ten bei deut­schen Vor­schlä­gen zur Kri­sen­be­kämp­fung stets im Hin­ter­kopf behal­ten wer­den, offen­ba­ren sie doch einen gewich­ti­gen Inter­es­sen­kon­flikt. Erfolgs­mel­dun­gen wie etwa stei­gen­der deut­scher Export sind daher mit Vor­sicht zu genie­ßen, denn mit­tel- bis lang­fris­tig wird der Kelch auch an Deutsch­land nicht vor­über­ge­hen (vgl. Abschnitt Rezes­si­on), gera­de ange­sichts der Export­las­tig­keit der deut­schen Wirtschaft.

Gene­rell wird wei­ter­hin mit­tels natio­na­lis­ti­scher Argu­men­ta­ti­ons­li­ni­en ver­sucht, die von den Kri­sen­ent­wick­lun­gen am stärks­ten Betrof­fe­nen der jewei­li­gen Staa­ten gegen­ein­an­der aus­zu­spie­len. Natio­na­lis­mus und Ent­so­li­da­ri­sie­rung zei­gen sich exem­pla­risch auch am deut­schen Umgang mit Grie­chen­land, des­sen Bevöl­ke­rung kurz vor den Wah­len mehr oder weni­ger offen ange­droht wur­de, es müs­se unab­hän­gig des Wahl­aus­gangs die an die finan­zi­el­len Hilfs­pa­ke­te geknüpf­ten Bedin­gun­gen erfül­len oder ansons­ten die Kon­se­quen­zen tra­gen. Mit Wolf­gang Schäubles Ambi­tio­nen zur Füh­rung der Euro­grup­pe könn­ten sich deut­sche Vor­machts­an­sprü­che zusätz­lich zemen­tie­ren, die zuletzt mit der Wahl in Frank­reich ins Wan­ken gera­ten waren.

Inner­halb der ein­zel­nen Staa­ten sind ande­re For­men der Ent­so­li­da­ri­sie­rung zu beob­ach­ten, näm­lich ver­stärk­te von oben nach unten gerich­te­te Abgren­zungs­be­mü­hun­gen bis hin zur Abwer­tung schwä­che­rer sozia­ler Grup­pen. Für Deutsch­land fasst der Sozio­lo­ge Wil­helm Heit­mey­er, Her­aus­ge­ber der Stu­die »Deut­sche Zustän­de«, exem­pla­risch zusam­men:

Die lau­fen­den Pro­zes­se der Umver­tei­lung und ihre gesell­schaft­li­che Zer­stö­rungs­kraft neh­men ste­tig zu und füh­ren zu einer immer grö­ßer wer­den­den Spal­tung der Gesell­schaft. Die obe­ren Ein­kom­mens­grup­pen neh­men die­se Spal­tung nur begrenzt wahr, sie sind im Gegen­teil der Mei­nung, dass sie zu wenig vom Wachs­tum pro­fi­tie­ren. Sie sind rasch bereit, die Hil­fe und Soli­da­ri­tät für schwa­che Grup­pen auf­zu­kün­di­gen. Sie wer­ten zuneh­mend stär­ker ab. Die Stu­die macht deut­lich, es exis­tiert eine geball­te Wucht rabia­ter Eli­ten und die Trans­mis­si­on sozia­ler Käl­te durch eine rohe Bür­ger­lich­keit, die sich selbst in der Opfer­rol­le sieht und des­halb immer neue Abwer­tun­gen gegen schwa­che Grup­pen in Sze­ne setzt. Und die Stu­die zeigt, wie stark Men­schen auf­grund von eth­ni­schen, kul­tu­rel­len oder reli­giö­sen Merk­ma­len, der sexu­el­len Ori­en­tie­rung, des Geschlechts, einer kör­per­li­chen Ein­schrän­kung oder aus sozia­len Grün­den mit sol­chen Men­ta­li­tä­ten kon­fron­tiert und ihnen macht­los aus­ge­lie­fert sind. Die Opfer­grup­pen sind mitt­ler­wei­le wehr­los und nicht mobi­li­sie­rungs­fä­hig. Ins­ge­samt ist eine öko­no­mi­sche Durch­drin­gung sozia­ler Ver­hält­nis­se empi­risch beleg­bar. Sie geht Hand in Hand mit einem Anstieg von grup­pen­be­zo­ge­ner Men­schen­feind­lich­keit. Seit 2008 haben sich die kri­sen­haf­ten Ent­wick­lun­gen zeit­lich mas­siv verdichtet.

Die Wahl­er­geb­nis­se der rech­ten Par­tei­en in Grie­chen­land (zusam­men knapp 17 % für die Par­tei­en Chry­si Avgi und Unab­hän­gi­ge Grie­chen) und Frank­reich (knapp 18 % für die Natio­na­lis­ten unter Mari­ne Le Pen) zei­gen deut­lich, wel­che Rich­tung der­ar­ti­ge Abgren­zungs- und Ent­so­li­da­ri­sie­rungs­ten­den­zen ein­schla­gen kön­nen. Doch nicht nur klei­ne, rechts­ra­di­ka­le Par­tei­en, son­dern auch kon­ser­va­ti­ve Volks­par­tei­en betrie­ben kräf­tig Stim­mungs­ma­che gegen sozi­al Schwa­che und Migran­ten, wie die Wahl­kämp­fe in Frank­reich und Grie­chen­land vor Augen geführt haben. Zudem wird die restrik­ti­ve EU-Migra­ti­ons­po­li­tik in Zei­ten der Kri­se noch schär­fer vor­an­ge­trie­ben, wie etwa mas­si­ve Maß­nah­men zur »Bekämp­fung ille­ga­ler Migra­ti­on« in Grie­chen­land belegen.


Zuneh­men­de Ver­ar­mung und Prekarisierung

Arbeits­lo­sen­zah­len wie zum Bei­spiel die Jugend­ar­beits­lo­sig­keit in Grie­chen­land (~54 %), Spa­ni­en (~50 %) und Ita­li­en (~30 %) oder Sta­tis­ti­ken der Ein­kom­mens- und Ver­mö­gens­ver­tei­lung (ers­te­re hier als inter­ak­ti­ve Gra­fik für die USA), der Obdach­lo­sig­keit, der Schul­den­be­las­tung sowie der Armut oder des Armuts­ri­si­kos offen­ba­ren alle­samt anwach­sen­de sozia­le Miss­stän­de (vgl. den Abschnitt zum Abbau des Sozi­al­staats). In vie­len Län­dern ist daher auf­grund der tris­ten Aus­sich­ten bereits von der »ver­lo­re­nen Gene­ra­ti­on« die Rede. Ähn­li­ches gilt für die USA, wo die Illu­si­on einer mode­ra­ten Arbeits­lo­sen­quo­te nur durch sta­tis­ti­sche Spie­le­rei­en auf­recht­erhal­ten wer­den kann.


Entdemokratisierung

Nicht nur wur­den in Grie­chen­land und Ita­li­en Über­gangs­re­gie­run­gen gebil­det, die von unge­wähl­ten Tech­no­kra­ten im Sin­ne der rigi­den Spar­po­li­tik ange­führt wer­den, auch die teils pani­schen Reak­tio­nen in Pres­se, Poli­tik und an den Märk­ten auf den Links­ruck der Wah­len in Frank­reich und Grie­chen­land spre­chen eine deut­li­che, anti­de­mo­kra­ti­sche Spra­che. Poli­ti­sche Pro­zes­se wer­den zuneh­mend an anti­zi­pier­ten Markt­re­ak­tio­nen aus­ge­rich­tet, deren Ver­un­si­che­rung so gut es geht ver­mie­den wird; es fin­det eine Ver­schie­bung der Sou­ve­rä­ni­tät statt, deren Ergeb­nis die »markt­kon­for­me« (Ange­la Mer­kel) Demo­kra­tie ist. Mit dem geplan­ten Fis­kal­pakt wird zudem das Haus­halts­recht der Unter­zeich­ner­staa­ten star­ke Ein­schrän­kun­gen erfah­ren, was einer Schwä­chung par­la­men­ta­ri­scher Kon­trol­le ent­spricht, sowie Ent­schei­dungs­ge­walt u.a. zur EU-Kom­mis­si­on ver­la­gert wer­den, die nicht demo­kra­tisch gewählt ist. Eine Befra­gung der Bevöl­ke­rung mit­tels Refe­ren­dum wird, wie schon bei frü­he­ren Ver­trä­gen auf Ebe­ne der EU, als Bedro­hung betrach­tet oder – wie in Grie­chen­land gesche­hen – gar ver­hin­dert. Immer deut­li­cher tritt der unauf­lös­ba­re Wider­spruch zwi­schen Demo­kra­tie und Kapi­ta­lis­mus zuta­ge. Mit­be­stim­mung und fried­li­cher Pro­test (vgl. den fol­gen­den Abschnitt), so scheint es, wer­den mit Ver­schär­fung der Kri­se mehr und mehr zum Stör­fak­tor für auto­ri­tä­res Kri­sen­ma­nage­ment und Märkte.


Radi­ka­li­sie­rung des Pro­tests und der Protestbekämpfung

Die Pro­test­be­we­gung, ob sie sich nun gegen die aktu­el­le Kri­sen­po­li­tik, Ban­ken­spe­ku­la­tio­nen oder das gegen­wär­ti­ge Sys­tem als Gan­zes rich­tet, hat zwar an Auf­merk­sam­keit von Sei­te der Mas­sen­me­di­en ver­lo­ren, ist jedoch wei­ter­hin sehr aktiv und kann sowohl gro­ße Demons­tra­tio­nen als auch klei­ne­re, all­täg­li­che­re For­men des Pro­tests vor­wei­sen, wie Beset­zun­gen öffent­li­cher Plät­ze, krea­ti­ve Spon­tan­kund­ge­bun­gen, diver­se For­men von Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on und ‑ver­sor­gung, zivi­len Unge­hor­sam, wider­stän­di­sche All­tags­pra­xen, Guer­ril­la Gar­dening und direk­te Aktio­nen. In von der Kri­se stark betrof­fe­nen Län­dern wie Grie­chen­land oder Ita­li­en sind in die­sem Kon­text ver­mehrt Aus­schrei­tun­gen zu beobachten.

Auf der ande­ren Sei­te wer­den Pro­test­for­men und deren Teil­neh­mer zuneh­mend kri­mi­na­li­siert, Camps und Demons­tra­tio­nen – teils gewalt­sam – auf­ge­löst und non-kon­for­mes Ver­hal­ten bestraft. Ita­li­en erwägt sogar den Ein­satz des Mili­tärs. Gene­rell scheint die Tole­ranz­schwel­le für Pro­test zu sin­ken, was zuneh­mend die Aus­übung ele­men­ta­rer Frei­heits­rech­te beschnei­den wird, um die Illu­si­on des unge­stör­ten Wei­ter-so auf­recht­zu­er­hal­ten und Eigen­tums­ver­hält­nis­se als auch Geschäfts­be­trieb zu verteidigen.

So weit der aktu­el­le Stand, ohne Anspruch auf Voll­stän­dig­keit – tat­säch­lich exis­tie­ren euro­pa­weit und natür­lich glo­bal auf­grund der anhal­ten­den Kri­se etli­che wei­te­re sozia­le, öko­no­mi­sche und öko­lo­gi­sche Pro­blem­la­gen sowie ent­spre­chen­de Proteste.

Es gibt kei­ne kon­kre­ten Hin­wei­se dar­auf, dass sich die­se Zustän­de in abseh­ba­rer Zukunft ver­bes­sern wer­den. Das Gegen­teil ist der Fall: Wird am bestehen­den Kurs fest­ge­hal­ten, wer­den Arbeits­lo­sig­keit und Sozi­al­ab­bau wei­ter zuneh­men, wor­auf der Lebens­stan­dard der meis­ten Men­schen in den betrof­fe­nen Län­dern absin­ken wird, wäh­rend ver­stärkt auto­ri­tä­re Kri­sen- und Pro­test­be­wäl­ti­gungs­stra­te­gien zu beob­ach­ten sein wer­den. Selbst an jenen, die bis­lang das gegen­wär­ti­ge poli­ti­sche und öko­no­mi­sche Sys­tem ver­tei­digt oder zumin­dest hin­ge­nom­men haben, weil sie von des­sen gewal­ti­gen Schat­ten­sei­ten nicht direkt betrof­fen waren, dürf­ten die gegen­wär­ti­gen Ent­wick­lun­gen nicht mehr lan­ge unbe­merkt vor­über­ge­hen. Die Ein­schlä­ge kom­men näher. Dies ist das Euro­pa, in dem wir leben.

Lang­fris­tig wer­den die­se Ent­wick­lun­gen wohl vor kei­nem der so genann­ten Durch­schnitts­bür­ger Halt machen, da jeder zusätz­li­che Tag der bestehen­den Ver­hält­nis­se die Zustän­de nur ver­schlim­mert, auch wenn sie man­che spä­ter erfas­sen wer­den als ande­re. Die­ser tris­ten Aus­sicht steht die posi­ti­ve Visi­on gegen­über, die eige­ne Apa­thie und Ohn­macht ange­sichts schein­bar über­mäch­ti­ger Struk­tu­ren zu über­win­den, um aus der Kri­se kon­struk­ti­ve Kraft zu schöp­fen und sich durch Pro­test, alter­na­ti­ve Lebens­wei­sen, Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on oder ähn­li­che Maß­nah­men aktiv an der Gestal­tung einer gerech­ten, frei­en, demo­kra­ti­schen und soli­da­ri­schen Gesell­schaft zu betei­li­gen, in der wir ger­ne leben möch­ten. Nie­mand soll­te dar­auf ver­trau­en, von der Poli­tik Lösun­gen zu erhal­ten. Die Poli­tik hat kei­ne Lösun­gen und sie stellt die fal­schen Fra­gen. Es liegt an jedem ein­zel­nen von uns, wie es wei­ter­ge­hen wird.

Sons­ti­ge wei­ter­füh­ren­de Links:

  • Keep Tal­king Greece
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  • Grie­chen­land-Blog
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4 minu­tes of Occu­py Frankfurt

Wir leben in tur­bu­len­ten Zei­ten. Der Kapi­ta­lis­mus, wie wir ihn heu­te ken­nen, fin­det sein Ende – auf die eine oder auf die ande­re Art. Anstatt die Kri­se aber als Bedro­hung und das Schei­tern des Kapi­ta­lis­mus als Unter­gang der Welt wahr­zu­neh­men, sind viel­mehr die Chan­cen zu erken­nen, die Grund zur Freu­de lie­fern, wenn sie genutzt werden.

Wer mit den immer deut­li­cher auf­tre­ten­den Zer­falls­pro­zes­sen des Kapi­ta­lis­mus das Aus­bre­chen eines glo­ba­len Cha­os her­an­na­hen sieht, arti­ku­liert mit die­sen Bedro­hungs­sze­na­ri­en Ängs­te, die vor allem eines offen­ba­ren: Die öko­no­mi­schen Gesetz­mä­ßig­kei­ten und Anfor­de­run­gen des bestehen­den Wirt­schafts­sys­tems, des­sen Sieg über die Sowjet­uni­on auf­grund des dar­aus resul­tie­ren­den Man­gels an kon­kre­ten Sys­te­mal­ter­na­ti­ven bis­wei­len schon zur Mär vom Ende der Geschich­te ver­lei­tet hat, haben sich bereits so sehr als Denk­sche­ma­ta in den Köp­fen der Men­schen fest­ge­setzt, dass ein Weg­fal­len die­ser Gesetz­mä­ßig­kei­ten als Weg­fall der Ord­nung an sich begrif­fen wird, so als gäbe es kei­ne ande­ren Mög­lich­kei­ten, das mensch­li­che Mit­ein­an­der zu orga­ni­sie­ren, als jene, die zur­zeit bestehen. Die­se schein­bar alter­na­tiv­lo­sen gesell­schaft­li­chen Struk­tu­ren, durch deren Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten wir sozia­li­siert wur­den und die daher in unse­re Habi­tus, in unse­re Hand­lungs- und Denk­struk­tu­ren Ein­zug gefun­den haben, befin­den sich nun in einer Kri­se, die nicht nur öko­no­mi­scher, son­dern auch psy­cho­lo­gi­scher Natur ist, denn die sozia­le Ord­nung hat sich unse­rer bis in die Fan­ta­sie hin­ein bemäch­tigt, wo sie der Vor­stel­lungs­kraft enge Gren­zen setzt, die jenen des wirt­schaft­li­chen Sys­tems ent­spre­chen. Eine grund­le­gen­de Ände­rung die­ses Sys­tems über­steigt selbst in des­sen Kri­se noch die Gren­zen des Vor­stell­ba­ren oder ist nur als Uto­pie denk­bar, als etwas, dem per se kei­ne (zeit­na­he) Rea­li­sie­rungs­chan­ce zuge­spro­chen wird. Die Gedan­ken, habi­tu­ell der­art geprägt und folg­lich ein­ge­schränkt, wir­ken somit als Kom­pli­zen des der­zei­ti­gen Sys­tems fort und so muss die Kri­se der bestehen­den Ord­nung wie eine Kri­se der Ord­nung an sich emp­fun­den wer­den, der Zer­fall des Kapi­ta­lis­mus wie der Zer­fall jeg­li­cher Gesellschaft.

Tat­säch­lich aber ist die der­zei­ti­ge Kri­se eine Chan­ce. Wer trotz aller Fak­ten noch unbe­irrt dar­auf baut, es möge alles so blei­ben, wie es ist, der möch­te eine Gesell­schafts­ord­nung am Leben erhal­ten, in der ein immer klei­ne­rer Teil auf Kos­ten der gro­ßen Mehr­heit lebt. Die sich aus­brei­ten­de Kri­se lie­fert die Mög­lich­keit, die­sen Zustand zu ändern, im Klei­nen wie im Gro­ßen. Genau die­ses Anlie­gen ver­tre­ten die wach­sen­den welt­wei­ten Proteste.

Nicht der Zusam­men­bruch stellt die Bedro­hung dar, son­dern jeder zusätz­li­che Tag, den das bestehen­de Sys­tem künst­lich am Leben erhal­ten wird – zu hor­ren­den öko­no­mi­schen, öko­lo­gi­schen und sozia­len Kos­ten. Wenn alles unge­hemmt wei­ter­läuft wie bis­her, wer­den wir in naher Zukunft unter ande­rem Fol­gen­des erleben:

  • weit­ge­hen­den Abbau des Sozialstaats
    der bereits vor Jah­ren ein­ge­setzt hat und sich stän­dig ver­schärft, man schaue neben Deutsch­land nur auf die dra­ko­ni­schen Spar­maß­nah­men in Grie­chen­land, das jüngst ver­ab­schie­de­te Spar­pa­ket Ita­li­ens, die dras­ti­schen Spar­be­mü­hun­gen in Frank­reich, Groß­bri­tan­ni­en, Spa­ni­en und Portugal.
  • erstar­ken­den Nationalismus
    der bereits jetzt schon zu beob­ach­ten ist, hier­zu­lan­de am offen­sicht­lichs­ten in Form der unver­hoh­le­nen und auch von poli­ti­scher Sei­te – im Sin­ne natio­na­ler Inter­es­sen – befeu­er­ten Het­ze gegen den ver­meint­li­chen Kri­sen­ver­ur­sa­cher Grie­chen­land, für des­sen angeb­li­che Faul­heit und Inkom­pe­tenz man nicht län­ger Zahl­meis­ter sein wol­le, genau­so wenig wie für ande­re Schul­den­län­der, wäh­rend im Aus­land teil­wei­se Deutsch­land als Ver­ur­sa­cher der Kri­se aus­ge­macht wird und ent­spre­chend ver­hasst ist; der zudem durch die natio­na­len Wirt­schafts­in­ter­es­sen vor­an­ge­trie­ben wird, die allen vor­an Deutsch­land, aber auch Frank­reich mit der Durch­set­zung der eige­nen Vor­stel­lung von Kri­sen­be­wäl­ti­gung und Haus­halts­po­li­tik auf Kos­ten drit­ter Län­der verfolgt.
  • zuneh­men­de Ver­ar­mung und Prekarisierung
    die schon seit eini­ger Zeit zu ver­zeich­nen ist, man füh­re sich bloß ein­mal Arbeits­lo­sen­zah­len wie zum Bei­spiel die Jugend­ar­beits­lo­sig­keit in Spa­ni­en (~45 %) und Ita­li­en (~30 %) oder Sta­tis­ti­ken der Ein­kom­mens- und Ver­mö­gens­ver­tei­lung (ers­te­re hier als inter­ak­ti­ve Gra­fik für die USA), der Obdach­lo­sig­keit, der Schul­den­be­las­tung sowie der Armut oder des Armuts­ri­si­kos zu Gemü­te, die alle­samt anwach­sen­de sozia­le Miss­stän­de offenbaren.
  • gras­sie­ren­den Sozialdarwinismus
    der bereits heu­te vor­zu­fin­den ist, bei­spiels­wei­se in Form der Dis­kri­mi­nie­rung von Arbeits­lo­sen und Migran­ten, die – auch von poli­ti­scher Sei­te – teil­wei­se sub­til, teil­wei­se ganz offen als faul und dumm, als Para­si­ten oder als unfi­nan­zier­ba­re Last des Wirt­schafts­stand­orts dif­fa­miert wer­den; der sich zudem hin­ter der brei­ten Akzep­tanz von in den letz­ten Jah­ren wie­der erstar­ken­den Geis­tes­hal­tun­gen wie „Nur wer arbei­tet, soll auch essen“ mehr schlecht als recht verbirgt.
  • zuneh­men­de Entsolidarisierung
    die bereits in die­sen Tagen exem­pla­risch als ste­ti­ge Pri­va­ti­sie­rung, als ein­sei­ti­ge Gebüh­ren­er­hö­hun­gen und Spar­maß­nah­men zu Las­ten unte­rer Schich­ten, als Abschot­tung der Wohl­ha­ben­den in Gated Com­mu­ni­ties und als das Aus­spie­len von Bevöl­ke­rungs­tei­len gegen ande­re Grup­pen der Bevöl­ke­rung aus­zu­ma­chen ist, so zum Bei­spiel Gering­ver­die­ner gegen Arbeits­lo­se oder „rich­ti­ge Deut­sche“ gegen Migranten.
  • Per­so­na­li­sie­rung der Kritik
    die als aggres­si­ve Sün­den­bock­su­che bereits heu­te deut­lich zu ver­neh­men ist, wenn bei­spiels­wei­se gezielt Ban­ker und Spe­ku­lan­ten als Blut­sauger oder Fremd­kör­per bezeich­net und teil­wei­se sogar bedroht werden.
  • Ent­de­mo­kra­ti­sie­rung
    die momen­tan schon sehr ein­dring­lich anhand von Grie­chen­land und Ita­li­en zu beob­ach­ten ist, wo nun Tech­no­kra­ten im Sin­ne einer rigi­den Spar­po­li­tik die Über­gangs­re­gie­run­gen lei­ten sol­len, das jewei­li­ge Land also de fac­to gar nicht mehr regiert, son­dern bloß noch zur Abwick­lung gema­na­ged wer­den wird; die außer­dem auf euro­päi­scher Ebe­ne klar zu ver­zeich­nen ist, wo sich Ent­schei­dungs­pro­zes­se unter Aus­schluss euro­päi­scher Insti­tu­tio­nen, die ihrer­seits bereits unter Demo­kra­tie­de­fi­zi­ten lei­den, mehr und mehr auf die deutsch-fran­zö­si­sche Dop­pel­spit­ze kon­zen­trie­ren; die zuletzt jedoch am deut­lichs­ten an den offen demo­kra­tie­feind­li­chen Reak­tio­nen auf die ange­kün­dig­te Volks­ab­stim­mung in Grie­chen­land abzu­le­sen war.
  • Radi­ka­li­sie­rung des Pro­tests und der Protestbekämpfung
    für die die Stra­ßen­schlach­ten in Athen, Rom und in den USA, aber auch die Riots in Lon­don ein Vor­ge­schmack waren.

All dies sind kei­ne düs­te­ren Zukunfts­vi­sio­nen, son­dern aus­nahms­los Pro­zes­se, die bereits ein­ge­setzt haben und sich mit Zuspit­zung der Kri­se pro­por­tio­nal ver­schär­fen wer­den, sofern ihnen nicht ent­ge­gen­ge­wirkt wird. Es ist der ganz nor­ma­le Wahn, den die bestehen­de Kri­se zum Vor­schein bringt.

Die glo­ba­len Pro­tes­te wie­der­um, die zur­zeit statt­fin­den und immer mehr Zulauf erfah­ren, sind in ihrem Kern nicht unbe­dingt pri­mär als For­de­rung zur Abschaf­fung des Kapi­ta­lis­mus zu begrei­fen – dies gelingt ihm aus eige­ner Kraft, wie immer offen­sicht­li­cher wird. Die Fra­ge aber, die sich in der Kri­se und mit dem Zer­fall der bestehen­den Wirt­schafts­ord­nung immer drin­gen­der stellt, lau­tet nun: In wel­che Rich­tung soll es weitergehen?

Folg­lich han­delt es sich bei den Pro­tes­ten – allen vor­an bei jenen der Indi­gna­dos oder der Occu­py-Bewe­gung sowie ihr ver­wand­ter Pro­test­for­men – um die Arti­ku­la­ti­on des Stand­punkts, dass man sich dem Gesche­hen nicht in bes­tem Fata­lis­mus hin­ge­ben möch­te (der oft genug als Opti­mis­mus ver­klei­det wird), son­dern statt­des­sen aktiv am Auf­bau einer gerech­te­ren Gesell­schaft teil­neh­men möch­te oder die­se zumin­dest ein­for­dert. Frank Schirr­ma­cher, dem man als Mit­her­aus­ge­ber der Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Zei­tung kei­ne all­zu gro­ße Links­las­tig­keit vor­wer­fen oder zugu­te­hal­ten kann, hat erst kürz­lich den über­aus befrei­en­den Gedan­ken geäu­ßert, dass wir uns zur­zeit in einer sehr kom­for­ta­blen Posi­ti­on befin­den: Immer hat es gehei­ßen, wir kön­nen uns dies nicht leis­ten oder jenes, weil das dem Wirt­schafts­stand­ort scha­det, weil das nicht finan­zier­bar ist, weil das in die­sem Wirt­schafts­sys­tem nicht funk­tio­niert und so wei­ter. Nun aber sind wir an einem Punkt, an dem offen­sicht­lich wird, dass das Wirt­schafts­sys­tem an sich nicht funk­tio­niert. Das heißt, wir kön­nen zum ers­ten Mal seit lan­ger Zeit unge­hemmt dar­über nach­den­ken, wie wir ger­ne leben wür­den, ohne uns um die öko­no­mi­schen „Sach­zwän­ge“ des Wirt­schafts­sys­tems sche­ren zu müs­sen, weil letz­te­res in sei­ner gegen­wär­ti­gen Form sowie­so nicht funk­tio­niert. Die Kri­se als Chance.

Wie eine ande­re Gesell­schaft aus­se­hen könn­te, zeigt im Klei­nen, qua­si als Sozi­al­ex­pe­ri­ment, die Occu­py-Bewe­gung: Men­schen, denen von Poli­tik und Wirt­schaft immer wie­der weis­ge­macht wird, sie sei­en auf sich allein gestellt im Kampf aller gegen alle, jeder sei nur für sich selbst ver­ant­wort­lich und Soli­da­ri­tät ein nicht finan­zier­ba­rer Luxus, leben in Form die­ser Bewe­gung das Gegen­teil vor, hel­fen sich gegen­sei­tig, ver­sor­gen sich gegen­sei­tig, unter­stüt­zen sich gegen­sei­tig. Sie mögen kei­ne ein­heit­li­chen Zie­le for­mu­lie­ren, kei­ne aus­ge­ar­bei­te­ten Kon­zep­te und Patent­lö­sun­gen anbie­ten, die ein­zu­for­dern sowie­so bloß illu­so­risch ist, doch es eint sie ein Unbe­ha­gen gegen­über den herr­schen­den Ver­hält­nis­sen; sie leh­nen ab, was die der­zei­ti­ge Gesell­schaft ihnen nahe- oder auf­er­legt, sie sagen zum Bestehen­den: Fuck this shit! Die Occu­py-Bewe­gung wagt den Ver­such einer Gegen­kul­tur und zeigt, dass ein ande­res Leben mög­lich ist, eine ande­re Kul­tur mit ande­ren Wer­ten, Prio­ri­tä­ten und Verhältnissen.

Jener Aspekt der gegen­wär­ti­gen Bewe­gung ist es folg­lich auch, der für die bestehen­de Ord­nung die größ­te Zumu­tung dar­stellt – aus deren Sicht­wei­se gespro­chen. Wäh­rend frag­men­tier­te Pro­tes­te und Demons­tra­tio­nen schon immer vor­zu­fin­den waren und ent­spre­chend mar­gi­na­li­siert wer­den konn­ten, ver­fügt das Eta­blie­ren einer kon­struk­ti­ven Gegen­kul­tur, die welt­weit gro­ße media­le Auf­merk­sam­keit erfährt und die sich inter­na­tio­nal ver­netzt als auch rasch aus­ge­brei­tet hat, über eine gänz­lich ande­re Qua­li­tät, weil deren zugrun­de­lie­gen­de Idee das Poten­ti­al besitzt, mehr und mehr Men­schen zum Über­den­ken des Selbst­ver­ständ­li­chen bewe­gen zu kön­nen, indem sie kon­kre­te Alter­na­ti­ven zum Bestehen­den auf­zeigt, wenn auch bloß als sozia­les Expe­ri­ment. Buck­mins­ter Ful­ler hat es wie folgt aus­ge­drückt: »You never chan­ge things by fight­ing the exis­ting rea­li­ty. To chan­ge some­thing, build a new model that makes the exis­ting model obsolete.«

Letzt­lich gilt es also, die eige­ne Angst vor dem Kol­laps, die eige­ne Igno­ranz, die eige­ne Apa­thie und Ohn­macht ange­sichts schein­bar über­mäch­ti­ger Struk­tu­ren zu über­win­den, um aus der Kri­se kon­struk­ti­ve Kraft zu schöp­fen. Kraft für eine bes­se­re, gerech­te­re, glück­li­che­re Gesell­schaft, in der wir ger­ne leben möch­ten. Nie­mand soll­te dar­auf ver­trau­en, von der Poli­tik Lösun­gen zu erhal­ten. Die Poli­tik hat kei­ne Lösun­gen und sie stellt die fal­schen Fra­gen. Es liegt an jedem ein­zel­nen von uns, wie es wei­ter­ge­hen wird.

Update vom 15.05.2012:
Die kom­men­den Tage (Teil 2) – eine Bestands­auf­nah­me sechs Mona­te nach Ver­öf­fent­li­chung die­ses Artikels.

Die Zeit bis zum Schul­jah­res-Ende ver­geht. Ich bil­de mir ein, ich leis­te in die­ser Zeit etwas. Aber mit Leis­tung kann einer dies und der ande­re das mei­nen. Ich bin der Mei­nung, ich leis­te etwas, was die Leh­rer für Leis­tung hal­ten. Für mei­nen Vater sind Leis­tun­gen die Arbei­ten, die ich im Haus und auf den Fel­dern ver­rich­te (…) Für die Dorf­bur­schen besteht mei­ne Leis­tung in der Kum­pe­lei mit ihnen. Für sie bin ich in jener Zeit wenig leis­tungs­fä­hig. (…) Es gab nie eine Zeit, in der ich gern in die Schu­le ging. Ich habe Mus­ter­men­schen stets mit etwas Skep­sis bestaunt, zum Bei­spiel die­sen Noat­nick, der zwei Schul­klas­sen über­sprang, und von dem behaup­tet wird, er habe zwei Lebens­jah­re ein­ge­spart. Ich weiß nicht, ob der lie­be Gott bei der Erschaf­fung des Men­schen an die Schu­le dach­te, aber die­ser Noat­nick ist, als ob ihn Gott bear­bei­tet hät­te, damit er in die Schu­le passt. Ich hin­ge­gen bin neu­gie­rig auf alles, was sich außer­halb der Schu­le zuträgt, aber das trägt mir kei­ne hoch­en Zen­su­ren ein.
(Erwin Stritt­mat­ter – Der Laden, Band 2)

Die [gesell­schaft­lich] glei­cher­ma­ßen erfahr­ba­ren For­men struk­tu­rel­ler und sym­bo­li­scher Gewalt wer­den für die Deklas­sier­ten und Dequa­li­fi­zier­ten umso leid­vol­ler und ent­waff­nen­der, als sie unter den Vor­zei­chen und Ver­hei­ßun­gen einer an indi­vi­du­el­ler Selbst­ver­wirk­li­chung und ‑behaup­tung ori­en­tier­ten ‚Gesell­schaft der Indi­vi­du­en‘ die Schuld für ihr Ver­sa­gen zwangs­läu­fig bei sich selbst suchen und dann wohl auch ent­de­cken wer­den müs­sen. Sym­bo­li­sche Gewalt als die sub­tils­te Form der Herr­schaft beruht nun ein­mal auf einem Mecha­nis­mus, bei dem die Herr­schafts­un­ter­wor­fe­nen nicht umhin zu kom­men schei­nen, anzu­er­ken­nen, dass alles mit rech­ten Din­gen zugeht und jeder nach den ihm gege­be­nen Mög­lich­kei­ten und Gren­zen sei­nes eige­nen Glü­ckes (oder Unglü­ckes) Schmied ist.
(Franz Schult­heis – Repro­duk­ti­on in der Kri­se: Fall­stu­di­en zur sym­bo­li­schen Gewalt; in: Bar­ba­ra Frie­berts­häu­ser, Mar­kus Rie­ger-Ladich & Lothar Wig­ger – Refle­xi­ve Erziehungswissenschaft)

Arbeit ver­höhnt die Frei­heit. Offi­zi­ell kön­nen wir uns glück­lich schät­zen, von Rechts­staat und Demo­kra­tie umge­ben zu sein. Ande­re arme Unglück­li­che, die nicht so frei sind wie wir, müs­sen in Poli­zei­staa­ten leben. Die­se Opfer fol­gen Befeh­len, egal wie will­kür­lich sie sind. Die Behör­den hal­ten sie unter dau­ern­der Auf­sicht. Staats­be­am­te kon­trol­lie­ren sogar kleins­te Details ihres All­tags­le­bens. Die Büro­kra­ten, die sie her­um­schub­sen, müs­sen sich nur nach oben ver­ant­wor­ten, in öffent­li­chen wie in Pri­vat-Ange­le­gen­hei­ten. So und so wer­den Abwei­chung und Auf­leh­nung bestraft. Regel­mä­ßig lei­ten Infor­man­ten Berich­te an die Behör­den wei­ter. Das alles gilt als sehr schlecht.
Und das ist es auch, obwohl es nichts wei­ter dar­stellt als eine Beschrei­bung eines moder­nen Arbeits­plat­zes. Die Libe­ra­len und Kon­ser­va­ti­ven und Frei­heit­li­chen, die sich über Tota­li­ta­ris­mus beschwe­ren, sind Schwind­ler und Heuch­ler. (…) In einem Büro oder einer Fabrik herrscht die­sel­be Art von Hier­ar­chie und Dis­zi­plin wie in einem Klos­ter oder einem Gefäng­nis. Tat­säch­lich haben Fou­cault und ande­re gezeigt, daß Gefäng­nis­se und Fabri­ken etwa zur glei­chen Zeit auf­ka­men, und ihre Betrei­ber ent­lie­hen sich bewußt Kon­troll­tech­ni­ken von­ein­an­der. Ein Arbei­ter ist ein Teil­zeit­skla­ve. Der Chef sagt, wann es los­geht, wann gegan­gen wer­den kann und was in der Zwi­schen­zeit getan wird. Er schreibt vor, wie­viel Arbeit zu erle­di­gen ist und mit wel­chem Tem­po. Es steht ihm frei, sei­ne Kon­trol­le bis in demü­ti­gen­de Extre­me aus­zu­wei­ten, indem er fest­legt (wenn ihm danach ist), wel­che Klei­dung vor­ge­schrie­ben wird und wie oft die Toi­let­te auf­ge­sucht wer­den darf. Mit weni­gen Aus­nah­men kann er jeden aus jedem Grund feu­ern, oder auch ohne Grund. Er läßt bespit­zeln und nach­schnüf­feln, er legt Akten über jeden Ange­stell­ten an. Wider­spre­chen heißt „Unbot­mä­ßig­sein“, als wäre der Arbei­ter ein unge­zo­ge­nes Kind, und es sorgt nicht nur für sofor­ti­ge Ent­las­sung, es ver­rin­gert auch die Chan­cen auf Arbeits­lo­sen­un­ter­stüt­zung. Ohne es unbe­dingt gut­zu­hei­ßen, ist es wich­tig anzu­mer­ken, daß Kin­der zu Hau­se und in der Schu­le die glei­che Behand­lung erfah­ren, bei ihnen durch die ange­nom­me­ne Unrei­fe gerecht­fer­tigt. Was sagt uns das über ihre Eltern und Leh­rer, die arbeiten?
(Bob Black – Die Abschaf­fung der Arbeit; im Ori­gi­nal: The Aboli­ti­on of Work)

Unter einer Stra­ßen­la­ter­ne steht ein Betrun­ke­ner und sucht und sucht. Ein Poli­zist kommt daher, fragt ihn, was er ver­lo­ren habe, und der Mann ant­wor­tet: »Mei­nen Schlüs­sel«. Nun suchen bei­de. Schließ­lich will der Poli­zist wis­sen, ob der Mann sicher ist, den Schlüs­sel gera­de hier ver­lo­ren zu haben, und jener ant­wor­tet: »Nein, nicht hier, son­dern dort hin­ten – aber dort ist es viel zu finster.«
Fin­den Sie das absurd? Wenn ja, suchen auch Sie am fal­schen Ort. Der Vor­teil ist näm­lich, daß eine sol­che Suche zu nichts führt, außer »mehr des­sel­ben«, näm­lich nichts.
(…)
Die Bedeu­tung die­ses Mecha­nis­mus für unser The­ma liegt auf der Hand. Er kann ohne die Not­wen­dig­keit einer Spe­zi­al­aus­bil­dung auch vom Anfän­ger ange­wandt wer­den – ja, er ist so weit ver­brei­tet, daß er seit den Tagen Freuds Gene­ra­tio­nen von Spe­zia­lis­ten ein gutes Ein- und Aus­kom­men bie­tet; wobei aller­dings zu bemer­ken ist, daß sie ihn nicht das Mehr-des­sel­ben-Rezept, son­dern Neu­ro­se nennen.
Doch nicht auf den Namen soll es uns ankom­men, son­dern auf den Effekt. Die­ser aber ist garan­tiert, solan­ge der Unglücks­aspi­rant sich an zwei ein­fa­che Regeln hält: Ers­tens, es gibt nur eine mög­li­che, erlaub­te, ver­nünf­ti­ge, sinn­vol­le, logi­sche Lösung des Pro­blems, und wenn die­se Anstren­gun­gen noch nicht zum Erfolg geführt haben, so beweist das nur, daß er sich noch nicht genü­gend ange­strengt hat. Zwei­tens, die Annah­me, daß es nur die­se ein­zi­ge Lösung gibt, darf selbst nie in Fra­ge gestellt wer­den; her­um­pro­bie­ren darf man nur an der Anwen­dung die­ser Grundannahme.
(Paul Watz­la­wick – Anlei­tung zum Unglücklichsein)

Zen­tral für das Kon­zept des sozia­len Raums und der sozia­len Fel­der ist das Begrei­fen der sozia­len Wirk­lich­keit als einer rela­tio­na­len. Jeder Akteur inner­halb der sozia­len Wirk­lich­keit fin­det sich an einem Punkt die­ses sozia­len Rau­mes wie­der, wobei sei­ne Posi­ti­on dabei stets im Ver­hält­nis zur Posi­ti­on der ande­ren Akteu­re steht bezie­hungs­wei­se in Hin­sicht auf die Distanz zu ande­ren Akteu­ren defi­niert wird, was durch die Unter­schie­de im Lebens­stil oder – all­ge­mei­ner – im Habi­tus zur Gel­tung kommt. Der sozia­le Raum ist somit auch ein Raum der sozia­len Unter­schie­de und beinhal­tet durch sein rela­tio­na­les Kon­zept die Bezie­hun­gen der ein­zel­nen Akteu­re zuein­an­der. Die Gesell­schaft kon­sti­tu­iert sich unter stän­di­ger Ver­än­de­rung aus den sym­bo­li­schen Kämp­fen um Macht inner­halb des sozia­len Rau­mes. Ein Akteur sieht dabei die Welt oder bes­ser gesagt den sozia­len Raum stets aus Sicht sei­ner Posi­ti­on, so wie eine Per­son im phy­si­schen Raum ihre geo­gra­phi­sche Umge­bung stets nur gemäß ihrer Posi­ti­on wahrnimmt.

Bour­dieu kon­stru­iert den sozia­len Raum als Drei­ebe­nen­kon­zept, umfas­send die Ebe­ne der sozia­len Posi­tio­nen oder Lagen, die Ebe­ne der Lebens­sti­le sowie die Ebe­ne des Habitus.

Die ers­te Ebe­ne der sozia­len Posi­tio­nen lässt sich als drei­di­men­sio­na­les Gebil­de erklä­ren. Zunächst ent­schei­det das per­sön­li­che Kapi­tal­vo­lu­men, also sowohl kul­tu­rel­les als auch öko­no­mi­sches Kapi­tal, über die ver­ti­ka­le Posi­ti­on im sozia­len Raum; das Kapi­tal­vo­lu­men stellt folg­lich die Y‑Achse eines Ach­sen­kreu­zes dar. Wer über ein hohes Kapi­tal­vo­lu­men ver­fügt, fin­det sich in den obe­ren Berei­chen des sozia­len Rau­mes wie­der. Die zwei­te Ach­se stellt die Kapi­tal­struk­tur des Kapi­tals dar, über das ein Akteur ver­fügt. Ihre Pole sind das kul­tu­rel­le sowie das öko­no­mi­sche Kapi­tal. Ein Akteur, der über viel öko­no­mi­sches Kapi­tal ver­fügt, befin­det sich somit an einer ande­ren Posi­ti­on in den obe­ren Berei­chen des sozia­len Rau­mes als eine Per­son, die über viel kul­tu­rel­les Kapi­tal ver­fügt. Kapi­tal­vo­lu­men und Kapi­tal­zu­sam­men­set­zung sind glei­cher­ma­ßen bedeu­tend. Als drit­te Dimen­si­on spielt schließ­lich neben der aktu­el­len Posi­ti­on auch die Ent­wick­lung im sozia­len Raum eine Rol­le. Ver­gan­gen­heit und Zukunft sind hier als Zeit­fak­to­ren von Bedeu­tung, da die Ent­wick­lung Auf­schluss dar­über gibt, ob es sich bei einem Akteur um einen sozia­len Auf- oder Abstei­ger handelt.

Die zwei­te Ebe­ne der Lebens­sti­le kann als über­la­ger­te Ebe­ne auf dem Raum der sozia­len Posi­tio­nen begrif­fen wer­den. Hier zei­gen sich die Unter­schie­de im Kon­sum­ver­hal­ten, in der Nut­zung von Unter­hal­tungs­an­ge­bo­ten, im Sport oder all­ge­mein in der Frei­zeit­ak­ti­vi­tät der sozia­len Akteu­re, die zwar Posi­tio­nen auf der ers­ten Ebe­ne ent­spre­chen, aber nicht zwangs­wei­se dar­aus abge­lei­tet wer­den kön­nen und daher auch sepa­rat unter­sucht werden.

Wie schon auf der zwei­ten Ebe­ne der Lebens­sti­le zei­gen sich auch auf der drit­ten Ebe­ne der Habi­tus die in der ers­ten Ebe­ne ver­deut­lich­ten Unter­schie­de in der Ver­füg­bar­keit über Kapi­tal und die zuge­hö­ri­gen Posi­tio­nen, die für die Akteu­re nicht unmit­tel­bar erkenn­bar sind, in wirk­li­chen, für die Akteu­re sicht­ba­ren Unter­schie­den. Es sind unter­schied­li­che Lebens­sti­le und Ver­hal­tens­wei­sen, die in die­sen bei­den Ebe­nen die unter­schied­li­chen mate­ri­el­len Bedin­gun­gen als unmit­tel­bar erleb­ba­re sozia­le Unter­schie­de zum Aus­druck brin­gen. Der Habi­tus die­ser drit­ten Ebe­ne, ent­stan­den durch die sozia­len Umstän­de, durch die er geprägt wur­de, zeich­net sich für die Umwand­lung ver­ant­wort­lich, die aus ähn­li­chen mate­ri­el­len Bedin­gun­gen ähn­li­che Ver­hal­tens­mus­ter, Geschmä­cker und Lebens­sti­le formt, die schluss­end­lich die sozia­len Dif­fe­ren­zen repro­du­zie­ren. Jene Ver­hal­tens­mus­ter, Lebens­sti­le und Geschmä­cker, gebil­det danach, in wel­cher öko­no­mi­schen und kul­tu­rel­len Situa­ti­on ein Akteur auf­ge­wach­sen ist, wer­den zu Kenn­zei­chen der sozia­len Posi­ti­on und die­nen damit einer­seits als Zuord­nungs- und gleich­zei­tig als Abgren­zungs­merk­mal. Wer auf­stei­gen will, muss gewis­se Hür­den über­win­den und wird auf Grund sei­nes inkor­po­rier­ten Habi­tus nie voll­kom­men ‚dazu­ge­hö­ren’, fühlt sich also mit­un­ter am fal­schen Ort, genau­so wie legi­ti­me oder distin­gu­ier­te Kul­tur als Kul­tur der obe­ren Posi­tio­nen im Sozi­al­raum als Abgren­zungs­merk­mal benutzt wird, die als unin­ter­es­sant und undis­tin­gu­iert gilt, sobald sie popu­lär gewor­den ist und damit auch brei­te­re Mas­sen aus ande­ren, nied­ri­ge­ren sozia­len Posi­tio­nen über sie verfügen.

Bour­dieu kri­ti­siert mit sei­nem Drei­ebe­nen­kon­zept Marx bzw. Tei­le der dar­auf beru­hen­den Mar­xis­ten, die theo­re­ti­sche sozia­le Klas­sen, die sich durch unter­schied­li­ches Kapi­tal­ver­mö­gen aus­zeich­nen, als wirk­li­che Klas­sen begrif­fen haben. Eine wirk­li­che Klas­sen­la­ge bezie­hungs­wei­se viel­mehr sozia­le Nähe oder sozia­le Distanz ent­steht dem­ge­mäß laut Bour­dieu nur in der sozia­len Pra­xis durch die Akteu­re selbst, die sich durch Unter­schie­de in Habi­tus und Lebens­sti­len abgren­zen und somit selbst gewis­se Gren­zen defi­nie­ren, wel­che aller­dings nicht so klar ver­lau­fen müs­sen wie in der Vor­stel­lung Marx­scher Klas­sen, bei der die kon­stru­ier­ten Klas­sen strikt von­ein­an­der getrennt existieren.

Mit der Vor­stel­lung des Rau­mes geht Bour­dieu den Weg, sozia­le Nähe oder Distanz zu beschrei­ben, wie es vom geo­gra­phi­schen Raum ableit­bar ist. Tat­säch­lich las­sen sich Wech­sel­be­zie­hun­gen zwi­schen sozia­lem Raum und dem geo­gra­phi­schen oder phy­si­schen Raum beob­ach­ten, des­sen Struk­tur Bour­dieu auch als ver­ding­lich­ten Sozi­al­raum bezeich­net. Wie im phy­si­schen Raum hat im sozia­len Raum jeder Akteur eine bestimm­te Posi­ti­on, die er ein­nimmt. Wo Nähen oder Distan­zen im Sozi­al­raum bestehen, bestehen sie meist auch im phy­si­schen Raum, was sich durch phy­sisch vor­han­de­ne Abgren­zung in letz­te­rem äußert: Uner­wünsch­te Per­so­nen wer­den durch Archi­tek­tur, recht­li­che Beschrän­kun­gen, Kon­trol­len etc. auf Distanz gehal­ten. Ein Obdach­lo­ser bei­spiels­wei­se, der im sozia­len Raum über nahe­zu kei­ne Exis­tenz ver­fügt, besitzt auch im phy­si­schen Raum kei­ne wirk­li­che Posi­ti­on oder Aus­brei­tung. Die­se phy­si­sche Ver­wirk­li­chung sozia­ler Abgren­zung ist laut Bour­dieu zudem „ein Teil der Behar­rungs­kraft der Struk­tu­ren des Sozi­al­raums“ (Bour­dieu, 1997, S. 161), weil eine phy­si­sche Rea­li­sie­rung oder schein­ba­re Natu­ra­li­sie­rung sozia­ler Unter­schie­de nur sehr schwie­rig wie­der auf­zu­he­ben ist. Räum­li­che Distan­zen tra­gen somit ihren – sicher­lich gro­ßen – Teil zur Ein­ver­lei­bung der sozia­len Distan­zen bei, die sich damit in den Denk­struk­tu­ren mani­fes­tie­ren: „Genau­er gesagt voll­zieht sich die unmerk­li­che Ein­ver­lei­bung der Struk­tu­ren der Gesell­schafts­ord­nung zwei­fel­los zu einem guten Teil ver­mit­telt durch andau­ern­de und unzäh­li­ge Male wie­der­hol­te Erfah­run­gen räum­li­cher Distanz“ (Bour­dieu, 1997, S. 162).

Sozia­le Felder

Das Kon­zept der sozia­len Fel­der trägt der Tat­sa­che Rech­nung, dass sich inner­halb des sozia­len Raums ihrer­seits wei­te­re sozia­le Räu­me vor­fin­den las­sen. Die­se Räu­me oder Uni­ver­sen inner­halb des sozia­len Raums, bezeich­net als Fel­der, ver­fü­gen jeweils über eine feld­spe­zi­fi­sche Form von Kapi­tal, die inner­halb die­ser Fel­der im sym­bo­li­schen Kampf um Macht und sozia­le Posi­ti­on als cha­rak­te­ris­ti­sche sym­bo­li­sche Waf­fe ein­ge­setzt wird. Um sie geht es inner­halb des Fel­des. Im Feld der Lite­ra­tur bei­spiels­wei­se stellt eine Form des kul­tu­rel­len Kapi­tals die feld­spe­zi­fi­sche Kapi­tal­art dar, mit der sym­bo­lisch dar­um gekämpft wird, was als legi­ti­me Kul­tur Aner­ken­nung fin­det und was als popu­lä­re Kul­tur undis­tin­gu­iert ist und damit an Bedeu­tung ver­liert. Im Feld der Wis­sen­schaft hin­ge­gen wird mit der Kapi­tal­art ‚For­schung’ dar­um gekämpft, wes­sen Theo­rie, For­schung oder Erfin­dung am inno­va­tivs­ten oder am exklu­sivs­ten ist und damit die Vor­rang­stel­lung über­nimmt, um sich inner­halb des Fel­des gut zu posi­tio­nie­ren, wäh­rend im Feld der Öko­no­mie das öko­no­mi­sche Kapi­tal dar­über ent­schei­det, wer inner­halb des Fel­des Macht­po­si­tio­nen ein­neh­men kann, wohin­ge­gen im Feld der Reli­gi­on wie­der­um eine ganz ande­re Kapi­tal­art von zen­tra­ler Bedeu­tung ist, usw.

Inner­halb jedes die­ser Fel­der im sozia­len Raum fin­den somit sym­bo­li­sche Kämp­fe um die Posi­tio­nie­rung und die sozia­le Exis­tenz mit dem Ziel der Vor­macht­stel­lung im jewei­li­gen Feld statt, die den Kämp­fen auf gesamt­ge­sell­schaft­li­cher Ebe­ne ähneln und mit­un­ter auch fälsch­li­cher­wei­se als sol­che wahr­ge­nom­men wer­den, aber feld­spe­zi­fi­sche sym­bo­li­sche Kämp­fe beschrei­ben. Die Fel­der ihrer­seits befin­den sich an Posi­tio­nen des sozia­len Rau­mes und stel­len dadurch folg­lich auch die Posi­tio­nen der im Feld befind­li­chen Akteu­re dar.

Wich­tig für das Kon­zept der sozia­len Fel­der ist die Dyna­mik eben die­ser. Sozia­le Fel­der sind kei­ne star­ren Gebil­de, in die ein Akteur wie in ein Getrie­be ein­ge­bun­den wird, son­dern stel­len hoch­dy­na­mi­sche sozia­le Ver­bin­dun­gen dar, die sich ver­än­dern, wenn sich die ‚Beset­zung’ ändert, also ein Akteur hin­zu­kommt oder das Feld ver­lässt. Bour­dieu ver­wen­det hier wie schon beim Habi­tus, der von zen­tra­ler Bedeu­tung für das Kon­zept der sozia­len Fel­der und des sozia­len Rau­mes ist, die Meta­pher des Spiels: Jedes sozia­le Feld ist wie ein Spiel, das mit einer eige­nen, feld­spe­zi­fi­schen Dyna­mik und eige­nen Logik aus­ge­stat­tet ist, und sobald ein neu­er Spie­ler in das Spiel auf­ge­nom­men wird, ver­än­dert sich die­ses Spiel und wird von den Akteu­ren nun auf eine abge­wan­del­te Art gespielt. Erneut fällt auf, dass ent­ge­gen den sys­tem­theo­re­ti­schen Vor­stel­lun­gen die Akteu­re nicht in ihre Rol­len oder Posi­tio­nen gedrängt wer­den, son­dern dass das Sub­jekt als sol­ches selbst das Spiel, also den sym­bo­li­schen Kampf, inner­halb der Fel­der bestimmt. Der Habi­tus als struk­tu­rier­te und struk­tu­rie­ren­de Struk­tur wird unter den gege­be­nen ‚Spiel­re­geln’ des Fel­des, die hier kei­nes­wegs als star­re Regeln miss­ver­stan­den wer­den soll­ten, und durch die Geschich­te des Fel­des beein­flusst bezie­hungs­wei­se geprägt, aber gleich­zei­tig bestimmt der Akteur, der eine Posi­ti­on inner­halb eines Fel­des ein­nimmt, wel­che wie­der­um rela­tiv zu den Posi­tio­nen der ande­ren Akteu­re im Feld ist, des­sen ‚Spiel­re­geln’. Die sozia­len Posi­tio­nen sowie die sym­bo­li­schen Kämp­fe inner­halb der sozia­len Fel­der sind folg­lich sozia­le Kon­struk­te ihrer Akteu­re, die die jewei­li­gen Fel­der mit ihren cha­rak­te­ris­ti­schen ‚Spiel­re­geln’ und sym­bo­li­schen Kämp­fen reproduzieren.

Das Aner­ken­nen der ‚Spiel­re­geln’ eines Fel­des ist somit eine der Bedin­gung oder der ‚Ein­tritts­preis’, um eine Posi­ti­on in die­sem ein­neh­men zu kön­nen; eine wei­te­re Bedin­gung ist ein spe­zi­fi­scher Habi­tus, aus dem und auf den ein Feld besteht, und ohne den der Zugang zu einem Feld meist sehr schwer fällt oder gar ver­wehrt wird. Wei­ter­hin muss der Akteur selbst­ver­ständ­lich über das cha­rak­te­ris­ti­sche Kapi­tal ver­fü­gen, das inner­halb des Fel­des als spe­zi­fi­sches Kapi­tal von Bedeu­tung ist, da er ansons­ten in eben die­sem Feld sozi­al nicht exis­tent ist.

Die sozia­len Fel­der sind infol­ge­des­sen sozu­sa­gen die ‚Orte des Lebens’, wo tat­säch­lich agiert wird und der Habi­tus der Akteu­re nicht bloß zur Gel­tung kommt, son­dern von immenser Wich­tig­keit für die Zuge­hö­rig­keit zu und die Posi­tio­nie­rung in Fel­dern ist, wohin­ge­gen der sozia­le Raum eher ein abs­trak­tes Gebil­de dar­stellt und sämt­li­che sozia­len Fel­der umfasst.

Bour­dieu lie­fert zur Ana­ly­se von sozia­len Fel­dern, deren Gren­zen nur empi­risch bestimmt wer­den kön­nen, drei Unter­su­chungs­kri­te­ri­en: Zum ers­ten die Posi­ti­on des Fel­des im Ver­hält­nis zur Macht, also wo sich das Feld inner­halb des sozia­len Rau­mes befin­det, zwei­tens die Posi­tio­nen der Akteu­re inner­halb des Fel­des sowie des­sen Insti­tu­tio­nen, und drit­tens die Habi­tus der Akteure.

Wenn sozia­le Fel­der Räu­me im Raum sind, las­sen sich auch für sozia­le Fel­der gut die Zusam­men­hän­ge mit dem phy­si­schen Raum dar­stel­len oder ver­deut­li­chen. Das Muse­um bei­spiels­wei­se als Ort des phy­sisch objek­ti­vier­ten sozia­len Fel­des der Kunst setzt beim Besu­cher einen bestimm­ten Habi­tus und einen dadurch gebil­de­ten Geschmack als auch ein bestimm­tes Ver­hal­ten und einen bestimm­ten Lebens­stil vor­aus. Der Besu­cher oder Akteur muss also, wenn er in die­sen Raum ‚ein­dringt’, die „still­schwei­gend vor­aus­ge­setz­ten Bedin­gun­gen erfül­len“ (Bour­dieu, 1997, S. 165). Uner­wünsch­te Per­so­nen sind nicht ger­ne gese­hen, was ihnen beim Auf­ent­halt auch aktiv (Kon­trol­len oder Aus­schluss) oder pas­siv (sym­bo­lisch) ent­geg­net wird oder wes­we­gen sie von Anfang an gar kei­nen Zugang bekom­men oder sich den Zugang selbst ver­weh­ren, weil sie nicht über das nöti­ge öko­no­mi­sche, kul­tu­rel­le und/oder sozia­le Kapi­tal ver­fü­gen. Wie im sozia­len Raum kön­nen sich auch im phy­si­schen Raum ver­schie­de­ne Fel­der über­la­gern, wenn sich zum Bei­spiel in Stra­ßen, Vier­teln, Orten etc. die posi­ti­ven oder nega­ti­ven Pole ver­schie­dens­ter Fel­der kon­zen­trie­ren und exklu­si­ve Orte hohen Kapi­tal­vo­lu­mens wie Nobel­ein­kaufs­mei­len oder Clubs sowie Orte nied­ri­gen Kapi­tal­vo­lu­mens wie Ghet­tos entstehen.

Lite­ra­tur

  1. Bour­dieu, Pierre. 1981. „Klas­sen­schick­sal, indi­vi­du­el­les Han­deln und das Gesetz der Wahr­schein­lich­keit“. In: Pierre Bourdieu/Luc Boltanski/Monique de Saint Martin/Pascale Mal­di­dier: Titel und Stel­le. Über die Repro­duk­ti­on sozia­ler Macht. Frankfurt/M.: Euro­päi­sche Ver­lags­an­stalt, S. 169–226
  2. Bour­dieu, Pierre. 1992. „Die fei­nen Unter­schie­de“. In: Die ver­bor­ge­nen Mecha­nis­men der Macht. Ham­burg: VSA-Ver­lag, S. 31–47
  3. Bour­dieu, Pierre. 1997. „Orts­ef­fek­te“. In: ­Das Elend der Welt. Kon­stanz. S. 159–167
  4. Bour­dieu, Pierre. 2001b. „Habi­tus und Ein­ver­lei­bung“. In: Medi­ta­tio­nen. Zur Kri­tik der scho­las­ti­schen Ver­nunft. Frankfurt/M.: Suhr­kamp, S. 177–188
  5. Krais, Bea­te. 2004. „Habi­tus und sozia­le Pra­xis“. In: Stein­rü­cke, Mar­ga­re­ta (Hrsg.) (2004): Pierre Bour­dieu. Poli­ti­sches For­schen, Den­ken und Ein­grei­fen. Ham­burg: VSA-Ver­lag, S. 91–106

Der Begriff des Habi­tus selbst ist bereits weit­aus älter als Bour­dieus Aus­ar­bei­tung des hier im Fokus ste­hen­den Kon­zepts. Ein kon­kre­ter Zeit­punkt der Ent­ste­hung des Bour­dieu­schen Habi­tus-Kon­zepts ist aller­dings nicht benenn­bar, führt er den Begriff und ein grund­le­gen­des Kon­zept des Habi­tus doch bereits in sei­nen frü­hes­ten Wer­ken zur Ana­ly­se ein, lässt ihn in spä­te­ren Ver­öf­fent­li­chun­gen immer wie­der zur Erwäh­nung kom­men und benutzt ihn als Grund­la­ge zur Aus­ar­bei­tung wei­te­rer gesell­schafts­ana­ly­ti­scher Kon­zep­te, wodurch das Habi­tus-Kon­zept in sei­nen Arbei­ten ste­tig wei­ter­ent­wi­ckelt wird.

Jene frü­hes­ten Wer­ke Bour­dieus (die­ser Abschnitt bezieht sich haupt­säch­lich auf Bour­dieu (2000): Die zwei Gesich­ter der Arbeit), die das Habi­tus-Kon­zept ein­führ­ten, ent­stan­den zur Zeit sei­nes Auf­ent­halts in Alge­ri­en, das sich mit­ten im gesell­schaft­li­chen Wan­del von der vor­ka­pi­ta­lis­ti­schen Welt der kaby­li­schen Bau­ern zur von der Kolo­nia­li­sie­rung auf­ge­zwun­ge­nen kapi­ta­lis­ti­schen Welt der moder­nen Öko­no­mie befand. Für uns selbst­ver­ständ­li­che Pro­zes­se, näm­lich die dem kapi­ta­lis­ti­schen Wirt­schafts­sys­tem ent­spre­chen­den Pro­zes­se des öko­no­misch-ratio­na­len Han­delns, waren, wie Bour­dieu fest­stell­te, für die kaby­li­schen Bau­ern kei­nes­wegs ver­traut oder selbst­ver­ständ­lich, das öko­no­misch-ratio­na­le Han­deln somit als Vor­aus­set­zung der kapi­ta­lis­ti­schen Welt kei­nes­wegs uni­ver­sell ausgeprägt.

Das Wirt­schafts­sys­tem der kaby­li­schen Bau­ern stell­te sich als ein Sys­tem der Tausch­pro­zes­se dar, das auf der Logik von Gabe und Gegen­ga­be sowie Treu und Glau­ben auf­bau­te und sein Funk­tio­nie­ren durch die dahin­ter­ste­hen­de Ehre regel­te. Die­ses wie­der­um für die kaby­li­schen Bau­ern selbst­ver­ständ­li­che Sys­tem der Rezi­pro­zi­tät und Unent­gelt­lich­keit, das zur Siche­rung der Ehre finan­zi­ell und mate­ri­ell unöko­no­mi­sche Hand­lun­gen in Kauf nahm und durch­aus auch vor­aus­setz­te, stand nun in kras­sem Gegen­satz zum für kapi­ta­lis­ti­sche Gesell­schaf­ten selbst­ver­ständ­li­chen Sys­tem des öko­no­misch-ratio­na­len Han­delns, das eben jene finan­zi­ell und mate­ri­ell schein­bar unver­nünf­ti­gen Hand­lun­gen der kaby­li­schen Bau­ern als sol­che ver­kann­te, ohne das dahin­ter­lie­gen­de öko­no­mi­sche Sys­tem der Kaby­lei oder die Vor­aus­set­zun­gen zur Ent­ste­hung des eige­nen, kapi­ta­lis­ti­schen öko­no­mi­schen Sys­tems zu erkennen.

Erhiel­ten die Men­schen der Kaby­lei nun finan­zi­el­len Lohn für ihre Arbeit, die vor­her stets ihr gewohn­tes Wirt­schafts­sys­tem von Tausch und Gegen­tausch gewohnt waren, so gaben sie die­ses Geld meist sofort aus, ohne es sich für län­ge­re Zeit ein­zu­tei­len. Sie ver­füg­ten folg­lich nicht über das Ver­ständ­nis im Umgang mit dem Geld, han­del­ten also schein­bar öko­no­misch unver­nünf­tig, waren aber kei­nes­wegs unfä­hig im Ein­tei­len, Vor­rat hal­ten oder Auf­spa­ren gene­rell, son­dern besa­ßen ganz im Gegen­teil durch­dach­te und für sie selbst­ver­ständ­li­che Sys­te­me zum Ein­tei­len ihrer Vor­rä­te an Natu­ra­li­en, waren nun aber auf ein­mal einem Wirt­schafts­sys­tem des Gel­des gegen­über­ge­stellt, das voll­kom­men anders funktionierte.

Die kaby­li­schen Bau­ern ver­füg­ten ergo zwar über die Erfah­rung und das Ver­ständ­nis ihres eige­nen Wirt­schafts­sys­tems, hat­ten jedoch kein Ver­ständ­nis von öko­no­mi­scher Ratio­na­li­tät, wie sie für kapi­ta­lis­ti­sche Gesell­schaf­ten selbst­ver­ständ­lich ist, wel­ches ihnen im Kon­text des durch die Kolo­nia­li­sie­rung auf­ge­zwun­ge­nen kapi­ta­lis­ti­schen Wirt­schafts­sys­tem aller­dings als selbst­ver­ständ­lich und uni­ver­sell ver­brei­tet unter­stellt wurde.

Jenes Feh­len des moder­nen Ver­ständ­nis­ses der öko­no­mi­schen Ratio­na­li­tät und die damit ein­her­ge­hen­de schein­ba­re „Unver­nünf­tig­keit“ im Umgang mit dem kapi­ta­lis­ti­schen Wirt­schafts­sys­tem erweck­te Bour­dieus Inter­es­se zur Ana­ly­se der Ent­ste­hung die­ser Situa­ti­on, wobei er sich kei­nes­wegs von der ver­lo­cken­den, weil ein­fa­chen, eth­no­zen­tris­ti­schen Con­clu­sio ver­lei­ten ließ, die­sen Men­schen vor­schnell ein­fach all­ge­mei­ne oder öko­no­mi­sche Unfä­hig­keit oder Unver­nünf­tig­keit zu attes­tie­ren. Er woll­te viel­mehr her­aus­fin­den, war­um die­se Men­schen nicht über das der kapi­ta­lis­ti­schen Gesell­schaft zugrun­de lie­gen­de und doch als uni­ver­sell geglaub­te Ver­ständ­nis öko­no­mi­scher Ratio­na­li­tät ver­füg­ten; wie­so sie so han­del­ten, wie sie han­del­ten, eben öko­no­misch schein­bar „unver­nünf­tig“.

Der ers­te als auch grund­le­gen­de Schluss sei­ner Erkennt­nis­se und deren Ana­ly­se stell­te dabei dem im kapi­ta­lis­ti­schen Wirt­schafts­sys­tem selbst­ver­ständ­li­chen Prin­zip des öko­no­misch-ratio­na­len Han­delns selbst gewis­se sozia­le Vor­aus­set­zun­gen zugrun­de. Zum einen stellt die Struk­tur des kapi­ta­lis­ti­schen Wirt­schafts­sys­tems an sich eine sozia­le Vor­aus­set­zung für die Aus­bil­dung des ent­spre­chen­den öko­no­misch-ratio­na­len Han­delns dar, des­sen es bedarf, doch wei­ter­hin sind auch bestimm­te sozia­le Insti­tu­tio­nen, bestimm­te Sicht­wei­sen der Welt, bestimm­te Dis­po­si­tio­nen als Vor­aus­set­zun­gen zu nen­nen. Dem Anspruch der Uni­ver­sa­li­tät des öko­no­mi­schen Den­kens, wie es in kapi­ta­lis­ti­schen Gesell­schaf­ten ver­stan­den wird, oder gar der Vor­stel­lung eines ent­spre­chen­den uni­ver­sel­len homo oeco­no­mic­us, der die Regeln jenes öko­no­mi­schen Han­delns ganz selbst­ver­ständ­lich beherrscht, erteilt Bour­dieu damit eine kla­re Absa­ge, indem er anführt, dass die­se öko­no­mi­sche Denk­wei­se, wie sie für die kapi­ta­lis­ti­schen Gesell­schaf­ten cha­rak­te­ris­tisch ist, nur unter bestimm­ten sozia­len Vor­aus­set­zun­gen gebil­det wird und über­haupt nur gebil­det wer­den kann, die aber ihrer­seits nicht uni­ver­sell gel­ten. Wenn­gleich die Men­schen der Kaby­lei nicht über das den kapi­ta­lis­ti­schen Gesell­schaf­ten ent­spre­chen­de Ver­ständ­nis der öko­no­mi­schen Ratio­na­li­tät ver­füg­ten, waren sie also kei­nes­wegs ‚dumm‘ oder ‚zurück­ge­blie­ben‘, son­dern ledig­lich geprägt durch diver­gie­ren­de sozia­le Vor­aus­set­zun­gen, eben jene der kaby­li­schen vor­ka­pi­ta­lis­ti­schen Welt, die wie­der­um zu einer eige­nen Logik, zu einem eige­nen Wirt­schafts­sys­tem und damit auch zu einer eige­nen öko­no­mi­schen Ratio­na­li­tät führ­ten, was sich auch als Logik der Pra­xis oder prak­ti­sche Ver­nunft bezeich­nen lässt, die eine Logik oder Ver­nunft dar­stellt, die der umge­ben­den gesell­schaft­li­chen Pra­xis ent­spricht. Das Han­deln der Kaby­len war folg­lich zwar öko­no­misch unver­nünf­tig in dem Sin­ne, der der Öko­no­mie­theo­rie der kapi­ta­lis­ti­schen Gesell­schaf­ten zugrun­de liegt, die mit ihrem Ver­ständ­nis von öko­no­mi­schem Han­deln aller­dings nur einen beson­de­ren Fall der all­ge­mei­nen Öko­no­mie von Hand­lun­gen abdeckt und damit jedem Han­deln abseits des mate­ri­el­len Öko­no­mis­mus impli­zit eine öko­no­mi­sche Dimen­si­on abspricht, folg­te aller­dings nichts­des­to­trotz einer eige­nen Logik und einer Ratio­na­li­tät der Pra­xis ihrer vor­ka­pi­ta­lis­ti­schen Welt, die in sich ihren eige­nen öko­no­mi­schen Regeln folgte.

Das Habi­tus-Kon­zept geht genau auf die­sen Umstand ein und liegt des­sen Erklä­rung zugrun­de: Die Men­schen der Kaby­lei hat­ten die für sie selbst­ver­ständ­li­chen Sicht­wei­sen und Hand­lungs­wei­sen durch ihre Pri­mär­er­zie­hung inkor­po­riert, so wie die Men­schen aus den kapi­ta­lis­ti­schen Kolo­ni­al­mäch­ten das ihrer­seits selbst­ver­ständ­li­che Han­deln und die für sie gewohn­ten Sicht­wei­sen inkor­po­riert hat­ten. Die neu­en Bedin­gun­gen, die nun den kaby­li­schen Men­schen auf­er­legt wur­den, waren voll­kom­men neu und ent­spra­chen nicht län­ger den inkor­po­rier­ten Hand­lungs- und Sicht­wei­sen ihres durch die vor­ka­pi­ta­lis­ti­sche Welt der Kaby­lei gepräg­ten Habi­tus. Ihre zwei­te Natur, ihr inkor­po­rier­ter Habi­tus war also mit einem Mal Ver­hält­nis­sen aus­ge­setzt, denen er nicht län­ger ent­sprach – sie waren sozu­sa­gen ‚Gefan­ge­ne‘ ihres Habi­tus, der von gänz­lich ande­ren und damit auch für gänz­lich ande­re gesell­schaft­li­che Ver­hält­nis­se geprägt wur­de. Bour­dieu bezeich­net die­sen Effekt als hys­te­re­sis, also als eine Art Träg­heit im Habi­tus, die sich gegen­über neu­en Ver­hält­nis­sen äußert (hier sei zum Bei­spiel auf das zuvor erwähn­te Ver­hal­ten im Umgang mit Geld verwiesen).

Habi­tus als Alter­na­ti­ve zur sozia­len Rolle

Ein kon­tro­ver­ser Aspekt bei der Betrach­tung von Indi­vi­du­um und Gesell­schaft ist die Bezie­hung zwi­schen bei­den: „Die Sozio­lo­gie muss die Men­schen als ver­ge­sell­schaf­te­te Indi­vi­du­en den­ken kön­nen“ (Krais 2004, S. 93). Es muss folg­lich ein Kon­strukt gefun­den wer­den, das den objek­ti­ven Sinn, eben dass Gesell­schaft über­haupt besteht bzw. ent­steht, und die sub­jek­ti­ve Absicht der dar­in befind­li­chen Akteu­re, die ja nicht expli­zit lau­tet, nun irgend­wie Gesell­schaft ‚zu machen‘, auf eine rea­lis­ti­sche Wei­se ver­bin­det (vgl. Krais/Gebauer 2002, S. 65f).

Ein sozio­lo­gisch ein­fluss­rei­ches Kon­strukt die­ser Art ist das der sozia­len Rol­le, das aller­dings eini­ge Defi­zi­te auf­weist, die als sol­che mehr oder weni­ger an Beach­tung ver­lo­ren haben, aber selbst fort­be­stehen. Die sozia­le Rol­le zen­triert sich in ihrer Betrach­tung und Erklä­rung der sozia­len Welt auf Nor­men und Regeln, sodass das Indi­vi­du­um gemäß die­ser Denk­art als der Gesell­schaft ent­ge­gen­ge­setz­tes betrach­tet wird und sich an einer bestimm­ten Men­ge von star­ren Regeln und Nor­men zu ori­en­tie­ren hat, um ver­ge­sell­schaf­tet und in sei­ne jewei­li­ge Rol­le gedrängt zu wer­den, wäh­rend hin­ge­gen Bour­dieus Habi­tus-Kon­zept das Indi­vi­du­um von Anfang an als ver­ge­sell­schaf­te­tes Indi­vi­du­um begreift. Eine solch radi­ka­le Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen und Ent­ge­gen­set­zung von Indi­vi­du­um und Gesell­schaft, wie sie das Para­dig­ma der Rol­len-Theo­rie pos­tu­liert, erscheint wenig rea­li­täts­nah und wird von Bour­dieu daher zuguns­ten des von Beginn an ver­ge­sell­schaf­te­ten, gesell­schaft­lich gepräg­ten Indi­vi­du­ums aufgegeben.

Ein zen­tra­ler Kri­tik­punkt am Kon­zept der sozia­len Rol­le ist wei­ter­hin die Abwe­sen­heit eines zen­tra­len Ichs, die Abwe­sen­heit einer Iden­ti­tät der sozia­len Sub­jek­te. Das Kon­zept der sozia­len Rol­le begreift das Han­deln der Men­schen in einer Form, die unter­stellt, dass die­se unter­schied­li­che sozia­le Rol­len spie­len, je nach Situa­ti­on, in der sie sich befin­den. Die­se Rol­len unter­schei­den sich gemäß des Rol­len-Kon­zepts recht deut­lich von­ein­an­der und über­la­gern sich nicht oder nur sehr gering, sind also von­ein­an­der fein säu­ber­lich getrennt, ver­gleich­bar mit dem Begriff des Spiels („play“) im Sin­ne Meads Iden­ti­täts­theo­rie (vgl. Mead 1978), bei dem ver­schie­de­ne Rol­len zeit­lich von­ein­an­der getrennt über­nom­men wer­den. Eine zen­tra­le Iden­ti­tät als Struk­tur diver­ser Dis­po­si­tio­nen, in der die­se unter­schied­li­chen Rol­len ver­eint sind und die sich gegen­sei­tig beein­flus­sen oder zu denen das Sub­jekt in einer gewis­sen Wei­se steht, wird im Rol­len­kon­zept als sol­che gar nicht vor­ge­se­hen (vgl. Krais 2004, S.94).

Das durch das Rol­len­mo­dell prak­ti­zier­te Abspre­chen des Bestehens einer sol­chen per­sön­li­chen Iden­ti­tät ist jedoch äußerst frag­lich, liegt es doch viel­mehr nahe, ganz im Gegen­teil fest­zu­hal­ten, dass eine der­ar­ti­ge sau­be­re Tren­nung ver­schie­de­ner Rol­len nicht exis­tiert. Bour­dieu führt hier zur Ver­an­schau­li­chung das Bei­spiel der indi­vi­du­ell-cha­rak­te­ris­ti­schen Schrift an, die auf jed­we­der Unter­la­ge und mit jed­we­dem Schreib­ge­rät eine per­sön­li­che Prä­gung auf­weist. Mei­nes Erach­tens lässt sich dies in Bezug auf eine zen­tra­le Iden­ti­tät sogar direkt auf den Begriff der Rol­le über­tra­gen, wenn bei­spiels­wei­se eine Thea­ter­auf­füh­rung betrach­tet wird: Zwar kann ein Thea­ter­schau­spie­ler unter­schied­lichs­te Rol­len über­neh­men, die hier, im Thea­ter­schau­spiel, natür­lich noch radi­ka­ler, noch wech­sel­haf­ter und noch gegen­sätz­li­cher sein kön­nen als beim all­täg­li­chen sozia­len Han­deln, aber es wird stets auch eine cha­rak­te­ris­ti­sche Note des Schau­spie­lers erkenn­bar sein. Kurz: „Der Habi­tus ist das ver­ei­ni­gen­de Prin­zip, das den ver­schie­de­nen Hand­lun­gen des Indi­vi­du­ums ihre Kohä­renz, ihre Sys­te­ma­tik und ihren Zusam­men­hang gibt“ (Krais 2004, S. 95).

Das Rol­len­kon­zept beschreibt zusätz­lich zur Ent­ge­gen­set­zung von Indi­vi­du­um und Gesell­schaft eine Ent­ge­gen­set­zung von Kör­per und Geist. Die sozia­le Rol­le ist hier als rein geis­ti­ges Kon­zept zu sehen, das den Kör­per „außer­halb des Sozia­len“ (ebd.) posi­tio­niert, wohin­ge­gen der Begriff des Habi­tus Geist und Kör­per in der sozia­len Pra­xis ver­bin­det, indem der Habi­tus von inkor­po­rier­ter Struk­tur und inkor­po­rier­ter Geschich­te oder inkor­po­rier­ter Erfah­rung aus­geht, wobei die­se Inkor­po­rie­rung durch­aus auch wört­lich zu ver­ste­hen ist, da der spe­zi­fi­sche Habi­tus auch den Kör­per einer Per­son prägt, zum Bei­spiel durch bestimm­te Ver­hal­tens­wei­sen, Bewe­gun­gen oder Sprach­sti­le, und sich dadurch wie­der­um pro­du­ziert und repro­du­ziert. Der Kör­per ist dabei aller­dings nicht bloß Medi­um zur Aus­füh­rung geis­ti­ger Ope­ra­tio­nen, „in dem sich der Habi­tus aus­drückt“ (ebd., S. 96), also blo­ßes mecha­ni­sches Auf­tre­ten des Habi­tus, son­dern selbst Bestand­teil und akti­ver Spei­cher des­sel­ben (vgl. bei­spiels­wei­se Bour­dieu 2001).

Das bewuss­te oder unbe­wuss­te Wis­sen um die Erwar­tun­gen der jeweils ande­ren Men­schen, das bewuss­te oder unbe­wuss­te Anti­zi­pie­ren, stellt einen wei­te­ren wich­ti­gen Unter­schei­dungs­punkt zwi­schen Habi­tus- und Rol­len-Kon­zept dar. Wäh­rend das Rol­len-Kon­zept in ratio­na­lis­ti­scher Manier vor­aus­setzt, stets bewusst die Erwar­tun­gen der ande­ren Akteu­re in Bezug auf bestimm­te Situa­tio­nen oder Anfor­de­run­gen zu anti­zi­pie­ren und es die Erfah­rung und Geschicht­lich­keit aus­blen­det, geht das Habi­tus-Kon­zept Bour­dieus, wie bereits zuvor beschrie­ben, von einer „objektive[n] Zweck­be­stimmt­heit“ aus, ohne dass das sozia­le Han­deln des Ein­zel­nen sub­jek­tiv „bewusst auf einen expli­zit for­mu­lier­ten Zweck bezo­gen wäre“ (Bour­dieu 1981 zitiert nach Krais 2004, S. 96). Viel­mehr wird hier mit einer Selbst­ver­ständ­lich­keit und Unmit­tel­bar­keit agiert, die aus der inkor­po­rier­ten Geschich­te oder Erfah­rung resul­tiert. Bour­dieu ver­wen­det hier­für zur Dar­le­gung die Meta­pher des Spiels (vgl. ebd., S. 97): Die im Habi­tus inkor­po­rier­ten Erfah­run­gen, die inkor­po­rier­te Geschich­te, ermög­licht ein unbe­wuss­tes und intui­ti­ves Han­deln, das sub­jek­tiv nicht expli­zit struk­tur­funk­tio­na­lis­tisch auf einen bestimm­ten Zweck aus­ge­rich­tet sein muss und dabei äußerst krea­tiv zu Wer­ke geht. Es ist also, um die Meta­pher des Spiels auf das Fuß­ball­spiel zu kon­kre­ti­sie­ren, nicht so, dass die Spie­ler in Hin­blick auf einen objek­ti­ven Sinn oder Zweck ihre Hand­lun­gen dem­ge­mäß sub­jek­tiv voll­stän­dig in mecha­nis­ti­scher Art wie in einem Uhr­werk auf­ein­an­der abstim­men, folg­lich eine von außen ange­tra­ge­ne Rol­le erfül­len, zum Bei­spiel anhand bestimm­ter Regeln alle fünf Schrit­te einen Pass spie­len zu müs­sen, son­dern dass sie viel­mehr ein­fach auf Basis ihrer Spiel­erfah­rung spie­len, dabei krea­tiv sind und dar­aus das objek­tiv nach­voll­zieh­ba­re Spiel an sich mit sei­nen von den Spie­lern zuvor erlern­ten Struk­tu­ren, als Meta­pher für Gesell­schaft, erneut ent­steht. Ohne sub­jek­tiv bewusst Bezug auf eine der­ar­ti­ge Norm des Pass­spie­lens zu neh­men, wer­den sich die Spie­ler rein intui­tiv auf Basis des­sen, was sie gelernt haben, den Ball ange­mes­sen zupas­sen und u.a. durch die­ses Pass­spiel ent­steht stets das objek­ti­ve Fuß­ball­spiel, an dem sie teil­ha­ben, das sich und sei­ne Struk­tu­ren auf die­se Wei­se repro­du­ziert. Die Men­schen als Spie­ler im Gesell­schafts­spiel rich­ten ihre Hand­lun­gen folg­lich nicht bewusst dar­auf aus, die­se Gesell­schaft her­zu­stel­len oder Struk­tu­ren zu erhal­ten und wer­den dabei nicht von außen in ihre Rol­len gedrängt, son­dern las­sen durch die unter­schied­lichs­ten (unbe­wuss­ten) all­täg­li­chen Hand­lungs­wei­sen Gesell­schaft ent­ste­hen, die ihrer­seits wie­der­um durch die im Habi­tus ver­in­ner­lich­ten und als selbst­ver­ständ­lich erlern­ten Ver­hal­tens­wei­sen ihre Struk­tur repro­du­ziert: „Die Men­schen ver­hal­ten sich so, wie sie es gelernt haben und wie sie es kön­nen, und Gesell­schaft funk­tio­niert trotz­dem“ (Krais 2004, S. 104). Die Struk­tur der Gesell­schaft und ihre Insti­tu­tio­nen wer­den also nicht durch eine bestimm­te Men­ge star­rer Regeln auf rein geis­ti­ger Ebe­ne rea­li­siert, die den Men­schen im- oder expli­zit auf­ge­zwun­gen wird und die sie ver­in­ner­li­chen müs­sen, damit sie auf die­se oder jene Art inner­halb der gesell­schaft­li­chen Struk­tur zu funk­tio­nie­ren haben, son­dern durch den Habi­tus als Kör­per gewor­de­nes Sozia­les, der die gesell­schaft­li­che Pra­xis regelt und dabei Raum für Spon­ta­nei­tät und Krea­ti­vi­tät bie­tet: „Die Regel­haf­tig­keit der Gesell­schaft und der sozia­len Sub­jek­te ent­steht im kör­per­li­chen Han­deln, und der prak­ti­sche Sinn ist die mit dem Habi­tus gege­be­ne Fähig­keit, Hand­lungs­wei­sen zu erzeu­gen, die mit den sozia­len Ord­nun­gen über­ein­stim­men“ (ebd., S. 95).

In dem­je­ni­gen Spiel, mit dem der per­sön­li­che Habi­tus der Spie­ler über­ein­stimmt, wer­den die Spie­ler nun auf­grund der in ihrem Habi­tus inkor­po­rier­ten Spiel­erfah­rung rein intui­tiv han­deln und müs­sen in einer neu­en Situa­ti­on die­ses Spiels, die noch nie zuvor da gewe­sen ist, nicht erst bewusst dar­über nach­den­ken, was nun zu tun sei. Der Habi­tus ist also inner­halb der Gren­zen die­ses Spiels als Meta­pher für die sozia­len Ver­hält­nis­se und der in ihm inkor­po­rier­ten Spiel­erfah­rung äußerst vari­an­ten­reich und krea­tiv und damit kei­ne blo­ße Ver­in­ner­li­chung einer gewis­sen Anzahl star­rer Regeln, son­dern auch die Vor­weg­nah­me und gleich­zei­ti­ge Her­bei­füh­rung einer wahr­schein­li­chen Zukunft.

Lite­ra­tur:

  1. Bour­dieu, Pierre (2000). Die zwei Gesich­ter der Arbeit. Inter­de­pen­den­zen von Zeit- und Wirt­schafts­struk­tu­ren am Bei­spiel der alge­ri­schen Über­gangs­ge­sell­schaft. Kon­stanz: UVK.
  2. Bour­dieu, Pierre (2001). Habi­tus und Ein­ver­lei­bung. In Pierre Bour­dieu, Medi­ta­tio­nen. Zur Kri­tik der scho­las­ti­schen Ver­nunft (S. 177–188). Frankfurt/M: Suhrkamp.
  3. Krais, Bea­te (2004). Habi­tus und sozia­le Pra­xis. In Mar­ga­re­te Stein­rü­cke (Hrsg.), Pierre Bour­dieu. Poli­ti­sches For­schen, Den­ken und Ein­grei­fen (S. 91–106). Ham­burg: VSA-Verlag.
  4. Krais, Bea­te / Gun­ter Gebau­er (2002). Habi­tus. Bie­le­feld: transcript.
  5. Mead, Geor­ge Her­bert (1978). Iden­ti­tät. In Charles W. Mor­ris (Hrsg.), Geist, Iden­ti­tät und Gesell­schaft aus der Sicht des Sozi­al­be­ha­vio­ris­mus (S. 187–253). Frankfurt/M.: Suhrkamp.