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Wenn ich eine der vielen Polit- oder Gesellschafts-Talkshows sehe, womit nicht deren wenig ernstzunehmende nachmittägliche Derivate auf den privaten Sendern gemeint sind, rege ich mich meist recht schnell auf. Es ist relativ egal, ob die Diskussion sich dabei um politische, um gesellschaftliche oder um persönliche Themen dreht und ob ich mich mit einer Seite der Diskussion identifizieren kann oder nicht. Was mich aufregt, ist der jeweilige Drang, alle anderen mit missionarischem Eifer von der eigenen Position und der eigenen Art zu leben überzeugen zu wollen. Vegetarier wollen Fleischesser zu Vegetariern konvertieren, Faulenzer wollen Karrieremenschen zum lockeren Leben erziehen, Operngänger diffamieren DSDS-Gucker ob ihrer Kulturlosigkeit und jeweils entsprechend umgekehrt. Warum eigentlich?
Ich streite gerne mit anderen Leuten über Themen, bei denen wir uns nicht einig sind. Es macht Spaß und erweitert den eigenen Horizont. Von außen ist das, was ich tue, für einen objektiven Beobachter wahrscheinlich nur schwer von Überzeugungsarbeit zu unterscheiden (und vielleicht tue ich deswegen den beschriebenen Personen teilweise unrecht), doch meine eigene Motivation dazu ist keineswegs das missionarische Bestreben, den anderen von meiner individuellen Position zu überzeugen und das Ganze ideologisch womöglich noch mit der vermeintlichen Erziehung zu einer besseren Welt aufzuladen, wie es so oft praktiziert wird, sondern eine weitaus egoistischere:
Ich möchte für mich selbst – und zwar nur für mich selbst – die beste Art zu leben finden, die ich gerne guten Gewissens lebe und die mir sowohl Spaß als auch ein befriedigendes Leben ermöglicht, so schwammig und banal das nun auch klingen mag. Außerdem hilft es mir, meine Mitmenschen und ihre eigene Art zu leben besser zu verstehen.
Es gibt keinen einen richtigen Weg zu leben, der für alle Menschen allgemeingültig ist. Alle anderen von meiner Art zu leben, meinen Standpunkten und meinen Meinungen überzeugen zu wollen, spricht für mich recht deutlich von einer intoleranten Grundhaltung und überschätzender Verherrlichung der eigenen Positionen.
Deswegen liebe ich es, mit Menschen zu diskutieren, die eine völlig andere Meinung vertreten als ich selbst. Ich diskutiere gerne mit Parteimitgliedern jeglicher Art, mit Veganern, mit fundamentalistischen Gentechnikgegnern oder ‑befürwortern, mit Gläubigen und mit Anhängern eines völlig freien Marktes, mit Befürwortern von Studiengebühren und mit unbeugsamen Globalisierungsgegnern genauso wie mit den Advokaten globaler Ausbeutung, weil ich mit jeder dieser Diskussionen herausfinden möchte, welche Argumente der andere vorbringen kann, über welche Erfahrungen er verfügt, wie er zu seiner Meinung gekommen ist und wie konsequent er sie vertreten kann. Letztlich also, um herauszufinden, wie überzeugend er ist. Nicht primär, weil ich ihn überzeugen möchte, sondern weil er vielleicht Argumente hervorbringt, die ich nachvollziehen kann, die mir sinnvoll und stichhaltig erscheinen oder mich wenigstens ins Grübeln bringen, die mir letztendlich also helfen, meine eigenen Positionen, Meinungen und Überzeugungen fundiert zu untermauern oder zu hinterfragen und damit schließlich dazu beitragen, meinen eigenen, für mich – und nur für mich – besten Weg zu finden.
Wenn ich alleine etwas daraus mitnehme, ist das bereits gut, doch wenn idealerweise alle beteiligten Diskutanten im Zuge als auch in Folge der Diskussion ihre Positionen kritisch reflektieren, ist das ein voller Erfolg, denn nicht mehr und nicht weniger ist dabei mein vornehmliches Ziel. Wenn einer oder mehrere der Beteiligten, das beinhaltet selbstverständlich auch mich selbst, infolgedessen ihre Meinung ändern, ist das ein willkommener Effekt, denn wir alle lernen ständig dazu, aber nicht wesentlicher Antrieb und sollte das auch nicht sein.
Der Unterschied klingt entweder trivial oder höchst komplex, denn es geht darum, potentiell überzeugend zu sein, also die eigene Meinung konsistent, fundiert, konsequent und überzeugt zu vertreten, ohne überzeugen, ohne missionieren zu wollen, dabei aber immer offen für eigene Überzeugung durch neue Argumente zu sein.
Überzeugungsarbeit ist immer Machtdurchsetzung. Wer behauptet, DSDS-Gucker verfügten über kein Verständnis für Kultur und Faulenzer würden ihr Leben verschwenden, übt damit Macht aus, indem er die Deutungshoheit anstrebt und durchzusetzen versucht, was unter legitimer Kultur und Lebensführung zu verstehen sei. Alle, die nicht diesen Vorstellungen entsprechen, werden dadurch im- oder gar explizit für fehlgeleitet und ihre Lebensweise für falsch erklärt, wohingegen die eigene stets die richtige – die angeblich eine richtige – ist. Wie so vieles dreht sich hierbei alles um Macht und weniger um Fragen persönlicher Vorlieben, als die es kaschiert wird, denn ginge es lediglich um persönliche Vorlieben, bestünde nicht das Bestreben, andere von eben diesen überzeugen zu wollen.
Das einzige – und hier wird es paradox -, wovon ich andere überzeugen möchte, ist auf der einen Seite, dass es ein unvernünftiges, weil tendenziell totalitäres Unterfangen ist, andere verbissen von der eigenen Art zu leben überzeugen zu wollen, sowie auf der anderen Seite, offen für Überzeugung durch Argumente zu bleiben, denn sonst verrennt man sich in Fundamentalismus.
Viel liest man über die negativen Auswirkungen, die es haben kann, füttert man soziale Netzwerke, die eigene Homepage oder Blogs mit persönlichen Informationen. Wenngleich vieles davon auch zutreffend ist und die optimierte Selbstinszenierung oder Öffentlichmachung intimster Details bisweilen ins Pathologische abdriftet, so ist ein immer wieder erwähnter Punkt doch unter Umständen auch nützlich: Schnüffelei durch den aktuellen oder einen potentiellen Arbeitgeber.
Das Profil in sozialen Netzwerken, die eigene Homepage und Aussagen in Blogs werden mit der Schere im Kopf verfasst oder in vorauseilendem Gehorsam zensiert, um der Angst zu begegnen, der tatsächliche oder potentielle Arbeitgeber könnte Details über Privatleben, politische oder sexuelle Orientierung, Vorlieben und Abneigungen oder persönliche Meinungen erfahren und als – natürlich inoffizielle – Grundlage für negative Konsequenzen heranziehen, sei es das Ablehnen einer Bewerbung und Nichteinstellung, das Übergehen bei einer Beförderung oder in Extremfällen die Kündigung. Warum?
Genauso, wie diese dreiste Schnüffelei durch wenig Vertrauen verdienende Unternehmen, denen das Privatleben ihrer Mitarbeiter, solange es die Arbeit selbst nicht beeinträchtigt, nicht Grund für negative Sanktionen sein darf, soll und muss, in die eine Richtung funktioniert, wirkt sie auch in die andere, nämlich als vorzüglicher Arbeitgeberfilter. Möchte man für eine Firma arbeiten, die herumschnüffelt und einen Menschen nicht einstellt, weil er persönliche, vielleicht sogar peinliche Partyfotos in ein soziales Netzwerk geladen hat? Möchte man für eine Firma arbeiten, die eine politische Meinung jenseits der eigens propagierten als Knock-Out-Kriterium betrachtet? Wenn man nicht eingestellt wird, weil man sich in dieser oder jener Organisation engagiert, ist das dann, abseits vom Ökonomischen, wirklich ein Grund zur Trauer oder nicht eher zur Freude darüber, dass man nicht Teil eines Unternehmen mit solchen Praktiken geworden ist? Was für ein Zustand ist das, wenn man vorsichtig sein muss, welche politischen oder persönlichen Aussagen man trifft?
„Selbst schuld“, hört man süffisant von denjenigen, die sich entsprechend solcher an sie gestellten Erwartungen zensieren und die eigene Persönlichkeit demütig verstecken. „Selbst schuld“, kann man ihnen eigentlich nur antworten.
Seit Jahren schon möchte ich ein Buch über etwas schreiben, das mir sehr am Herzen liegt. Oder wenigstens ein PDF mit vielen Seiten. Der Ursprung dieses Wunsches liegt in mittlerweile schon nicht mehr fassbarer Vergangenheit, doch einen ernsthaften Anfang machte dieser Gedanke dann erst zum Ende meiner Schulzeiten, aber bis heute habe ich mit diesem Vorhaben keine großen Fortschritte erzielt. Ideen kommen und gehen und das Konzept wächst unaufhörlich, trotzdem schaffen es nur die seltensten dieser Ideen als ausformulierte Sätze, Abschnitte oder gar Seiten aufs elektronische Papier. Warum?
Viele Dinge spielen eine Rolle. Die üblichen Verdächtigen natürlich: mangelnde Zeit, Faulheit, nagender Perfektionismus und die Angst vor dem ersten Entwurf, der nie überzeugt. Einige davon – wahrscheinlich die meisten – mögen Ausreden sein, das ist sicher, doch sind all das generell Gründe, mit denen umgegangen, denen begegnet werden kann. Es sind Steine auf dem Weg, die wegzuräumen nicht das Problem ist, wenn man weiß, dass man den Weg unbedingt gehen möchte.
Der Hauptgrund allerdings, der mich daran hindert, irgendwie sinnvoll mit meinem Text voranzukommen, liegt in der Zukunft. Es sind all die Dinge, die in meinem Kopf als großes Muss auf mich zukommen: Ich muss Hausarbeiten machen, ich muss Referate vorbereiten, ich muss für Prüfungen lernen (obwohl ich noch nie für Prüfungen gelernt habe). Es ist dabei nicht der Zeitaufwand an sich, der für diese Dinge jeweils aufgebracht werden muss, denn er lässt mir genug Spielraum für Freizeit, sondern es sind die Dinge als solche, in denen ich keinen persönlichen Sinn sehe, die das Problem darstellen.
Freizeit bedeutet nicht gleichzeitig freie Zeit. Wenn in den Semesterferien alle Hausarbeiten hinter mir liegen, keine Klausuren anstehen und auch das kommende Semester im Idealfall noch einige Wochen entfernt liegt, ist das nur Freizeit, aber keine freie Zeit. Im Hinterkopf ist mir stets das störende Wissen allgegenwärtig, dass ich bald, wenn diese kurze Phase der Freizeit vergangen sein wird, wieder neue Referate werde vorbereiten müssen. Wenn die Referate vorbereitet und gehalten wurden, folgen die dazugehörigen Hausarbeiten, nach den Hausarbeiten folgen neue Referate. Wenn irgendwann Referate und Hausarbeiten einmal vorbei sind, stehen Diplomarbeit und Diplomprüfung bereits vor der Tür. Danach Bewerbungen, Vorstellungsgespräche, Einarbeitung, Arbeitsalltag. Jede dieser neuen Stufen ist von lächerlichen Bestätigungen irgendwelcher Instanzen bezeichnet: eine bestandene Klausur oder Prüfung, eine Note, eine gutgeheißene Arbeit, der Abschluss eines Projekts, die Versetzung in ein anderes Be(s)tätigungsfeld.
All dieses Müssen hängt in meinem Kopf ständig unbewusst über allem anderen, wie ein Rauschen im Radio, das einem die Musik verdirbt. Wenn ich Freizeit habe, vergeude ich sie mit irgendwelchen Serien oder Spielen, räume auf oder um, widme mich ganz generell dem so genannten Amüsement und Entertainment, um mich von einem Muss zum nächsten zu hangeln und die Zeit dazwischen totzuschlagen, in der Hoffnung auf ein Ende dieses Muss-Kreislaufs. Doch immer wieder erscheint irgendwo eine neue Stufe. Paralyse. Nie bekomme ich es hin, mich endlich mit dem zu beschäftigen, womit ich mich schon so lange beschäftigen möchte und was mir zudem so sehr am Herzen liegt. Hinzu kommt die Eigenschaft all dieser Nebenschauplätze – Hausarbeiten, Referate, Bewerbungen und so weiter -, eine derart große Menge an Aufmerksamkeit für sich zu beanspruchen, dass ein effektives und ungestörtes Konzentrieren auf das, was mir eigentlich wirklich wichtig ist, gar nicht möglich ist.
Meine letzte freie Zeit, die nicht nur als Freizeit bezeichnet werden kann, genoss ich direkt nach dem Abitur, als noch völlig offen war, ob ich Zivildienst würde leisten müssen oder nicht und wie es danach weitergehen würde. Diese Zeit, in der nicht klar war, welches Muss als nächstes und wann auftreten würde, in der es keinen fest geregelten Ablauf für die Zukunft gab, keine strukturierten Pläne, keine starren Schienen, auf denen alles zielgerichtet dahinrollt, war gleichzeitig die produktivste.
Was wir brauchen, ist freie Zeit, die nicht bloß Freizeit ist.
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