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Unser All­tag wird von Zufäl­len bom­bar­diert, genau­er gesagt, von zufäl­li­gen Begeg­nun­gen zwi­schen Men­schen und Ereig­nis­sen, die man Koin­zi­den­zen nennt. Man spricht von Ko-inzi­denz, wenn zwei uner­war­te­te Ereig­nis­se gleich­zei­tig statt­fin­den, wenn sie auf­ein­an­der­tref­fen: Tomas taucht in dem Moment im Lokal auf, als im Radio Beet­ho­ven gesen­det wird. Sol­che Koin­zi­den­zen sind so häu­fig, daß man sie oft nicht wahr­nimmt. Hät­te der Metz­ger von neben­an am Wirts­haus­tisch geses­sen und nicht Tomas, so wäre Tere­sa nicht auf­ge­fal­len, daß im Radio Beet­ho­ven gespielt wur­de (obwohl die Begeg­nung zwi­schen Beet­ho­ven und einem Metz­ger auch eine inter­es­san­te Koin­zi­denz ist). Aber die kei­men­de Lie­be hat in Tere­sa den Sinn für das Schö­ne geschärft, und sie wird die­se Musik nie ver­ges­sen. Jedes­mal, wenn sie sie hören wird, wird sie ergrif­fen sein. Alles, was in die­sem Augen­blick um sie her­um vor sich gehen wird, wird ihr im Glanz die­ser Musik erschei­nen und schön sein.
Am Anfang jenes Romans, den sie unter dem Arm trug, als sie zu Tomas kam, begeg­nen sich Anna und Wron­ski unter eigen­ar­ti­gen Umstän­den. Sie ste­hen auf einem Bahn­steig, wo gera­de jemand unter den Zug gefal­len ist. Am Ende des Romans stürzt sich Anna unter den Zug. Die­se sym­me­tri­sche Kom­po­si­ti­on, in der das­sel­be Motiv am Anfang und am Ende erscheint, mag Ihnen sehr ›roman­haft‹ vor­kom­men. Ja, ich gebe es zu, aber nur unter der Vor­aus­set­zung, daß Sie das Wort ›roman­haft‹ auf kei­nen Fall ver­ste­hen als ›erfun­den‹, ›künst­lich‹ oder ›lebens­fremd‹. Denn genau­so ist das mensch­li­che Leben komponiert.
Es ist kom­po­niert wie ein Musik­stück. Der Mensch, der vom Schön­heits­sinn gelei­tet ist, ver­wan­delt ein zufäl­li­ges Ereig­nis (eine Musik von Beet­ho­ven, einen Tod auf einem Bahn­hof) in ein Motiv, das er der Par­ti­tur sei­nes Lebens ein­be­schreibt. Er nimmt es wie­der auf, wie­der­holt es, vari­iert und ent­wi­ckelt es wei­ter, wie ein Kom­po­nist die The­men sei­ner Sona­te trans­po­niert. Anna hät­te sich das Leben auch anders neh­men kön­nen. Doch das Motiv von Bahn­hof und Tod, die­ses unver­geß­li­che, mit der Geburt ihrer Lie­be ver­bun­de­ne Motiv, zog sie im Moment der Ver­zweif­lung durch sei­ne dunk­le Schön­heit an. Ohne es zu wis­sen, kom­po­niert der Mensch sein Leben nach den Geset­zen der Schön­heit, sogar in Momen­ten tiefs­ter Hoffnungslosigkeit.
Man kann dem Roman also nicht vor­wer­fen, vom geheim­nis­vol­len Zusam­men­tref­fen der Zufäl­le fas­zi­niert zu sein (wie etwa dem Zusam­men­tref­fen von Wron­ski, Anna, Bahn­steig und Tod oder dem Zusam­men­tref­fen von Beet­ho­ven, Tomas, Tere­sa und Cognac), dem Men­schen aber kann man zu Recht vor­wer­fen, daß er im All­tag sol­chen Zufäl­len gegen­über blind sei und dem Leben so die Dimen­si­on der Schön­heit nehme.
(Milan Kun­de­ra – Die uner­träg­li­che Leich­tig­keit des Seins)

She never said no and never said yes, but pul­led, sla­cke­ned, pul­led her strings of control.
Pull: ›What would be nicest‹, she would say, ›is if I had a tall glass of iced tea‹. What hap­pen­ed next: the men raced to get one for her. The first to return might get a peck on the fore­head (sla­cken), or (pull) a pro­mi­sed walk (to be gran­ted at a later date), or (sla­cken) a simp­le ›Thank you, good­bye‹. She main­tai­ned a careful balan­ce by her win­dow, never allo­wing the men to come too clo­se, never allo­wing them to stray too far. She nee­ded them despera­te­ly, not only for the favors, not only for the things that they could get for Yan­kel and her that Yan­kel could­n’t afford, but becau­se they were a few more fin­gers to plug the dike that held back what she knew to be true: she did­n’t love life. The­re was no con­vin­cing reason to live.
(Jona­than Safran Foer – Ever­y­thing is Illuminated)

Alle aus dem Latei­ni­schen her­vor­ge­gan­ge­nen Spra­chen bil­den das Wort Mit­ge­fühl aus der Vor­sil­be com- und dem Wort, das ursprüng­lich ›Lei­den‹ bedeu­te­te: pas­sio. Ande­re Spra­chen, so das Tsche­chi­sche, das Pol­ni­sche und das Schwe­di­sche, drü­cken die­sen Begriff durch ein Sub­stan­tiv aus, das aus der Vor­sil­be Mit- und dem Wort ›Gefühl‹ besteht (tsche­chisch sou-cit, pol­nisch wspol-uczu­cie, schwe­disch med-känsla).
In den aus dem Latei­ni­schen her­vor­ge­gan­ge­nen Spra­chen bedeu­tet das Wort com­pas­sio: wir kön­nen nicht herz­los den Lei­den eines ande­ren zuschau­en; oder: wir neh­men Anteil am Leid des ande­ren. Aus einem ande­ren Wort mit unge­fähr der­sel­ben Bedeu­tung (fran­zö­sisch pitié, eng­lisch pity, ita­lie­nisch pie­tà usw.) schwingt sogar unter­schwel­lig so etwas wie Nach­sicht dem Lei­den­den gegen­über mit: »Avoir de la pitié pour une femme« heißt, daß wir bes­ser dran sind als die­se Frau, uns zu ihr hin­ab­nei­gen, uns herablassen.
Aus die­sem Grund erweckt das Wort Mit­leid Miß­trau­en: es bezeich­net ein schlech­tes Gefühl, das als zweit­ran­gig emp­fun­den wird und nicht viel mit Lie­be zu tun hat. Jeman­den aus Mit­leid zu lie­ben heißt, ihn nicht wirk­lich zu lieben.
In den Spra­chen, die das Wort nicht aus der Wur­zel ›Lei­den‹, son­dern aus dem Sub­stan­tiv ›Gefühl‹ bil­den, wird es unge­fähr in dem­sel­ben Sinn gebraucht; man kann aber nicht behaup­ten, es bezeich­ne ein zweit­ran­gi­ges, schlech­tes Gefühl. Die gehei­me Macht sei­ner Ety­mo­lo­gie läßt das Wort in einem ande­ren Licht erschei­nen, gibt ihm eine umfas­sen­de­re Bedeu­tung: Mit-Gefühl haben bedeu­tet, das Unglück des ande­ren mit­zu­er­le­ben, genau­so­gut aber jedes ande­re Gefühl mit­emp­fin­den zu kön­nen: Freu­de, Angst, Glück und Schmerz. Die­ses Mit­ge­fühl (im Sin­ne von sou­cit, wspo­luc­zu­cie, med­käns­la) bezeich­net also den höchs­ten Grad der gefühls­mä­ßi­gen Vor­stel­lungs­kraft, die Kunst der Gefühls­te­le­pa­thie; in der Hier­ar­chie der Gefüh­le ist es das höchs­te aller Gefühle.
(Milan Kun­de­ra – Die uner­träg­li­che Leich­tig­keit des Seins)

Vie­le erken­nen sich selbst, nur weni­ge kom­men dazu, sich auch selbst anzu­neh­men. Wie­viel Selbst­er­kennt­nis erschöpft sich dar­in, den andern mit einer noch etwas prä­zi­se­ren und genaue­ren Beschrei­bung unse­rer Schwä­chen zuvor­zu­kom­men, also in Koket­te­rie! Aber auch die ech­te Selbst­er­kennt­nis, die eher stumm bleibt und sich wesent­lich nur im Ver­hal­ten aus­drückt, genügt noch nicht, sie ist ein ers­ter, zwar uner­läß­li­cher und müh­sa­mer, aber kei­nes­wegs hin­rei­chen­der Schritt. Selbst­er­kennt­nis als lebens­läng­li­che Melan­cho­lie, als geist­rei­cher Umgang mit unse­rer frü­he­ren Resi­gna­ti­on ist sehr häu­fig, und Men­schen die­ser Art sind für uns zuwei­len die net­tes­ten Tisch­ge­nos­sen; aber was ist es für sie? Sie sind aus einer fal­schen Rol­le aus­ge­tre­ten, und das ist schon etwas, gewiß, aber es führt sie noch nicht ins Leben zurück… Daß die Selbst­an­nah­me mit dem Alter von sel­ber kom­me, ist nicht wahr. Dem Älte­ren erschei­nen die frü­he­ren Zie­le zwar frag­wür­di­ger, das Lächeln über unse­ren jugend­li­chen Ehr­geiz wird leich­ter, bil­li­ger, schmerz­lo­ser; doch ist damit noch kei­ner­lei Selbst­an­nah­me geleis­tet. In gewis­ser Hin­sicht wird es mit dem Alter sogar schwie­ri­ger. Immer mehr Leu­te, zu denen wir in Bewun­de­rung empor­schau­en, sind jün­ger als wir, unse­re Frist wird kür­zer und kür­zer, eine Resi­gna­ti­on immer leich­ter in Anbe­tracht einer doch ehren­vol­len Kar­rie­re, noch leich­ter für jene, die über­haupt kei­ne Kar­rie­re mach­ten und sich mit der Arg­list der Umwelt trös­ten, sich abfin­den kön­nen als ver­kann­te Genies… Es braucht die höchs­te Lebens­kraft, um sich selbst anzu­neh­men… In der For­de­rung, man sol­le sei­nen Nächs­ten lie­ben wie sich selbst, ist es als Selbst­ver­ständ­lich­keit ent­hal­ten, daß einer sich selbst lie­be, sich selbst annimmt, so wie er (…) ist. Allein auch mit der Selbst­an­nah­me ist es noch nicht getan! Solan­ge ich die Umwelt über­zeu­gen will, daß ich nie­mand anders als ich selbst bin, habe ich not­wen­di­ger­wei­se Angst vor Miß­deu­tung, blei­be ihr Gefan­ge­ner kraft die­ser Angst…
(Max Frisch – Stiller)

Weißt du, was mir das Herz zer­reißt, jeden Mor­gen, wenn ich auf­ste­he, und jeden Abend, wenn ich mich schla­fen lege? Ich füh­le mich, als hät­te mich ein Last­wa­gen ange­fah­ren, und nicht nur das, als sei der Fah­rer has­tig aus­ge­stie­gen, um sich das Unglück näher anzu­se­hen, hät­te sich wie­der hin­ters Lenk­rad bege­ben, kalt den Rück­wärts­gang gewählt und mich erbar­mungs­los zer­quetscht, womit er schließ­lich noch ganz sicher gehen will, dass ich von hier nie wie­der auf­ste­hen wür­de. Wäh­rend es mir das Herz zer­reißt, zer­reißt du nur mei­ne Brie­fe, als wären es längst begli­che­ne Schuld­schei­ne aus einer klam­me­ren Ver­gan­gen­heit. Über­haupt behan­delst du mich, als sei es eine rui­nö­se Quar­tals­ab­rech­nung, die du nun mit mir durch­füh­ren musst, eine emo­tio­na­le Insol­venz, die mit den Wor­ten endet: Wir müs­sen Sie lei­der ent­las­sen, aber neh­men Sie es bit­te nicht per­sön­lich. Ja, wie denn sonst?
Du konn­test so schnell Anschluss fin­den, nach­dem wir aus­ein­an­der bra­chen. Weni­ge Stun­den danach kehr­test du zurück zum unbe­schwer­ten Tages­ge­schäft, du trafst dich mit dei­nen Freun­din­nen und Freun­den, du konn­test lachen und du gingst abends fröh­lich aus, so als hät­te es die­se Ver­bin­dung zwi­schen uns nie­mals gege­ben. Mich hin­ge­gen warf es aus der Bahn, tage­lang aß ich nicht genug, wochen­lang schlief ich nicht sehr viel, mona­te­lang war ich eine ande­re Per­son und noch für Jah­re wirst du in Gedan­ken immer bei mir sein. Für dich aber war es, als wür­dest du umstei­gen. Du ver­ließt den Zug, mit dem du bis hier­her gekom­men warst, und wo die­ser Zug ohne dich dann hin­fah­ren wür­de, was wei­ter­hin mit ihm geschah, das war dir egal, denn du stiegst bloß in einen neu­en. Kein Blick zurück, für dich war jeder Zug so gut wie jeder ande­re, und falls der alte Zug ent­gleist, nach­dem du aus­ge­stie­gen bist, dann umso bes­ser, dass du ihn recht­zei­tig ver­las­sen hast. Es riss mir den Boden unter den Füßen weg, doch du standst da wie eine Wächter­sta­tue, gleich­mü­tig und uner­schüt­ter­lich. Tag um Tag starr­te ich für Stun­den auf das Post­fach mei­ner Mails, jede SMS, die ich bekam, ver­setz­te mei­nem Her­zen einen hoff­nungs­fro­hen Schock, und wenn es klin­gel­te, dann rann­te ich zur Tür. Ich wuss­te, ich war­te­te ver­ge­bens, denn du warst schon längst wei­ter­ge­zo­gen, und den­noch konn­te ich nicht auf­hö­ren, ver­ge­bens auf dich zu war­ten. Mei­ne Gefüh­le koch­ten über und du nahmst dei­ne unge­rührt vom Herd, du stell­test sie nicht ein­mal auf die Warm­hal­te­plat­te. Du sag­test zu mir mit nai­ver Ernst­haf­tig­keit in der Stim­me, ich sol­le mei­ne Gefüh­le für dich ganz ein­fach ver­ges­sen, und du konn­test und kannst noch immer nicht ver­ste­hen, wie ich, wie irgend­je­mand Gefüh­le hegen kann, die sich nicht ein­fach wie das Licht belie­big ein- und aus­schal­ten las­sen. Ein­fach, für dich war alles ein­fach. Wie machst du das und wie konn­test du je lie­ben, wenn du Emo­tio­nen so stark unter ratio­na­le Kon­trol­le zwingst?
In dei­nen Augen haben wir uns zu unver­söhn­li­chen Gegen­spie­lern ent­wi­ckelt. Was zwi­schen uns geschah, das ist für dich zu einer Übung in Logik ver­kom­men, ein Debat­tier­club zu zweit, in dem gewinnt, wer sei­nen Geg­ner argu­men­ta­tiv zu Boden wirft. Du bist dar­in ver­bis­sen uner­bitt­lich, weil du die Deu­tungs­ho­heit über das Gesche­he­ne ver­langst. Wir waren für den jeweils ande­ren zu tra­gen­den Wän­den sei­nes Lebens gewor­den, und wäh­rend mein Haus nun in den Trüm­mern des Ver­gan­ge­nen liegt, hast du sie ein­ge­ris­sen, als wären sie aus Papp­ma­ché. Mit rück­sichts­lo­ser Prä­zi­si­on plat­zier­test du Spreng­stoff an allen Brü­cken, die wir uns zuvor mit Mühe erbaut hat­ten, damit die Welt für uns begeh­bar war, und als sie am Ende hin­ter dir zer­fie­len, stand ich noch immer drauf. Du hät­test all das nie so ernst genom­men, sagst du heu­te kalt zu mir, weil es von Anfang an mir wich­ti­ger gewe­sen sei als dir, was wir uns bei­de dort errich­te­ten, und beken­ne ich dir dann, dass du für mich auf ewig unver­gleich­bar blei­ben wirst, erwi­derst du in knap­pem Ton, du seist doch bloß wie all die ande­ren. Hast du die Lie­be je verstanden?
Ich ver­krie­che mich in mir selbst, wäh­rend du so bei­läu­fig neue Kon­tak­te knüpfst, als wäre nichts gesche­hen, als wäre dir jeder belie­bi­ge Mensch genug, um mich ganz gleich­gül­tig zu erset­zen. Wäh­rend du für mich die eine Schnee­flo­cke bist, die ich kein zwei­tes Mal auf die­ser Erde fin­den wer­de, wur­de ich für dich zu einem aus­tausch­ba­ren Was­ser­trop­fen, der völ­lig unsicht­bar im Meer ver­geht. All die Eigen­hei­ten unse­rer Bezie­hung, die mir für uns so exklu­siv erschie­nen, die klei­ne Welt, die ein­mal unse­re eige­ne war, teilst du so unbe­küm­mert mit mir Unbe­kann­ten, als hät­te sie dir nie etwas bedeu­tet. Jene Magie, die ein­mal zwi­schen uns bestand und die noch immer in mir wirkt, ist nun für dich bloß fau­ler Zau­ber, an dem du dich mit einer Ver­ve ver­gehst, die mir zer­stö­re­risch erscheint. Was dir einst wich­tig war und mir stets ist, das ist für dich wie aus­ge­löscht. Du tust, als sei da kein Gefühl, und die­ser Part liegt dir so gut, dass ich mich manch­mal fra­ge, ob das nun wirk­lich Schau­spiel ist oder ob Lie­be denn für dich schon immer bloß die Rol­le war. Was mir das Herz zer­bricht, das ist, dass dei­nes kei­nen Krat­zer trägt.

In a vacu­um all pho­tons tra­vel at the same speed. They slow down when tra­vel­ling through air or water or glass. Pho­tons of dif­fe­rent ener­gies are slo­wed down at dif­fe­rent rates. If Tol­s­toy had known this, would he have reco­g­nis­ed the ter­ri­ble untruth at the begin­ning of Anna Kare­ni­na? ‚All hap­py fami­lies are ali­ke; every unhap­py fami­ly is unhap­py in its own par­ti­cu­lar way.‘ In fact it’s the other way around. Hap­pi­ness is a spe­ci­fic. Mise­ry is a gene­ra­li­sa­ti­on. Peo­p­le usual­ly know exact­ly why they are hap­py. They very rare­ly know why they are mise­ra­ble. (…) Mise­ry is a vacu­um. A space wit­hout air, a suf­fo­ca­ted dead place, the abo­de of the mise­ra­ble. Mise­ry is a tene­ment block, rooms like bat­tery cages, sit over your own drop­pings, lie on your own filth. Mise­ry is a no U‑turns, no stop­ping road. Tra­vel down it pushed by tho­se behind, trip­ped by tho­se in front. Tra­vel down it at furious speed though the days are mum­mi­fied in lead. It hap­pens so fast once you get star­ted, there’s no anchor from the real world to slow you down, not­hing to hold on to. Mise­ry pulls away the bra­ckets of life lea­ving you to free fall. Wha­te­ver your pri­va­te hell, you’ll find mil­li­ons like it in Mise­ry. This is the town whe­re everyone’s night­ma­res come true.
(Jea­nette Win­ter­son – Writ­ten on the Body)

Sie glau­ben, es sei pri­mi­tiv und bar­ba­risch, einen Men­schen zu töten? Au con­trai­re! Oh bit­te, den­ken Sie nicht an Schuss­waf­fen, den­ken Sie nicht an Mes­ser oder Gift, den­ken Sie nicht an Blut und all die bra­chia­len Metho­den des Tötens. Wagen Sie etwas mehr Fan­ta­sie. Mei­ne Pro­fes­si­on ist eine ande­re, ich bin spe­zia­li­siert auf Mor­de und Hin­rich­tun­gen einer gra­ziö­se­ren, weit­aus ver­sier­te­ren Art.
Haben Sie sich je über­legt, wie unge­recht die Welt an und für sich ist? Bre­chen Sie jeman­dem die Bei­ne, und Sie kom­men dafür vor Gericht. Bre­chen Sie aber jeman­dem das Herz, wird Sie kein Gericht der Welt dafür ver­ur­tei­len. Und glau­ben Sie mir, der Effekt ist ein grö­ße­rer, wenn Sie es bloß rich­tig anstel­len. Steh­len Sie jeman­dem das Vehi­kel, und man wird Sie wegen Dieb­stahl ver­fol­gen. Neh­men Sie hin­ge­gen jeman­dem die Träu­me, die er für sein Leben hegt, kom­men Sie mit die­sem Coup gänz­lich unbe­hel­ligt davon. Oder zün­den Sie jeman­dem das Haus an, bren­nen Sie es nie­der, und man wird Sie wegen Brand­stif­tung belan­gen. Ver­nich­ten Sie aber das Glück, das einer hat, wird Sie nie­mand dafür zur Ver­ant­wor­tung zie­hen wol­len. Ver­ste­hen Sie, wor­auf ich hin­aus möchte?
Mein Metier ist eine Kunst. Jeman­den mit einer Waf­fe zu erschie­ßen oder zu erste­chen, ihn zu über­fah­ren oder zu ver­gif­ten ist ein­fach und arm­se­lig, jeder Töl­pel könn­te es, auch wenn zur Umset­zung die­ser Tat ein höchst­kom­ple­xer Plan dahin­ter­ste­cken mag. Die Tat selbst aber ist eine pri­mi­ti­ve und die­se Zunft nicht die mei­ne. Mei­ne Mor­de sind inner­lich, gleich­sam kunst- wie anspruchs­voll und äußerst effek­tiv. Nie­mand bemerkt sie, außer dem Ermor­de­ten, und nie­mand kann sie mir je nach­wei­sen, kei­ne Straf­ver­fol­gungs­be­hör­de wür­de je des­we­gen gegen mich ermit­teln, denn alles, was ich tue, ist legal, ich ver­sto­ße gegen kei­ner­lei Sta­tu­ten. Dafür erfor­dern mei­ne Taten ein wesent­lich höhe­res Maß an Fin­ger­spit­zen­ge­fühl, an Fan­ta­sie, an Kunst­fer­tig­keit und an Unbarm­her­zig­keit als ein nor­ma­ler Mord. Man muss an das Opfer her­an­kom­men. Nicht phy­sisch, nicht geo­gra­fisch. Es ist leicht, Per­so­nen­schutz, Mau­ern und Wach­sys­te­me zu über­lis­ten, geht man nur mit genug Ent­schlos­sen­heit an einen Mord her­an, aber die Schutz­sys­te­me, die mei­ne Auf­merk­sam­keit erfor­dern, sind weit­aus schwie­ri­ger zu über­win­den. Ich spre­che von Ver­trau­en, das in einer lang­wie­ri­gen Inter­ak­ti­on erst ein­mal geschmie­det wer­den muss, es geht um eine Bezie­hung, die ich zu mei­nem Opfer auf­bau­en muss, um schließ­lich des­sen inne­re Ver­tei­di­gungs­maß­nah­men ele­gant zu bezwin­gen. Kein Per­so­nen­schutz der Welt kann mei­ne Opfer davor beschüt­zen, kei­ne kugel­si­che­re Wes­te fängt mei­nen töd­li­chen Schuss ab, wenn es so weit ist.
Sie glau­ben ver­mut­lich, ein phy­si­scher Mord sei wirk­sa­mer, aber da täu­schen Sie sich. Men­schen sind solch zer­brech­li­che Wesen. Ich glau­be, die meis­ten von ihnen ver­kraf­ten mehr kör­per­li­chen Scha­den als inner­li­ches Leid, als see­li­schen Schmerz, wenn Sie es so aus­drü­cken möch­ten. Ein fal­sches Wort zur rich­ti­gen Zeit, ein Schwei­gen, wenn Wor­te erwar­tet wer­den, eine noch so klei­ne Hand­lung, die deplat­ziert erscheint, ein sinn­bild­li­cher Dolch­stoß, und der Mensch wird nie wie­der so sein wie je zuvor. Er ver­liert viel­leicht sei­nen Opti­mis­mus, sei­ne Lebens­freu­de, sein Lachen, sein Ver­trau­en oder sei­ne Offen­heit. Ein ech­ter Mord schließt ab, der Mensch ist tot, requies­cat in pace. Einen Men­schen aber, den ich im Inne­ren ermor­de, tötet das nicht wirk­lich, zumin­dest nicht sofort, er muss damit wei­ter­le­ben, für den Rest sei­ner Tage.
Ich habe Ehe­män­ner und Ehe­frau­en umge­bracht, indem ich sie ver­füh­ren ließ, indem ich ihre Fami­li­en, ihr Glück, ihre Bezie­hun­gen zer­stör­te. Ich habe Men­schen getö­tet, indem ich sie über Mona­te hin­weg mit der Ver­hei­ßung der gro­ßen Lie­be lock­te, in ihnen epi­sche Gefüh­le pro­vo­zier­te, um sie dann ein­fach damit sit­zen­zu­las­sen. Ich habe Men­schen in den Abgrund gesto­ßen, indem ich ihr Ver­trau­en in die Zukunft erschüt­ter­te. Ich habe Ehr­gei­zi­ge umge­bracht, indem ich ihre Kar­rie­re zer­stör­te, und Eltern, indem ich ihre Kin­der korrumpierte.
All die­se Taten sind für mich bloß eher­ne Rou­ti­ne, it’s all in a day‘s work. Nichts davon geschah auf einem ille­ga­len Wege. Wie ste­hen Sie zu einer Welt, die all das unge­rührt zur Kennt­nis nimmt, weil sie in ihrer Ver­ach­tung für Mord, Zer­stö­rung und Gewalt so ober­fläch­lich ist wie ein Groß­teil der Men­schen, die dar­in leben? Ich bin ein Ass­as­si­ne und mei­ne Mor­de blei­ben ungesühnt.

Der ande­re Trick besteht dar­in, dem Part­ner eben­so hef­ti­ge wie nebel­haf­te Vor­wür­fe zu machen. Wenn er dann wis­sen will, was Sie eigent­lich mei­nen, kön­nen Sie die Fal­le mit dem zusätz­li­chen Hin­weis her­me­tisch schlie­ßen: »Wenn du nicht der Mensch wärest, der du bist, müß­test du mich nicht erst noch fra­gen. Der Umstand, daß du nicht ein­mal weißt, wovon ich spre­che, zeigt klar, welch‘ Geis­tes Kind du bist.« Und a pro­pos Geist: Im Umgang mit soge­nann­ten Geis­tes­kran­ken wird die­se Metho­de seit längs­ter Zeit mit gro­ßem Erfolg ange­wen­det. In den sel­te­nen Fäl­len näm­lich, in denen der Betref­fen­de es wagt, klipp und klar dar­über Aus­kunft zu ver­lan­gen, wor­in in der Sicht der ande­ren sei­ne Ver­rückt­heit denn bestehe, läßt sich die­se Fra­ge als wei­te­rer Beweis für sei­ne Geis­tes­ge­stört­heit hin­stel­len: »Wenn du nicht ver­rückt wärest, wüß­test du, was wir mei­nen.« Da staunt der Laie und der Fach­mann wun­dert sich – denn hin­ter einer Ant­wort die­ser Art steht Genia­li­tät: Der Ver­such, Klar­heit zu schaf­fen, wird flugs ins Gegen­teil umge­deu­tet. Der ande­re gilt also für ver­rückt, solan­ge er die Bezie­hungs­de­fi­ni­ti­on »Wir sind nor­mal, du bist ver­rückt« still­schwei­gend hin­nimmt, und für ver­rückt, wenn er sie in Fra­ge stellt. Nach die­sem erfolg­lo­sen Exkurs in die mensch­li­che Umwelt kann er ent­we­der sich in hilf­lo­ser Wut die Haa­re aus­rau­fen, oder in Schwei­gen zurück­fal­len. Aber auch damit beweist er nur zusätz­lich, wie ver­rückt er ist, und wie recht die ande­ren schon immer hat­ten. (…) In den Eta­blis­se­ments, die sich für die Behand­lung sol­cher Zustän­de für kom­pe­tent hal­ten, läßt sich die­se Tak­tik mit Erfolg anwen­den. Man stellt es dem soge­nann­ten Pati­en­ten zum Bei­spiel frei, nach eige­nem Ermes­sen zu ent­schei­den, ob er an den Grup­pen­sit­zun­gen teil­neh­men will oder nicht. Lehnt er dan­kend ab, so wird er hilf­reich-ernst­haft auf­ge­for­dert, sei­ne Grün­de anzu­ge­ben. Was er dann sagt, ist ziem­lich gleich­gül­tig, denn es ist auf jeden Fall eine Mani­fes­ta­ti­on sei­nes Wider­stan­des und daher krank­haft. Die ein­zi­ge ihm offen­ste­hen­de Alter­na­ti­ve ist also die Teil­nah­me an der Grup­pen­the­ra­pie, doch darf er nicht anmer­ken las­sen, daß ihm ja nichts ande­res übrig­bleibt, denn sei­ne eige­ne Lage so zu sehen, bedeu­te­te immer noch Wider­stand und Ein­sichts­lo­sig­keit. Er muß also »spon­tan« teil­neh­men wol­len, gibt aber gleich­zei­tig mit sei­ner Teil­nah­me zu, daß er krank ist und The­ra­pie braucht. In gro­ßen Gesell­schafts­sys­te­men mit Irren­haus­cha­rak­ter ist die­se Metho­de unter dem respekt­los-reak­tio­nä­ren Namen Gehirn­wä­sche bekannt.
(Paul Watz­la­wick – Anlei­tung zum Unglücklichsein)

Men­schen sind über­all gleich. Ich kam in die­se Stadt und ich tat es ohne die gerings­ten Erwar­tun­gen. Es war etwas Neu­es für mich, eine unge­wohn­te Umge­bung, und die­se Stadt war so gut wie jede ande­re. Selbst wenn ich es mir zunächst nicht ein­ge­stand, war es für mich ein Ort der Hoff­nung, ein Ort der Träu­me, ein Ort der Illusionen.
Der ers­te Ein­druck über­rasch­te mich. Man nahm mich freund­lich auf, ein­fach so, ohne Bedin­gun­gen und ohne jede Umschwei­fe. Es war für die­se Men­schen nichts Unge­wöhn­li­ches, einen Neu­en, einen Frem­den in ihren Rei­hen zu begrü­ßen. Das unter­schied die­sen Ort von bei­na­he allem, was ich kann­te, denn wie schwer, wenigs­tens aber auf­wän­dig war es doch in der Regel, mit offe­nen Armen als Frem­der in eine bestehen­de Gemein­schaft auf­ge­nom­men zu wer­den. Nicht so hier. Ein­woh­ner kamen und gin­gen, und manch­mal blie­ben sie nur weni­ge Wochen. Es war eine Freund­lich­keit, eine Selbst­ver­ständ­lich­keit, die mich begeis­ter­te. Den schma­len Grat zwi­schen kind­li­chem Ver­trau­en und unbarm­her­zi­ger Distanz pfleg­te ich stets mit einer Art von Grund­ver­trau­en zu beschrei­ten, das aus­glei­chend begrenzt wur­de durch eine über die Jah­re hin­weg gewach­se­ne Men­schen­kennt­nis, derer es bedarf, um nicht der blin­den Nai­vi­tät anheimzufallen.
Im All­ge­mei­nen ver­trau­te ich selbst völ­lig unbe­kann­ten Men­schen, solan­ge sie mir kei­nen Grund lie­fer­ten, dar­an zu zwei­feln. Was wäre die Alter­na­ti­ve gewe­sen. Gesun­des Miss­trau­en ist ein Wider­spruch in sich, so etwas gibt es nicht, und lie­ber woll­te ich bis­wei­len in mei­nem Ver­trau­en ent­täuscht wer­den, als mit para­no­ider Grund­hal­tung durch die Welt zu gehen, denn Miss­trau­en för­dert unab­läs­sig Misstrauen.
Ich fühl­te mich hier zuhau­se. Nie­man­den inter­es­sier­te, war­um ich gekom­men war. All die mensch­li­chen, nur all­zu mensch­li­chen Kate­go­rien, die bis­wei­len dafür sorg­ten, Kei­le zwi­schen die Indi­vi­du­en zu trei­ben, schie­nen hier ohne Bedeu­tung zu sein. Alter, Geschlecht, Her­kunft, Aus­se­hen oder Sta­tus, Erfolg, Bil­dungs­grad und noch die ver­rück­tes­ten Inter­es­sen waren für das Mit­ein­an­der die­ser Men­schen allem Anschein nach völ­lig neben­säch­lich, zumin­dest lie­ßen sie sich nicht im gerings­ten anmer­ken, dar­auf irgend­ei­nen Wert zu legen. Es war zu gut, um wahr zu sein. Es war nicht wahr – aber das konn­te ich zu die­sem Zeit­punkt noch nicht wis­sen. Ich hät­te es wis­sen müs­sen, aber ich tat es nicht, denn wer stellt schon Fra­gen, wenn ihm Ein­lass in das Para­dies gebo­ten wird.
Nun, da ich ihn ver­las­se, muss ich rück­bli­ckend auf die­sen Ort lei­der sagen, dass die Ent­täu­schung über­wiegt. Es gab sehr viel Freu­de, schö­ne Momen­te, gute Erfah­run­gen, aber letzt­lich auch ein Über­maß an Frus­tra­ti­on. Vie­le Mona­te habe ich hier damit ver­bracht, Hoff­nun­gen und Träu­men nach­zu­ja­gen, die am Ende fast alle ent­täuscht wur­den. Ich kom­me mir so dumm vor. Alles ließ ich ste­hen und lie­gen, sogar mei­ne Arbeit ver­nach­läs­sig­te ich in all der Zeit, weil es für mich nichts Wich­ti­ge­res gab auf der Welt als die­se Men­schen, auf die ich mei­ne Hoff­nun­gen setz­te. Und für was? Was dach­te ich zu sehen? Men­schen, die nicht so sind wie an jedem ande­ren Ort der Welt? Illu­sio­nen! Wie­so also soll­te ich bleiben.
Viel­leicht mag es auf den ers­ten Blick para­dox erschei­nen, mein Grund­ver­trau­en von einer gewis­sen Art Distanz beglei­ten zu las­sen, die aber gar kein Wider­spruch, son­dern eher Gegen­ge­wicht ist. Mit einem Groß­teil der Men­schen, die ich im Lau­fe mei­ner Tage ken­nen­ler­ne, kann ich, so schwer es mir das Leben auch manch­mal macht, in der Regel nur wenig anfan­gen, dar­um ver­mei­de ich all­zu nahen Kon­takt mit ihnen, wo ich das kann. Das gilt für die Ein­woh­ner die­ser Stadt wie für die Men­schen im Gesam­ten. Sie kön­nen nichts dafür, sie sind nicht bes­ser oder schlech­ter als ich, sie haben ein­fach nur eine ande­re Vor­stel­lung von der Welt, eine Vor­stel­lung, die ich nicht tei­le. Sie legen Ver­hal­tens­wei­sen an den Tag, die so nor­mal, so mensch­lich sind, und doch mei­de ich sie dafür. Sie ver­brei­ten Lügen und brin­gen Gerüch­te in Umlauf, sie het­zen sich gegen­ein­an­der auf, sie läs­tern über ihren Nächs­ten, sobald er nur für einen Moment außer Hör­wei­te gegan­gen ist. Sie ver­schwö­ren sich. Sie fra­gen nicht nach, wenn sie böses Geschwätz über einen ande­ren hören, ob es denn über­haupt stimmt, sie glau­ben es direkt. Sie kor­rum­pie­ren. Sie sind stän­dig am Kämp­fen, am Strei­ten, kon­kur­rie­ren um Macht, Pres­ti­ge, Aner­ken­nung und Bei­fall. Sie sind selbst­ver­liebt, arro­gant und Heuch­ler. Stän­dig heu­cheln sie. Sie sind freund­lich zu jedem, ja, doch was heißt das schon, was hilft das, wenn es nur gespiel­te Freund­lich­keit ist. Sie legen das Sti­lett nie aus der Hand. Am Vor­mit­tag kön­nen sie dir sagen, wie ger­ne sie dich haben und was sie an dir schät­zen, dich am Nach­mit­tag vor dei­nen Freun­den schlecht­re­den, um dann am Abend mit dir ein fröh­li­ches Gespräch zu füh­ren, wie ver­lo­gen alle ande­ren doch sei­en. Nichts davon tun sie aus Bos­haf­tig­keit, und das ist das wirk­lich Trau­ri­ge dar­an. Lernt man die Men­schen in die­ser Stadt ein wenig ken­nen, muss man fest­stel­len, dass die meis­ten von ihnen genau­so sind, genau­so nor­mal. Das macht sie nicht zu schlech­ten Men­schen, aber es macht sie zu Men­schen, denen ich aus dem Weg gehe. Vie­len gehe ich aus dem Weg.
Doch es gab Aus­nah­men, es gibt sie über­all, man muss sie bloß fin­den. Die­je­ni­gen, die anders sind. Men­schen, die sich die Tat­sa­che vor Augen füh­ren, auch selbst nicht immun gegen­über der­ar­ti­gen Ver­hal­tens­wei­sen zu sein, die aber ver­su­chen, sie auf ein Mini­mum zu redu­zie­ren; die ihr Ver­hal­ten kri­tisch reflek­tie­ren, die ein Mit­ein­an­der statt eines Gegen­ein­an­ders her­zu­stel­len bestrebt sind. Men­schen, die sich nicht andau­ernd in den Mit­tel­punkt zu stel­len ver­su­chen, die nicht her­um­schrei­en, um Lor­bee­ren noch für die kleins­ten Taten ern­ten zu wol­len. Men­schen, die so auf­rich­tig wie freund­lich sind und das nicht bloß spie­len, weil sie sich etwas davon erhoffen.
Vie­le derer, die auf den ers­ten Blick als sol­che Aus­nah­men erschei­nen, stel­len sich bei genaue­rer Betrach­tung als Schau­spie­ler her­aus, als Men­schen, die sich akku­rat insze­nie­ren, als wären sie zuvor­kom­men­de, freund­li­che, auf­rich­ti­ge Per­so­nen. Bohrt man etwas tie­fer, offen­bart sich aller­dings, es han­delt sich um Lüg­ner. Geschick­te Lüg­ner zwar, gute Schau­spie­ler zwei­fel­los, und den­noch Lüg­ner. Sie spie­len das alles und die­ses Spiel ist ihr Leben. Es sind Ego­zen­tri­ker, Gel­tungs­süch­ti­ge und Selbst­ver­lieb­te. Sie sind genau wie der Groß­teil derer, auf die sie aus ihrer Rol­le hin­aus ver­ächt­lich hin­ab­bli­cken, aber sie haben gelernt, das zu über­spie­len, und das machen sie teil­wei­se ver­dammt gut.
Die ech­ten Aus­nah­men aber, jene, die nicht bloß Schau­spiel betrei­ben, waren alle­samt net­te Men­schen und dar­über war ich froh. Sie waren auf­rich­tig und nett, und vie­le von ihnen ver­füg­ten über eine recht unkom­pli­zier­te, unver­bind­li­che Vor­stel­lung von Freund­schaft. Genau dies war jedoch gleich­zei­tig das Pro­blem, war mir Grund, wes­halb ich mich nicht mit ihnen anfreun­den woll­te. Ihre Vor­stel­lung von Freund­schaft ent­sprach nicht der mei­nen, einer Vor­stel­lung, die man­chem, den ich sah, viel­leicht fremd sein moch­te, weil er unzäh­li­ge Freund­schaf­ten pfleg­te – und wenn man bloß mit jeman­dem in einer Bar ein Bier trank, war er sofort ein Freund. Das moch­te für ande­re funk­tio­nie­ren, für mich aller­dings nicht.
Seit jeher nann­te ich nur weni­ge Men­schen wirk­lich Freun­de, doch für jene, die ich dazu erko­ren hat­te, war ich es von gan­zem Her­zen, mit all mei­ner Ener­gie. Die­se net­ten, unver­bind­li­chen Leu­te – soll­te ich auch sie alle­samt zu mei­nen Freun­den zäh­len? Wür­de das funk­tio­nie­ren? Und dann? Auch mei­ne Tage haben nur vier­und­zwan­zig Stun­den, auch ich ver­fü­ge nur über begrenz­te Ener­gie. Ich woll­te kei­ne net­ten, unver­bind­li­chen Leu­te ken­nen­ler­nen, die ich zu mei­nen Freun­den hät­te machen kön­nen, weil das nur bedeu­tet hät­te, das kost­ba­re Enga­ge­ment für jeden mei­ner Freun­de zu redu­zie­ren, redu­zie­ren zu müs­sen, brei­ter zu ver­tei­len, sodass am Ende jeder weni­ger davon bekä­me. Das woll­te ich nicht. Mach­te mich das in ihren Augen zu einem Son­der­ling? Ver­mut­lich. Behan­del­te ich die­se net­ten, unver­bind­li­chen Men­schen unge­recht? Viel­leicht. Aber lie­ber das, als dass ich sie zu Freun­den gemacht hät­te, die kei­ne waren, zu Freund­schaf­ten, die weder sie noch mich befrie­di­gen würden.
Aber es gab Aus­nah­men unter den Aus­nah­men, ganz beson­de­re Men­schen. Men­schen, für die sich jedes noch so gro­ße Enga­ge­ment lohn­te; die so unglaub­lich kost­bar waren, dass ich sie nie wie­der aus den Augen ver­lie­ren woll­te; die mich berühr­ten, nicht nur in Gedan­ken, son­dern tief im Inne­ren. Men­schen, die ken­nen­zu­ler­nen mir war, als wür­den sich Wel­ten ver­bin­den. Es war der ent­täu­schends­te Teil. Bei den meis­ten von ihnen han­del­te es sich um Frau­en, denn unglück­li­cher­wei­se fie­len die ver­meint­li­chen Aus­nah­men unter den Män­nern vor­wie­gend in die Kate­go­rie Schau­spie­ler, denen es am Ende doch nur um ihr Ego ging, um Macht und Gel­tungs­drang, auf die eine oder auf die ande­re Art. Lei­der. Mit ihnen wäre es einfacher.
Was war nun das Pro­blem mit die­sen Aus­nah­men unter den Aus­nah­men? Da gab es also jeman­den, der beson­ders erschien, zumin­dest für mich. Jeman­den, der kein Schau­spie­ler war. Jeman­den, der ein ähn­li­ches Ver­ständ­nis vom Leben und der Welt auf­wies. Jeman­den, der unbe­ding­tes Ver­trau­en ver­dien­te und jeman­den, mit dem das gegen­sei­ti­ge Ver­ste­hen so ein­fach erschien, mit Wor­ten oder auch ohne, weil wir uns schon seit ewi­ger Zeit zu ken­nen glaub­ten. All die Schutz­vor­rich­tun­gen, die man sich im Lau­fe eines Lebens so müh­sam erbaut, um ande­re Men­schen auf ange­brach­ter Distanz zu hal­ten, um sich nicht zu ver­aus­ga­ben, um all­zu schwe­re Ver­let­zun­gen zu ver­mei­den, bau­te ich ab. Plötz­lich stand da ein Geschenk vor den Toren mei­ner Fes­tung, ein höl­zer­nes Pferd, und ich hol­te es bereit­wil­lig herein.
Irgend­wann aber über­tra­ten wir eine Gren­ze, eine unsicht­ba­re Linie, und es wuch­sen Gefüh­le in einem von uns. Anstatt in Unend­lich­keit zu enden, ken­ter­te das Mit­ein­an­der durch die­ses ungleich ver­teil­te Gewicht. Es war Him­mel und Höl­le zugleich, es mach­te alles kom­pli­ziert und vie­les kaputt, das so wun­der­bar begon­nen hat­te. Stell dir vor, du wärst Archäo­lo­ge und wür­dest an dem einen Fund arbei­ten, den du schon dein gan­zes Leben lang gesucht hast, auf den du ent­ge­gen aller Wahr­schein­lich­keit unter all den ver­ber­gen­den Schich­ten erst ein­mal sto­ßen muss­test, doch plötz­lich ist da ein nicht zu unter­drü­cken­des Krib­beln in dei­ner Nase, du musst nie­sen, ein ganz nor­ma­les mensch­li­ches Regen, du rutschst mit dem Werk­zeug ab und alles ist rui­niert. So kam ich mir vor. Nichts ver­mag je zu erset­zen, was dadurch ver­lo­ren ging, das wirk­lich Begehr­te, das über­aus Sel­te­ne, das unbe­dingt Kost­ba­re. Jene Men­schen, die für immer im Gedächt­nis blei­ben, die für immer ein Teil des eige­nen Lebens sein wer­den, ob sie nun anwe­send sind oder nicht.
Momen­tan fühlt es sich so an, als steck­te ich im Treib­sand. Je mehr ich mich bewe­ge, des­to trost­lo­ser wird die Situa­ti­on. Viel­leicht ist es also am bes­ten, sich erst ein­mal gar nicht zu bewe­gen. Das gesam­te letz­te Jahr ver­brach­te ich in die­ser Stadt mit dem unheil­vol­len Ver­such, Träu­men, Hoff­nun­gen und letzt­lich Illu­sio­nen hin­ter­her­zu­ja­gen, die sich am Ende alle­samt in Luft auf­lös­ten. Mei­ne gesam­te Ener­gie, emo­tio­nal wie auch psy­chisch, steck­te ich in die­se Men­schen, nur um alles, was ich auf­ge­baut hat­te, schließ­lich zer­stört vor­zu­fin­den, ent­we­der durch sie, weil sie nicht waren, was sie zu sein schie­nen, oder durch den Makel der Emo­ti­on. Es ende­te immer wie­der gleich, auch wenn es nie ende­te. Heu­te bin ich leer, ent­täuscht, von ande­ren und von mir selbst, erschöpft und emo­tio­nal am Boden. Die­se Stadt hat mich aus­ge­laugt, ich kann nicht mehr. Jeden­falls nicht hier. Wie ein hava­rier­tes Raum­schiff schwe­be ich manö­vrier­un­fä­hig irgend­wo in der Lee­re des Uni­ver­sums. Nur die Lebens­er­hal­tungs­sys­te­me sind noch in Betrieb, doch viel­leicht bekom­me ich dem­nächst auch wie­der Ener­gie für den Antrieb. Man sagt, es wür­de alles bes­ser, wenn Gras über eine Sache gewach­sen sei. Hier jedoch wächst kein Gras, der Boden ist aus­ge­laugt. Noch weni­ger als zuvor weiß ich, wann es sich lohnt, auf Men­schen ein­zu­ge­hen, denn ich mag sie ent­we­der gar nicht oder zu sehr, doch ich weiß, dass es nicht mein Ver­trau­en war, das mich enttäuschte.
Men­schen sind über­all gleich. Ent­zau­bert, ohne Hoff­nung und mit ver­blass­ten Träu­men ver­las­se ich die­se Stadt so lei­se, wie ich sie betrat. Sie war für mich ein Ort der Hoff­nung, ein Ort der Träu­me, ein Ort der Illu­sio­nen. Nach all die­sen Erfah­run­gen kom­me ich mir vor wie ein Außer­ir­di­scher, der mit der hoff­nungs­vol­len Mis­si­on an die­sen Ort geschickt wur­de, so viel wie mög­lich über die domi­nan­te Spe­zi­es auf die­sem Pla­ne­ten her­aus­zu­fin­den, um alles mit ihnen zu tei­len, und der nun mit der Bot­schaft zurück­keh­ren muss, dass es sich nicht lohnt, mit die­sen Wesen Kon­takt auf­zu­neh­men. Nicht mit deak­ti­vier­tem Schutzschild.